City of Lies

RAP AND REVENGE

4,5/10


cityoflies© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: BRAD FURMAN

CAST: JOHNNY DEPP, FOREST WHITAKER, TOBY HUSS, DAYTON CALLIE, SHEA WIGHAM, LOUIS HERTHUM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Dass man Schauspieler tatsächlich aufgrund ihrer relativ privaten Beziehungsquerelen so dermaßen fallen lässt – ich dachte, über diese Methoden ist das Showbiz längst hinweg. Welch ein Irrtum: Nach dem Schmutzkübel- und Rosenkrieg mit Amber Heard ist einer wie Johnny Depp nicht mehr derselbe. Von der Planke seiner Black Pearl stößt man ihn ebenfalls – der nächste Blockbuster wird wohl noch etwas dauern. Leute wie Bruce Willis und Nicholas Cage haben damit keine Probleme, die beiden genießen ihren Wanderpfad durchs Low Budget-Dickicht. Depp hingegen bemüht sich redlich, seinem Plan B zu entgehen und wird zumindest noch für Filme engagiert, die gewisse inhaltliche Qualitäten aufweisen. The Professor zum Beispiel, oder Warten auf die Barbaren – ein Historienfilm, in welchem der Star so richtig fies sein darf. In City of Lies ist er an der Seite eines auffallend erschlankten Forest Whitaker zu sehen und gibt einen Detektive, der mit den Morden an den Rappern Notorious B.I.G. und Tupac Shakur zu tun hat.

Man muss kein Afficionado in Sachen Rapmusik sein – da reicht das musikalische Allgemeinwissen. Denn Notorious B.I.G. und Tupac Shakur, die waren zwar in ihrem Genre halbgottgleiche Kapazunder, traurigen Weltruhm erlangten sie allerdings erst durch ihren gewaltsamen Tod. Beide starben im selben Jahr fast zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten durch mehrere Schüsse. Der oder die Täter wurden nie gefasst. Ein kriminalistisches Mysterium. Und zwar eines, das aufgrund seiner mittlerweile im Schlepptau befindlichen Legenden- und Verschwörungen ähnlich wie beim Kennedy-Attentat allerhand Theorien für möglich hält. Auf Basis eines Tatsachenromans von Randall Sullivan mit dem (von mir verkürzten) Titel LAbyrinth verfilmt Brad Furman (u. a. The Infiltrator, Der Mandant) die Nachforschungen des Ermittlers Russel Poole (Johnny Depp), der gemeinsam mit einem Journalisten den Spuren der Mörder so nahe wie bislang möglich kommt, ohne Beweise allerdings niemanden jemals belangen wird können. Ob das so eine gute Idee war, sich dieser Ansammlung an Fakten zu bedienen, um daraus statt einer Dokumentation einen Spielfilm zu machen, ist eine gute Frage. Denn in die Gänge kommt diese nüchtern dargebotene Kriminalchronik leider wirklich nicht.

In ungesund graugelbem Farbton gehalten, offenbart sich die investigative Arbeit als ein Kommen und Gehen wenig greifbarer Gestalten, und überhaupt scheint Johnny Depp im Gegensatz zu Whitaker, der als einziger ein bisschen aufs Gas steigt, von seiner Rolle und auch vom Filmstoff selbst durchaus gelangweilt. Esprit entwickelt er keinen. Vielleicht erfordert das auch die Rolle des schon ewig auf diesem Fall herumkauenden Ermittlers, der noch dazu in Rückblenden zu sehen ist, die den ganzen Verschwörungskrimi die Attraktivität eines aus Zeitungsschnipseln zusammengetragenen Sammelalbums verleihen. Was überbleibt, ist das ergänzte Allgemeinwissen um die Schicksale zweier Musiker. Mehr aber auch nicht.

City of Lies

Der geheime Roman des Monsieur Pick

ZU GUT VERFASST, UM WAHR ZU SEIN

7/10

 

dergeheimeromanpick© 2019 Neue Visionen

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: RÉMI BEZANÇON

CAST: FABRICE LUCHINI, CAMILLE COTTIN, ALICE ISAAZ, BASTIEN BOUILLON, JOSIANE STOLÉRU, HANNA SCHYGULLA U. A.

