Mein fabelhaftes Verbrechen (2023)

GELEGENHEIT MACHT SCHULDIG

8/10


fabelhaftesverbrechen© 2023 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: MON CRIME

LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

DREHBUCH / REGIE: FRANÇOIS OZON

CAST: NADIA TERESZKIEWICZ, REBECCA MARDER, ISABELLE HUPPERT, FABRICE LUCHINI, DANY BOON, ANDRÉ DUSSOLIER, ÉDOUARD SULPICE, FÉLIX LEFEBVRE U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber auch gerade deswegen. Eine gute Komödie zeichnet sich dadurch aus, ihren Witz als Folgeerscheinung eines klug konstruierten Drehbuchs mitzubringen. Und nicht dadurch, die Handlung um einige, zwerchfellerschütternde Bonmots herumzubauen. Eine gute Komödie zeichnet sich auch dadurch aus, dem Ensemble die Freiheit zu geben, ihren Figuren dank reichlicher Improvisation und dem Willen zum ex tempore mit nur wenigen charakterlichen Strichen rundum standfeste Auftritte zu bescheren. Wenn Rollen ohne viel Heißem-Brei-Gerede fassbar werden, bleiben ganze Spielwiesen für komödiantische Eskapaden übrig, die vor allem auf den Boulevardbühnen seit jeher und nicht erst seit Maxi und Alfred Böhm, die in ihrer Pension Schöller-Version die ewig Besten bleiben werden, für tosendes Gelächter sorgen.

Die Boulevardbühne auf die Leinwand bringen – das können die Franzosen im Schlaf. In den Sechzigern und Siebzigern war das Jean Girault mit seinem unverwechselbaren Choleriker Louis de Funès. Weniger Bühne und mehr Kino: das waren später Pierre Richard und Gerard Depardieu. Und wie sieht der Spaß in Übersee aus? Für klugen Wortwitz mit Understatement und einer gewissen intellektuellen Noblesse darf immer noch Woody Allen ganz vorne stehen, da kann man über sein Privatleben sagen, was man will: Als Autorenfilmer und Dramatiker sind Leinwand und Bühne gleichermaßen von ihm eingenommen. Was also, wenn man beides kombiniert? Wenn man den situationskomischen Retro-Humor eines „Balduin“ mit den Theaterkomödien eines Woody Allen synergiert? Was dann zutage tritt, könnte der brandneuen Komödie von François Ozon entsprechen, dem wirklich ferner als fern steht, Avantgardist zu sein. Muss er auch nicht. Denn wenn jemand auf derart nostalgische Weise zurückblickt auf das konservativ-humorige Kino vor einem halben Jahrhundert, gleichzeitig aber auch aktuelle gesellschaftliche Agenden mitnimmt, gereicht das sicher nicht zum Nachteil. Ozons Mein fabelhaftes Verbrechen sucht den Urgrund der französischen Komödie und den Esprit der impulsiven Unterhaltungsbühne, hat nichts am Hut mit Filmemacherinnen und Filmemachern, die ihr gewähltes Genre durch sich selbst neu erfinden müssen. Komödie funktioniert rustikal. Dieser Spaß hier ist das beste Beispiel.

Denn gleich von Anfang an, nach den ersten paar Minuten, wird klar, welchen Rhythmus uns Francois Ozon hier mitklopfen lässt: einen straffen. kurz getakteten. Zwischen den dramaturgischen Beats jede Menge Dialog, doch so elegant zugeschliffen, das kein Wort zu viel fällt. Im Zentrum stehen die beiden Freundinnen Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), erfolglose Schauspielerin, und Pauline (Rebecca Marder), Anwältin – erstere musste sich eben eines sexuellen Übergriffes ihres potenziellen Produzenten erwehren, kann die Miete nicht zahlen und ist in einen Industrieerben verliebt, dessen geiziger Vater keinen Franc flüssig macht. Da kommt die Gelegenheit, das Leben zu ändern, wie gerufen: Besagter Bühnenkrösus wird tot aufgefunden, Madeleine beansprucht den Mord für sich – denn Notwehr, Frauenrecht und Medien könnten schließlich dazu führen, sich erstens schadlos zu halten und zweitens ganz groß rauszukommen. Der Plan gelingt, doch hat er einen Haken: Bei all dem Rummel um Madeleines Person tritt die echte Mörderin auf den Plan, um einen Teil vom Kuchen für sich zu reklamieren.

