The Surfer (2024)

KEIN PLATZ AN DER SONNE
7/10


© 2024 Lionsgate


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, IRLAND 2024

REGIE: LORCAN FINNEGAN

DREHBUCH: THOMAS MARTIN

CAST: NICOLAS CAGE, JULIAN MCMAHON, NICHOLAS CASSIM, MIRANDA TAPSELL, ALEXANDER BERTRAND, JUSTIN ROSNIAK, RAHEL ROMAHN, FINN LITTLE, CHARLOTTE MAGGI U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Die schönsten Strände der Welt finden sich wohl auch in Australien. Inmitten einer üppigen Natur, begleitet von den gackernden Lauten eines Kookaburra, die das Kreischen der Sittiche noch übertönen, begleitet vom Rauschen der Wellen und eingebettet in sattes Grün. Ein wahres Elysium für einen wie Nicolas Cage, der diese Gegend gut kennt, ist sie doch Teil seiner Kindheit – zumindest im Film. In The Surfer, dem neuen, perfiden Mindfuck-Streich von Lorcan Finnegan, der bereits schon mit seiner nihilistischen Lovecraft-Hommage Vivarium sein Publikum an nichts mehr glauben hat lassen, ist der im rötlichblonden Haar- und Bart-Look erstrahlende Superstar des bizarren Genrekinos einer, der am Strand seiner Träume auf Ausgrenzung stößt. Gerade dort, auf diesem Fleckchen Erde, an welchem Wellen brechen, auf denen man wie nirgendwo sonst dahinschippern kann. Dieses Damals, in welchem die Figur des namenlosen Mannes schwelgt, soll auch Teil von dessen Sohn werden – also bringt der Vater seinen Filius hierher, um ihm zu zeigen, wie ein Sport wie dieser gelebt werden kann. Allerdings: „You don’t live here. You don’t surf here.“ Dieser Strand ist in fester Hand einer lokalen Männerrunde, die niemanden sonst hier aufs Meer lässt, der nicht auch hier wohnt. Cage tut das nicht, also wird er aufs Gröbste vertrieben. Kann einer wie er so eine Abfuhr auf sich sitzen lassen? Ist diese Diskriminierung etwas, die man ganz einfach wegsteckt?

Vor allem, wenn Papa ohnehin plant, das Haus seiner Kindheit hier oben am Hang zurückzukaufen, um wieder so zu tun, als wären alle eine intakte Familie, als würde auch die Ehefrau reumütig wieder zurückkehren, um am Balkon mit Blick aufs Meer Feste zu feiern. Diese Vision hat Cage im Kopf, und dieser Vision opfert er schließlich auch jegliches rationale Empfinden, jegliche Vernunft und jegliche Planung. Als er den gedemütigten Sohn daheim absetzt, kehrt der Surfer zurück. Er will alles versuchen, um seinen Platz an der Sonne zu erstreiten. Auch wenn es ihm alles kostet. Seinen Besitz, seine Würde, seine Selbstachtung.

Das mag vielleicht alles nach einem hoffnungslosen Grenzgang klingen, den seinerzeit schon Michael Douglas in Falling Down unternommen hat – und ja: tauscht man die urbanen Gefilde gegen den Busch, gibt es Parallelen hinsichtlich dessen, wie Nicolas Cage immer mehr verfällt, immer mehr von Instinkten getrieben wird und in einer schier verzweifelten Hoffnungslosigkeit gegen Windmühlen ankämpfen muss, die aus mobbenden Youngsters und halbstarken Machos bestehen, die sekkanter nicht sein können. Immer schmerzlicher wird es, dabei zuzusehen, wie der zähneknirschende Cage die Kontrolle verliert und all die anderen mit ihm tun können, wonach es sie gelüstet. Die psychosoziale Schikane nimmt die grotesken Ausmaße einer Verschwörung an, und so gnadenlos der Abstieg auch anmutet, so kurioser wird Nicolas Cages exaltierte Performance. Was soll man anderes tun, als sich daran zu ergötzen, wie sich die existenzverlustierende Figur des Gescheiterten in hysterischer Verzweiflung suhlt. Versifft, verschwitzt, verwundet, verdurstend – und doch hat alles einen Grund. Womit wir bei Lorcan Finnegans perfider Erzählweise von Geschichten wären, die mysteriöser kaum sein können.