 

Abgelehnt! Und wieder: Abgelehnt! Kein Schreiberling, der so eine Abfuhr zum eigenen Werk nicht irgendwann mal ertragen hat müssen, da nehme ich mich gar nicht aus. Die meisten der Verlage antworten gar nicht, da landet das Script in der Rundablage, aus der es nicht mehr herauskommen will. Wenige antworten dann doch, mit einem Standardsatz auf dem firmeneigenen Briefpapier, mit Floskeln wie: und viel Erfolg weiterhin! Ganz wenige schreiben, dass das Werk durchaus gewinnende Ansätze haben könnte, allein das Genre ist keines, womit sich das Haus identifizieren kann. Also bitte, dann doch lieber on Demand. Aber wer macht dann die Werbung?

Über diese postalischen oder telefonischen Körbe, die künstlerische Karrieren im Keim ersticken, hat sich der französische Filmemacher Rémi Bezançon (u. a. Cest la vie – So sind wir, so ist das Leben) so seine Gedanken gemacht. Was, wenn all diese Verlage in ihrer Beurteilung literarischer Qualitäten doch nicht so unfehlbar sind? Wie lässt sich das am Klügsten entlarven? Mit einer ganz eigenen Bibliothek, nämlich jener der abgelehnten Werke. Die gibt es, irgendwo in der Bretagne, im Hinterzimmer einer Provinzbücherei, also zumindest gibt es die in der investigativen Literaturkomödie Der geheime Roman des Monsieur Pick. Da kann man als Normalsterblicher oder auch als Verlagsagent einfach hingehen und sich durch obskure Titel ackern – um vielleicht doch auf ein unerkanntes Juwel zu stoßen. Genau das ist der ehrgeizigen Verlegerin Daphné passiert, die anscheinend den Roman des Jahrzehnts entdeckt, verfasst von einem gewissen Monsieur Henri Pick, der allerdings nicht mehr unter den Lebenden weilt und von dem selbst die eigenen Hinterbliebenen verblüffte Gesichter machen ob der Erkenntnis, dass der Hingeschiedene schriftstellerische Ambitionen gehabt hätte. Der war doch Pizzabäcker, wann hätte der denn schreiben sollen? Doch anscheinend ist das passiert, und der veröffentlichte Roman macht Henri Pick posthum zum großen Faktor X der Literaturszene. Nur einer kann das nicht ganz glauben – Literatur- und Fernsehkritiker Rouche, welcher dem Bestseller-Phänomen auf eigen Faust auf den Grund gehen will.

Marcel Reich-Ranicki hätte womöglich seine Freude an diesem Film gehabt, der auch so etwas Ähnliches wie das literarische Quartett als Startschuss für die folgenden Nachforschungen hernimmt. Fabrice Luchini ist zwar längst nicht so verschroben wie Reich-Ranicki es war, dafür aber ist sein Literatur-Ermittler zwischen Anchorman der Kultur und skeptischem Intellektuellen mit ausreichend Sinn für Polemik eine liebevoll distinguierte Erscheinung. Höflichkeit kommt vor dem Rauswurf, Beharrlichkeit vor dem Erkennen plausibler Ungereimtheiten. Das geheime Buch des Monsieur Pick ist ein pointierter Bücherkrimi gar nicht mal ohne Todesfall, ein triezender, durchaus subversiver Angriff auf Medien und inszenierte Hypes, jedoch immer vorwiegend zuvorkommend, wie ein taktischer Journalist, der sein Gegenüber diskret zu manipulieren weiß.

Leider nur gelingt Regisseur Bezançon nicht der eleganteste Absprung vom Elfenbeinturm moderner Mythenbildung, das Ende wirkt übers Knie gebrochen, als hätte man die vorletzten, nicht die letzten Seiten eines guten Buches aus einer Gier nach einem guten Ende heraus übersprungen. Dennoch – das französische Kino hat mit diesem Werk wiedermal was feingeistig Komödiantisches auf Lager, dass seinen Witz aus den Worten zieht und dem Beachtung schenkt, was zwischen den Zeilen verweilt.

Der geheime Roman des Monsieur Pick

Motherless Brooklyn

DIE BALLADE VOM SCHIMPFENDEN SCHNÜFFLER

6,5/10

 

motherlessbrooklyn© 2019 Warner Bros.

