It Comes at Night (2017)

NACHBARSCHAFTSHILFE ZU KRISENZEITEN

6,5/10


itcomesatnight© 2018 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2017

BUCH / REGIE: TREY EDWARD SHULTS

CAST: JOEL EDGERTON, RILEY KEOUGH, CHRISTOPHER ABBOTT, CARMEN EJOGO, KELVIN HARRISON JR. U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Schon wieder ist es passiert. Die Welt geht abermals vor die Hunde, und mittlerweile kann ich die Fülle an Postapokalypsen, Pandemien und Zivilisationsuntergänge gar nicht mehr alle zählen, so wütet das Subgenre des phantastischen Films durch die Unterhaltungskultur. Diesmal haben wir es aber mit einer astreinen Pandemie zu tun, die niemanden zu ominösen Kreaturen mutieren lässt, die das Blut der Gesunden wollen, sondern seine Opfer ähnlich der Pest und ohne viel Federlesens unter die Erde bringt. Natürlich nicht, ohne vorher einen Steckbrief mit allerhand Symptomen zu hinterlassen. Dafür sind Viren schließlich eitel genug.

It Comes at Night katapultiert den Zuseher mitten ins Geschehen, ohne wirklich viel zu erklären. Zugegeben, es ist herzlich wenig, aber viel mehr muss man auch nicht wissen, nur eben, dass die Krankheit dermaßen ansteckend ist, dass sich Gesunde den Kranken nur mit Atemmasken nähern können. Dazu Gummihandschuhe und auf keinen Fall berühren! So blickt die Familie rund um Joel Edgerton auf den dahinsiechenden Großvater, der kurz davor steht, dahingerafft zu werden. Er wird also halbtot vor die Tür gebracht, von dort mit der Schubkarre in den Wald, erschossen, angezündet und eingegraben. Contact Tracing hin, Quarantäne her – diese Prozedere wünscht man sich wirklich nicht durchzuziehen, wenn’s die eigenen Reihen trifft. Doch was bleibt Paul und seiner Familie, bestehend aus Frau und Teenager, auch anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen, um nicht selbst draufzugehen. Bislang scheint das Überleben durchgetaktet genug, um auch weiterhin durchzuatmen – dazu gehört: Kein Kontakt mit Fremden, des Nächtens Verdunklung und so wenig wie möglich aus dem Haus gehen. Doch trotz Apokalypse lebt man nicht allein auf der Welt, und wie der Titel schon sagt, passiert es vorzugsweise zu nachtschlafener Zeit, wenn sich Unbekannte Zugang in die verbunkerte Villa verschaffen, die verzweifelt auf der Suche nach Essbarem sind.

So fängt es also immer an. Das Nachbarschaftsgen wird aktiv, Solidarität für andere zeichnet den Menschen erst für seine Menschlichkeit aus. Und auch nachdem es zuerst den Anschein hat, besagter Eindringling führe Böses im Schilde: dieser ist noch ärmer dran als die Verbunkerten selbst, hat Familie und bittet um Zuflucht in einem Haus, das Platz genug gewährt für weitaus mehr Sippschaften als nur die eine. Die Sache mit der Nächstenliebe sollte man sich natürlich nicht zweimal überlegen, da sei ein Quantum an Selbstlosigkeit schon lobenswert. Bei Trey Edwards Shults (Waves) nihilistischem Kommunen-Horror zur Endzeit ist das oberste Gebot jedoch, sich selbst der Nächste zu sein, ein tunlichst nicht zu Brechendes.

Angereichert mit Albtraumszenarien im fahlen Licht von Taschenlampen, die Kelvin Harrison Jr. als Teenager Travis mit dem Publikum teilt, ist It Comes At Night ein zutiefst misstrauisches Werk, dass keine Kompromisse kennt und kennen will. Nur wer sich streng an die Regeln hält, kann überleben – der andere, der diese Regeln verbiegt, eher nicht. So unterzieht sich die Menschheit in dieser beklemmenden und zutiefst freudlosen Zukunft, die sogar jenen Funken der tröstenden Zweisamkeit vermissen lässt, den immerhin The Road noch aufweisen konnte, der Radikalkur einer gnadenlosen Evolutionsstrategie, die zu vernichten hat, was sich nicht anpassen kann. Doch es ist weniger das Subjekt einer wandelbaren Natur, sondern das strenge Gerüst eines teils fanatischen Dogmas, das alle in Gefahr bringt. Nach dem Herdentrieb des Menschen liegt die Zukunft nun in der Vereinzelung. Nächstenliebe und Altruismus sitzen da genauso am absterbenden Ast wie die Spezies selbst, die durch das Gemeinsame erst so viel errungen hat.