Zwischen reaktionärem Männerkult und traumatischer Bewältigung quält sich Cage in genüsslichem Overacting bis zum Gipfel der Selbstaufgabe. Weder ist The Surfer dabei Rachedrama, Action oder Thriller – Finnegan rührt in einem mysteriösen Potpourri, stört die Wahrnehmung und hinterfragt Identitäten. Das Unklare in dieser erfrischend kurzweiligen Studie der Beharrlichkeit weckt an den Haaren herbeigezogene Mutmaßungen. Man staunt, man spekuliert, man ekelt sich. Und obwohl Cage auch noch so leidet: Das, was kein anderer Akteur eigentlich sonst darf, reicht zur Etablierung eines tragikomischen Wutbürgers, der um sein Recht auf Erfüllung fuchtelt. Die gallige Schadenfreude Finnegans unter tropisch heißer Sonne, die alles Denken ausdörrt, während die Tierwelt von Down Under in ignoranter Langeweile ihre Integrität in einem toxischen Ökosystem feiert, lässt den Surfer wie einen modernen Tantalus ungern an die gedeckte Tafel. So hell die Sonne dabei strahlt, so dunkler sind die Schatten in diesem hämischen Lamento um verpasste Träume, das sich gewöhnlichem Plot-Denken entzieht.

The Surfer (2024)

Bohemian Rhapsody

A ROCKY GLAMOUR PICTURE SHOW

7,5/10

 

bohemianrhapsody© 2018 20th Century Fox GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: BRYAN SINGER

CAST: RAMI MALEK, GWILYM LEE, JOSEPH MAZZELLO, BEN HARDY, LUCY BOYNTON, MIKE MYERS, AIDAN GILLEN U. A.

 

Is this the real life? Is this just Fantasy? Bei diesem kometenhaften Aufstieg einer Band aus vier völlig unterschiedlichen Charakteren lässt sich relativ leicht an ein Märchen glauben. Doch die Wahrheit ist: die musikaffinen Eigenbrötler mit ihrer ganz klaren Vorstellung von Sound und Performance-Kunst haben scheinbar von Anfang an alles richtig gemacht. Queen, wie sie sich nennen, war in der zweiten Hälfte der 70er in den 80er-Jahren wohl an Fans, Ruhm und Plattenverkäufen vielleicht nur noch von Michael Jackson zu toppen. Queen – die waren zu Lebzeiten schon Kult, und so richtig begonnen hat da alles mit dem völlig unorthodoxen Musik-Mysterium Bohemian Rhapsody. Kein Wunder, dass diese zeitlose Weltnummer titelgebend ist für Bryan Singer´s bunt bebilderten Ausflug in die Geschichte des Rock. Mir selbst war in den 80ern die Exaltiertheit eines Michael Jackson gefälliger, doch die einschlägigen Ohrwürmer kannte damals trotzdem jeder. Und tatsächlich – es kann auch gut und gerne sein, dass nach dem Filmgenuss von Bohemian Rhapsody der eine oder andere Gassenhauer zumindest eine Zeit lang nicht mehr aus dem Kopf geht.

Bei Bohemian Rhapsody die Füße stillzuhalten kostet eine geradezu körperliche Überwindung. Viel fehlt nicht und ein von den Stühlen erhobenes und den Beats verfallenes Kinopublikum weiß sich nicht mehr zu beherrschen. Dafür aber, um das zu vermeiden, hat Bryan Singer all die Tracks entsprechend verkürzt – oder sagen wir – kurz angespielt, um gleich wieder von der faszinierenden Trivia diverser Song-Making-Of´s überzuleiten auf Streiflichter aus dem Leben des Sängers Freddie Mercury. Diese sind, unter Rücksicht auf eine halbwegs gut konsumierbare Spielfilmlänge, entsprechend gestrafft. Anders ist so ein Drehbuch gar nicht möglich, und schon gar nicht, wenn die chronologisch erzählte Geschichte von Queen auch noch mit rein muss. Das ist schon alles sehr ambitioniert, und ich frage mich, ob der Fokus auf einen Meilenstein oder einen Aspekt der Biografie nicht viel besser gewesen wäre. Ursprünglich wäre das ja von diversen Schauspielern, allen voran Sacha Baron Cohen, ja auch so gewünscht gewesen – nämlich viel mehr auf das private Beziehungsumfeld Mercury´s einzugehen. Allerdings hätte dieser Ansatz leicht Opfer einer verunglimpfenden wie kolportagehaften Aneinanderreihung reißerischer Eskapaden werden können (warum sonst sollte man das machen wollen?), und davor wollten Gitarrist Brian May mitsamt der übrigen bzw. neuen Queen-Band das Erbe Mercury´s tunlichst bewahren. Da May auch selbst mitproduziert und wie es scheint sehr viel Mitspracherecht gehabt zu haben scheint, wurde aus dem lange erwarteten Musikfilm so etwas wie eine lehrbuchartige Retrospektive eines beeindruckenden Schaffens, dass universell präsentiert werden kann. Ein Film als schillernder Wegbegleiter zum Ruhm – der aber letzten Endes wider Erwarten zu einer relativ ernüchternden Erkenntnis führt.

