Meine Stunden mit Leo (2022)

SEX IST, WORÜBER MAN SPRICHT

7/10


meinestundenmitleo© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2022

REGIE: SOPHIE HYDE

BUCH: KATY BRAND

CAST: EMMA THOMPSON, DARYL MCCORMACK, ISABELLA LAUGHLAND

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Emma Thompson war schon immer zum Hinknien. In diesem so klugen wie temperamentvollen Kammerspiel tut sie das sogar selbst. Wie sonst soll Fellatio auch anders gehen? Meine Stunden mit Leo ist nichts, was ein prüdes Publikum gerne hören oder sehen will. Oder vielleicht doch? Vielleicht gibt ein Film wie dieser Anlass genug, um endlich mal ganz ehrlich zum jeweils eigenen Status Quo sexueller Erfüllung zu stehen. Im Hinblick auf die natürlichste Sache der Welt hat dieses Bedürfnis dank eines biochemischen Belohnungseffekts eine jede und ein jeder. Und das Beste: egal in welchem Alter. Somit sondiert hier, in diesem generischen, aber noblen Hotelzimmer, unser längst aus vielen Filmen lieb gewonnener Star anfangs noch recht zögerlich die neue Umgebung. Ähnlich skeptisch, kam ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, was ein Zwei-Personen-Film wie dieser denn wirklich Bereicherndes verspräche, außer eben Emma Thompson, die laut Trailer mit ein bisschen Alkohol und simplen Tanzschritten aus sich herauszugehen vermag. Im Nachhinein muss ich feststellen: Ich hätte den Film falsch eingeschätzt. Und ich hätte mir Meine Stunden mit Leo womöglich auch nicht auf meine Watchlist gesetzt, wäre mir dieser nicht von mehreren Seiten empfohlen worden. Da ich den Empfehlungen meiner Leser und natürlich auch die meiner Freunde gerne nachgehe, konnte diese kleine filmische Begegnung aus Geben und Nehmen dann doch nicht an mir vorbei. Und gut war’s.

Denn es ist nicht so, als wären diese Stunden, die Emma Thompson alias Nancy Stokes mit dem attraktiven Callboy Leo Grande verbringt, nur gefüllt mit Small Talk und hemdsärmeligen, erotischen Stellungsversuchen, bis beide endlich ihre Hüllen fallen lassen. In Wahrheit ist es so, dass Nancy Stokes sich nicht nur der Textilien entledigen will, sondern auch einer lange herumgetragenen Wahrnehmung von sich selbst und der Welt, deren Entwicklung scheinbar spurlos an ihr vorübergegangen sein muss. Um den Blickwinkel mal zu wechseln, muss Frau neues ausprobieren. Also bucht sie Leo (charmant und attraktiv: Daryl McCormack, u. a. aus Pixie bekannt), einen Mann für gewisse Stunden, der aber nicht nur zwingend für Sex zu haben sein muss, sondern auch für bereichernde Partnerschaften auf Zeit. Ganz billig dürfte dessen Service nicht sein, doch immerhin scheint Nancy zu bekommen, was sie erwartet hat. Nur weiß sie anfangs selbst nicht, was das ist. Ob es die Erwartungen anderer sind, Leos Erwartungen oder die ihrer Freunde und Familie – jedenfalls nicht die ihren. Und so wird aus anfänglichem Zögern und dem üblichen Kennenlernen in solchen Situationen ein auf beiden Seiten ausgetragener, niemals peinlich für den oder die andere werdender Seelenstriptease, der zutage fördert, was beide in ihren Bedürfnissen hemmt. Geben und Nehmen drehen sich um, und die Frage nach dem Sex löst sich dadurch ganz von allein.

Ja, Emma Thompson ist auch hier zum Hinknien. Uneitel, natürlich und ganz und gar selbstbewusst steht sie irgendwann vor dem Spiegel, nackt wie Gott sie schuf. Um dieses „Ja, so bin ich – und das ist gut so“ überhaupt zu erreichen, dafür bedarf es das Hinterfragen umständlicher Tabus und gesellschaftlicher Enge, aus der man sich befreien sollte, will man sich im Alter nicht mehr über alles den Kopf zerbrechen müssen. Der Weg in die Natürlichkeit ist gepflastert mit knackigen Dialogen und einer zielsicheren Dramaturgie, die sich nicht zu lange mit Monologen aus den Erinnerungen der beiden Schauspieler aufhält. Viel wichtiger ist das Aufbrechen alter Strukturen gerade beim Thema Sexualität. Regisseurin Sophie Hyde und die englische Comedian Katy Brand, die das griffige, gerne auch mal erotische Drehbuch verfasst hat, fallen zum Glück nicht mit der Tür ins Haus. Sie wissen beide sehr wohl, dass das Thema eines von jener Sorte bleiben darf, die man nicht in alle Welt hinausposaunt, sondern dass einer eigenen, lockeren Handhabung bedarf. Nämlich einer aus Respekt und gesunder Selbstliebe.