 

LAND: USA 2019

REGIE: EDWARD NORTON

CAST: EDWARD NORTON, GUGU MBATA-RAW, BRUCE WILLIS, WILLEM DAFOE, ETHAN SUPLEE, ALEC BALDWIN, LESLIE MANN, BOBBY CANNAVALE U. A. 

 

Kann noch irgendwer die genaue Handlung aus Howard Hawks Klassiker Die Spur des Falken rekapitulieren? Ich habe nur noch diese Vogelskulptur in Erinnerung, und Humphrey Bogarts müden Blick. Sonst aber war mir schon bei direkter Sichtung des Films der Plot einen Tick zu vertrackt. Der amerikanische Film Noir, der war bekannt dafür, einfach ganz viele Namen in ganze vielen Dialogen zu verstecken, die dann plötzlich immens wichtig waren und nach angestrengtem Erinnern vermutet man, diese irgendwann doch schon gehört zu haben. Hat man einmal nicht aufgepasst, hat man in der ganzen Dichte einer Story nicht den geringsten Durchblick mehr – Aufpassen wie ein Haftelmacher also das einzige Mittel dagegen. Edward Norton dürfte diese Art von Filmen der schwarzen Serie geliebt haben. Tote schlafen fest, Die Spur des Fremden oder wie sie alle heißen. Ein späteres Beispiel, das mir so in den Sinn kommt, ist The Two Jakes von Jack Nicholson, gemeint als Fortsetzung von Roman Polanskis Chinatown. Ein ungelöster Kriminalfall, mysteriöse Frauenfiguren und eine politische Verschwörung im Schatten – genau das ist es, was Norton auf die Leinwand bringen wollte, nicht weniger detailverzettelt und mit allerhand Namen. Um das zu gewährleisten, hat er gleich die literarische Vorlage des Schriftstellers Jonathan Lethem adaptiert. Warum gerade dieses Buch? Womöglich, weil Protagonist des ganzen wortgewaltigen Krimis keiner ist, der völlig unbemerkt in der Menge verschwinden kann. Dieser Lionel Essrog, oder auch Motherless Brooklyn, wie er gerne genannt wird, der leidet unter dem Tourette-Syndrom. Nicht leicht zu spielen so was. Entweder man verpeilt sich als Schauspieler in einer lächerlichen Nummer, oder man stellt die Krankheitssymptome, die sich in unkontrolliertem Lauteschmettern und Schimpfen bemerkbar machen, wirklich als ein pathologisches Defizit dar. Norton gelingt letzteres. Die Nervenkrankheit, die er imitiert, ist ein erschwerender Umstand in einem Job, der äußerste Diskretion verlangt. Ob all die Leute, denen er begegnet, mit diesem Erscheinungsbild umgehen können? Der blitzgescheite Lionel Essrog macht diesbezüglich niemanden etwas vor, denn er hat trotz all dieser Schwierigkeiten etwas, was wiederum andere vielleicht lieber hätten: ein eidetisches Gedächtnis. In diesem Zwielicht aus wandelndem Pocketmemo und Freakshow versucht der grundsympathische Sonderling, dem Mord an seinem Freund Frank (ein relativ farbloser Bruce Willis) aufzuklären. Was natürlich ungeahnte Kreise zieht.

Nortons gepflegte Krimikost samt Ich-Erzähler aus dem Off lädt zur mehr als abendfüllenden Postkartenschau aus dem Nachkriegs-New York, entwickelt eine Vorliebe für formschöne Boliden und erzählt aus einer längst vergangenen Zeit, in der noch Stil großgeschrieben wurde, fahrbare Untersätze noch Schmuckstücke waren und der Fedora als gängige Kopfbedeckung des kultivierten Mannes galt. Des Weiteren hat nicht nur Woody Allen eine fieberhafte Vorliebe für Jazzclubs und der dort gespielten Musik – auch in Motherless Brooklyn trötet die Trompete, klimpert das Klavier und federn die Saiten des Basses. Alles mit Stil, alles formschön und formatfüllend in Szene gesetzt – adrett, geschmackvoll und im Grunde fast jede Einstellung eine Verbeugung vor Huston, Hawks und einer ebenso längst vergangenen Film-Ära, die spannendes Bohren nach der Wahrheit mit sozialkritischen Untertönen vereinbaren konnte. So gesehen erfüllt Motherless Brooklyn als Reminiszenz auf das nostalgische Großstadtkino viele Erwartungen und bringt selbst Verweigerern von Hochprozentigem auf den Geschmack rauchiger Whiskeys. So richtig risikofreudig wird Norton bei der Interpretation bewährter Stilelemente allerdings nicht, wenngleich er nihilistische Weltbilder aus seinem Krimi weitestgehend getilgt hat und letztendlich zugunsten romantischer Ambitionen das Schlachtfeld aus langen Schatten von mantel- und huttragenden Daviden gegen krakengleiche Goliathe leerräumt.

