Still: A Michael J. Fox Movie (2023)

HALLO MCFLY, JEMAND ZU HAUSE?

7/10


stillmichaeljfox© 2023 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: DAVIS GUGGENHEIM

IM INTERVIEW MIT: MICHAEL J. FOX

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Als ob es ihm wichtig wäre angesichts seiner Popularität: Dieser Mann genießt ohne Ablaufdatum mein Wohlwollen. Selten hat ein Sympathieträger wie er das Film- und Fernsehgeschehen so aufgemischt wie der ewige Junge aus der Nachbarschaft – und damit ist nicht Spiderman gemeint, denn Tom Holland punktet zwar ebenfalls mit einer gewissen Natürlichkeit, kommt aber an den one and only Michael J. Fox einfach nicht heran. Ehrlich gesagt: Das tut niemand. Hätte ich die Chance, mit einem Hollywood-Star befreundet zu sein, dann wüsste ich, es wäre er. Ich wüsste, er wäre es auch, wäre er nicht berühmt. Und auch wenn diese fiese Krankheit genannt Parkinson ab den Neunzigern sein Leben und seine Präsenz auf der Leinwand maßgeblich eingeschränkt hat: Unterkriegen lässt er sich davon bis heute nicht.

Diese Lust am Leben vermittelt interessierten Zusehern das exklusiv auf Apple TV+ erschienene, abendfüllende und dokumentarische Portrait eines aufgeweckten „Marty McFly“, der sein ganzes zurückliegendes Leben mit Staunen und ironischem Humor betrachtet. Natürlich bleibt bei Filmen wie diesem die Frage offen: Will Michael J. Fox nur so gesehen werden, wie ihn alle kennen, um ein für alle Mal mit Mutmaßungen und pressetauglichen Fehlinformationen reinen Tisch zu machen – oder lebt er dieses Jetzt-erst-recht-Motto tatsächlich?

Die besondere Kunst des Michael J. Fox lag immer darin, sein sich für ihn begeisterndes Publikum wissen zu lassen, dass das, was er vor die Kamera bringt, ungefähr jener Mentalität gleichkommt, die der Mann auch im Privatleben anwendet. Schließlich gibt es auch Koryphäen des Unterhaltungsfachs wie zum Beispiel Robin Williams, der die Komödien der Achtziger und Neunziger prägte, der aber auch ernst konnte – und tatsächlich aber, und vor allem in den späteren Jahren, wohl ein zutiefst unglücklicher Mensch gewesen sein muss, der seinem Leben durch die eigene Hand ein Ende setzte. Hier in Österreich brachte in den 60er und 70er-Jahren einer wie Maxi Böhm ganze Auditorien durch humorvolle Improvisation zum Brüllen – letztendlich starb er an gebrochenem Herzen. Michael J. Fox macht deutlich, dass gerade seine Authentizität in diesen Dingen, die Mitnahme seines Weltempfindes auf die Leinwand und ins Fernsehen, ihn deshalb so resilient gegenüber allen Widrigkeiten des Lebens werden ließ – und sei es auch das Handicap einer schweren Schüttellähmung, die eisernes physiotherapeutisches Training erfordert und einen unbändigen Willen, so zu bleiben, wie er immer war, zu sich zu stehen und es auszuhalten bis zum Ende, das noch lange nicht kommen muss. Schließlich ist Michael J. Fox nicht allein, hat er doch, und das zeigt Davis Guggenheim auf fast schon idealisierte Weise, die Beständigkeit einer treuherzigen Familie hinter sich.

