The Gorge (2025)

BEZIEHUNG, DIE IN DIE TIEFE GEHT

6,5/10


© 2025 AppleTV+


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: SCOTT DERRICKSON

DREHBUCH: ZACH DEAN

CAST: ANYA TAYLOR-JOY, MILES TELLER, SIGOURNEY WEAVER, SOPE DIRISU, WILLIAM HOUSTON, SAMANTHA COUGHLAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Liebhaber der Asterix-Comics werden sich bei Sichtung des neuen Apple-Starvehikels The Gorge an eine Ausgabe erinnert fühlen, der eine ähnliche Prämisse zugrunde liegt wie in diesem Film: Der Umstand eines großen Grabens. Nur: Bei den Galliern versinnbildlichte diese Kluft eine gespaltene Gesellschaft, während hier, im scheinbar mitteleuropäischen Nirgendwo zwischen Bergen und Wäldern die geographische Spaltung etwas verhindert, was eigentlich zusammengehört. Es scheint, als wären Anya Taylor-Joy und Miles Teller füreinander bestimmt. Punktgenau treffen sie zur selben Zeit am richtigen Ort aufeinander, das Tor der Hölle, das den beiden Scharfschützen zu Füßen liegt, mag den Austausch von Intimitäten oder geflüsterten Worten wohl verhindern. Kein Problem für einsame Seelen wie diese. Die müssen schließlich ein Jahr lang auf ihren Türmen ausharren und darauf achten, das nichts und niemand aus dieser wolkenverhangenen Spalte herauskommt. Was da unten abgeht, kann man nur erahnen oder in Albträumen mit grenzenloser Fantasiebegabung verarbeiten. Es wäre nicht Scott Derrickson am Werk, würden wir nicht nach halbstündiger Laufzeit bereits einen Vorgeschmack davon bekommen, was es mit den „Hohlen Männern“, die da unten Radau machen, auf sich hat.

The Gorge liefert dabei satte Action, aber auch ordentlich Suspense. Nicht zu vergessen: Romantisches liegt in der Luft. Das prickelnde Gefühl des Kennenlernens weicht bei Anya Taylor-Joy und Miles Teller aber eher einem Blind Date-Pragmatismus. Derrickson liegt die Atmosphäre aber deutlich näher als ein Sträusschen Wildblumen für die Angebetene. Über weite Strecken fällt nicht mal ein Wort – Reduktionen wie diese adeln gefühlt jeden Film, sowieso wird viel zu viel palavert, da lobt man den Gedankenaustausch mit bekritzelten Zeichenblöcken, die sich beide vor das jeweilige Binokular halten. Das Interesse füreinander wird bald so groß, dass sich ein Weg finden lässt, um die sinnbildlichen Differenzen zu überbrücken. Wo aber ein Wille, da manchmal ein Umweg: Die Schlucht kommt beiden näher, als ihnen lieb ist.

Spätestens da macht die genreübergreifende Mystery, die nicht zwingend als Young Adult-Fantasy angesehen werden kann, mit zugedrücktem Auge aber doch, einen Twist in eine Richtung, die verschwörungsumwobene Gefilde im Fahrwasser von Stranger Things verlässt und sich lieber dem Erdachten eines Schriftstellers wie Jeff Vandermeer widmet, der mit seiner Southern-Reach-Trilogie rund um eine biologisch abnorme Sphäre der Genre-Literatur neue Richtungen offenbart hat. Alex Garland hatte 2018 dann den ersten Band unter dem Titel Auslöschung kongenial verfilmt. Sein gespenstischer Abenteuerthriller mit Natalie Portman ist Wissenschafts-SciFi vom Allerfeinsten, doppelbödig, bizarr und philosophisch. The Gorge hat Ansätze dazu, liefert atemberaubende Bilder, wie gemalt und aus opulenten Visionen ins Medium Film hinübergerettet. Es lohnt sich, diese Schlucht, diesen Abgrund zu erkunden, gemeinsam mit zwei integren, motivierten Junior-Spezialisten, die durch Farbwelten taumeln und Morbid-Phantastisches erleben. All das zu den mitreissenden, geschmackvoll dreckigen Vibes von Trent Reznor und Atticus Ross.

Nach einem vielversprechenden Anfang und einem illustren Mittelteil gerät dann aber auch Derricksons Schluchten-Picknick für den Valentinstag ins Stocken. Sigourney Weaver als zwielichtige Führungskraft, die den Höllenschlund bewachen will, nichts ahnend, dass dies bereits Buffy Summers in ebendieser Serie getan hat, ist zwar immer wieder gern gesehen, bleibt aber mit ihrem banalen Steckbrief, den Antagonisten in Mainstreamfilmen häufig mit sich schleppen, ziemlich blass. Das Mysteriöse im Unklaren zu lassen ist wie der Horror Vacui – die Scheu vor der Leere. Hier ist es die Angst vor dem Unerklärlichen, die so manches US-Studio dazu verleitet, von allem den Schleier des Kryptischen zu nehmen. Und als wäre diese Ernüchterung nicht schon genug, lässt The Gorge auch nicht zu, seinen kritischen Science-Fiction-Ansatz weiterzuspinnen, zumindest dorthin wuchern zu lassen, wo die romantische Poesie des Schmerzlichen wohnt. Die kitschige Harmonie am Ende des Films vereitelt eine auf der Hand liegende, ambivalente Conclusio, die viel mehr Emotionen mit sich gebracht hätte als es schlussendlich der Fall ist.