Lange vor Corona nahm dieses finstere Schreckgespenst einer Pandemie die Angst vor Ansteckung vorweg. Gut also, bei Betrachtung des Streifens bereits zu wissen, dass jener Virus, der uns nun schon drei Jahre lang quält, uns nicht zu solchen Maßnahmen hat greifen lassen wie Joel Edgerton es als seine Pflicht ansieht.

It Comes at Night (2017)

Blond

I DON’T WANNA BE LOVED BY YOU

7/10


blond© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANDREW DOMINIK

BUCH: ANDREW DOMINIK, BASIEREND AUF DEM ROMAN VON JOYCE CAROL OATES

CAST: ANA DE ARMAS, ADRIEN BRODY, BOBBY CANNAVALE, XAVIER SAMUEL, JULIANNE NICHOLSON, EVAN WILLIAMS, RYAN VINCENT, LILY FISHER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 46 MIN


Was haben Prinzessin Diana Spencer und Marilyn Monroe gemeinsam? Die berührende Farewell-Ballade A Candle in the Wind von Elton John. Zuerst hieß der Text: Goodbye Norma Jeane, dann hat sich der Künstler gedacht: Norma Jeane kann mittlerweile gut darauf verzichten, machen wir Goodbye Englands Rose daraus. Was haben Diana Spencer und Marilyn Monroe nicht gemeinsam? Den Regisseur, der sich bemüßigt und auch kompetent genug dazu gefühlt hat, zumindest Ausschnitte aus deren Leben zu verfilmen, um gleich noch dazu ein komplettes Psychogramm draufzupacken. Der eine: Pablo Larraín. Mit Spencer ist diesem ein brillantes Portrait gelungen, die impressionistische Skizze einer möglichen Befindlichkeit zu einem gewissen Zeitpunkt im Leben der Königin aller Herzen. Der andere: Andrew Dominik (u. a. Killing them Softly). Seine Schussfahrt in den Untergang einer wider ihres Willens gehypten Person frönt einem soziopathischen Destruktivismus, der eigentlich alles, mit Ausnahme vielleicht von Henry Miller, unter Aufbringung einer enormen Anziehungskraft in ein schwarzes Loch reißt, aus dem es keine Rückkehr gibt. Schon gar nicht für Norma Jeane Baker. Die landet mit den Füßen voran, als Steißgeburt einer verteufelten Männerwelt, im dunklen Nichts der Hoffnungslosigkeit. Obwohl – nicht ganz. Die Hoffnung war zwar immer ein bisschen da, starb aber zuletzt dann doch, in der gottgleichen Gestalt eines unbekannten, aber tränenreichen Vaters, der frappante Ähnlichkeiten mit Clark Gable hat und der blonden Schönheit immer mal wieder einen Brief hinterlässt, der ein baldiges persönliches Aufeinandertreffen verspricht. Eine Hoffnung, an die sich Norma Jeane Baker klammern kann. Das andere, woran sie sich klammert: Die Kunstfigur Marilyn, schmollmundig, Küsse verteilend, kokett performend als Sexsymbol, den Rock über dem Lüftungsschacht lüpfend, ganz so wie es Billy Wilder wollte. Laut Joyce Carol Oates, die mit ihrem Roman Blonde für den Pulitzer-Preis nominiert war, dürfte die Maske „Monroe“ nicht mehr als ein Strohhalm in einer Welt voller Treibsand gewesen sein, in welchem Frau sonst versinken müsste. Oder: Das Leben eines Filmstars als geringeres Übel. Denn sonst bleibt ja nichts. Gar nichts. Weder eine liebende Mutter noch ein Vater noch eigene Kinder. Und schon überhaupt gar niemanden sonst, der sich ernsthaft um diese psychisch äußerst labile Person, die bis dato als wohl einer der größten Stars der Filmgeschichte gilt, gesorgt hätte.