Wenn Isabelle Huppert, aufgedonnert wie eine Diva und mit so viel Verve in ihrem Auftreten über die Leinwand fegt, ist das Trio komplett und der Film bereits ganz oben in seinem Unterhaltungswert angekommen. Ozon, der nicht nur eine Vorliebe dafür hat, konservativ anmutende, bewusst naive Komödien so zu entstauben, dass sie immer noch zünden und sich angenehm unprätentiös vor allen möglichen Trends abheben, kann zwar auch tragisch und dramatisch – die Komödie aber ist sein Steckenpferd. Was ihm dabei besonders gelingt: Er verpasst seiner Theater-, Schauspiel- und Krimikomödie nebst all den treffsicher abgeschmeckten Zutaten noch eine ganz schöne Portion Feminismus. Obendrein, als Sahnehäubchen, gibt’s zu Frauenrecht, Gleichberechtigung und korrupter Justiz noch eine gewiefte Stellungnahme zur Täter-Opfer-Umkehr im Falle sexueller Nötigung. Was das heißblütige Komödientrio daraus macht, ist umwerfend. Als galante Begleiter in diesem zutiefst schlagfertigen Spiel agieren Fabrice Luchini, der als brillante Karikatur eines Untersuchungsrichters genauso besticht wie Dany Boon oder André Dussollier, der die Seele eines Louis de Funès tatsächlich wieder auf die Leinwand bringt. Ein Ensemble also, an dem alle scheinbar rein intuitiv an einem Strang ziehen. Chapeau!

Mein fabelhaftes Verbrechen (2023)

Dreamland

DAS GLÜCK LIEGT IN DER SCHEUNE

5,5/10


dreamland© 2020 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: MILES JORIS-PEYRAFITTE

CAST: MARGOT ROBBIE, FINN COLE, TRAVIS FIMMEL, KERRY CONDON, DARBY CAMP, LOLA KIRKE, GARRETT HEDLUND U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Trotzdem sie allesamt Verbrecher sind: Bankräuber haben immer ein bisschen was von Robin Hood. Etwas Charmantes, jovial Gaunerhaftes. Bankräubern kann man nicht wirklich böse sein. Sie tun das ja meist, weil sie entweder nicht anders können oder Vater Staat ihnen das letzte bisschen Geld auch noch genommen hat. Weil sie meistens verzweifelte, arme Würstchen sind. Da lässt sich durchaus über das eine oder andere Posttrauma der am Boden liegenden und um ihr Leben bangenden Opfer hinwegsehen. Zumindest funktioniert dieses Klischee im Kino sehr gut.

Als Bankräuber Allison Wells darf in diesem unter ferner liefen veröffentlichten 30er Jahre-Krimidrama Dreamland niemand geringerer als „Harley Quinn“ Margot Robbie den Revolver ziehen. Dabei gewinnt sie prompt den Faye Dunaway-Lookalike aus Bonnie und Clyde, bevor sie aus Wunden blutend in einer Scheune irgendwo im texanischen Nirgendwo gleich einem verletzten Tier Zuflucht sucht. Wie es der Zufall will entdeckt sie der hauseigene Farmersjunge, noch grün hinter den Ohren, und begegnet ihr mit einer Mischung aus Anhimmelei und Draufgängertum, da der Jungspund sehr gerne schon Mann sein will. Was er weiß oder gar nicht wissen will: die Killer Queen, die angeblich ein Kind auf dem Gewissen haben soll, wird überall gesucht. Und jetzt ist er, Eugene, jemand ganz besonderer, der nun zwischen mehreren Optionen wählen darf. Entweder er liefert Wallis der Polizei aus und kassiert das Kopfgeld. Oder er brennt mit ihr durch und kassiert das von Margot Robbie versprochene Doppelte. Als Mann wie er ist man den Reizen der bildschönen Dame natürlich rein hormonell komplett ausgeliefert.

Es macht Freude, hier mal wieder „Ragnar Lodbrok“ Travis Fimmel zu Gesicht zu bekommen. Der Mann mit dem hypnotischen Blick und seinen ganz speziellen, unverwechselbaren Manierismen hat nun alles Wikingerhafte abgelegt und darf als zugeheirateter Ermittler dem Stiefsohn die sogenannten Ratschläge fürs Leben erteilen. Sympathisch wirkt er nicht. Eher hemdsärmelig, derb. Und das fügt sich wiederum gut in ein auch recht hemdsärmeliges und nicht sehr feingezeichnetes Krimimelodram, das eine offenkundig alternativlose Geschichte erzählt, die vom Grundkonzept her aus Thelma & Louise, eben Bonnie & Clyde oder zum Beispiel aus Wisdom: Kühles Blut und Dynamit bekannt sind. Paare auf der Flucht vor dem Gesetz: kann nie gut gehen. Was also fasziniert an solchen formelhaften Balladen? Die Lust, als Zaungast dem Scheitern von der Idee der anarchischen Freiheit beizuwohnen? Ist es Schadenfreude? Ist es ein „Ich hätte es euch ja gesagt?“. Vielleicht ist es das. Vielleicht aber wundert (und ärgert) man sich gerne über so viel testosterongesteuerte Kurzsichtigkeit, die jemand wie Margot Robbie schamlos ausnutzt. Sie ist wieder mal faszinierend undurchschaubar – im Gegensatz zum Rest des Films.