Meine Stunden mit Leo (2022)

Max und die Wilde 7

GENERATION CROSSOVER

6/10

 

MaxUndDieWilde7© 2020 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: WINFRIED OELSNER

CAST: JONA EISENBLÄTTER, USCHI GLAS, THOMAS THIEME, GÜNTHER MARIA HALMER, NINA PETRI, LEO KNIZKA U. A. 

 

Jeden Sommer das leidige Thema: Wohin mit den Kindern zur Ferienzeit, während man selbst als Elternteil keine solchen hat? Da gehen sich zwei, maximal drei Wochen gemeinsamer Urlaub aus, wenn überhaupt leistbar. Und sonst muss der Nachwuchs sich eben selbst beschäftigen, wird beschäftigt oder lernt, was es bedeutet, dem Müßiggang zu frönen. Langeweile bringt allerdings auch die eine oder andere Idee mit sich. Vielleicht gar Ideen, die so absurd sind, dass sie danach schreien, unbedingt ausprobiert zu werden. Eine davon ist, sich mit Leuten weitaus älteren Semesters als man selbst auf gut wienerisch „auf ein Packerl zu hauen“, um einen Kriminalfall zu lösen, der gerade eben ein Pensionistenheim für betreutes Wohnen in Atem hält. Aber was hat der junge Max dort zu suchen, gerade mal 9 Jahre alt? Ganz einfach: Max´ Mutter ist Pflegerin in eben jener Einrichtung, die sich in einer stattlichen deutschen Burg befindet. In Ermangelung anderweitiger Betreuung treibt sich Max eben in diesen für Jungs durchaus interessanten Gemäuern herum und wird, ehe er sich versieht, in die Ermittlungen der Wilden 7 einbezogen, die eine Diebstahlserie auf den Grund gehen will. Die Wilde 7 – das sind drei schräge Typen: eine Schauspielerin, ein Fußballer und ein Professor in Entomologie. Aus anfänglichem Vorbehalt des einen oder anderen Pensionisten wird mal ein Trend, der ansteckend sein könnte: die Generation Crossover. Wenn Alt und Jung also zusammentreffen, kann jeder vom anderen etwas lernen. Zum ersten Mal, oder einfach wieder erneut, weil man´s bereits vergessen hat.

Volksschulkinder sind womöglich bereits im Bilde: Max und die Wilde 7 ist eine äußerst beliebte Kinderkrimi-Buchreihe, die es bereits nach drei Episoden geschafft hat, verfilmt zu werden. Für diesen vergnüglichen Familienfilm hat einer der Autoren himself am Regiestuhl Platz genommen: Wilfried Oelsner. Was kann da noch schiefgehen? Eigentlich überhaupt nichts, vorausgesetzt, die Besetzung entspricht den Charakteren de Vorlage. Und ich denke, das tun sie. TV-Liebling und Ex-Apanatschi Uschi Glas ist nach ihren Eskapaden in der Fack Ju Göthe-Trilogie abermals im Kino zu sehen. Für Kinder der 80er Jahre entbehrt das nicht einer gewissen Guilty-Pleasure-Wiedersehensfreude, wenn die Schauspielerin sich selbst zwar recht holprig, dafür aber genüsslich aufs Korn nimmt und ihre eigenen frühen Filme präsentiert. Und ja: sie sieht immer noch gut aus, vor allem die Farbe Rot steht ihr. Die Kniestrümpfe sowieso. An ihrer Seite: stolzer Jogginganzugträger Thomas Thieme und Günther Maria Halmer als kauzige Parodie auf Museumskuratoren a. D., die trotz überheblichem Spleen für ihr Thema für juvenile Sidekicks relativ schnell empfänglich sind. Mit diesem launig aufspielenden Trio hat es Jungstar Jona Eisenblätter relativ leicht, auf aufgelegte Bonmots der Altstars richtig zu reagieren. Max und die Wilde 7 ist interessanterweise ein Jugendfilm, der Großeltern-Charaktere zu Idolen erhebt, und weniger andere Kids, die mit dem Idealbild von Altersgenossen junge Kinogeher faszinieren. Oma und Opa, auch wenn’s nicht die eigenen sind, laden ein zur sympathischen Alltags-Symbiose, die das Alter außen vorlässt.