In diesem finsteren Pfuhl an sexuellem Missbrauch, Gewalt und geifernder Fleischeslust wird das Objekt der Begierde zum hin- und hergereichten Pinocchio. Ausgenutzt, getreten, begattet. Was hätte Pablo Larraín wohl aus diesen biographischen Ansätzen, die womöglich mit viel Dichtung klarkommen müssen, herausgeholt? Wie wäre sein Ansatz gewesen? Vielleicht empathischer, auf improvisierte Weise vertrauter. Er hätte sie wohl weniger als Punching Ball für ein reißerisches Trauerspiel verwendet als Andrew Dominik es getan hat. Für ihn (und vielleicht auch für Oates, denn ich kenne das Buch leider nicht) ist Marilyn Monroe das öffentliche Opfer purer #MeToo-Gräuel. Denn so, wie Ana de Armas auf der Höhe ihrer Imitationskunst weint und schreit und wimmert, sich am Boden krümmt und nach ihrem Vater fleht, muss es das größte Opfer sein, dass Hollywood je eingefordert hat. Ein weiblicher Hiob quält sich auf einem fast dreistündigen Kreuzweg die Via Dolorosa entlang, und niemand trägt das Kreuz auch nur lang genug, damit sich der zur Schau gestellte Star wieder hätte fangen können. Andrew Dominik kostet seinen Biopic-Horror so dermaßen aus, als hätte er einen Lustgewinn daran, Marilyn Monroe leiden zu lassen. Möchte man sowas denn sehen? Will man sich von Ana de Armas ankotzen lassen? Will man in Marilyns Alpträume eintauchen, die plötzlich an Paranormal Activity erinnern? Sind die amerikanischen Männer der Ära Kennedy wirklich so eine Bande von Scheusalen mit übergroßen Mündern, die den Star verschlingen wollen? Wo man mit feiner Klinge das Vakuum wertlosen Ruhms wohl sezieren hätte können, wuchtet Blonde einen Sucker Punch nach dem anderen ins engelsgleiche Konterfei von de Armas, welches den ganzen Film dominiert. Gut, so fasziniert war Larraín ebenfalls von Natalie Portman als Jackie oder Kristen Stewart als Diana, aber er hätte ihnen nicht so wehgetan. 

Mit jedem Schlag ins Gesicht bröckelt der Film zu einer prätentiösen Galerie an recht oberflächlichen World Press Photos auseinander, die alle in die Times passen würden. Noch eins, sagt Dominik. Und dann bitte noch eins. Und noch eins von der Seite. Der Regisseur, so scheint es, kann seine Dämonisierung des Patriarchats gar nicht mal so ernst meinen, denn er tut damit ähnliches. Er nutzt eine Figur der Filmgeschichte, um sie so sehr niederzutreten, dass sie gar nicht anders kann als die Hoffnung zu verlieren. Dann aber wieder muss ich zugeben: Dominiks ambivalenter Film ist meisterhaft darin, in einigen wirklich überwältigenden Szenen eine Kunstfigur zu demontieren und den Grat zwischen Schein und Sein punktgenau zu treffen. Dazwischen finden sich in lockerer Chronologie akkurat nachgestellte Szenen aus Klassikern, die wir nie wieder so unbekümmert genießen werden können und Elemente, die an Roman Polanskis Psychothriller Ekel oder Last Night in Soho erinnern. Blond ist eine deftige Erfahrung, die man so eigentlich gar nicht machen wollte, die auch beschämt und bei welcher man sich selbst vielleicht als gaffenden Zaungast ertappt. 

Vielleicht hätte sich Norma Jeane Baker mit diesem Film verstanden gefühlt. Die Offenbarung ihres Innersten, einschließlich ihres Geburtskanals, hätte sie wohl aber wieder zum Weinen gebracht. Wie wäre es mit etwas Trost? Hinsichtlich dessen hätte ihr Elton Johns Lied wohl besser gefallen.