Dreamland

Capone

AM ENDE DIE DÄMONEN

6/10


capone© 2020 Leonine


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: JOSH TRANK

CAST: TOM HARDY, LINDA CARDELLINI, MATT DILLON, KYLE MACLACHLAN, AL SAPIENZA, NOEL FISHER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


„Was unterscheidet Adolf Hitler von Al Capone?“ wird während des Films mal einfach so in den Raum gestellt. Als saloppe Antwort: „Al Capone lebt noch“. Allerdings fragt sich, ob der Tod nicht wohl auch bei Al Capone die bessere Wahl gewesen wäre. Denn so, wie der ehemalige Gangsterboss und Schwerverbrecher das letzte Jahr seines Lebens fristet, will womöglich niemand seinen Endspurt ins Nirvana gestalten. Man könnte hier ja leicht meinen, der Mann hätte es verdient, vor allem in Anbetracht dessen, dass der Staat dem wohl berühmtesten Gefangenen von Alcatraz maximal Steuerhinterziehung nachweisen konnte. Und es ist somit auch kaum zu glauben, dass ein stattlicher Mann wie er mit 48 Jahren bereits vor sich hinsiecht wie ein steinalter Greis, der aber umringt zu sein scheint von all den Geistern und Dämonen, die er wohl Zeit seines Lebens gerufen hat.

Das letzte Jahr aus Al Capones Leben. Will das eigentlich irgendwer sehen? Gut, das traurige Finale Grande von Oscar Wildes Leben gibt es schon (The Happy Prince), mit Stephen Fry im Delirium, ebenfalls von Geistern umgeben, allerdings nicht von solchen, die Angst einjagen. Über die letzten Tage (Last Days) von Curt Cobain hat sich Gus van Sant auch nicht nehmen lassen zu sinnieren. Man sieht, es gibt schon eine Handvoll solcher letzter Kammerspiele, Gedanken und Monologe. Und letzter Worte, wenn man will. Oder einfach nur Schweigen. Tom Hardy legt seine Figur, die er, so scheint es, prinzipiell abzulehnen scheint, nicht wirklich viele Worte in den Mund. Meistens murrt und brummt er, aufgrund zweier Schlaganfälle ist da gar nicht mehr möglich. Hardy, sowieso ein schweres schauspielerisches Kaliber, zieht diesen ehemaligen Finsterling direkt mokierend ins Groteske, lässt ihn sabbern, stürzen und spucken, in seinen eigenen Exkrementen liegen und sitzen, stets mit Zigarre als letzter Strohhalm vor der totalen Erniedrigung. Hardy ist die Lust an der Clownerie nicht abzuerkennen. Auch nicht die Ambition, vielleicht ein bisschen so sein zu wollen wie Marlon Brando in seiner Paraderolle als Pate Vito Corleone. Doch den hat schlicht und ergreifend der Herzinfarkt ereilt, während Al Capone leiden muss, und das nicht nur, bis der Arzt kommt, sondern noch darüber hinaus.

Nochmal: Will das eigentlich irgendwer sehen? Josh Trank, Regisseur des Independent-Superheldenhits Chronicle und auch verantwortlich für das missglückte Reboot der Fantastic Four, hat sich zum biographischen Ende von Al Capone so seine Gedanken gemacht – und dessen innere Konfusion mal alptraumhaft, mal märchenhaft, mal komödiantisch illustriert. Und dennoch wird man das Gefühl nicht los, eine voyeuristische Freakshow zu sehen, die das Zusammenbrechen eines Menschen auf marktschreierische Weise auf die gebohnerten Dielen eines immer leerer und leerer werdenden Märchenschlosses bringt.

Viel Handlung hat Capone eigentlich nicht. Es ist das Psychogramm eines letztendlich Verfluchten, der im Gegensatz zu einem Ebenezer Scrooge den Bonus der Selbsterkenntnis nicht mehr für sich nutzen kann. Die Geister, die Al Capone heimsuchen, nagen mit Freude am schlechten Gewissen und holen sich ihren Tribut. Vielleicht aber kann ihn sein unehelicher Sohn davon erlösen, der immer mal wieder aus Cleveland anruft, wie der gute Engel aus dem Jenseits, der den kaputten Knacker endlich abholen soll.

