Blond

I DON’T WANNA BE LOVED BY YOU

7/10


blond© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANDREW DOMINIK

BUCH: ANDREW DOMINIK, BASIEREND AUF DEM ROMAN VON JOYCE CAROL OATES

CAST: ANA DE ARMAS, ADRIEN BRODY, BOBBY CANNAVALE, XAVIER SAMUEL, JULIANNE NICHOLSON, EVAN WILLIAMS, RYAN VINCENT, LILY FISHER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 46 MIN


Was haben Prinzessin Diana Spencer und Marilyn Monroe gemeinsam? Die berührende Farewell-Ballade A Candle in the Wind von Elton John. Zuerst hieß der Text: Goodbye Norma Jeane, dann hat sich der Künstler gedacht: Norma Jeane kann mittlerweile gut darauf verzichten, machen wir Goodbye Englands Rose daraus. Was haben Diana Spencer und Marilyn Monroe nicht gemeinsam? Den Regisseur, der sich bemüßigt und auch kompetent genug dazu gefühlt hat, zumindest Ausschnitte aus deren Leben zu verfilmen, um gleich noch dazu ein komplettes Psychogramm draufzupacken. Der eine: Pablo Larraín. Mit Spencer ist diesem ein brillantes Portrait gelungen, die impressionistische Skizze einer möglichen Befindlichkeit zu einem gewissen Zeitpunkt im Leben der Königin aller Herzen. Der andere: Andrew Dominik (u. a. Killing them Softly). Seine Schussfahrt in den Untergang einer wider ihres Willens gehypten Person frönt einem soziopathischen Destruktivismus, der eigentlich alles, mit Ausnahme vielleicht von Henry Miller, unter Aufbringung einer enormen Anziehungskraft in ein schwarzes Loch reißt, aus dem es keine Rückkehr gibt. Schon gar nicht für Norma Jeane Baker. Die landet mit den Füßen voran, als Steißgeburt einer verteufelten Männerwelt, im dunklen Nichts der Hoffnungslosigkeit. Obwohl – nicht ganz. Die Hoffnung war zwar immer ein bisschen da, starb aber zuletzt dann doch, in der gottgleichen Gestalt eines unbekannten, aber tränenreichen Vaters, der frappante Ähnlichkeiten mit Clark Gable hat und der blonden Schönheit immer mal wieder einen Brief hinterlässt, der ein baldiges persönliches Aufeinandertreffen verspricht. Eine Hoffnung, an die sich Norma Jeane Baker klammern kann. Das andere, woran sie sich klammert: Die Kunstfigur Marilyn, schmollmundig, Küsse verteilend, kokett performend als Sexsymbol, den Rock über dem Lüftungsschacht lüpfend, ganz so wie es Billy Wilder wollte. Laut Joyce Carol Oates, die mit ihrem Roman Blonde für den Pulitzer-Preis nominiert war, dürfte die Maske „Monroe“ nicht mehr als ein Strohhalm in einer Welt voller Treibsand gewesen sein, in welchem Frau sonst versinken müsste. Oder: Das Leben eines Filmstars als geringeres Übel. Denn sonst bleibt ja nichts. Gar nichts. Weder eine liebende Mutter noch ein Vater noch eigene Kinder. Und schon überhaupt gar niemanden sonst, der sich ernsthaft um diese psychisch äußerst labile Person, die bis dato als wohl einer der größten Stars der Filmgeschichte gilt, gesorgt hätte.

