7500

IM COCKPIT HÖRT DICH NIEMAND SCHREIEN

7,5/10

 

7500© 2019 Universum

 

LAND: DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH 2019

REGIE: PATRICK VOLLRATH

CAST: JOSEPH GORDON-LEVITT, OMID MEMAR, AYLIN TEZEL, MURATHAN MUSLU, CARLO KITZLINGER, PAUL WOLLIN U. A. 

 

Ungefähr so könnte es gewesen sein: Mohammed Atta und seine Begleiter könnten vielleicht auf diese Art ins Cockpit der American Airlines-Maschine gelangt sein. Ist die Tür mal auf, stürmen wildgewordene Wüteriche, mit klebebandumwickelten Glasscherben bewaffnet, ins Allerheiligste des Fliegers und nutzen den Überraschungsmoment zu ihren Gunsten. Sie erlangen Kontrolle über ein Flugzeug, dass zum Beispiel ins World Trade Center donnern wird. Bei einem anderen dieser Flugzeuge am Morgen des 11. September konnten die Passagiere zumindest so viel Widerstand leisten, um den Vogel zumindest nicht auf dicht besiedeltem Gebiet abstürzen zu lassen. Paul Greengrass hat mit Flug 93 die Geschehnisse innerhalb dieses Flugzeugs rekonstruiert.

Patrick Vollrath, deutscher Kurzfilmregisseur und Schüler Michael Hanekes, der mit seiner Abschlussarbeit Alles wird gut sogar für einen Oscar nominiert wurde, hat sich so seine Gedanken gemacht, wie eine solche Situation auch ganz anders ausgehen hätte können. Dabei nimmt er eine radikale Reduktion vor, die in so einem extremen Fokus überhaupt noch nicht zu sehen war: sein Film spielt einzig und allein auf den wenigen Quadratmetern eines Cockpits. Stirb langsam auf engstem Raum, der Heimvorteil liegt beim Piloten, die Terroristen sind aggressiver als es der ominöse Hans Gruber jemals war, und es ist vorne wie hinten kaum Platz, um zu agieren. Gut, wir kennen Filme, die in stark begrenzten Räumen spielen, aber meist sind das Ein-Personen-Dramen, in denen hauptsächlich gesprochen wird. 7500, der sich mit dieser vierstelligen Kennzahl auf den Code für eine Flugzeugentführung bezieht, lässt aber gleich mehrere Personen aufeinander los. Im Mittelpunkt steht Joseph Gordon-Levitt als US-Pilot Tobias, der in Berlin lebt, und der gemeinsam mit seiner türkischstämmigen jungen Frau, eine Stewardess, während des Fluges Berlin-Paris Dienst schiebt (beide haben einen Sohn, das macht das Drama später noch unerträglicher). Alles sieht nach Business as usual aus. Bis das Flugzeug in der Luft ist, die Anschnallzeichen ausgeblendet sind und das Bordpersonal den Piloten das Sandwich serviert. Ab da bricht die Hölle los. Und ich meine Hölle, denn dieses Kammerspiel ist nichts für schwache Nerven.

Cockpit-Horror könnte man sagen. Und Vollrath, bei diesem Film fast schon ein Regie-Genie, nutzt innerhalb dieses vor Ecken, Kanten, Armaturen und Blicklichtern nur so strotzenden Raumes alle möglichen Quellen, um den Horizont auch nach außen hin zu erweitern. Niemals jedoch sieht man das Flugzeug als solches. Es gibt keine Pyrotechnik, keine großen Stunts, auch kein einziges Mal blickt Vollrath ins Hintere des Flugzeugs. Was man sieht, ist das, was vor verschlossener Tür passiert. Was man hört, ist das dumpfe Schreien, das Rangeln und Wimmern hinter dem Vorhang. 7500 reduziert alles, aber nur auf das Wesentliche, und lässt uns zum ratlosen Piloten werden. Die Essenz, die zurückbleibt, hat durch die wenigen akustischen wie visuellen Akzente einen stärkeren Impact als es herkömmliche Action meist je hätte. Vieles entsteht im Kopf, die Psychologie des Films triezt die Ungeduld bis zur Entwarnung und das Cockpit wird zum Panic Room. Fast scheint es, als müsste der Zuschauer interagieren, als müsste er, statt sich von üppigem Zinnober plätten zu lassen, den Film vor seinem geistigen Auge räumlich weiterdenken. Die Tür, die über Leben und Tod vieler entscheidet, die muss halten. Was auch immer da draußen passiert – lass keinen hinein! Ob es das Leid Unschuldiger ist, die als Druckmittel getötet werden oder das immerwährende, zermürbende Anlaufen wie mit einem Rammbock gegen die Macht über das Flugzeug. Es ist in jedem Fall ein Kampf um die Burg.

