Abigail (2024)

UNGEHEUER IM GEMÄUER

7/10


abigail© 2024 Universal Studios


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: MATT BETTINELLI-OLPIN & TYLER GILLETT

DREHBUCH: GUY BUSICK, STEPHEN SHIELDS

CAST: ALISHA WEIR, MELISSA BARRERA, DAN STEVENS, KATHRYN NEWTON, KEVIN DURAND, ANGUS CLOUD, WILLIAM CATLETT, GIANCARLO ESPOSITO, MATTHEW GOODE U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Eine Handvoll Krimineller, deren Ableben aus moralischer Sicht vertretbar wäre, in irgendeine Immobilie zu stecken und zusehen, was passiert: ein gern gesehenes Narrativ Im Thriller- und Horrorgenre. Und obwohl dieses Konzept schon so abgedroschen wirkt, ist der Clinch mit dem einschätzbaren Aggressor immer wieder so genussvoll wie eine Tüte Chips, denn auch da weiß man, was drin ist: Fett und Salz machen den Unterschied. Blut und Suspense den anderen. Der höchst erfolgreiche Knüller Don’t Breathe hat es bewiesen: Ein paar windschiefe Typen laufen einem blinden, alten Kriegsveteranen mitten ins Messer. Verdient haben diese das grausige Ableben nicht, doch allein wie sie sich anstellen, um Opa Herr zu werden, verdient eine Abreibung. Ähnlich draufgängerisch gebärdet sich in Abigail eine Bande Kidnapper, die für satte Millionen gerne mal ein unschuldiges Kind entführen, das einfach nur vom Ballett-Training nachhause will, um einen anstrengenden Tag in Ruhe ausklingen zu lassen. Doch nichts da: Die Entführung ist von langer Hand geplant, die Kleine betäubt, eingesackt und abgeliefert. Auftraggeber ist der undurchsichtige Lambert (Giancarlo Esposito), der das sechsköpfige Team nach eigentlich getaner Arbeit noch zum Babysitten verdonnert, und zwar die nächsten vierundzwanzig Stunden, denn dann winkt der große Reibach. Kann nicht schwierig werden, denkt sich die Bande – und wird dann schon bald eines Besseren belehrt. Denn Abigail – das kennen wir schon aus dem Trailer – ist alles andere als ein schüchternes, ängstliches, wimmernden Mädchen. Sie ist ein Vampir und zeigt alsbald Zähne, die zielsicher in den Hälsen so mancher menschlicher Individuen landen, die zur falschen Zeit am falschen Ort aufschlagen. Die Kacke ist am Dampfen, der Körpersaft am Spritzen: Es geht um Leben, Tod und ewiges Leben – je nachdem, auf welche Seite man sich schlägt. Die einen haben es mehr verdient, die anderen weniger. Die Erwartungen der Zuseher werden dabei keineswegs untergraben. Denn Gott behüte – man könnte Gewohntes ja konterkarieren.

Diese Vorhersehbarkeit, die fast genauso wehtut wie den spitzen Zahn zu fühlen, ist der einzige Schwachpunkt in diesem lustvollen Survival-Horror frei nach Agatha Christies Abzählreim-Roman. Dass nicht alle in diesem Sechs-Gänge-Menü für blutleckende Untote in zynischem Eigennutz agieren, ist sofort klar – und genauso klar ist, ob, und wenn ja, wer von den Eingesperrten letztlich überleben wird. Das nimmt Abigail dann doch etwas die Überraschung, doch man kann darüber hinwegsehen, genauso wie über konfuses Zeitverständnis und die Länge eines Tages oder einer Nacht. Wie es das Drehbuch benötigt, wird die Zeit zum lästigen Anhängsel, dem man am liebsten einen Pflock ins Herz treiben möchte. Die Uhren laufen anders in diesem Gemäuer, das sich, sobald der Spaß beginnt, hermetisch von der Außenwelt abriegelt. Dabei flitzt Abigail wie ein von der Tarantel gestochenes kleines Ungeheuer die Stufen rauf, die Stufen runter, dreht zwischendurch ein paar Pirouetten und hat ihre kindliche Freude daran, ihre Opfer vorzuführen.

Das Regieduo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, verantwortlich für das etwas aus den Fugen geratene Hochzeitsbankett Ready or Not, zu welchem gerade die Braut herself auf Teufel komm raus von der Sippe des Bräutigams durch deren Anwesen gejagt wird, variieren ihren augenzwinkernden Splatter-Thriller aus dem Jahre 2019 wenn man es genau nimmt nur ein bisschen. Anderen Filmemachern könnte man vorwerfen, sich selbst zu kopieren – bei diesen beiden hier könnte man in Versuchung geraten, more of the same sehen zu wollen. Denn das, genau das, können Bettinelli-Olpin und Gillett richtig gut. Sowohl Ready Or Not als auch Abigail sind weniger Horror als viel mehr rasante Actionfilme, die mit dem Genre des Phantastischen kokettieren. So, wie sie Lebende und Untote von der Leine lassen, damit sie sich gegenseitig zerfleischen, macht formelhaftes Escape-House-Thrillerkino richtig Spaß. Eine bodenständige Energie entlädt sich – und ich denke, seit Buffy und Angel hat man Vampire nicht mehr so kämpfen sehen, schon gar nicht jemanden wie Alisha Weir (eben auch in Kleine schmutzige Briefe zu sehen), die im Ausleben ihrer anarchischen Rolle ein Engagement an den Tag legt, welches das ganze Ensemble mitreisst. Dan Stevens und Kevin Durand fluchen und rennen um die Wette, am Ende dreht sich das Spiel wie im Roulette, und die Frage, wer die Farbe des Todes und die des Blutes trägt, bleibt gelegentlich offen. Diese Verve der akrobatischen und fein getricksten Actionszenen machen Abigail zum Hingucker, das Blutbad wird zur selbstironischen Übertreibung wie schon bei Ready or Not und lässt das Treiben im Titty Twister aus From Tusk Till Dawn manchesmal anämisch aussehen. Am Ende könnte man seine Liebe zu den Vampiren neu entdecken, zum Glück haben diese gleich zehnfach doppelt so viele spitze Zähne wie Twilight-Vampire keine haben. Nebenbei bemerkt ein Unding, dass ich diesem Franchise nie verzeihen werde.