Blond

The Rental – Tod im Strandhaus

WOCHENEND‘ UND TOTENSCHEIN

6/10


TheRental© 2021 Pandavision


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: DAVE FRANCO

CAST: DAN STEVENS, ALISON BRIE, SHEILA VAND, JEREMY ALLEN WHITE, TOBY HUSS, ANTHONY MOLINARI

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Das sind Zeiten – so gut waren sie schon lange nicht. Die Arbeitswoche neigt sich dem Ende zu, genussvolle zwei Tage stehen vor der Tür. Man kann auch jetzt wieder problemlos zwei Haushalte unter einem Dach halten – überhaupt kein Problem mehr. In den eigenen vier Wänden muss man auch nicht abhängen, da bieten sich natürlich vermietfreudige Immobilien an, vorzugsweise am Meer. Strandhäuser, die alle Stückchen spielen, und dessen Potenzial man ja für zwei Tage sowieso nie ausschöpfen kann. Aber Luxus ist genau das, und warum sich diesen nicht mal gönnen. Das findet Charlie (Dan Stevens, großartig in Maria Schraders Ich bin dein Mensch), der CEO seiner eigenen, mühsam auf die Beine gestellten Firma, ebenfalls. Und mietet für sich, seine Frau und seinem Bruder samt Anhang eine schmucke Örtlichkeit an der amerikanischen Ostküste, fernab jeglichen Trubels. Das kostet natürlich – aber hey: geschäftlich läuft’s ja prima. Also warum nicht feiern. Diese Einstellung wird durch den Hausvermieter etwas getrübt – der lässt nämlich seltsame rassistische Bemerkungen vom Stapel, worauf ihm die, die es betrifft, ebenfalls blöd kommt. Aber gut – mal davon abgesehen kann das Wochenende mit Alkohol, einer Prise Ecstasy und einem Whirlpool beginnen, indem allerdings zu nachtschlafener Zeit Dinge passieren, für die es eigentlich keine Entschuldigung gibt. Dann ist auch noch der Hund weg und irgendwie beschleicht so manchen das Gefühl, als ob alle beobachtet werden.

In The Rental – Tod im Strandhaus braut sich was zusammen. Und das ist nicht das Wetter, denn das hält. Dave Franco entwirft in seinem Regiedebüt ein Beziehungsdrama mit sehr vielen scheelen Zwischentönen. Ein Konzept, welchem sich zum Beispiel Claude Chabrol immer wieder gern bedient hat. Dessen Filme schleichen förmlich um den als Prophezeiung im Raum stehenden, unheilvollen Höhepunkt herum, doch so richtig fassen lässt sich diese Tendenz trotzdem nicht. Dieses in der Luft hängende, vage Dilemma lässt auch Franco mit sehr viel Laune herumwabern, setzt mitunter falsche Fährten und geizt auch nicht mit dem Verdacht über ein vom Bösen beseeltes Gemäuer, das in maroden Details in eine recht düstere nahe Zukunft blicken lässt. Doch die vier sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt – oder mit den Dingen, die sie aus einer gewissen Kränkung oder Impulsivität heraus anstellen.

Allerdings verlässt sich Franco leider nicht auf sein Gespür für die Eigendynamik menschlichen Fehlverhaltens. Gegen Ende gibt’s die mit dem Vorschlaghammer präsentierte, drastische Wendung – die wenig zimperliche Interaktion von außerhalb, die wohl besser nur als Anstupser für einen Dominoeffekt des Grauens genügt hätte. Doch nein – Franco dürfte von einem Horrorexperten wie John Carpenter Zeit seines Lebens recht beeindruckt gewesen sein, um zumindest als Hommage an das Genrekino den alles erweckenden Paukenschlag für sein sorgfältig eingestimmtes Ensemble zu proben. Ich gebe zu: selbst diese Methode hat was, und beharrlich bleibt sie ja, in ihrer tiefschwarzen, (im wahrsten Sinn des Wortes) hundsgemeinen Konsequenz. Wenn auch nicht so scharfsinnig und lustvoll sezierend wie bis zuletzt noch gedacht.

The Rental – Tod im Strandhaus