Trank verliert sich dabei in assoziativen, manchmal verstörenden Traumsequenzen, die mit der Realität verschwimmen. Und so ist nie ganz klar, was genau von dem, was wir hier sehen, tatsächlich passiert und was nicht. Schmählich geht das Scheusal in seinem ganz eigenen St. Helena zugrunde, wie seinerzeit Napoleon, Kriegsherr und Kaiser.

Capone ist eine bitter-verspielte Groteske einer letzten Schmach, sperrig und seltsam sinnlos. Wie ein gelebtes Leben niemals sein sollte.

Capone

Mank

MASTERMINDS, MÄCHTIGE UND MONETEN

5/10


mank© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: DAVID FINCHER

CAST: GARY OLDMAN, LILY COLLINS, AMANDA SEYFRIED, CHARLES DANCE, TOM PELPHREY, ARLISS HOWARD, TOM BURKE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Es ist schon eine ganze Weile her, als ich mir Orson Welles Citizen Kane aus cinophilem Pflichtbewusstsein heraus angesehen habe. Und ja, das Werk ist zweifelsohne bemerkenswert, wunderbar gefilmt und erzählerisch, vor allem für die damalige Zeit, recht innovativ. Als besten aller Filme, wie viele Kritiker und Experten behaupten, sehe ich ihn dennoch nicht. Da hat für mich Orson Welles Film Noir Im Zeichen des Bösen deutlich mehr Grip. Aber das nur nebenbei. Was Citizen Kane mit David Finchers neuester Arbeit Mank zu tun hat? Das Drehbuchgenie dahinter. Einem Mastermind, dem des Öfteren der Hochprozentige näher war als der Schreibstift: Herman Mankiewicz. Ein Alkoholiker unter dem Herrn, in klaren Momenten scharfer Denker und mutiger Dramaturg, der für Citizen Kane gar den Oscar erhielt. Dabei war gar nicht mal sicher, ob Citizen Kane überhaupt in den Kinos gezeigt werden dürfe, da sich das Script ganz deutlich das Leben von William Randolph Hearst zur Brust nahm, eines Medien-Tycoons und Zeitungsmogul, der sich in dem Werk diffamiert sah. Zeitgleich gab’s in den dreißiger Jahren politisch gesehen jede Menge ruheloses Blut, da gab’s die Sozialisten und die Kapitalisten, da gab’s einen Schriftsteller namens Upton Sinclair, der in Finchers Film regelmäßig genannt wird. Wer aber all diese politischen Bezüge, Hintergründe und vor allem: wer Citizen Kane nicht mal ansatzweise kennt oder weiß, was das für ein Film ist, der wird, salopp gesagt, mit Finchers sehr speziellem Werk nicht viel anfangen können.

Mank sollte im Doppel- oder gar im Dreierpack präsentiert werden. Als Prolog könnte man vielleicht gleich den ganzen Citizen Kane mit einbeziehen. Zwischendurch vielleicht eine aufschlussreiche Dokumentation über die Zeit von damals, über William Randolph Hearst vielleicht und dessen politischer wie gesellschaftlicher Bedeutung? Diese ach so nostalgischen frühen Jahre Hollywoods, was waren die eigentlich? Ein Völkerballspiel der freien Kräfte, die da waren MGM oder Universal oder Paramount oder Warner. Hinter all diesen Studios saßen die steinreichen Mächtigen mit viel Einfluss, die Stars erschufen oder wieder vernichteten, die eng mit der Politik kokettierten und um Einfluss gierten. Eine schöne Zeit war das keine, eine Zeit der Abhängigkeit viel mehr. Fincher dreht in Schwarzweiß, um zumindest optisch mit Kolorit, Stimmung und Atmosphäre das Damals zu verklären. Zugegeben, seine Bilder sind erlesen, die Kameraarbeit erste Sahne, auch schauspielerisch geben alle ihr Bestes. Ja, auch Gary Oldman, obwohl er die meiste Zeit nur devastiert herumliegt und wenn er nicht herumliegt, besoffen und verschwitzt durch Peinlichkeiten torkelt.