Abigail (2024)

Ready or Not

BRAUT UND SPIELE

7/10

 

readyornot© 2019 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2019

REGIE: TYLER GILLETT, MATT BETTINELLI-OLPIN

CAST: SAMARA WEAVING, ADAM BRODY, HENRY CZERNY, ANDIE MCDOWELL, MARK O´BRIEN U. A. 

 

Komm lieber Mai und mache – der Monat der Vermählungen ist da! Im Mai besiegeln verliebte Paare gerne die Zweisamkeit vor Gott und Gemeinde, doch den Paaren sei ans Herz gelegt: mit der Partnerin oder dem Partner heiratet man die Verwandtschaft auch gleich mit. Die sind ungefähr so wie das Kleingedruckte bei einem Mobilfunkvertrag, die sippenhaftenden AGB sind mit dabei, aber so genau will man’s eh nicht wissen, denn die heiligen Zeiten, an denen man zusammentrifft, die sind verkraftbar. Ein genaueres Auge aufs Gegenüber des Sprösslings werfen die Schwiegereltern, daher zeigt man sich von seiner besten Seite und macht mal bei jedem Blödsinn mit, auch wenn man ihn nicht für sinnvoll erachtet. In Ready Or Not will zumindest mal die Dame nicht der Spielverderber sein. Nachher aber bitte Flitterwochen, und zwar nur zu zweit. Falsch gedacht, aus dem Spiel wird ernst. Zumindest für manche. Andere, die haben nach wie vor Spaß dran, denn es geht darum, die Braut zu finden und um die Ecke zu bringen. Search and Destroy, wie es so schön heißt. Was zur Hölle ist mit dieser Sippschaft nur los? Die werden doch wohl nicht mit Mr. Livingstone aus Jumanji abstammen, der in Joe Johnstons Original genauso Jagd auf Zweibeiner macht wie es hier die ganze Familie tut – bewaffnet mit altertümlichem Killergerät von Armbrust bis Henkersbeil. Wenn die Braut also bis Sonnenaufgang überlebt, hat sie gewonnen. Nur – sie darf das aus keinen Umständen. Warum, bleibt hier ein Geheimnis.

Das alte, holzgetäfelte, mit Antiquitäten vollgestopfte Gemäuer ist ein wunderbarer Schauplatz für einen blutigen Krimi wie diesen. Erinnert ein bisschen an Knives Out, und könnte somit auch das Ambiente für einen Agatha Christie-Krimi sein. Ein bisschen so wie ihr Werk Und dann gabs keines mehr, nur dass hier alles am Kopf steht. Eine ernste Angelegenheit ist Ready or Not zum Glück nicht. Diesen Umstand verschuldet großteils eine umwerfende Samara Weaving – als die Braut, die ums Überleben kämpft, lädt sie ihr Publikum ein zum Mitfiebern, und keine Sekunde lang würde man wollen, dass dem unschuldig zum Handkuss gekommenen Freiwild etwas zustößt. Die Braut, die hat die Pole Position. Und alle anderen sind fast schon übliche Verdächtige, die auf eine gewisse Weise auch nur Opfer sind, in einer verfahrenen, äußerst pikanten Situation, die höheren Mächten unterliegt. Wer kein Blut sehen kann, muss des Öfteren – und am Ende sehr oft – kurz mal wegsehen. Kreativ gestorben wird obendrein, allerdings ist das Ganze sehr überzeichnet und amüsiert sich über ein gewisses erbschaftssteuerfreies Establishment, dass seine Langeweile mit prestigeträchtigen Sinnlosigkeiten verplempert, wie zum Beispiel die Jagd auf Großwild, um nicht in Verruf zu geraten. Der Großpapa hat´s vorgemacht. Das obligate Foto mit erlegtem Wild ist da nicht weit.

Solche Menschenjagden hat das Kino prinzipiell schon des Öfteren gesehen. Und auch demnächst soll der ungesichtete Vorab-Skandalfilm The Hunt auch zum On-Demand-Abrufen sein. Van Damme oder Ice-T sind bereits vor einer ähnlichen The Rich Kill-Gesellschaft geflohen, dieses Machtspiel zwischen den Klassen bringt jetzt nicht erst seit Parasite auch Familien an den Rand ihrer althergebrachten Existenz. Ready or Not kokettiert verhalten mit alten Mythen, mit dem gesellschaftlichem Horror freundlich erzwungener Zerstreuungsabende auf dem Spielbrett, trägt natürlich immens dick auf und ist wenig zimperlich, taugt aber für eine perfid-spannende Scherzpartie, die an ausklingenden Polterabenden auf der Fernsehcouch des Trauzeugen vielleicht ein bisschen sauer aufstoßen könnte.

Ready or Not