Rust – Legende des Westens (2024)

DIE SONNE UND DEN TOD IM RÜCKEN

7,5/10


© 2024 Splendid Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: JOEL SOUZA

KAMERA: HALYNA HUTCHINS, BIANCA CLINE

CAST: ALEC BALDWIN, TRAVIS FIMMEL, PATRICK SCOTT MCDERMOTT, FRANCES FISHER, JAKE BUSEY, JOSH HOPKINS, DEVON WERKHEISER U. A.

LÄNGE: 2 STD 20 MIN


Für sein zweiteiliges Westernepos Horizon hätte sich Oscarpreisträger Kevin Costner vielleicht noch Kamerafrau Halyna Hutchins ans Set holen können. Mit diesen Bildern in petto wäre sein Werk wohl richtig veredelt worden – was nicht heisst, dass er (zumindest nach Sichtung des ersten Teils) nicht schon Anstrengungen genug unternommen hätte, um qualitativ zu punkten. Der etwas andere Film, nämlich Rust – Legende des Westens von Joel Souza, mag zwar nicht ganz so komplex wie Costners privat finanzierter Kraftakt sein, in welchem mehrere Handlungsfäden und die Schicksale unterschiedlichster Charaktere zusammenlaufen, kann sich aber in buchstäblichem Sinne wirklich sehen lassen. Hutchins hat dafür hart kontrastiere, dunkle Bilder geschaffen, auf denen die Sonne selten bis gar nicht im Zenit zu sehen ist. Schattenrisse vor Morgendämmerungen und hereinbrechenden Nächten, überhaupt bleibt anfangs das Konterfei von Alec Baldwin im Dunkeln, die Takes sehen aus wie Panels einer Graphic Novel. Und dann, wenn der weißbärtige Großvater aus dem Gegenlicht tritt: harte Gesichter, entsättigt, müde vom Leben, desillusioniert. Es sind Figuren, die einer wie Nick Cave wohl in seinen Balladen hätte. Melancholischer Nihilismus aus einer posttraumatischen Nachkriegszeit der USA, und dennoch nicht zynisch, resignierend, sondern immer noch aufmüpfig.

Die Tragik hinter der Tragik

Es ist, als wäre die Tragödie um die Entstehung von Souzas Film auch in den fertigen Film transmigriert. Und wir alle wissen: Rust – Legende des Westens ist aus einem einzigen Grund in die Filmhistorie eingegangen: Dem fahrlässig herbeigeführten Tod einer Kamerafrau durch das Abfeuern einer mit scharfer Munition geladenen Faustfeuerwaffe. Verteilt über den Film, wird gar nicht mal so viel geschossen, einige Szenen haben es aber in sich, da hagelt es Patronen, kreuz und quer, die Kamera immer nah dran. Es lässt sich ausmalen oder vermuten, wo denn das Unglück passiert sein könnte. Diese Erschütterung nimmt der Film letztlich mit sich, und lässt auch Baldwin keine sonderliche Freude mehr daran haben, hier seine Rolle weiterzuspielen. Doch genau das, diese Sehnsucht nach einem Ende der Verpflichtung, kommt dem Charakter seiner Figur entgegen – dieses vergrämte Bewusstsein und der Wunsch nach Absolution, hat er doch die Waffe, die Hutchins den Tod brachte, höchstselbst in Händen gehalten. Lieber hätte er die Kugel abbekommen, und nicht jemand anderes.

Dieses Mindset einer Opferbereitschaft nutzt der weißbärtige alte Shootist und Outlaw, der titelgebenden Namen trägt, nämlich Harland Rust, um seinen Enkel Lucas, gerade mal dreizehn Lenze, davor zu bewahren, aufgrund eines Jagdunfalls mit Todesfolge am Strick zu baumeln. Der Alte befreit den Jungen aus dem Kittchen, bald sind beide unterwegs Richtung Mexiko, um der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten zu entgehen. Dabei ist den beiden nicht nur das Gesetz in Gestalt des Marshalls und seiner Entourage auf den Fersen – auch ein Kopfgeldjäger in adrettem Schwarz und verstohlenem Blick, wie einst Lee van Cleef ihn hatte, folgt ihren Spuren. Den verkörpert der selten gesehene Vikings-Star Travis Fimmel mit Enthusiasmus, unterdrückter Aggression und zwielichtigem Kodex.

Dem Genre treu ergeben

Alles wird letztlich auf einen Showdown in klassischem Stil hinauslaufen. Bis dahin aber übt sich Souza in der Empfindung seines auf Stimmung setzenden Fluchtdramas, das sich in seiner Schwermut am wohlsten fühlt, die Enkel-Opa-Beziehung nicht übers Knie bricht, sondern unbewusst und fast unbeobachtet wachsen lässt. Dabei vergisst Souza auch nicht, die Befindlichkeiten der Verfolger zu beleuchten, zumindest in wenigen Details, die aber sind gut gewählt. Rust – Legende des Westens ist ein Western mit viel Gefühl und Sorgfalt, niemals überhastet, kontemplativ in der Betrachtung von Tag und Nacht.

Der Film wagt keine Hakenschläge, denn er weiß, welche Ambitionen er sich leisten kann. Es sind die weiten Landschaften als Spiegel einer ruhelosen Einsamkeit, einer Sehnsucht nach Verantwortung. Und das Tilgen von Versäumnissen. In diesem Fall vor und hinter der Kamera.