Was das von David Finchers mittlerweile verstorbenem Vater Jake Fincher verfasste Script zu Mank bereithält, ist, um es wohlwollend zu formulieren, nur bedingt interessant und hat obendrein ein massives Prioritätenproblem. Mank ist ein Film, der, hätte Netflix ihn nicht veröffentlicht, wohl nie ins Kino gekommen wäre. Der Film wäre, so wage ich zu prognostizieren, ein Flop geworden. Warum? Weil die Story, die erzählt wird, hauteng zugeschnitten ist auf ein Publikum der Experten, versierten Politkenner und eingelesenen Medienhistoriker. Ein Film für spezielle Nerds, die all diese Namen kennen und zuordnen können, die diesen mehr als zweistündigen Redeschwall auseinanderdividieren und zeitgleich zum Gesehenen all die Fußnoten vor dem geistigen Auge einfügen können. Zugegeben: ich konnte das nicht. Womöglich sind mir viele Bezüge durch die Lappen gegangen, ich kenne Hearst und Mankiewicz maximal dem Namen nach, Orson Welles ist natürlich ein Begriff, Upton Sinclair? Puh…sagt mir was, aber da müsste ich, um ins Detail zu gehen, irgendwo nachschlagen (was ich auch getan habe). Mank macht es Zusehern wie mir nicht leicht, an Bord zu kommen. Politischer Smalltalk, Männer im Anzug noch und nöcher, die sich treffen und die wieder auseinandergehen: ein Fall von geschmackvoller Eintönigkeit. In Sachen Erzählstil versucht Fincher – ähnlich wie Citizen Kane selbst – mit Rückblenden frischen Wind reinzubringen, er lässt Mankiewicz zurückdenken ans Damals der Dreißigerjahre, wo dieser maximal als Zaungast neben den Dingen stand, die da passiert sind. Übrigens: Louis B. Mayer, ja den kenn‘ ich auch noch.

Mank setzt ein Vorwissen voraus, welches das Gezeigte überhaupt erst lebendig macht. Herrscht hier ein Defizit, bleibt vieles unbeweglich, bruchstückhaft, nicht relevant genug, um wirklich zu begeistern. Von seinen historischen Figuren gibt Mank wenig Preis. Er macht sie zu Personen auf Fotografien, die auf ihren Einsatz warten. Von der eigentlich sehr wichtigen Rolle des Zeitungsmagnaten Hearst (Charles Dance) zum Beispiel bleibt wider seiner Notwendigkeit nicht viel mehr als eine zugerufene Schlagzeile. Hat man allerdings dieses Vorwissen zu all den Begebenheiten und Biographien, kann Mank durchaus mitreißend sein – das würde auch das Kritikerlob erklären. Für mich jedenfalls ist David Finchers Liebhaber – und Herzensfilm eine ausgebügelte, aus dem Kontext gerissene Making Of-Anekdote mit angehängtem Stückwerk aus Politik und Gesellschaft, das diese hauchdünne edle Patina an Bildern bemüht ist zu tragen.

Mank

Die Taschendiebin

WER DREIMAL LÜGT…

7/10

 

dietaschendiebin© 2016 Koch Films

 

LAND: SÜDKOREA 2016

REGIE: PARK CHAN-WOOK

CAST: MIN-HEE KIM, KIM TAE-RI, HA JUNG-WOO, CHO JIN-WOONG U. A. 

 

Egal, was für eine elendslange Laufzeit seine Filme auch haben mögen – bei Park Chan Wook wird einem einfach nicht langweilig. In Anbetracht eines zweieinhalbstündigen Historienfilms namens Die Taschendiebin könnte man ja ansatzweise vermuten, dass sich der Plot in die Länge zieht – aber eben nicht bei Park Chan Wook, und das weiß ich jetzt, obwohl ich es bereits bei Oldboy hätte wissen müssen, seinem meisterwerklichen Aushängeschild aus der vielgepriesenen Rachetrilogie, dessen vorderes und hinteres Ende, nämlich Lady Vengeance und Sympathiy for Mr. Vengeance, ich noch tunlichst von meiner Watchlist streichen muss. Aber eines nach dem anderen, diesmal war Die Taschendiebin dran – und ja: Park Chan-Wook ist ein einerseits strenger, andererseits aber auch zumindest inhaltlich sehr wild fabulierender Komponist. Ein dogmatischer Ästhet, der seinen Prinzipien folgt, der sicherlich kein einfacher Künstler ist, und der für alles, was er abbildet, eine chemische Formel hat. Das war schon bei Oldboy so, ein Arthouse-Zwölfgängemenü, ein Geschmackserlebnis, das nicht zwingend wohlgefällig sein muss. Nein, das ist Die Taschendiebin auch nicht immer. Manchmal würgt man den Bissen auch hinunter. Obwohl alles seine Ästhetik hat.

