Heldin (2025)

DIE VIERGETEILTE KRANKENSCHWESTER

8/10


© 2025 Tobis

LAND / JAHR: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2025

REGIE / DREHBUCH: PETRA VOLPE

CAST: LEONIE BENESCH, SONJA RIESEN, SELMA ALDIN, ALIREZA BAYRAM, URS BIHLER, ALINE BEETSCHEN, JASMIN MATTEI, NICOLE BACHMANN, MARGHERITA SCHOCH U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


„Ich kann mich ja nicht vierteilen.“, sagt Krankenschwester Floria Lind (gewohnt authentisch: Leonie Benesch) inmitten ihrer bereits weit vorangeschrittenen Spätschicht, als sie Vorwürfe von Angehörigen zu hören bekommt, sich nicht um ihre Patienten zu kümmern. Ignorante Meldungen wie diese muss man als Pflegekraft, die sich den Allerwertesten aufreißt, auch noch verarbeiten müssen, neben all den Eindrücken aus Leid, Kummer, Hoffnungslosigkeit und körperlichem Elend. Die Arbeit in einem sozialen Job wie diesen ist systemerhaltend, schön und gut. Wird aber, und das ist ein Grundproblem der kapitalistischen Gegenwart, deswegen nicht gewürdigt, weil es keinen Gewinn abwirft. Alles, was keinen Reibach macht, ist weniger wert. Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns trotzdem allen schlecht. Die Pflege, die Versorgung, die Erhaltung der Gesundheit eines jeden einzelnen wäre in einer Gesellschaft mit ausgeprägten sozialen Agenden das Um und Auf. Warum also dieser Kräftemangel? Warum müssen in einer gesamten Station im Kantonsspital in Zürich lediglich zwei Pflegerinnen und ein Azubi um das Wohl und die Bedürfnisse akut und schwer erkrankter Menschen kämpfen? Warum müssen sie das alles auf ihren Schultern tragen?

Dabei beginnt der Tag für Floria erst weit nach Mittag, gerade hat sie einige freie Tage hinter sich, zeigt sich also motiviert, arbeitsbegeistert und hat den vollen Tatendrang. Ein Lächeln in ihrem Gesicht zeigt: Heute kann gar nichts schiefgehen. Heute ist der Tag, an dem niemand zu kurz kommt und jeder seine Hoffnung schöpfen darf, die er oder sie verdient. Das Werk läuft rund um die Uhr, dieser Stapellauf bremst sich niemals ein. Die Übergabe geht schnell vonstatten, Floria ist unterwegs. Keine Pause, kein Verschnaufen, alles gleichzeitig. Das knappe Personal ist heillos überfordert, weiß aber, die Agenden zu strukturieren. Und man erkennt: Floria ist ein Profi, weiß, wie sie reagieren muss, weiß, wie sie Prioritäten setzt, arbeitet fokussiert. Doch immer noch ist sie ein Mensch.

Petra Volpe liefert in ihrem immersiven, atemlos dichten Kammerspiel keine aufgesetzte Storyline oder einen speziellen Problemfall, der die Heldin in ein außergewöhnliches Gefecht schickt, das einen Film wie diesen zu einem Sozialthriller im Gesundheitswesen hochstilisiert. Ganz ehrlich: Genau das wäre ein Betrug am Thema. Der ganz normale, wahnsinnige, stressvolle, unerbittliche Alltag ist Kino genug. Ist Thriller genug. Ist Drama genug. Ist Horror genug. Heldin macht die semidokumentarische Beobachtung einer Spätschicht zum authentischen Portrait einer Arbeitenden, die aufgrund höherer Politik daran gehindert wird, dem Wert jedes einzelnen Menschen entsprechend zu agieren. Volpe sammelt für ihren Einblick eine Handvoll Patientinnen und Patienten und tut das, was auch Leonie Beneschs Figur versucht zu tun: Den Personen ihren Raum zu geben, sie mitteilen zu lassen. Benesch hält sie alle in ihren Händen, manche entgleiten, andere bleiben geborgen. Bei anderen fehlen die Worte, bei wieder anderen bringt Gesagtes Versöhnung. Das Kaleidoskop in Heldin rotiert, es wird niemals enden, solange es Menschen gibt. Der viergeteilten Krankenschwester, an vielen Orten gleichzeitig, gelingt das Kunststück, dort Mensch zu bleiben, wo es fast unmöglich scheint.