Motherless Brooklyn

Der Fall Collini

DER ADVOKAT DES ERINNERNS

7,5/10

 

fallcollini© 2019 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: MARCO KREUZPAINTNER

CAST: ELYAS M’BAREK, FRANCO NERO, HEINER LAUTERBACH, ALEXANDRA MARIA LARA, JANNIS NIEWÖHNER U. A.

 

Vom Gott der Literatur zur Göttin der Justiz: unlängst noch als flapsiger Schulchaot in Fack ju Göthe zu sehen, jetzt als Yuppie-Anwalt in einer Literaturverfilmung, die ganz andere Töne anschlägt als die mit ihm gewohnten Komödien. Elyas M’Barek, spätestens auch in Österreich durchwegs bekannt als Pay-TV-Testimonial, auf der Streaming-Couch chillend und durch das großzügige Angebot zappend, will also endlich mal wirklich ernst genommen werden. Weg vom schmachtanfälligen Jungromanzen, weg von Screwball-Blödeleien unterhalb der Gürtellinie. Die Probe aufs Exempel war es wert – M’Barek spielt, als ging es um die zukünftige schauspielerische Existenz und dem Vereiteln einer deterministischen Genre-Zuordnung. Der fesche Publikumsliebling lässt alle Späße außen vor und gibt sich gewissenhaft. Das gelingt ihm. Tatsächlich ist seine Verkörperung des Anwalts Caspar Leinen eine glaubwürdige Interpretation. Allerdings ist der Talarträger so knochentrocken wie manche seiner Gesetzbücher, die er zitiert. Und manchmal auch päpstlicher als der Papst. Das ist ja mal per se nicht schlecht in diesem Job. Alles genau unter die Lupe zu nehmen zeichnet einen guten Rechtsvertreter doch wohl aus, oder nicht? Was stört da schon ein möglicher Verdacht auf Befangenheit, der sich in der Kanzlei des Newcomers breit macht – denn der Mörder, den Leinen zu vertreten gedenkt, hat den Opa seines besten Freundes auf dem Gewissen, ein Krösus unter den Wirtschaftern, fast so was wie Hans Peter Haselsteiner oder Frank Stronach. Einer, der viel Geld und Macht gehabt hat. Und der Leinen in jungen Jahren immer sehr gern mochte. Schwierig, hier trotzdem die Gegenseite zu vertreten. Aber Anwalt ist Anwalt, und Fall ist Fall, das will professionell sein. Also stürzt sich Leinen ins rechtliche Getümmel – und beißt bei seinem Mandanten vorerst auf Granit.

Der wiederum ist mit internationaler Prominenz besetzt. Niemand geringerer als Good Old Django Franco Nero, der schon John McLane in Stirb Langsam 2 zum Wahnsinn trieb. Selbst Quentin Tarantino ehrte ihn in Django Unchained mit einem süffisanten Cameo. Franco Nero zieht diesmal zwar nicht einen Sarg samt Maschinengewehr hinter sich her, darf aber trotzdem mit vorgestrigen Schießeisen hantieren. Und lakonisch sein wie immer, passend für eine Kultfigur des Italowesterns. Der, dessen Alter unter seiner wilden Gesichtsbehaarung kaum mehr zu schätzen ist, hat in Marco Kreuzpaintners Justizdrama eine würdige und beachtliche Altersrolle gefunden, auf die er wirklich stolz sein kann. Einen für ihn typischen Haudegen gibt er trotzdem nicht. Dafür eine traumatisierte Seele, die darauf wartet, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt.

