The Mastermind (2025)

DIE NAIVE KUNST DES KUNSTRAUBS

4/10


© 2025 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: KELLY REICHARDT

KAMERA: CHRISTOPHER BLAUVELT

CAST: JOSH O’CONNOR, ALANA HAIM, HOPE DAVIS, BILL CAMP, JOHN MAGARO, GABY HOFFMANN, JASPER & STERLING THOMPSON, ELI GELB, COLE DOMAN, MATTHEW MAHER U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Im Krieg und in der Liebe…

James Blaine Mooney – der zweite Vorname gleicht nicht rein zufällig dem Verb blame, übersetzt für „schuldig bzw. schuld sein an etwas“ – ist wohl der Meinung, man befände sich im Krieg. Tatsächlich hat er nicht ganz unrecht, nur: der Krieg findet nicht vor der eigenen Haustür statt, sondern weit weit entfernt im abstrakt wirkenden Vietnam, wo Richard Nixon Menschenleben verpulvert für nichts und wieder nichts. Im heimatlichen Massachusetts, wo die Lichter zwar nicht ausgehen, aber das Licht der Erkenntnis bei manchen nicht wirklich durch den Schleier der Selbstüberschätzung dringt, scheint alles friedlich, wo andernorts vor allem die studierte Jugend auf die Straße geht, um gegen das angeblich Unvermeidliche zu demonstrieren. Während von überallher Nachrichten und Fernsehen dafür sorgen, dass der Krieg nicht aus den Köpfen der Bevölkerung verschwindet, hat auch dieser James Blaine Mooney, im weiteren Filmverlauf nur JB genannt, eher den Eindruck, dass sich in dieser prekären Ausnahmesituation ein Bankraub vielleicht so aussehen könnte wie eine Plünderung – durchaus menschliche Verhaltensweisen, die dann eintreten, wenn die staatliche Ordnung mitsamt ihrer Exekutive für nichts mehr garantieren kann und die Anarchie Gelegenheitsräuber reich macht. Als so einer will der zweifache, allerdings arbeitslose Vater, der sein Kunstgeschichtestudium aus welchen Gründen auch immer abgebrochen hat, das große Geld machen. Am besten im örtlichen Museum of Art in Framingham, das er ohnehin mit der lieben Familie immer wieder besucht, anstatt einen Job anzunehmen, der zum Greifen nah scheint.

Dominosteinschlaggefahr 

Doch Plündern will gelernt sein – und vorallem eins: durchdacht. Kelly Reichardt, auf deren Filme jedes Filmfestival dieser Welt wartet wie ein Verhungernder auf einen Bissen Brot, erteilt der Figur des Erfolgs-Querdenkers und Improvisateurs eine Lehre, indem sie ihn auf ganzer Linie scheitern lässt. Das beginnt schon bei JB’s Bequemlichkeit, das Ding nicht selber durchziehen, sondern windschiefe Leute anzuheuern, die nicht anders können, als zur Waffe zu greifen und eifrig zu zwitschern, sobald sie von der Exekutive in die Mangel genommen werden. So folgt also eines aufs andere, und Beau Josh O’Connor darf sich in fruchtloser Breaking Bad-Manier mit den Dominosteinen des Schicksals herumschlagen. Film Noir will The Mastermind aber keiner sein, dafür fehlt zur Gänze die melancholische, gar existenzialistische Schwere. Und noch etwas: Überhaupt fehlt in Kelly Reichardts Arbeit so etwas wie Belang.

Langweilen mit dem Offensichtlichen

Die ausgebleichten Farben der Siebziger sind eine Sache, die enervierende Jazzmusik eine andere, und tatsächlich quälende. Schafft man es, die Tonspur geistig auszublenden, bleibt immer noch das Rätsel um Josh O’Connors Charakter. Anscheinend ist dieser ein Mensch ohne Eigenschaften – wortkarg, uncharismatisch, erstaunlich phlegmatisch, im Grunde also wenig interessant. Reichardt gelingt es diesmal nicht, ihren Figuren eine gewisse Relevanz zu geben. Was mit JB also passiert, mag egal sein, so wie viele Szenen in dieser Krimidramödie, die unentschlossen zwischen knirschender Tragik und lakonischem Sarkasmus hin und her schlendert. Die Auswahl der Szenen misslingt – warum sich minutenlang mit dem Offensichtlichen aufhalten, mit der wortlosen Betrachtung von JB’s Tätigkeiten, die das Hirn des Zusehers mühelos ergänzen könnte. Was dieser also denkt, sieht er auch. Was er sich nicht denkt, sieht er nicht. Gedankliches Ergänzen in Filmen fordert eine Interaktion, die Reichardt gar nicht möchte. Kombinieren lässt sich die Metaebene mit dem Krieg zwar schon, doch die eigentlichen Beweggründe der Hauptfigur beschneidet sie derart, dass sie die Wurzel gleich mit entfernt.

The Mastermind, von der Prämisse her reizvoll, gestaltet sich als brustschwaches Heist-Movie in eitler Reduktion, fehlgriffig in seiner Struktur und frei von erzählerischen Peaks. Viel gibt’s dabei also nicht zu entdecken, außer vielleicht die Bildwelten des Arthur Garfield Dove.