Dieser Ruhm führt irgendwann zum Stillstand. Ist alles erreicht, die Erfolgswelle am Höhepunkt ihres Auftürmens zur ewigen Plattform all des Gelungenen manifestiert, wird dieser Traum zur schalen Routine. Queen, die hatten erfolgstechnisch wirklich alles. Wobei ich mich frage: ist es der Druck, dieses Level aufrechtzuerhalten, oder der Zenit des Erreichbaren, der Künstler oftmals scheitern lässt? Bands brechen auseinander, weil sie geschafft haben, was sie geplant hatten. Bei Queen wäre fast Ähnliches passiert, dabei ist die Band ohnehin stets eine jener Künstlergruppen gewesen, die mit dem Trend der Zeit gegangen sind, zwar manchmal Trends gesetzt hatten, aber niemals wirklich abgeneigt waren, beim Volk beliebte Stile auszuprobieren und zu variieren. Dennoch – die erfolgsmüden Vier hatten so ihre Krisen, eben weil sie, am Ziel angelangt, nicht wirklich weiterkonnten. So sehr Bohemian Rhapsody also dem artig erprobten Schema eines Biopic folgt – dieser Blick hinter die Bühne gelingt dem Film vorzüglich, und fast noch besser als der Blick auf Freddy Mercury´s Leben selbst.

Dafür bleibt fast zu wenig Zeit, der einnehmenden Person und Kunstfigur des in Sansibar geborenen Farrokh Bulsara, der sich selbst nie als Bandleader sah, wirklich gerecht zu werden. Dort, wo in aller Eile so lebensändernde Wendepunkte wie das Aus der Beziehung zu Mary Austin oder die Erkenntnis, an Aids erkrankt zu sein, zwar filmisch gekonnt, aber doch nur angerissen werden, findet Darsteller Rami Malek mit seiner Interpretation der Legende und mit der Intensität, mit welcher er den unverwechselbar agierenden Mann zum Leben erwecken will, einen fast schon zeitverzögernden Ausgleich. In manchen Szenen scheint vergessen, wer da wirklich vor der Kamera steht. Das geschieht aber erst, nachdem man sich an die Zahnprothese Maleks gewöhnt hat. Die könnten anfangs schon für die eine oder andere Ablenkung von der Geschichte verantwortlich sein. Spätestens aber, wenn Mercury seinen 80er-Schnauzer trägt, ist die Ähnlichkeit frappant – in Kombination mit all seiner balletartigen Performance auf der Bühne wird daraus das atemberaubende Erlebnis eines Lookalike-Triumphes, der den nächstjährigen Oscar-Goldjungen greifbar nahe rücken lässt. Ähnlich überzeugend war bisher eigentlich nur Angela Bassett im Tina Turner-Lebens- und Leidensbericht Tina – What´s love got to do with it, der dramaturgisch sogar um einige Mikrofonlängen gewiefter war. Diesen Lookalike gewinnt aber auch Brian May-Darsteller Gwilym Lee, der ganz so aussieht wie der echte Lockenkopf. Und wer Mike Myers im Film irgendwo widerentdeckt, darf einmal ganz laut Galileo schreien.

Obwohl man Bohemian Rhapsody der Musiknummer entsprechend vielleicht etwas experimenteller oder einfach nicht ganz so geordnet chronologisch hätte angehen können, bleiben letzten Endes die zeitlos genialen Kompositionen in Erinnerung, die da allesamt erklingen – und natürlich der nachgestellte Live-Aid-Mitschnitt, der bislang unentschlossen begeisterte Zuseher des Streifens in den meisten Fällen auch noch abholen wird. Dann gibt es kein Halten mehr, dann ist dieser Freddy Mercury tatsächlich auferstanden, dann tobt die Hütte und Radio Gaga erschallt nachhaltig in den Köpfen nicht nur der Fans. Bryan Singer´s hymnisches, aber keinesfalls verklärendes filmisches Denkmal an diese Koryphäen der Rock- und Popmusik ist eine Tribute-Show in wohlwollendem Rampenlicht und mit vibrierenden Boxen. Mit Karokostüm, Krone und rhythmischem Stampfen. Denn die Show, die muss ja schließlich weitergehen.

Bohemian Rhapsody