In diesem finsteren Pfuhl an sexuellem Missbrauch, Gewalt und geifernder Fleischeslust wird das Objekt der Begierde zum hin- und hergereichten Pinocchio. Ausgenutzt, getreten, begattet. Was hätte Pablo Larraín wohl aus diesen biographischen Ansätzen, die womöglich mit viel Dichtung klarkommen müssen, herausgeholt? Wie wäre sein Ansatz gewesen? Vielleicht empathischer, auf improvisierte Weise vertrauter. Er hätte sie wohl weniger als Punching Ball für ein reißerisches Trauerspiel verwendet als Andrew Dominik es getan hat. Für ihn (und vielleicht auch für Oates, denn ich kenne das Buch leider nicht) ist Marilyn Monroe das öffentliche Opfer purer #MeToo-Gräuel. Denn so, wie Ana de Armas auf der Höhe ihrer Imitationskunst weint und schreit und wimmert, sich am Boden krümmt und nach ihrem Vater fleht, muss es das größte Opfer sein, dass Hollywood je eingefordert hat. Ein weiblicher Hiob quält sich auf einem fast dreistündigen Kreuzweg die Via Dolorosa entlang, und niemand trägt das Kreuz auch nur lang genug, damit sich der zur Schau gestellte Star wieder hätte fangen können. Andrew Dominik kostet seinen Biopic-Horror so dermaßen aus, als hätte er einen Lustgewinn daran, Marilyn Monroe leiden zu lassen. Möchte man sowas denn sehen? Will man sich von Ana de Armas ankotzen lassen? Will man in Marilyns Alpträume eintauchen, die plötzlich an Paranormal Activity erinnern? Sind die amerikanischen Männer der Ära Kennedy wirklich so eine Bande von Scheusalen mit übergroßen Mündern, die den Star verschlingen wollen? Wo man mit feiner Klinge das Vakuum wertlosen Ruhms wohl sezieren hätte können, wuchtet Blonde einen Sucker Punch nach dem anderen ins engelsgleiche Konterfei von de Armas, welches den ganzen Film dominiert. Gut, so fasziniert war Larraín ebenfalls von Natalie Portman als Jackie oder Kristen Stewart als Diana, aber er hätte ihnen nicht so wehgetan. 

Mit jedem Schlag ins Gesicht bröckelt der Film zu einer prätentiösen Galerie an recht oberflächlichen World Press Photos auseinander, die alle in die Times passen würden. Noch eins, sagt Dominik. Und dann bitte noch eins. Und noch eins von der Seite. Der Regisseur, so scheint es, kann seine Dämonisierung des Patriarchats gar nicht mal so ernst meinen, denn er tut damit ähnliches. Er nutzt eine Figur der Filmgeschichte, um sie so sehr niederzutreten, dass sie gar nicht anders kann als die Hoffnung zu verlieren. Dann aber wieder muss ich zugeben: Dominiks ambivalenter Film ist meisterhaft darin, in einigen wirklich überwältigenden Szenen eine Kunstfigur zu demontieren und den Grat zwischen Schein und Sein punktgenau zu treffen. Dazwischen finden sich in lockerer Chronologie akkurat nachgestellte Szenen aus Klassikern, die wir nie wieder so unbekümmert genießen werden können und Elemente, die an Roman Polanskis Psychothriller Ekel oder Last Night in Soho erinnern. Blond ist eine deftige Erfahrung, die man so eigentlich gar nicht machen wollte, die auch beschämt und bei welcher man sich selbst vielleicht als gaffenden Zaungast ertappt. 

Vielleicht hätte sich Norma Jeane Baker mit diesem Film verstanden gefühlt. Die Offenbarung ihres Innersten, einschließlich ihres Geburtskanals, hätte sie wohl aber wieder zum Weinen gebracht. Wie wäre es mit etwas Trost? Hinsichtlich dessen hätte ihr Elton Johns Lied wohl besser gefallen.

Blond

Monos

CHILDREN FOR THE REVOLUTION

7,5/10 


monos© 2020 DCM


LAND / JAHR: KOLUMBIEN, ARGENTINIEN, NIEDERLANDE, DEUTSCHLAND, URUGUAY, SCHWEDEN 2019

REGIE: ALEXIS DOS SANTOS & ALEJANDRO LANDES

CAST: JULIANNE NICHOLSON, MOISES ARIAS, SOFIA BUENAVENTURA, JULIÁN GIRALDO, KAREN QUINTERO, DEIBY RUEDA, SNEIDER CASTRO, PAUL CUBIDES U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Wohl eines der erschütterndsten und spannendsten Bücher, die ich je gelesen habe, ist die Leidensgeschichte der Politikerin Ingrid Betancourt, die als Geisel der kolumbianischen FARC jahrelang als wertvollster Besitz galt. Mit Geiseln, so die Rebellen, lässt sich politisch am meisten bewegen. Was das für Leute sind, beschreibt Betancourt mit fast schon sachlicher Genauigkeit. Der Film Monos von Alexis Dos Santos und Alejandro Landes nimmt so einen wilden Haufen junger Hunde ebenfalls unter die Lupe. Dafür steigt er hoch auf die unwirtlichen Hochebenen des südamerikanischen Landes, dort, wo man bereits über den Wolken weilt und auf ein Panorama blickt, dass erstens den Atem raubt und zweitens das unbändige Gefühl von Freiheit vermittelt.