Der Fall Collini, nach einem Roman des Autors Ferdinand von Schirach, ist nach Das schweigende Klassenzimmer, Ballon und Nur Gott kann mich richten ein weiterer Beweis dafür, dass der deutsche Film, seit Wolfgang Petersen Das Boot zu Wasser gelassen hat, kaum mehr so stark war wie in den letzten zwei Jahren. Es scheint mir, als wäre das Kino unseres Nachbarn im Gegensatz zu selbigem in Österreich viel eher bereit, alternative Mechanismen für einen guten Film genauer zu beobachten – um daraus zu lernen und Geschichten einfach besser zu erzählen. Kreuzpaintner hat das gemacht, und sich deutlich an der kühl-ästhetischen Krimi-Erzählkunst eines David Fincher orientiert. Und ich meine orientiert, nicht etwa abgekupfert. Die Bildsprache ist, anders als von anderen kritischen Stimmen behauptet, längst nicht mehr nur Fernseh-Niveau. Da ist schon mehr drin. Der Fall Collini spricht schon die Sprache des Kinos, dafür ist ihm die Wahl seiner technischen Mittel zu wichtig. Geschickt verwebt die Verfilmung Vergangenes mit dem gegenwärtigen roten Faden. Lässt dort aufwühlende Einblicke in ein grauenhaftes Damals aufpoppen, wo die richtige Emotion im Gerichtssaal gerade gefragt ist. Und tatsächlich erleben wir eine ähnliche Situation wie seinerzeit Tom Cruise mit Jack Nicholson eine erlebt hat. Die Frage nach dem Code Red in Eine Frage der Ehre wird in Der Fall Collini zur Frage nach der Sinnhaftigkeit zweifelhafter Paragraphen. Nun, Heiner Lauterbach mit seltsam eingepflanztem Haaransatz und schmierigem Verhalten ist längst nicht Jack Nicholson, dafür verlässt sich der deutsche Schauspieler zu sehr auf seine Routine. Auch lässt uns Elias M’Barek  oft nicht an seiner Gefühlswelt teilhaben, was ihn unnahbar macht, ist er doch der Protagonist, der uns durch den Film führt. Doch abgesehen von diesen leicht unbalancierten Dingen hat das aufwühlende Gerichtsspektakel einiges zu bieten, vor allem, wenn der Kern der Wahrheit ans Licht kommt und elterliche Emotionen getriggert werden. Das ist packend, mitunter etwas pathetisch, aber das darf Kino natürlich sein, und in der richtigen Dosis kann es zu einem dichten, dramatischen Erlebnis werden, bei dem man nicht nur daneben steht.

Der Fall Collini

Dolmetscher

OPFER, TÄTER UND IRGENDWAS DAZWISCHEN

5/10

 

dolmetscher© Barbora Jancárová/Titanic, InFilm, coop99

 

LAND: ÖSTERREICH, TSCHECHIEN, SLOWAKEI 2018

REGIE: MARTIN ŠULÍK

MIT JIRÍ MENZEL, PETER SIMONISCHEK, ZUZANA MAURÉRY, ATTILA MOKOS U. A.

 

Irgendwann passiert es einfach. Und es lässt sich nicht verhindern. Die Opfer von früher treffen auf jene, die ihnen Böses wollten. Sind Opfer oder Täter von früher irgendwann nicht mehr, bleiben die Nachkommen. Doch auch als Filius eines Mörders ist ein solcher immer irgendwie noch jemand, der Schuld auf sich geladen haben muss. Und weiß man seine Eltern gemeuchelt im Massengrab unter der Erde liegend, prangt Opfer auf der Stirn des alten Waisen, der als Dolmetscher außer Dienst den Wohnsitz eben jenes Kriegsverbrechers heimzusuchen gedenkt, der das Leben von Mutter und Vater auf dem Gewissen hat. Der tschechische Filmemacher und Schauspieler JirÍ Menzel spielt diesen alten Herrn im Columbo-Gedächtnismantel und mit einem Profil, das frappant an Gunther Philipp zu seinen späten Kalauerzeiten erinnert, einzig die Ohrläppchen sind etwas kleiner. Da steht er also im Stiegenhaus eines Wiener Altbaus und läutet den völlig zerknitterten Georg Grabner aus dem vormittaglichen Müßiggang. Das hat erstmal nicht wirklich den gewünschten Effekt, den sich der alte Ali Ungar ausgemalt hätte, mit Schießeisen in der Manteltasche und den Memoiren von Papa Grabner im Koffer. Doch kommt Zeit, kommt Erkenntnis – und irgendwie finden sich die beiden plötzlich als Vertreter ihrer Past Generation im Auto wieder – quer durch die Slowakei, auf den Spuren politisch angeordneter Schwerverbrechen, auf aufklärerischen Pfaden, und auf der Suche nach dem Grab der Eltern – oder so ähnlich.