Unter solchen Bedingungen lässt sich der Blick zurück auf eine Zeit, als alles noch wirklich richtig gut war und der eigene Körper das machte, was er tun soll, auch aushalten. So nimmt sich Dokufilmer und Serienmacher Davis Guggenheim, dessen von Al Gore moderierte Warnung Eine unbequeme Wahrheit 2006 schon in weiser Voraussicht den Klimawandel thematisierte, genug Zeit, um mit den im Geiste junggebliebenen und scharfsinnigen Kultschauspieler über Gewesenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu philosophieren. Der Werdegang, die ganze Karriere und der Ruhm, der ihm auch nie zu Kopf gestiegen war, erzählt sich schließlich wie das Soll eines Hollywood-Traums, angefangen von der Sitcom Family Ties (hierzulande bekannt unter Familienbande) bis zu den legendären Auftritten zu den Jahrestagen von Zurück in die Zukunft, gemeinsam mit Freund Christopher Lloyd. Solche Momente rühren dann doch, und zur Gänze schönreden lässt sich die missliche Lage eines gequälten Körpers dann auch nicht mehr. Michael J. Fox nimmt sie hin, er zeigt, was Sache ist, er zeigt auch, dass Parkinson nicht mit Alzheimer zu verwechseln ist. Er zeigt, dass er will, und meistens sogar kann. Er macht auch klar, dass das, was die Habenseite ausmacht, viel mit Zufriedenheit zu tun hat. Immer noch mehr zu wollen wäre fatal, also wählt Fox den Weg der Akzeptanz und des Stolzes. In Still: A Michael J. Fox Movie müssen Taschentücher nicht griffbereit liegen, niemals ergeht sich dieser sich selbst so achtende Öffentlichkeitsmensch in Selbstmitleid. Man könnte Guggenheims Film auch als Suche nach einer Form des Glücks betrachten – nach jenem der Fülle. Die Pro- und Contra-Liste von Fox‘ Leben ist lang, doch nur in einer der beiden Spalten häufen sich lebensbejahende Argumente, die ihm keiner mehr nehmen kann. Nicht mal Parkinson.

Still: A Michael J. Fox Movie (2023)

Blond

I DON’T WANNA BE LOVED BY YOU

7/10


blond© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANDREW DOMINIK

BUCH: ANDREW DOMINIK, BASIEREND AUF DEM ROMAN VON JOYCE CAROL OATES

CAST: ANA DE ARMAS, ADRIEN BRODY, BOBBY CANNAVALE, XAVIER SAMUEL, JULIANNE NICHOLSON, EVAN WILLIAMS, RYAN VINCENT, LILY FISHER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 46 MIN


Was haben Prinzessin Diana Spencer und Marilyn Monroe gemeinsam? Die berührende Farewell-Ballade A Candle in the Wind von Elton John. Zuerst hieß der Text: Goodbye Norma Jeane, dann hat sich der Künstler gedacht: Norma Jeane kann mittlerweile gut darauf verzichten, machen wir Goodbye Englands Rose daraus. Was haben Diana Spencer und Marilyn Monroe nicht gemeinsam? Den Regisseur, der sich bemüßigt und auch kompetent genug dazu gefühlt hat, zumindest Ausschnitte aus deren Leben zu verfilmen, um gleich noch dazu ein komplettes Psychogramm draufzupacken. Der eine: Pablo Larraín. Mit Spencer ist diesem ein brillantes Portrait gelungen, die impressionistische Skizze einer möglichen Befindlichkeit zu einem gewissen Zeitpunkt im Leben der Königin aller Herzen. Der andere: Andrew Dominik (u. a. Killing them Softly). Seine Schussfahrt in den Untergang einer wider ihres Willens gehypten Person frönt einem soziopathischen Destruktivismus, der eigentlich alles, mit Ausnahme vielleicht von Henry Miller, unter Aufbringung einer enormen Anziehungskraft in ein schwarzes Loch reißt, aus dem es keine Rückkehr gibt. Schon gar nicht für Norma Jeane Baker. Die landet mit den Füßen voran, als Steißgeburt einer verteufelten Männerwelt, im dunklen Nichts der Hoffnungslosigkeit. Obwohl – nicht ganz. Die Hoffnung war zwar immer ein bisschen da, starb aber zuletzt dann doch, in der gottgleichen Gestalt eines unbekannten, aber tränenreichen Vaters, der frappante Ähnlichkeiten mit Clark Gable hat und der blonden Schönheit immer mal wieder einen Brief hinterlässt, der ein baldiges persönliches Aufeinandertreffen verspricht. Eine Hoffnung, an die sich Norma Jeane Baker klammern kann. Das andere, woran sie sich klammert: Die Kunstfigur Marilyn, schmollmundig, Küsse verteilend, kokett performend als Sexsymbol, den Rock über dem Lüftungsschacht lüpfend, ganz so wie es Billy Wilder wollte. Laut Joyce Carol Oates, die mit ihrem Roman Blonde für den Pulitzer-Preis nominiert war, dürfte die Maske „Monroe“ nicht mehr als ein Strohhalm in einer Welt voller Treibsand gewesen sein, in welchem Frau sonst versinken müsste. Oder: Das Leben eines Filmstars als geringeres Übel. Denn sonst bleibt ja nichts. Gar nichts. Weder eine liebende Mutter noch ein Vater noch eigene Kinder. Und schon überhaupt gar niemanden sonst, der sich ernsthaft um diese psychisch äußerst labile Person, die bis dato als wohl einer der größten Stars der Filmgeschichte gilt, gesorgt hätte.