In dieser von Sarah Waters Roman Solange du lügst inspirierten Dreiecksgeschichte haben betuchte Chauvinisten keine Ahnung von der Cleverness des weiblichen Geschlechts. Diese Herren im Anzug, die finden sich nämlich im japanisch besetzten Korea der Dreißigerjahre beim literaturaffinen Grafen von Kouzouki ein, der mit seiner Nichte Heidiko in einem britisch-japanischen Architekturhybrid von Villa residiert und ein Faible für pornographische Literatur hegt, die er auch seinen Schützling rezitieren lässt. Die Heirat der eigenen Verwandtschaft soll noch folgen – wie ekelhaft. In dieses Konstrukt sadomasochistischer Abhängigkeit aus tintigen Zungen, wunden Pobacken und erotischen Lesungen gerät ein Dienstmädchen, das allerdings von einem Betrüger namens Fujiwara engagiert wird, damit diese ihm hilft, ans Erbe der wohlhabenden Heidiko zu kommen, die in kindlicher Naivität nichts davon zu ahnen scheint, welches grausame Spiel mit ihr getrieben wird.

So pausenlos gab sich Niedertracht und Eigennutz zuletzt nur in Jorgos Lanthimos The Favourite die Klinke in die Hand. Auch die strenge Bildsprache beider Filme ist ähnlich, obwohl ich mir auch nicht verkneifen kann festzustellen, dass mit diesem erotischen Stoff aus Thriller und Liebesreigen wohl auch Peter Greenaway (u. a. Die Bettlektüre) seine Freude gehabt hätte. Beiden scheint die bizarre Verknüpfung aus akribisch arrangierten Bildern, geschmackvoller Ausstattung und abgründigem menschlichen Verhalten wirklich zu liegen. Park Chan-Wook gliedert seinen stellenweise wahrhaft freizügigen Streifen in drei Akten. Die ersten zwei werden jeweils aus der Sicht der Taschendiebin und der psychisch labilen Erbnichte erzählt, der dritte sammelt all die losen Enden schließlich zusammen. Diese entspringen manchmal etwas überkonstruierten Wendungen, die so vielleicht gar nicht zwingend nötig wären. Um diesen Parcour aus Bluffs und guter Miene zu bösem Spiel aber auszureizen – vielleicht doch. Die Taschendiebin ist ein Kopf an Kopf-Rennen für all jene, die glauben, klüger zu sein als der andere. Hinter der Fassade des eitlen Scheins hat der Mann in all seiner Eitelkeit das Nachsehen, während Frau nicht nur Erkenntnisse in Sachen Lust gewinnt. Ein Lustgewinn ist Chan-Wooks Film aber auf jeden Fall, und der lässt seine grotesken Spitzen in der gesittet scheinenden Opulenz eines obsoleten Establishments aus dem Hinterhalt hervorschnellen. Die Taschendiebin ist dem japanischen Kino verwandter als jenem Südkoreas, näher an Oshimas Reich der Sinne zum Beispiel, vielleicht auch ein bisschen dessen Hommage, obwohl die Sexualität hier statt Tod in Ekstase unangepasste Freiheit verspricht.

Die Taschendiebin

Judy

GOODYBE, YELLOW BRICK ROAD

8/10

 

judy© 2019 eOne Germany

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: RUPERT GOOLD

CAST: RENÉE ZELLWEGER, JESSIE BUCKLEY, RUFUS SEWELL, MICHAEL GAMBON, FINN WITTROCK U. A.

 

„Ein Herz wird nicht danach beurteilt, wie viele du liebst, sondern danach, von wie vielen du geliebt wirst.“ Das sagt der Zauberer von Oz zum Blechmann im gleichnamigen Film aus den 30er Jahren, in welchem Judy Garland zu dem geworden war, was sie Zeit ihres Lebens geblieben ist: einerseits ein Star aus Bühne und Film, und andererseits jemand, dessen Seele für Ruhm und Mammon verkauft worden war. Das eingangs erwähnte Zitat sagt doch schon alles: Ist man wirklich so weit gekommen, sein Herz danach beurteilen zu lassen, von wie vielen man geliebt wird, dann ist das die wohl euphemistischste Einladung zu einer bedingungslosen Abhängigkeit von all jenen, die es in der Hand haben, das Lebensglück eines Künstlers zu steuern. Dieses Zitat – es erscheint auch im Abspann von Rupert Goolds biographischem Drama Judy – lässt erkennen, aus welchen Gründen Garlands Leben eigentlich zum Scheitern verurteilt war, trotz all des Ruhms und der Anerkennung. Der Preis für so ein Leben war so hoch, den konnte die junge Judy damals gar nicht erfassen. Um diesem Druck am Set standzuhalten und nonstop zu drehen, dafür hatten die Verantwortlichen unter Studioboss Louis B. Mayer, der auf seine Art wohl um kein Haar besser war als Harvey Weinstein, einen Bauchladen voll der diversesten Drogen zu verteilen. Auch ein Umstand, den ein Kind nicht abschätzen kann, und bis zuletzt dessen Geissel blieb. Diese Sehnsucht nach einem verlorenen Leben und der Ruhelosigkeit in einem Hamsterrad namens Showbiz verkörpert Renée Zellweger mit nie dagewesener Intensität und lässt den strauchelnden Star für ein beeindruckendes Da Capo wieder auferstehen.