Von dieser Freiheit hat die aus den USA stammende Journalistin, die als Geisel genommen wurde, leider überhaupt nichts. Sie dämmert hier oben, zwischen Gebirgssteppe und verfallenem Bunker (eine fast surreale Kulisse) mehr oder weniger vor sich hin, ohne Aussicht darauf, ersonnene Fluchtpläne in die Tat umzusetzen. Doch diese Doctora, wie sie genannt wird, ist an sich nur die Protagonistin im Hintergrund. Ganz vorne mit dabei, kalaschnikowschwingend und ständig am Feiern: eine achtköpfige Gang, die sich Monos nennt und die einer nicht näher benannten Rebellengruppierung angehört. Anführer dieser Soldaten ist ein muskelbepackter Zwerg, der den Greenhorns immer wieder die Leviten liest – und dann wieder verschwindet. Die Burschen und Mädchen müssen sich also allein organisieren und überdies auf eine Milchkuh achten, die ihnen zum Geschenk gemacht wird. Dass das schiefgeht, ist nur eine Frage der Zeit. Und irgendwann muss die Gruppe weiterziehen, runter ins Tal – in den tropischen Dschungel.

Monos war für mich einer der Filme, die letztes Jahr coronabedingt keine Kinoauswertung hatten. Glücklicherweise gab es dafür das Sommerkino, doch selbst diesen einen Termin konnte ich nicht wahrnehmen. Dabei wäre die große Leinwand für ein Werk wie dieses hervorragend geeignet gewesen, vor allem, weil das Rebellendrama so sehr mit der Opulenz und der Üppigkeit seiner Umgebung spielt. Monos ist allerdings kein klassischer Thriller, und folgt auch keiner gewöhnlichen Erzählweise. Lange Zeit bleibt vieles im Dunkeln, die einzelnen, teils clownesk agierenden Gestalten werden nach und nach bekannt, auch ihre Beziehungen zueinander. Ob hoch oben oder tief unten im stickigen Blätterwald – der spannungsgeladene Mikrokosmos zwischen den acht jungen Menschen und ihrer Geisel gebärdet sich als Psychostudie zwischen Herr der Fliegen und Coppolas Apocalypse Now, wenn man vom Aspekt der Geiselnahme absieht. Jeder einzelne, kaum Herr seiner Lage, versucht sich an die Macht zu boxen oder versucht, eine Lücke für seine eigene Macht zu finden. Nur die Zähen überleben hier, in diesem gesetzlosen Vakuum, in dieser schwül-düsteren Anarchie aus Ehrenkodex, Anbiederung und langsam übergreifenden Wahnsinn. Mensch und die Natur verschmelzen. Archaische Tänze ums Feuer, Gesichter hinter Schlamm- und Erdmasken, sei es zur Tarnung, sei es, um den eigenen erdachten Kult von jeder sonstigen bestimmenden Institution loszulösen.

Monos ist ein rauer, wilder Film ohne Sanftmut und Bedächtigkeit. Mag sein, dass diese unorthodoxe kleine Geschichte über das Wesen des Menschseins für manche schwer zugänglich ist. Mir ging’s anfangs ähnlich, doch mit der Zeit, wenn die Rolle der Doctora sich aus dem sozialen Gefüge herauszuschälen versucht, wird aus dem Gruppenportrait ein spannender Survivalthriller, der die Wildheit Kolumbiens in satten, schweren Bildern anhimmelt und das Ganze noch mit einem hypnotischen, kunstvoll verzerrten Folklore-Score ergänzt. Dieser Trip ins Herz der Finsternis und wieder hinaus lohnt sich.

Monos

Togo

DOG TO GO

6,5/10

 

togo© 2019 Disney Enterprises Inc. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2019

REGIE UND KAMERA: ERICSON CORE

CAST: WILLEM DAFOE, JULIANNE NICHOLSON, MICHAEL GASTON, CHRISTOPH HEYERDAHL, MICHAEL GREYEYES U. A. 

