The Burnt Orange Heresy

DIE KUNST DES KRITIKERS

8/10


the-burnt-orange-heresy© 2019 Sony Pictures Classics


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: GIUSEPPE CAPOTONDI

CAST: CLAES BANG, ELIZABETH DEBICKI, MICK JAGGER, DONALD SUTHERLAND U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Alles ist Kunst. Kommt nur darauf an, ob und – wenn ja – wer es dazu erklärt. Da reicht ein Blick in die Kunstgeschichte, um Marcel Duchamps Pissoir hier als Querverweis zu vermerken. Ein Baum, der inmitten eines Waldes einfach umfällt und keiner war dabei, um es zu sehen – fällt nicht um. Erst durch die Beobachtung bekommt etwas seine Tatsächlichkeit. Durch die Beobachtung alleine aber wird etwas vom Menschen Erschaffenes noch nicht zur Kunst. Erst durch das Echo von außen bekommt Kunst überhaupt erst sein Bewusstsein. Durch den kritischen Beobachter wird diese als wertvoll – oder wertlos getauft. Eine Hymne auf den Kritiker? Wohl nicht zwingend eine Hymne – vielmehr die Klärung einer gerne verdrängten Tatsache, dass der akkreditierte Kritiker viel mehr Macht über Kunst hat, als ihm selber womöglich lieb ist. Wird die Kunst nicht offenbart, hat der Kritiker auch keine Macht.

Was Yasmina Reza bereits mit ihrem Theaterstück KUNST so sehr auf den Punkt gebracht hat, wird in dieser für mich völlig überraschenden Filmentdeckung noch um die Komponente eines leisen Thrillers ergänzt, der den Suspense einer Patricia Highsmith in sich trägt und eine egozentrisch-versponnene Gesellschaft an die Ufer des Comer Sees chauffiert. Es trifft sich dort der zynische Kunstkritiker James in Begleitung der amourösen Zufallsbekanntschaft Berenice in der stattlichen Villa von Kunstsammler John Cassidy. Dieser bietet schon seit längerem einem ganz besonderen Maler Zuflucht auf seinem Anwesen, der Zeit seines Lebens vom Pech verfolgt gewesen war, da seine Ateliers immer wieder mal in Flammen aufgingen. Kunstwerke von Jerome Debney gibt es also so gut wie keine. Zumindest keine für die Öffentlichkeit. Cassidy stellt James ein Interview mit dem exzentrischen Künstler in Aussicht – unter der Voraussetzung, er würde ihm eines der seltenen Gemälde des Mannes beschaffen, die dieser aber niemals herausgeben oder gar herzeigen würde. Kunstkritiker James, vom Eifer und der Gier nach Ruhm und Erfolg getrieben, versucht alles, um in das Atelier des eleganten Eigenbrötlers zu gelangen.

Filme wie diese sind selten. Sehr selten sogar. Dabei ist das Hinterfragen von Kunst ein hochgradig sozialphilosophisches Thema, das gleichzeitig auch viel über menschliches Verhalten und die Manipulation der Masse aussagt. Guiseppe Capotondi findet für diesen wunderbar scharfsinnigen und zur rechten Zeit hitzig formulierten Film genau die richtigen Darsteller. Claes Beng (als Dracula auf Augenhöhe mit Christopher Lee) ist wie geschaffen für diese eitle Figur des intellektuellen Machos, der weiß, was für eine Bedeutung seine Worte haben können. Elisabeth Debicki (Tenet, The Night Manager) ist als nicht weniger intellektuelle Schönheit sozusagen das Bindeglied zwischen dem Kritiker und dem Künstler – für diesen wiederum darf Donald Sutherland nochmal ordentlich den kecken Provokateur und Andersdenker mimen, während – wer hätte das gedacht – Mick Jagger nach langer Zeit wieder mal einen Ausflug vor die Kamera wagt. Exzentrik trifft also auf noch mehr Exzentrik – sein geckenhaftes Gehabe lässt ihn wie einen Gamemaster erscheinen, der das Perpetuum Mobile nur anzutauchen braucht, schon treten Naturgesetze in Kraft, die bald niemand mehr wird steuern können.

The Burnt Orange Heresy – benannt nach dem Titel eines Bildes besagten Malers – ist süffisantes und zugleich perfides Denkerkino, elegant erzählt, voll schwarzem Humor und entlarvender Analysen, die letztendlich eine Warnung davor sind, den Wert einer Sache nicht allzu sehr von privilegierten Obrigkeiten diktieren zu lassen.