Es gibt Schauspieler und Schauspielerinnen, denen es gelingt, hinter ihrer Rolle vollends zu verschwinden. Das war zum Teil bei Rami Malek als Freddy Mercury in Bohemian Rhapsody so. Das war bei Gary Oldman als Winston Churchill so, da konnte aber jede Menge Makeup unterstützend zu diesem Status quo beigetragen haben. Renée Zellweger verschwindet hinter Judy Garland zur Gänze. Mit Judy kann sie ihrem Publikum zeigen, was ihr schauspieltechnisch alles möglich ist. In jeder noch so kleinen Geste, in jeder Mimik und jedem Blick liegt die wehmütige, bittere Erkenntnis, einen fordernden Traum gelebt zu haben, eine Vision mit viel zu vielen Ecken und Kanten. In alkohol- und tablettenbedingtem Rausch absolviert die leidgeprüfte Glamour-Queen einen Auftrittsparcour in Übersee, hat dabei Schwierigkeiten, als integre Geschäftspartnerin ihre Shows zu absolvieren. Ist unpässlich, ausfallend, im Grunde eine Katastrophe für Crew und Publikum. In diesem letzten Jahr ihres Lebens, welches Goold auf Basis eines Bühnenstücks mit dem Titel End of the Rainbow in den Fokus rückt, hat man das Gefühl, neben der Künstlerin zu stehen, genau wie diese beiden treuen Fans, die in einer der schönsten Szenen des Films Garland in den eigenen vier Wänden zu bewirten gedenken. Zellweger erlaubt es sich, dass wir uns der Person Judy auf unverstellte, freundschaftliche Weise nähern. Dafür lässt sie das Publikum sehr nah an sich heran, offenbart ihren Kummer und gesteht sich all ihre Fehler ein. Diese händeringende Lust an der Nähe ist es dann, die teilweise sogar das gesamte Drumherum einer Realität jenseits des Kinosaals vergessen lässt. Faszinierend, diese bedingungslose Sympathie für einen Menschen, der, zermalmt zwischen dem Räderwerk eines scheinheiligen Despotismus, als Opfer der Traumfabrik schutzbietendes Mitgefühl weckt.

Judy zählt für mich zur größten Überraschung unter den diesjährigen Oscar-Kandidaten, und wundern würde es mich sehr, würde Zellweger diesmal leer ausgehen. Goolds Film wird durch ihre Performance zu einem elegant inszenierten, einnehmenden Solo, irgendwo zwischen Terrence McNallys Bühnenstück Meisterklasse Maria Callas und Marion Cottillards Edith Piaf-Triumph La Vie en Rose. Ein stimmiges Portrait, melodisch, unaufdringlich, genau beobachtet. Und als Hommage an eine Legende auf dezente Weise mit narrativen Freiheiten dekoriert. Das hätte Judy Garland sicher gefallen. Auch, dass das Ende des Regenbogens wieder dorthin führt, wo alles begonnen hat. Bei der kleinen Dorothy, die sie im Grunde immer geblieben war.

Judy

Der Trafikant

BOCKIG IN DIE DUNKLEN ZEITEN

6,5/10

 

DER TRAFIKANT© 2018 Tobis Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2018

REGIE: NIKOLAUS LEYTNER

CAST: SIMON MORZÈ, JOHANNES KRISCH, BRUNO GANZ, EMMA DROGUNOVA, REGINA FRITSCH, KAROLINE EICHHORN, GERTI DRASSL U. A.