Gordon-Levitt (u. a. The Walk, The Dark Knight Rises) gibt alles. Er schreit, er heult, er fasst neuen Mut, er versucht, rational zu denken – bislang seine stärkste Performance. Vorstadtweiber-Star Murathan Muslu als stiernackiger Grimm und vor allem Omid Memar als völlig unberechenbarer, psychisch labiler Hysteriker geben dem Nervenkrieg noch mehr Zunder, und selbst hat man bald das Gefühl, sich ebenfalls anschnallen zu müssen, um nicht panisch irgendwo hinzurennen.

Action muss längst nicht mehr Kawumm sein, Action kann auch assoziativ sein oder einfach in der Ungewissheit über das unmittelbar Bevorstehende liegen. Das Ganze so zu implementieren ist Vollrath gelungen, nämlich mit den wenigsten Mitteln das Bestmögliche herauszuholen. Lange schon war ein Film nicht mehr so spannend und nervenaufreibend wie dieser.

7500

7 Tage in Entebbe

TERROR FÜR EINE BESSERE WELT

6,5/10

 

7tageentebbe© 2018 eOne Germany

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2018

REGIE: JOSÉ PADHILA

MIT DANIEL BRÜHL, ROSAMUNDE PIKE, EDDIE MARSAN, BEN SCHNETZER, NONSO ANOZIE U. A.

 

Wenn sich die Tänzer des israelischen Ensembles Batsheva Dance Company aus ihren im Halbkreis angeordneten Stühlen erheben, und das nacheinander, in Form einer Welle wie am Fußballplatz, während einer von den Tänzern im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Rahmen fällt, ist das schon ein ungewöhnlicher Auftakt für ein Entführungsdrama nach Tatsachen. Und ja, doch, es ist irgendwie beeindruckend, wenn auch etwas irritierend. Ausdruckstanz stand bei mir nie auf der Besuchsliste kultureller Aktivitäten, mit Ausnahme des Serapionstheaters, das immer wieder mal im Wiener Odeon gastiert. Die als Prolog verstandene Sequenz einer Generalprobe, die dem traditionellen jüdischen Lied Echad Mi Yodea, das normalerweise zum Pessachfest gesungen wird, das Bild einer impulsiven Choreographie verleiht, macht zumindest für mich auf den ersten Blick klar, dass 7 Tage in Entebbe ein Film werden wird, der ganz klar für Israel Stellung bezieht. Laut einer Rezension des israelischen Nachrichtensenders i24News vom 21. Februar dürfte das im Zuge der Performance stattfindende Ablegen der jüdischen Kleidung jedoch als das Ablegen einer Politik verstanden werden, die den Dialog verhindert – die Verständigung also zwischen Palästina und Israel. Andererseits steht das Lied, welches weniger gesungen als mehr gerufen wird, für die Befreiung der Juden aus der Sklaverei (womöglich Babylons). Ein starkes, vereinendes, nationalbewusstes Lied, mit schweren Rhythmen unterlegt. Abgehakt, kraftvoll, unmissverständlich. Dieser Tanz ist also ein Widerspruch in sich, ein Ziehen an beiden Enden des Taus. Das Tau – oder die Stühle im Halbkreis: die Nahostpolitik eines stets aufrüstenden Israels, mit Freund USA als schattenspenenden Hulk im Hintergrund. Und das landberaubte Palästina, mit den verzweifelten Mitteln einer Terrorpolitik, die aber auch gar nichts bewirkt – nur Sorgen, die man nicht haben möchte.