The Gorge (2025)

Aus meiner Haut (2022)

NICHT ALLES LEBEN IST CHEMIE

7,5/10


ausmeinerhaut© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2022

REGIE: ALEX SCHAAD

DREHBUCH: ALEX & DIMITRIJ SCHAAD

CAST: MALA EMDE, JONAS DASSLER, MARYAM ZAREE, DIMITRIJ SCHAAD, EDGAR SELGE, THOMAS WODIANKA, SEMA POYRAZ, ADAM BOUSDOUKOS U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Wie es genau funktioniert, werden wir nie erfahren. Womöglich würden wir es auch nicht verstehen, jedenfalls müssen wir hinnehmen, dass das Unglaubliche zum bezahlbaren Selbstversuch wird – zur immersiven Therapie für mehr als nur neugierige, sondern auch von einem gewissen draufgängerischen Pioniergeist beseelte Sensationsabenteurer, die sich selbst vielleicht ein bisschen satthaben. Denn auf einer Insel, irgendwo in der Nordsee, wird Selbsterfahrung zur Fremderfahrung.

Dort ist es einem Wissenschaftler auf einem nicht näher definierten Spezialgebiet gelungen, Persönlichkeiten aus deren Körpern zu extrahieren und in andere einzusetzen. Natürlich nur, wenn der Empfänger Platz macht. Der nimmt dafür den Körper des anderen, mitsamt seiner biochemischen Prozesse – mitsamt seines Gehirns und seiner psychosomatischen Beschaffenheit. Einzig das Ich-Bewusstsein ist anders. Vergleichbar wäre es damit, in einen Leihwagen zu steigen, um damit nicht mal selbst zu fahren, sondern vom Besitzer des Autos chauffiert zu werden, natürlich unter Ansage des Beifahrers. Als Navigator, nicht als Fahrer des neuen Wagens fungiert der neu eingesetzte Geist. Somit werden nicht mal Skills, Talente und erlernte Fähigkeiten übertragen, dafür aber Weltsichten und Charakter.

Unter dieser präzise formulierten Prämisse gelingt dem Langfilmdebütanten Alex Schaad tatsächlich etwas ganz Neues. Kein Bodyswitch-Humor begeistert sich an schräger Situationskomik, die zwangsläufig eskalieren muss. Die bereitwilligen Klienten werden auch nicht an sonderbare High-Tech-Gerätschaften geschnallt – keine in der Luft schwebenden Bildschirmprojektionen werden von auf mysteriöse Weise geschulten Kennern dirigentengleich bedient. Hier, in dieser rätselhaften Idylle, kann und soll man sich zumindest reinwaschen – um danach einem Prozess einzuwilligen, der es ermöglichen soll, die Welt mit fremden Augen zu sehen. Für dieses Abenteuer hat sich das Paar Leyla und Tristan bereiterklärt, natürlich nichts ahnend, in welcher Haut sie wohl die nächsten zwei Wochen wohnen werden. Danach soll es wieder zurückgehen in die eigenen vier Wände. Leyla verspricht sich davon einen Ausweg aus ihrer Depression, während Tristan der ganzen Methodik eher skeptisch gegenübersteht. Und doch wird es passieren: die beiden tauschen mit dem Ehepaar Fabienne und Mo: grundverschiedenen Persönlichkeiten mit ganz anderem – körperlichen wie geistigen – Innenleben. Man kann sich schon denken, dass die Grenzerfahrung auch so manche grenzwertige Situation mit sich bringt, die den Wunsch von zumindest einem der vier, wieder zurück in vertraute Gefilde zu gelangen, auslösen wird. Doch was, wenn die anderen, die in solchen Fällen mitziehen müssen, gar nicht mehr wechseln wollen?

Würde ich selbst so einen Körpertausch vollziehen wollen? Wenn, dann vielleicht nur kurz, allerdings keine zwei Wochen. Unheimlich ist das Ganze allemal, dafür aber legt dieser Vorgang allerlei grundsätzliche Überlegungen bloß, die weit über das Streben nach gegenseitiger Wahrnehmung in der Partnerschaft hinausgehen. Mit Newcomern wie Alex Schaad, der gemeinsam mit seinem Bruder Dimitrij dieses außerordentlich durchdachte Drehbuch verfasst hat, sind im Independentkino Innovationen garantiert. Aus meiner Haut ist eines dieser besonderen Highlights, die es in ihrer Entstehung als nicht notwendig erachtet haben, nach links oder rechts zu blicken. Die sich nicht an anderen Werken bereits etablierter Filmemacher orientieren müssen, sondern ihr eigenes kreatives Selbstbewusstsein an den Tag legen möchten. Sowas muss unterstützt werden – vor allem dann, wenn Werke wie diese so gelingen wie vorliegende Science-Fiction, die sich souverän auch in ganz anderen Genres aufhalten wollen, wie zum Beispiel in jenem des Beziehungsfilms. Das ausgesuchte Ensemble, darunter Mala Emde und Jonas Dassler (Das schweigende Klassenzimmer), zieht auch klipp und klar die charakterlichen Grenzen zueinder. Dadurch gelingt es den Darstellern auch, den jeweils anderen Filmcharakter zu übernehmen, wenn dieser im „falschen“ Körper steckt. Potenzielle Verwirrung fällt hier gänzlich weg, das unterstützt Schaad auch mit einer entschleunigten Inszenierung, die am Ende des nicht unbedingt düsteren, aber komplentativen Dramas die eigene wertvolle Conclusio formuliert: Dass Geist und Körper untrennbar miteinander verbunden sind. Dass die inneren Werte niemals alles sind, aber das Wichtigste. Dass diese aber, eingebettet in ihrer biochemischen Materie, das Produkt viel zu vieler Prozesse sind, die das Wunder der Einzigartigkeit eines jeden von uns definieren. Dass dabei die Frage nach sexueller Orientierung auch noch gleich mit ins Boot geholt wird, ist ein positiver, aber fast schon zufällig generierter Nebeneffekt.

Aus meiner Haut (2022)