 

Tiefe Wolken hängen über einer fast schon verwunschenen Bucht des oberösterreichischen Attersees, irgendwann in einem Sommer kurz vor dem Einmarsch der deutschen Hitler-Truppen in Österreich. Wie es das Schicksal will, muss der pubertäre Franz seine nicht mal ansatzweise fassbare Zukunft komplett umjustieren und wird, nachdem Mamas Liebhaber vom unvernünftigen Baden im See während eines Unwetters vom Blitz getroffen wird, nach Wien geschickt. Was hat er denn noch verloren in dieser Einöde zwischen Hühnern und dem Schlick unter dem hauseigenen Steg außer seiner eigenen Kindheit? Der Bub muss was G´scheites lernen, in die Welt hinausgehen. Dort in Wien gibt es eine alte Jugendliebe, den Trafikanten Trsnjek, bei dem soll er anlernen, der Bub. Dieser Abschied vom geborgenen Heim unter den Tannen wird niemals wirklich enden, und das Winken mit dem Sacktuch unter Tränen wird immer niedergeschlagener und kraftloser, in dieser Verfilmung eines Romans von Robert Seethaler, die genauso bühnentauglich wäre wie ein Drama von Ödön von Horvath. Sich genauso gegen Windmühlen stemmend, genauso aussichtslos, genauso resignierend.

Der österreichische Regisseur Nikolaus Leytner, unter anderem bekannt für den launigen Kleinganovenschwank Schwarzfahrer mit Lukas Resetarits, hat sich, so äußerten sich zumindest mehrere Kritiker-Stimmen, ziemlich genau – und manchmal fast zu unselbständig – an die literarische Vorlage gehalten. Das kann ich selbst nicht beurteilen, ich habe hier nur den Film vor Augen, und eine Geschichte, die sich mit keiner anderen Quelle des Erzählten herumschlagen muss. Die Möglichkeiten, die sich aber daraus ergeben, fügen sich dem narrativen Rhythmus eines so rustikalen wie braven Volksstückes, und vor allem in den Szenen, die in Wien der späten Dreißigerjahre spielen, entfaltet sich ein gewisser kulissenhafter Charme mit Hang zur wohlsortierten Miniatur, wie ihn seinerzeit der gute Franz Antel in seinem Bockerer ans Set gelegt hat. Ein bisschen was vom aufmüpfigen Fleischhauer kann Der Trafikant zumindest anfangs unter der Ladentheke hervorholen. Johannes Krisch, der sowieso alles spielen kann, sogar und besonders auch ambivalente Schatten wie Jack Unterweger, orientiert sich auf eine Weise an Karl Merkatz, die weder platte Kopie noch Hommage darstellt. Krisch kreiert aus dem Gehabe eines subversiv rebellischen Wieners den ganz eigenen Typus eines teilbelesenen, selbstbewussten und gütigen Kriegsveteranen, der viel Unschönes gesehen hat und weit davon entfernt ist, sich selbst zu verraten. Ohne dieser schillernden Gestalt des famos verkörperten Alt-Trafikanten wäre das düstere Vorabendszenario im Angesicht des bevorstehenden Untergangs ein durch die Bank bemühtes Schauspielkino geworden. Hauptdarsteller Simon Morzé tut, was er innerhalb seiner erlernten Fähigkeiten kann, um glaubwürdig Bockigkeit an den Tag zu legen. Er bleibt aber, wie es das Variétémädchen Anezka immer wieder betont, ein naives „Burschi“, das seine Furcht vor einer unbestimmten Zukunft in unbequemen, entsättigten Traumsequenzen auslebt. Ihm zur Seite der große Bruno Ganz, der sich als Professor Freud in gepflegter Langeweile meist auf seinen unverkennbaren Bartwuchs verlässt und zur Do-it-yourself-Psychoanalyse rät.

Das Bühnenhafte der durchaus nicht billig scheinenden Produktion wird noch verstärkt durch das neben Krisch wirklich Erlebenswerte an dem Film: nämlich die Fulminanz der Ausstattung. Die Inventur sämtlicher Requisitenkammern dürfte dem Aufbau des Sets vorangegangen sein. In der nachgestellten Zwischenkriegs-Trafik finden sich bis ins kleinste Detail liebevoll nachgestelltes Interieur, von den „zärtlichen Magazinen“ in der verschlossenen Schublade bis zu den Postkarten am Tresen. Auch Freuds schmucke Einrichtung in der Berggasse entbehrt nicht eines gewissen kulturhistorischen Werts. In diesem Punkt war das Team ganz bei der Sache. Ihren Höhepunkt findet die Liebe zur Rekonstruktion im Hernalser Rummel, eine Szene wie aus Ferenc Molnar´s Liliom. Der Trafikant ist also akribisches Ausstattungskino im Stile eines Volksstückes, das aber die schildbürgerliche Zuversicht eines Karl Bockerer vermissen lässt. An seiner Statt tritt ein vergebliches Aufbegehren gegen die dunkle Zeit, die in Szenen wie die der berittenen Polizei einen beklemmenden Bogen in die Gegenwart spannt.

Der Trafikant