The Mastermind (2025)

Come on, Come on

DIE RESILIENZ JUNGER LEUTE

6,5/10


comeoncomeon© 2022 DCM


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MIKE MILLS

CAST: JOAQUIN PHOENIX, WOODY NORMAN, GABY HOFFMANN, ELAINE KAGAN, JABOUKIE YOUNG-WHITE, KATE ADAMS U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Wenn der Onkel mit dem Neffen. Daniel Glattauer hat‘s vorgemacht. In seinem Anekdotenband Theo – Antworten aus dem Kinderzimmer hat sich der Schriftsteller die Sichtweisen seines Fast-Filius zu Herzen genommen, sie alle aufgeschrieben und ein Buch daraus gemacht. Das ist mal witzig, mal nachdenklich, zumeist äußerst komisch. Denn Kindermund ist eben was anderes als das, was die Erwachsenen so von sich geben. Dazu gehört auch die Sicht auf die Dinge und – ganz wichtig – die Frage, wie weit der Ereignishorizont zum Beispiel eines neunjährigen Buben reicht. Sind Klimawandel, Krieg und Covid wirklich etwas, dass in die Wahrnehmung eines Kindes eindringen soll und wenn ja, wie sehr? Herrschen da nicht ganz andere Prioritäten? Natürlich tun sie das. Mike Mills, der mit Jahrhundertfrauen ein meisterliches filmisches Essay über Frauenrollen des 21. Jahrhunderts entworfen hat, beschäftigt sich diesmal mit der Resilienz von unter 10- bis unter 20-Jährigen, die permanent dem Druck ausgesetzt sind, mehr Verantwortung übernehmen zu müssen als sie eigentlich bewältigen können.

Statt Daniel Glattauer und dem kleinen Theo sind es diesmal Oscarpreisträger Joaquin Phoenix und der entzückende Newcomer Woody Norman, den wohl so einige Filmemacher aus früheren Dekaden gerne gecastet hätten, wie zum Beispiel Spielberg oder Kubrick. Doch der Wuschelkopf mit dem seidigen Lächeln und einem versonnenen Blick auf die Welt heftet sich an die Fersen seines nicht weniger versponnenen, leicht gammelig wirkenden Onkels namens Johnny, der sich als Radiomoderator auf einer Tour durch die USA befindet, um Kinder unterschiedlichen Alters zu interviewen. Bei diesen Interviews geht’s meist um existenzielle Fragen, wie: Was kommt nach dem Tod oder wie sieht die Zukunft aus? Gut, das sind Fragen, die, wie schon erwähnt, jüngere Semester überfordern könnte, aber probieren kann man‘s ja. Der kleine Jesse, Johnnys Neffe eben, will auf diese Fragen erst gar keine Antwort geben. Seine Welt ist ohnehin eine, die bereits aus den Fugen geraten ist, nachdem sich Papa aufgrund psychischer Probleme von der Familie abgesondert hat. Da braucht einer wie Jesse nicht über die Probleme der Welt nachdenken oder über ein Leben nach dem Tod. Da reicht es, in der eigenen altersadäquaten Blase zurechtzukommen. Als Mama sich den Problemen des Vaters annimmt, kommt Jesse unter die liebevollen Fittiche von Johnny, der ihn alsbald mitnimmt nach New York und New Orleans.

Bei den Schwarzweißaufnahmen des Big Appels muss man unweigerlich an Woody Allens Meisterwerk Manhattan denken. Und auch so ist Come on, Come on (was sich auf das Weitermachen im Leben trotz aller unerwarteten Widrigkeiten bezieht) nicht weniger textlästig als die Filme des kleinen bebrillten Intellektuellen. Ausgeschlafen sollte man sein, denn sobald die ersten Minuten über die Leinwand flimmern, hören wir bereits Statements aus dem Off, allesamt geistreich und philosophisch. Wäre das ganze Filmprojekt nicht besser zu lesen gewesen? Doch, irgendwie schon. Vor allem deswegen, weil Mike Mills keiner wirklich tragenden Handlung folgt, sondern viel lieber in einer Anordnung aus tagebuchähnlichen Momenten verweilt. Dabei schneidet er Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit nahtlos in die Gegenwartserzählung ein, ohne diese stilistisch abzuheben. Entspannt ist das Ganze nicht, bisweilen gar recht sinnierend und auf den zweiten Blick schwermütig, als wäre Terrence Malick mit im Spiel. In diesem zeitlos scheinenden Zeitbild bleiben Phoenix und Norman stets aufeinander konzentriert. Da ist im Vorfeld der Dreharbeiten sicher viel passiert, um einander besser kennenzulernen. Das lässt sich spüren.

Come on, Come on gelingt der Fokus auf die Frage, was für Kinder relevant ist, trotz all der erratischen Erzählweise erstaunlich gut, wenngleich weniger Worte mehr gewesen wären. Eine inspirierende, liebevoll errichtete Studie, für die Phoenix sichtlich froh war, im Gegensatz zum Joker wieder ganz den kauzigen Eigenbrötler zu geben.

Come on, Come on