The Burnt Orange Heresy

Der geheime Roman des Monsieur Pick

ZU GUT VERFASST, UM WAHR ZU SEIN

7/10

 

dergeheimeromanpick© 2019 Neue Visionen

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: RÉMI BEZANÇON

CAST: FABRICE LUCHINI, CAMILLE COTTIN, ALICE ISAAZ, BASTIEN BOUILLON, JOSIANE STOLÉRU, HANNA SCHYGULLA U. A.

 

Abgelehnt! Und wieder: Abgelehnt! Kein Schreiberling, der so eine Abfuhr zum eigenen Werk nicht irgendwann mal ertragen hat müssen, da nehme ich mich gar nicht aus. Die meisten der Verlage antworten gar nicht, da landet das Script in der Rundablage, aus der es nicht mehr herauskommen will. Wenige antworten dann doch, mit einem Standardsatz auf dem firmeneigenen Briefpapier, mit Floskeln wie: und viel Erfolg weiterhin! Ganz wenige schreiben, dass das Werk durchaus gewinnende Ansätze haben könnte, allein das Genre ist keines, womit sich das Haus identifizieren kann. Also bitte, dann doch lieber on Demand. Aber wer macht dann die Werbung?

Über diese postalischen oder telefonischen Körbe, die künstlerische Karrieren im Keim ersticken, hat sich der französische Filmemacher Rémi Bezançon (u. a. Cest la vie – So sind wir, so ist das Leben) so seine Gedanken gemacht. Was, wenn all diese Verlage in ihrer Beurteilung literarischer Qualitäten doch nicht so unfehlbar sind? Wie lässt sich das am Klügsten entlarven? Mit einer ganz eigenen Bibliothek, nämlich jener der abgelehnten Werke. Die gibt es, irgendwo in der Bretagne, im Hinterzimmer einer Provinzbücherei, also zumindest gibt es die in der investigativen Literaturkomödie Der geheime Roman des Monsieur Pick. Da kann man als Normalsterblicher oder auch als Verlagsagent einfach hingehen und sich durch obskure Titel ackern – um vielleicht doch auf ein unerkanntes Juwel zu stoßen. Genau das ist der ehrgeizigen Verlegerin Daphné passiert, die anscheinend den Roman des Jahrzehnts entdeckt, verfasst von einem gewissen Monsieur Henri Pick, der allerdings nicht mehr unter den Lebenden weilt und von dem selbst die eigenen Hinterbliebenen verblüffte Gesichter machen ob der Erkenntnis, dass der Hingeschiedene schriftstellerische Ambitionen gehabt hätte. Der war doch Pizzabäcker, wann hätte der denn schreiben sollen? Doch anscheinend ist das passiert, und der veröffentlichte Roman macht Henri Pick posthum zum großen Faktor X der Literaturszene. Nur einer kann das nicht ganz glauben – Literatur- und Fernsehkritiker Rouche, welcher dem Bestseller-Phänomen auf eigen Faust auf den Grund gehen will.

Marcel Reich-Ranicki hätte womöglich seine Freude an diesem Film gehabt, der auch so etwas Ähnliches wie das literarische Quartett als Startschuss für die folgenden Nachforschungen hernimmt. Fabrice Luchini ist zwar längst nicht so verschroben wie Reich-Ranicki es war, dafür aber ist sein Literatur-Ermittler zwischen Anchorman der Kultur und skeptischem Intellektuellen mit ausreichend Sinn für Polemik eine liebevoll distinguierte Erscheinung. Höflichkeit kommt vor dem Rauswurf, Beharrlichkeit vor dem Erkennen plausibler Ungereimtheiten. Das geheime Buch des Monsieur Pick ist ein pointierter Bücherkrimi gar nicht mal ohne Todesfall, ein triezender, durchaus subversiver Angriff auf Medien und inszenierte Hypes, jedoch immer vorwiegend zuvorkommend, wie ein taktischer Journalist, der sein Gegenüber diskret zu manipulieren weiß.

Leider nur gelingt Regisseur Bezançon nicht der eleganteste Absprung vom Elfenbeinturm moderner Mythenbildung, das Ende wirkt übers Knie gebrochen, als hätte man die vorletzten, nicht die letzten Seiten eines guten Buches aus einer Gier nach einem guten Ende heraus übersprungen. Dennoch – das französische Kino hat mit diesem Werk wiedermal was feingeistig Komödiantisches auf Lager, dass seinen Witz aus den Worten zieht und dem Beachtung schenkt, was zwischen den Zeilen verweilt.

Der geheime Roman des Monsieur Pick