Und sonst? Max und die Wilde 7 bietet kindgerechte Spannung mit lockerem Witz und ein bisschen Drama. Schon klar, dass Stereotype wie fiese Klassenkameraden wiedermal die Harmonie stören. Und klar, dass Wilfried Oelsner bei der Tätersuche allzu offensichtlich falsche Fährten setzt, die selbst den Kids als zu konstruiert erscheinen, um Verwirrung zu stiften. Aber was soll´s: als pädagogisch durchaus verwendbares Abenteuer, das ein bisschen die betulichen Enid Blyton-Achtziger atmet und sich schrillem Overkill völlig entzieht, wird der Sommer-Chill im (fast) leeren Kino zur angenehm menschelnden Auszeit.

Max und die Wilde 7

Frühstück bei Monsieur Henri

GRUMPY OLD MONSIEUR

* * * * * * * * * *

henri

Walter Matthau und Jack Lemmon waren es. Clint Eastwood war es. Auch Bill Murray und Ein Mann namens Ove waren es. Grantige, alte Männer. Mitunter aggressiv, sekkant, eigensüchtig und genauso brötlerisch. Seltsam verschroben und unnahbar. Aber tief drin im Herzen, jenseits der harten Schale, fast schon Mutter Teresa. Genauso ein Grumpy old Man ist der französische Witwer Monsieur Henri, der eine junge, erfolglose Studentin zuerst widerwillig, dann mit unlauterem Hintergedanken, bei sich als Untermieterin einquartiert.

Warum aber werden alte Menschen so unleidlich, dass man es in ihrer Nähe einfach nicht mehr aushalten kann? Oft sind es Vorboten beginnender Demenz, doch meistens ist es Frust und Trauer, die nicht mehr oder nur schlecht abgebaut werden kann. Verzweiflung, dass nichts mehr so geschmeidig geht wie früher. Selbsthass und Minderwertigkeitskomplexe. Dann schützt man sich mit Zorn. Und Feindseligkeit seiner Umwelt gegenüber. Und da durchzudringen, ohne vorher selbst die Nerven zu verlieren, ist meist ein Ding der Unmöglichkeit.

Die junge Constance, mit aufreizender Koketterie dargeboten von der jungen Schauspielerin Noémie Schmidt, bietet dem alten, knurrigen Grantler, verkörpert von Altstar Claude Brasseur, so gut es geht die Stirn. Der Film von Ivan Calberac ist aber weniger eine Screwballkomödie oder ein ähnlicher verbaler Schlagabtausch, wie man es vielleicht gerne gewollt hätte, sondern eine leise, boulevardeske Tragikomödie rund um Lebensfrust, Überdruss und Neubeginn. Brasseur schafft es, sich schleichend und fast unmerklich zu verändern, und verleiht dadurch seiner Figur Glaubwürdigkeit. Auch dessen Sohn und Schwiegertochter komplettieren das Ensemble des kammerspielartigen Filmes auf stimmige Weise. Überrascht wird man in Frühstück bei Monsieur Henri allerdings nicht. Die Geschichten um die Läuterung eines lebensüberdrüssigen alten Menschen gibt es schon zu oft, um über die Tatsache wirklich erstaunt zu sein. Auch die Reibungsfläche zwischen junger und alter Generation ist zumindest in dieser Komödie zu glattpoliert, um der Thematik neue Facetten abzuringen.

Was bleibt, ist eine leichte, mitunter nachdenklich stimmende Familienunterhaltung im typisch französischen, charmanten Komödienstil, die zum Teil an die Coming of Age-Dramödie Verstehen Sie die Béliers? erinnert. Auch in diesem Film geht es um eine junge Frau, die beginnt, Verantwortung für sich selbst und ihr Leben zu übernehmen und ihre Zukunft mit Musik definiert. Allerdings sind die Béliers weitaus besser geglückt. Das mag vielleicht an der Figurenkonstellation und an der skurril anmutenden Geschichte liegen. Beides ist bei Monsieur Henri vorhersehbar und nicht neu. Trotzdem – sehenswert ist die Läuterung eines Griesgrams aber dennoch, vor allem dank der Darsteller und dem Wohlfühlfaktor, der zur Grundausstattung französischer Alltagskomödien gehört. Und wer die Atmosphäre von Pariser Altbauwohnungen liebt, kann sich hier zumindest für knappe zwei Stunden kostenlos einquartieren, ohne delogiert zu werden.

 

Frühstück bei Monsieur Henri