Rust – Legende des Westens (2024)

Reptile (2023)

DIE DIABOLIK LEERER HÄUSER

6,5/10


REPTILE© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GRANT SINGER

DREHBUCH: GRANT SINGER, BENJAMIN BREWER, BENICIO DEL TORO

CAST: BENICIO DEL TORO, JUSTIN TIMBERLAKE, ALICIA SILVERSTONE, ERIC BOGOSIAN, DOMENICK LOMBARDOZZI, FRANCES FISHER, MICHAEL PITT, ATO ESSANDOH, CATHERINE DYER, MATILDA LUTZ U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Wenn Benicio del Toro seinen Gedanken nachhängt, und die Kamera filmt ihn dabei, erzeugt das nicht wirklich ein gutes Feeling. Vielleicht, weil bei diesem Kaliber von Schauspieler der Eindruck entsteht, dass irgendetwas im Busch ist. Etwas, dass uns del Toro nicht sagen will. Etwas Abgründiges, vielleicht auch etwas kaum auf Dauer unterdrückbar Aggressives. Del Toros Rollen sind doppelbödig und undurchschaubar. Seine Handlungen unberechenbar, Vertrauen ein Schein, der trügt. Wenn der Mexikaner in Sicario von der völlig durch den Wind befindlichen Emily Blunt die Garantie ihrer Verschwiegenheit einfordert, läuft es einem eiskalt den Rücken runter. Mit del Toro will sich niemand anlegen. Scheint es nun, dass er auf der Seite des Gesetzes steht oder eben auch nicht. Die Grauzone schwappt auf beiden Seiten ans Ufer, und auch in Reptile, einem akkuraten Kriminalfilm, der ins Detail geht, gilt das Symbol der falschen Schlange, die Adam und Eva hinters Licht führt, nicht umsonst als Motto eines Thrillers, der sich in den Händen des Erzählers windet wie ein Aal und fast weniger wie ein Reptil, denn dieses zieht keine Schleimspur hinter sich her und kann dem festen Griff nicht entkommen, den Grant Singer über weite Strecken seines ersten Spielfilms letztlich ausübt. Singer hält die Zügel straff und konzentriert sich weniger auf Superstar Justin Timberlake, von dem wir wissen, dass er ganz gut schauspielern kann, sondern eben auf diesen maskenhaften unheimlichen Ermittler, den del Toro so scheinbar gelassen darzustellen scheint. Doch es ist eine Ruhe vor einem Sturm, der langsam aufzieht, im Tempo einer Geschichte aus Beobachten und Einschätzen, Vermuten und Bedrohen.

Denn schließlich ist Detektive Nichols, so Del Toros Rolle, verheiratet mit Alicia Silverstone, die lange nach ihrem Clueless-Durchbruch für Geschichten wie diese unerwartet geeignet scheint. Die Drohung, die Nichols als Meister des Understatements eben formuliert, lässt potenzielle Nebenbuhler schwer schlucken. Spätestens da weiß man ganz genau, woran man bei dieser melancholischen Humphrey Bogart-Variation eigentlich ist. Dieser Ermittler, bereits in Verruf geraten durch einen interdisziplinären Fall von Polizeikorruption, schleicht nun unter scharfsinniger Kombinationsgabe in einer zum Verkauf stehenden Immobilie herum, die ein mit mehreren Messerstichen malträtiertes Opfer beherbergt. Der Lebensgefährte, ebenfalls Makler, kann’s nicht gewesen sein, denn der hat ein Alibi. Nachbarn berichten von einem hinkenden Mann mit Hoodie, der sich Zutritt zum Anwesen verschafft haben soll. Ein Rätselraten hebt an, befragt werden alle, die mit Summer Elswick (Matilda Lutz) kurz vor ihrem Ableben noch zu tun hatten. Ausgewertet wird das Mobiltelefon, was Nichols in seinen Ermittlungen tatsächlich weiterbringt. Und da ist noch dieser schräge Typ mit den fettigen Haaren, der unserem Hardboiled-Detective immer wieder in die Quere kommt. Was er zu erzählen hat, kann man glauben oder auch nicht, sehr vertrauenswürdig wirkt Michael Pitt ganz bewusst nicht – so wie alle in diesem Film, der verstohlene Freude daran hat, die vermeintlich Guten oder zumindest die, die sich darum bemühen, Licht in stromlose, leerstehende Immobilien zu bringen, in denen es spuken könnte, straucheln zu lassen.

Da bleibt nur das grübelnde Antlitz Benicio del Toros, hinter Windschutzscheiben, Sonnenbrillen oder in leeren Räumen. Der Teufel steckt dann meist in den Zwischenräumen einer verschachtelten und komplexen Detektivgeschichte, die von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett hätte kommen können. Immer dann, wenn Nichols gerne vernachlässigbare Korrelationen ins Bewusstsein dröhnen, und diese ihn an obskure Orte führen, könnte man Jack Nicholsons Figur des Jack Gittes aus Chinatown an del Toros Stelle sehen, nur ohne aufgeschlitzten Nasenflügel, denn den würde Nichols wohl selbst verursachen.

Reptile wäre bis zum Ende ein piekfeines Krimipuzzle geworden, wäre das Ende vielleicht ein solches, aus dem man selbst seine Schlüsse ziehen könnte. Dass Plots wie diese auserzählt werden müssen, ist längst kein geschriebenes Gesetz und auch kein guter Ton, denn gerade das Mysteriöse in Singers Misstrauensreigen hält so lange stand, bis sich die Katze aus dem verschnürten Sack kratzt und die feine Klinge einem profanen Showdown weicht.

Reptile (2023)