 

Zeitgleich mit dem Disney+-Release hier in deutschsprachigen Landen muss natürlich auch gleich der erste Filme einer Qualitätskontrolle unterzogen werden. Vorgenommen habe ich mir den Outdoorstreifen rund um einen Haufen toller Hunde, nämlich Schlittenhunde, die von einem ganz außerordentlich begabten Leithund angeführt werden, der den Namen Togo trägt. Togo ist auch der Titel des Films, und als Stargast nebst all den beeindruckenden Hundeperformances darf Willem Dafoe wieder mal zeigen, dass er auch fern jeglichen Arthousekinos mit Ferrara und Dave Eggers auch ganz normal familientaugliches Kino anführen kann. Denn was Harrison Ford kann, kann Dafoe schon lange. Der Unterschied dieser beiden Filme? In Ruf der Wildnis durfte Ex-Han Solo gar nicht mal mit echten Tieren kommunizieren. Der Hund aus der Neuverfilmung von Jack Londons Klassiker besteht aus Pixels. Das allerdings fällt unangenehm auf. Weil es einfach nicht sein muss. Kein Tier lässt sich besser trainieren als ein Hund. War das reine Bequemlichkeit der Studios? Oder einfach wieder nur zeigen, was das digitale Kino alles kann? Allein vom Trailer her lässt sich vermuten, dass die Macher mit dem Ergebnis nicht gerade die Benchmark gekitzelt haben. So gut es also geht, ist Natürlichkeit immer der beste Effekt. Dessen besonnen hat sich Disney – und für viele Szenen auf ein ganzes Rudel echter Wuffomaten zurückgegriffen. Diese sibirischen Huskys, in welcher Entwicklungsstufe auch immer, vom Welpen bis zum Grauhaar, holen selbst Hundemuffel und solche, die mit Pudel, Dackel und Co überhaupt nicht viel anfangen können, hinter dem Ofen hervor. Diese Huskys, die sind einfach noch einen Tick anders. Sie sind wilder, ursprünglicher. und gehören genau dorthin, wo der Film spielt: Nämlich nach Alaska – und nicht in ein urbanes Appartement.

Dieses Alaska, das bekommt in Ericson Cores klassischem Abenteuerfilm der guten alten Schule einen Anstrich, das man es ewig schade finden könnte, Togo mitsamt den Kids nicht auf großer Leinwand gesehen zu haben. Zugegeben, die Panoramabilder sind vielleicht eine Spur zu pittoresk, aber Landschaften sehen zu bestimmten Tageszeiten nun mal so aus, das ist Wildniskitsch pur, der aber auch so sein darf. Die Dokureihe Universum lässt grüßen. Auch Filme wie Alpha, der ebenfalls die Mensch-Hund-Achse dreht, oder Wie Brüder im Wind über die Geschichte eines Jungen und seines Adlers. Togo ist ein großzügiger Naturfilm, der sich nicht einsperren lässt und die Weite genießt. Und den Hunden nicht oft genug in die eisblauen Augen schauen kann. Das erzeugt wiederum Nähe. Und ja, einem Hundemuffel wie mich hat das am Ende des Tages dann doch noch abgeholt. Noch dazu, weil Togo auf einer wahren Geschichte beruht, die in den 20er Jahren als Serumlauf von Nome bekannt wurde und statt Togo allerdings einen Hund namens Bolt berühmt gemacht hat.

Togo ist fast schon so was wie eine familientaugliche Mischung aus The Revenant und Lassie – oder wie hieß der Bernhardiner gegen Bergnot? Der Himmel ist stets voller bedrohlicher Wolken, der Wind tobt, das Schneegestöber nimmt die Sicht. Was müssen die vier Pfoten wohl frieren auf diesem kalten, eisigen Untergrund. Die Szene, in welcher der Schlitten, um Zeit zu sparen, einen vereisten Sund überquert, ist wirklich atemberaubend gefilmt. Der zwischenmenschliche Überbau eher solides Beiwerk ohne Besonderheiten, in ganz herkömmlichem Disney-Stil, wie wir es seit Jahrzehnten gewohnt sind. Braucht es da was anders als versöhnliches Pathos? Nein, weil Hunde, die stehen auf sowas. Nichts macht sie glücklicher.

Togo