Damals, in den 70ern, also vor rund 40 Jahren, war der Revolutionsgedanke Mutter aller Handlungen. Da hieß das noch weniger Terror, zumindest bei den Terroristen. Da hieß das vermehrt Revolution. Meist für eine Sache, die im Detail betrachtet wenig mit den Verbrechen begehenden Aktivisten zu tun hat, aber global gesehen für eine politische Einstellung steht, die überall angewandt werden soll, wo das Recht der Ohnmächtigeren im Argen liegt. Das haben sich Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann auch gedacht – und ihrem Leben einen Sinn gegeben. So was passiert dann, wenn das persönliche Glück nicht ausreicht oder die Zufriedenheit für ein Leben nicht absehbar ist. Wenn die Kränkung enorm und das Ich-Bewusstsein nicht durchdringt. Als Teil von einer Welle zu sein, die in Entführungen, Morden und dem Schüren von Angst wie ein Tsunami über den Westen hinwegfegt – und nicht nur über den Westen – dann ist das schon so ein Gefühl, für ein höheres Ziel einstehen zu können. Und erst recht, wenn man eigenhändig ein Flugzeug in seine Gewalt bringt. Nur kann etwas, das mit Gewalt erzwungen wird, selten Früchte tragen. Davon wollen aber weder die beiden im Jemen ausgebildeten deutschen Rekruten etwas wissen, noch die Palästinenser, die ebenfalls mit an Bord der Air France Maschine Richtung Uganda unterwegs sind. Denn der Zweck heiligt doch die Mittel, egal wie. Eine durch Verbrechen herbeigeführte Lösung, die dann keine Verbrechen nach sich zieht, ist was fürs Märchenbuch. Oder für Terroristen. Oder für Idi Amin, der die Maschine mitsamt ihren verschwitzten, übermüdeten, hungrigen Geiseln überschwänglich begrüßt, als hätten sie ein Preisausschreiben gewonnen. Was dann folgt, hat Geschichte geschrieben. 7 Tage Entebbe – dann das Ende. Zwischendurch die Batsheva Dance Company, die die Quadratur des Halbkreises probt.

Dem brasilianischen Regisseur José Padhila, der schon Erfahrung mit Filmen über Entführungen und Korruption im Staat (Tropa de Elite, Narcos) gesammelt hat, aber auch bei Blockbustern wie der Neuverfilmung von Robocop danebengriff, war es wohl wichtig gewesen, ein so unparteiisches Bild wie möglich zu zeichnen. Die beiden Deutschen, souverän dargestellt vom Professionisten Daniel Brühl und Rosamunde Pike, sind von Zweifeln geplagt, hin und her gerissen zwischen Mission und Flucht. Um sie herum verschrockene Zivilisten, die Angst eines sich wiederholenden Lagerhorrors im Nacken. Kurz davor, alles auf eine Karte zu setzen und den Massenmord durchzuführen: die Palästinenser. Die, die am Meisten verloren haben, nämlich ihre Heimat. Padhila gibt ihnen allen ihre Rede- und Aktionszeit, mit dem Fokus auf das politische Kabinett unter dem Davidstern. Rabin, Peres und Motta treten auf, ganz im Stile von Spielberg´s Terrordrama München. Oberflächlich hingegen die Sicht einzelner aus der Special Forces-Einheit. Die Intermezzi mit dem Paar der Tänzerin und des Soldaten hätten mehr Spielzeit verdient als ihnen letzten Endes eingeräumt wird. Schon alleine, um den Zwiespalt, der Israel stets unter Spannung stehen lässt, in weiteren Dialogen zu verdeutlichen. Würde man die Hintergründe der Tanzeinlagen nicht nachlesen, würde sich der Sinn dahinter für Nicht-Juden nur schwer erschließen. Aber genau das hätte 7 Tage in Entebbe zumindest nicht nur ansatzweise zu etwas Besonderem gemacht. Aber es ist, wie es ist, und es herrscht solides True Story-Kino vor, in all seinen authentischen Details.

7 Tage in Entebbe