Heldin (2025)

Sweet Girl

BITTERE PILLEN FÜR AQUAMAN

5/10


sweetgirl© 2021 Clay Enos / Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: BRIAN MENDOZA

CAST: JASON MOMOA, ISABELA MERCED, MANUEL GARCIA-RULFO, JUSTIN BARTHA, AMY BRENNEMAN, RAZA JAFFREY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Müsse es nach diesem Film hier gehen, dürfte man allein aus Anstand und gesundem Moralempfinden nie wieder in eine Apotheke gehen. Was sich Pharmakonzerne oft leisten, und vor allem: wie sie es sich leisten – das lässt sich fast nur mit perfiden Methoden vergleichen. Einfach, um uns Normalsterbliche und Normalkranke, die immer wieder mal ein Schmerzmittel benötigen oder einen Spray für die verschnupfte Nase, allesamt in der Hand zu behalten.

Da mag schon das eine oder andere Mal was dran sein, schließlich geht es um unendlich viel Geld. Leider regiert das die Welt und somit auch die Gesundheit. Wen überrascht das noch? Selbst Altruismus bleibt nicht ohne Selbstzweck (siehe den Film Me, We). Wie weit Sweet Girl aber das Schreckgespenst finsterer Machenschaften aus der Kiste lässt, ist dann letzten Endes doch etwas lächerlich. Aber gut, schließlich will man Jason Momoa natürlich bis zur Weißglut treiben. Seinen Hass entfachen, seinen Sinn für hemdsärmelige Selbstjustiz. Grund genug hätte er dafür. Als Vater einer Tochter muss er mitansehen, wie seine bessere Hälfte dem Krebs erliegt. Und das nur deswegen, weil ein Pharmakonzern eingangs erwähnter Art lebenserhaltende Medikamente zurückhält, die längst getestet und verabreichbar wären. Nichts zu machen, die Zurückgebliebenen trauern, es vergehen einige Monate, plötzlich meldet sich ein investigativer Journalist, der das Zeug dazu hätte, besagtem Konzern das Handwerk zu legen. Ray Cooper (Momoa eben) soll dazu seine Aussage machen. Bevor es soweit kommt, wird der Journalist ermordet – und auch Cooper wäre dem Attentat beinah erlegen. Auch die Tochter überlebt – doch jetzt heißt es: Nicht mit uns. „Aquaman“ startet einen Rachefeldzug, um den Pharma-Fieslingen den Garaus zu machen. Tochter Rachel kommt natürlich mit.

Jason Momoa hat sich seit dem letzten Justice League kein bisschen verändert. Dieselbe Haarpracht, ähnlicher Bart. Nur diesmal in legeren Klamotten für Landratten, vorzugsweise mit Hoodie. Bevor dieser aber seinen Dreizack auspackt, greift er lieber zur Schusswaffe. Und hinterlässt alsbald ein Blutbad, stets im Beisein der Tochter. Ein schönes Vorbild. Auch in Sachen Vernunft und Moral. Zu glauben, auf diese Art die großen Geldmacher in die Knie zu zwingen, ist reichlich naiv. Doch die scheinen mit denselben Mitteln zu arbeiten, also ist es auch schon egal. Fernando Mereilles, der mit Der ewige Gärtner auf ganz anderen Wegen die Skrupellosigkeit der Konzern-Elite in den Fokus rücken konnte, oder eben Todd Haynes mit seinem unlängst höchst brisanten, authentischen Abwasser-Thriller Vergiftete Wahrheit – die hätten daraus einen relevanteren Film gemacht. Natürlich mit weniger Action, dennoch aber mit genug Toten.

Sweet Girl nutzt die fromme Ambition einer Wirtschaftskritik, um sich und seine kaltschnäuzig agierenden Protagonisten von der Leine zu lassen. Sie killen und ballern für eine gute Sache. Fragt sich nur, warum auf diese Art. Der Eindruck eines wenig durchdachten Drehbuchs macht sich breit. Eines Films, der will, dass Jason Momoa Radau macht. Jungstar Isabella Merced (u. a. Dora und die goldene Stadt) stiehlt dem hawaiianischen Hünen dabei aber vermehrt die Show. Sie scheint so unverwüstlich wie Alita und so wütend wie Retorten-Killerin Hanna – ein Highlight in einem sonst überschaubaren Low Budget-Film. Doch wer glaubt, dass das schon alles war, so kurz vor Ende, der darf dann noch mit einer Wendung rechnen, die wohl M. Night Shyamalan gerne gehabt hätte, braucht der doch immer seinen Plot-Twist. Allerdings: Dieser wirkt so, als hätte man ihn erst im Nachhinein eingefügt und lässt das bisher Erzählte mehr als bemüht erscheinen.

Sweet Girl