Und morgen die ganze Welt

WATSCHEN FÜR DIE FASCHOS

6/10


UndMorgenDieGanzeWelt© 2020 Alamode Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: JULIA VON HEINZ

CAST: MALA EMDE, NOAH SAAVEDRA, TONIO SCHNEIDER, ANDREAS LUST, LUISA-CÉLINE GAFFRON, FRIDA KNABE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Aufstehen gegen Nationalismus und Faschismus und überhaupt gegen alles, was die Grundwerte einer Demokratie ins Wanken bringen könnte: das ist natürlich löblich. Und wie es Julia von Heinz als einleitendes Zitat ihrem Film Und morgen die ganze Welt voranstellt, liegt es anscheinend auch in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, die Destruktion eines Sozialstaates mit eigenen und mit allen Mitteln zu verhindern, sofern staatliche Maßnahmen nicht mehr greifen. Ein gesetzlicher Grundsatz, der fast schon jene attraktive Auslegungswiese mäht wie das Buch aller Bücher. Rein subjektiv betrachtet könnten angesichts des rechten Umschwungs zumindest in der Bundesrepublik Deutschland der eine oder andere Subdreißiger das Gefühl bekommen, jetzt eingreifen zu müssen – da der Staat, wie es aussieht, maximal Symptombekämpfung betreibt.

Wo also ansetzen, denkt sich Jurastudentin Luisa. Freundin Batte schleppt sie dafür in die linkslinke Kommune P81, die für die gute Sache kämpfen will, allerdings im Untergrund bleiben muss. Ihre Taktik: bei rechten Versammlungen als Partycrasher fungieren. Das geht sehr schnell sehr fies nach hinten los, als Luisa bei so einer Aktion von einem Neonazi verfolgt und angegriffen wird. Spätestens da kippt die Stimmung. Luisa empfindet neben posttraumatischer Panik Scham, Kränkung und die Lust nach Rache. Wie viel bleibt da noch von einem politischen Statement? Wieviel bleibt da noch vom Großen und Ganzen, wenn Politik zur persönlichen Sache wird? Nicht nur Luisa, auch zwei ihrer Gesinnungsgenossen wollen schwerere Geschütze auffahren – und schrecken vor Gewalt dann auch nicht mehr zurück.

Ihr Jungen, habt ihr nichts gelernt? Da reicht ein Blick in den Nahen Osten, um ganz schnell festzustellen, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Dass der geprobte Aufstand als das redundante Ausmalen der immer gleichen bröckeligen Wand (ein schöner Vergleich, den Andreas Lust im Film von sich gibt) maximal die eigenen Emotionen befriedigt, Mutter Staat aber relativ kalt lässt. Julia von Heinz (u. a. Ich bin dann mal weg) äußert sich höchst kritisch zu dieser Art der Bürgerpolitik – ganz gleich, welche Fraktion das angeht. Ihr Drehbuch hat kluge Ansätze und konzentriert sich dabei vorwiegend auf Male Emde, die sich – gut gespielt – als Luisa zusehends zur Rebellin radikalisiert und auf alles andere als auf nachhaltigen Schaden für die Gegenseite setzt. Ähnliche Filme wie Night Moves von Kelly Reichhardt, in dem es um radikalen Klima-Aktivismus geht, sind sogar noch pessimistischer. Hier aber ist politisches Halbwissen ein großes Manko, wenn man politisch etwas verändern will.

Es fällt in Und morgen die ganze Welt sehr schwer, für all diese Idealisten und gekränkten Figuren Sympathie zu empfinden. Ihre Art zu handeln ist fragwürdig, schwer nachvollziehbar und teilweise auch völlig dumm. Was dann bleibt, ist ein gutes schlechtes Beispiel für unbekümmerte Militanz. So manche Dialoge, die einfach nur halblaut gemurmelt sind, bleiben überdies akustisch schwer verständlich. Ein Film, der nahe geht, ist das Politdrama keines. Vielmehr ein distanziertes „Ich hab’s euch ja gesagt“ in knappen zwei Stunden.

Und morgen die ganze Welt

Amerikanisches Idyll

WENN DER APFEL WEIT VOM STAMM FÄLLT

7/10

 

amerikanischesidyll© 2016 Splendid Film / Quelle: rollingstone.com

 

LAND: USA 2016

REGIE: EWAN MCGREGOR

MIT EWAN MCGREGOR, JENNIFER CONNELLY, DAKOTA FANNING U. A.