In diesem finsteren Pfuhl an sexuellem Missbrauch, Gewalt und geifernder Fleischeslust wird das Objekt der Begierde zum hin- und hergereichten Pinocchio. Ausgenutzt, getreten, begattet. Was hätte Pablo Larraín wohl aus diesen biographischen Ansätzen, die womöglich mit viel Dichtung klarkommen müssen, herausgeholt? Wie wäre sein Ansatz gewesen? Vielleicht empathischer, auf improvisierte Weise vertrauter. Er hätte sie wohl weniger als Punching Ball für ein reißerisches Trauerspiel verwendet als Andrew Dominik es getan hat. Für ihn (und vielleicht auch für Oates, denn ich kenne das Buch leider nicht) ist Marilyn Monroe das öffentliche Opfer purer #MeToo-Gräuel. Denn so, wie Ana de Armas auf der Höhe ihrer Imitationskunst weint und schreit und wimmert, sich am Boden krümmt und nach ihrem Vater fleht, muss es das größte Opfer sein, dass Hollywood je eingefordert hat. Ein weiblicher Hiob quält sich auf einem fast dreistündigen Kreuzweg die Via Dolorosa entlang, und niemand trägt das Kreuz auch nur lang genug, damit sich der zur Schau gestellte Star wieder hätte fangen können. Andrew Dominik kostet seinen Biopic-Horror so dermaßen aus, als hätte er einen Lustgewinn daran, Marilyn Monroe leiden zu lassen. Möchte man sowas denn sehen? Will man sich von Ana de Armas ankotzen lassen? Will man in Marilyns Alpträume eintauchen, die plötzlich an Paranormal Activity erinnern? Sind die amerikanischen Männer der Ära Kennedy wirklich so eine Bande von Scheusalen mit übergroßen Mündern, die den Star verschlingen wollen? Wo man mit feiner Klinge das Vakuum wertlosen Ruhms wohl sezieren hätte können, wuchtet Blonde einen Sucker Punch nach dem anderen ins engelsgleiche Konterfei von de Armas, welches den ganzen Film dominiert. Gut, so fasziniert war Larraín ebenfalls von Natalie Portman als Jackie oder Kristen Stewart als Diana, aber er hätte ihnen nicht so wehgetan. 

Mit jedem Schlag ins Gesicht bröckelt der Film zu einer prätentiösen Galerie an recht oberflächlichen World Press Photos auseinander, die alle in die Times passen würden. Noch eins, sagt Dominik. Und dann bitte noch eins. Und noch eins von der Seite. Der Regisseur, so scheint es, kann seine Dämonisierung des Patriarchats gar nicht mal so ernst meinen, denn er tut damit ähnliches. Er nutzt eine Figur der Filmgeschichte, um sie so sehr niederzutreten, dass sie gar nicht anders kann als die Hoffnung zu verlieren. Dann aber wieder muss ich zugeben: Dominiks ambivalenter Film ist meisterhaft darin, in einigen wirklich überwältigenden Szenen eine Kunstfigur zu demontieren und den Grat zwischen Schein und Sein punktgenau zu treffen. Dazwischen finden sich in lockerer Chronologie akkurat nachgestellte Szenen aus Klassikern, die wir nie wieder so unbekümmert genießen werden können und Elemente, die an Roman Polanskis Psychothriller Ekel oder Last Night in Soho erinnern. Blond ist eine deftige Erfahrung, die man so eigentlich gar nicht machen wollte, die auch beschämt und bei welcher man sich selbst vielleicht als gaffenden Zaungast ertappt. 

Vielleicht hätte sich Norma Jeane Baker mit diesem Film verstanden gefühlt. Die Offenbarung ihres Innersten, einschließlich ihres Geburtskanals, hätte sie wohl aber wieder zum Weinen gebracht. Wie wäre es mit etwas Trost? Hinsichtlich dessen hätte ihr Elton Johns Lied wohl besser gefallen.

Blond