Denn irgendwie verzetteln sich die beiden. Gut, sie sind nicht mehr die Jüngsten, sie sollten sich ruhig Zeit nehmen. Kauzige Roadmovies mit ernstem Hintergrund haben schon Potenzial. Aber das heißt leider nicht, dass sich Regisseur Martin Šulík ebenfalls verzetteln muss. Dolmetscher ist sowohl die Geschichte einer Freundschaft, aber auch ein Gräuel-Dokument mit dem Holzhammer. Dieses Aussöhnen der Nachkommen, dieses Abklären der nachhaltigen Verantwortung und der Sippenhaft – diese Thematik findet sich auch in Chris Kraus´ schräger, ganz anders aufbereiteten Dramödie Die Blumen von gestern wieder. Da wurden sogar Enkelin und Enkel nicht mit ihrer Familiengeschichte fertig. Den Kraftakt muss Dolmetscher auch nicht auf knapp zwei Stunden hinbiegen, das ist etwas, das wohl niemals wieder richtig gut wird.

Die Annäherung von Täterkind Peter Simonischek an den völlig spaßbefreiten Ungar sind die besten Szenen des Filmes. Dieses Miteinander hätte schon Substanz genug gehabt, aus der ganzen nachhallenden Spurensuche ein streitbares Roadmovie durch ein so nahes und doch so unbekanntes Land zu skizzieren. Die von mir sehr geschätzte Burgtheaterlegende in Silbergrau hat noch immer ein bisschen den Toni Erdmann in den Knochen, kann aber auch sein, dass der Mann in diesem Film sehr oft einfach er selbst ist. Das macht ihn sympathisch, brummig und zugänglich – aber erinnert auch an einen Moderator aus einer Gedenktag-Doku. Menzel gibt mit seiner wandelnden, unfreiwillig schrulligen Tristesse in Beige da ordentlich kontra. Doch das und die nebelverhangenen Herbstlandschaften der Ostslowakei ziehen an einem Film vorbei, der eigentlich nur das Grauen der Nazizeit in der Slowakei aufarbeiten will. Das geht schwer zusammen, dafür ist auch zu wenig Platz in dieser Geschichte. Wenn in wenigen Momenten tatsächliche Zeugen auf alten Filmaufnahmen zu Wort kommen, dann ist das Aufarbeitung im Schnellverfahren – so viele schreckliche Details wie möglich in wenigen Minuten. Das kommt ein paar Mal vor. Und ist dann doch erzwungen reißerisch. Wenngleich der Versuch, der NS-Geschichte in den Tälern der Tatra Gehör zu verschaffen, von Regisseur Šulík durchaus ehrenhaft ist.

Dolmetscher weiß nicht, wie es mit all den Ansprüchen umgehen soll. Tragikomisch oder nur tragisch? Augenzwinkernd oder in trauernder Apathie? Neuanfang oder Nicht vergessen können? Natürlich darf Film Widersprüche vereinen, doch hier findet sich nicht mal Peter Simonischek ganz zurecht, den eigentlich mehr die Bilder von damals bewegen als alles andere. Im Grunde aber ist das Ganze ein unausgewogenes Drama, teils semidokumentarisch, teils das Reisevideo zweier Pensionisten, die unterschiedlicher nicht sein können. Zu wenig geht hier voran, zu viel will erledigt werden. Am Ende hat Martin Šulík sogar noch einen Story-Twist parat, der dann aber tatsächlich funktioniert, und die Figuren von Heute näher ans Ziel ihrer Bestimmung führt.

Dolmetscher