 

Der amerikanische Autor Philip Roth ist längst einer der bekanntesten und beliebtesten Romanautoren der Gegenwart. Wann der Nobelpreis für Literatur an ihn verliehen wird, ist wahrscheinlich nur mehr eine Frage der Zeit. Seine Geschichten sind meist autobiografisch geprägt und sezieren in stilsicherer Erzählkunst gesellschaftliche Paradoxien, Anomalien und Abgründe. So richtig tief im selbstzerstörerischen Schlamm unter dem Fundament einer augenscheinlich heilen Familienwelt wühlt sein Roman Amerikanisches Idyll, im Original American Pastoral. Ein bleischwerer Stoff, eine wuchtige, niederschmetternde Geschichte. Und noch dazu eine, die sich Schauspieler Ewan McGregor für sein Regiedebüt hergenommen hat. Natürlich, zu aller Anfang mal etwas Leichtes, Eingängiges. Eine Fingerübung. Denn Schauspieler sein heißt nicht automatisch auch gleich Regie führen zu können. Da wäre eine kleine, bescheidene Romanze vielleicht besser gewesen? Wie stemmt jemand wie Ewan McGregor regietechnisch so einen filmischen Brocken?

Nun, Fakt ist – er stemmt es. Er stemmt es geradezu bravourös. Und obendrein gibt er schauspielerisch seine bisher beste Performance ab. Vergessen sind da unsägliche Eskapaden wie die des Möchtegern-Sängers in Moulin Rouge oder als teilnahmsloser Spielball ost-westlichen Agentenpokers in Verräter wie wir. Für McGregor dürfte Amerikanisches Idyll eine fast schon persönliche Sache gewesen sein. Etwas, das er unbedingt selber angehen wollte. Und tatsächlich ist der ehemalige Jedi-Ritter und Drogenjunkie in der Rolle des verzweifelten, manischen und aufopferungsvollen Familienvaters wirklich bestens besetzt. Ihm zur Seite die bildschöne Jennifer Connelly als Ehefrau, Ex-Model und Neo-Farmerin mit Mut zur abgeschminkten Hässlichkeit. Beide haben ein riesiges Problem: ihre Tochter. Das stotternde, wenig selbstbewusste Mädchen mutiert fast schon über Nacht zur linksradikalen Terroristin und verschwindet spurlos. Erschütternd für die Eltern, ganz klar. Keiner kann sagen, warum das passiert. Der Schönheits- und Geltungswahn der Mutter kann es längst nicht mehr sein. Mangelnde Fürsorge auch nicht wirklich, zumindest nicht von Seiten des Vaters. Die Mutter, sie ist das Objekt des Widerstands. Des todbringenden Widerstands. Was als traumatisches TV-Erlebnis für das heranwachsende Kind beginnt, artet aus in Tod und Verderben. Der Sinn hinter den terroristischen Akten ist unklar. Wettern gegen den Vietnamkrieg, der zu der Zeit, in welcher der Film spielt, in vollem Gang gewesen war, kann unmöglich im Töten von Menschen seine Berechtigung finden. Wieso Menschen zu Attentätern werden, und welche Erlebnisse in der Kindheit als Auslöser womöglich verborgen liegen, das hat uns schon vor einigen Jahren der Österreicher Michael Haneke in Das weiße Band vor Augen geführt. In Amerikanisches Idyll verschwindet die Ursache zumeist hinter der Wirkung. Die Symptome allerdings, die aus einem gewissen unbehüteten Wohlstand heraus einer Krankheit ähnlich aus dem jungen Mädchen ausbrechen, können auch für den Zustand einer Zeit stehen, die global mit Unruhen, Angst und Schrecken verbunden war. Interventionskriege, Palästina-Terror und die RAF. Dakota Fanning, längst erwachsen, verliert als schwarzes Schaf der Familie jegliche Selbstachtung und interpretiert ihre Rolle als sozial verwahrlostes Faktotum mit viel Gespür und Empathie für die sicherlich schwierig zu handhabende literarische Figur.

Amerikanisches Idyll erinnert mich an Geschichten aus der Feder des Schweizers Friedrich Dürrenmatt. Vor allem die Rolle des „Swede“ Levov ist eine dürrenmatt´sche Figur. Ein ewig Wartender und Hoffender, ganz so wie sein Kommissar Matthäi aus dem grandiosen Kriminalroman Das Versprechen. Das bizarre Schicksal, dass sowohl ihn als auch den Vater ereilt, ist ebenfalls eine Binnenhandlung im Rahmen einer Ich-Erzählung. Auch hier gibt es Gemeinsamkeiten. Und beides ist lesens- bzw. sehenswert. McGregor´s Debüt ist intensives, überraschend gelungenes Erzählkino. Schwermütig, uramerikanisch und expressiv gespielt.

Amerikanisches Idyll