Knock at the Cabin (2023)

DIE REITER DER APOKALYPSE

6/10


knockatthecabin© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: M. NIGHT SHYAMALAN

CAST: DAVE BAUTISTA, BEN ALDRIDGE, JONATHAN GROFF, NIKKI AMUKA-BIRD, RUPERT GRINT, ABBY QUINN, KRISTEN CUI U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Wer klopfet an? Nein, es sind nicht die Zeugen Jehovas, obwohl sie vom Ende der Welt predigen. Vielleicht verleitet ja ein unwesentliches Detail dazu, nicht unbedingt anzunehmen, die Sekte mit dem Leuchtturm vor der Türschwelle zu haben. Dieses Detail sind archaische Waffen, die aussehen wie Dreschflegel, Morgensterne oder Hellebarden. Sowas tragen die Jehovas nicht mit sich, das ist mal klar. Zumindest noch nicht. Wer sind also diese vier Auserwählten hier, dass sie es besser wissen als der Rest der Welt? Dave Bautista, der Einbauschrank unter den Schauspielern, hat eine Vision gehabt, die er nicht nur nicht mehr loswird. Die drei, die ihn begleiten, hatten dieselben Bilder vor Augen. Kann kein Zufall sein. Man kann nicht einfach dasselbe träumen. Und die Welt kann genauso wenig von heute auf morgen den Bach runtergehen.

Ich wäre genauso skeptisch wie das schwule Pärchen Eric und Andrew samt ihrer kleinen Tochter Wen, die da plötzlich, mitten am Wochenende in der reinsten Idylle, überfallen werden. Wieso sollte ich jemandem glauben, die Welt gehe unter, nur aufgrund seltsamer Koinzidenzen? Ich würde ihnen einen Kaffee anbieten und sie dann schön brav nach Hause schicken, nachdem ich vielleicht ihre Annahmen zerstreut hätte, die argumentell unmöglich zu untermauern sind. Leichter gesagt als getan. Denn die vier seltsamen und nicht minder bedrohlichen Gestalten, die zwar vorgeben, niemandem etwas tun zu wollen, was aber genauso schwer zu glauben ist wie der Weltuntergang, fordern einen selbstlosen Einsatz. Einer der drei aus der Familie Andrew, Eric und Wen müssen geopfert werden. Dies müssen sie allerdings untereinander klären, und zwar schnell, da die Zeit drängt, denn da draußen, jenseits der Hütte im Wald, braut sich bereits was zusammen. Es sind Plagen wie seinerseits Gott über Ägypten gebracht hat, nur globaler. Einer für alle ist also die Devise. Nur wer? Und es stellt sich immer noch die Frage: Warum?

Man möchte meinen, dass all die Schwurbler und Querdenker, die in den letzten drei Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, beim Master of Mystery längst einen Stein im Brett haben. Nicht alles, was so scheint, als könnte zwischen den obskursten Begebenheiten kausale Zusammenhänge bestehen, ist nichts als Zufall. Auf diesem Gedankenspiel baut Shyamalan seinen neuen Home-Invasion-Thriller auf, der sich trotz einiger gewalttätiger Zuspitzungen deutlich friedfertiger gibt als seine paranoide Alien-Invasion Signs – Zeichen, der zumindest bei mir für schlaflose Nächte gesorgt hat. Wie in so einigen seiner Filme gibt es weder Gut noch Böse. All die Figuren und der paranormale Stoff, mit dem sich Shyamalan umgibt, passen selten in gewohnte Schubladen. Und das macht so einiges mit der Wirkung seiner Filme. Weil es irgendwo und irgendwann etwas viel Größeres geben muss und gibt, was der herumirrende Mensch nicht versteht und am Ende auch nicht zu verstehen braucht, da die Wissenschaft ohnehin Ausgang hat.

In Knock at the Cabin geht es einzig und allein darum, die guten alten Riten der Opfergabe, deren Bekannteste wohl jene ist, wenn Abraham auf Geheiß des Allmächtigen seinen Sohn zur Schlachtbank führt, einem neuzeitlichen Praxistest zu unterziehen. Was heißt das für uns? Sind wir den Mythen trotz allen Fortschritts und trotz all der Aufklärung und der Erkenntnis immer noch hilflos ausgeliefert? Und ist die Besinnung auf das Archaische der einzige Weg, unsere Welt zu retten? Das ist viel an philosophischem Gedankengut, das Shyamalan komprimiert hat auf einen mit genretypischen Versatzstücken ausgestatteten Thriller, der viel öfter ins selbstmitleidige Endzeitdrama kippt als vielleicht angestrebt. Dafür eignet sich Ex-Wrestler Bautista wirklich gut, der, gegen sein Image gebürstet, den selbstlosen Lehrer gibt, der meint, auserwählt zu sein. In dieser persönlichen Diskrepanz zwischen Auftreten und Erscheinung liegt die Tiefe seines Charakters als Zugpferd des Films. Und weniger in den Schreckensszenarien, die dieser indirekt über den Fernseher schickt. Anscheinend dürfte Shyamalan nichts mehr erschrecken als Found Footage in den Nachrichten – dieses Ausleben der Angst findet sich auch in Signs wieder, wenn Augenzeugen, die irgendwo anders sind, nur nicht am Schauplatz des Films, das Undenkbare nicht fassen können. Auf diese Weise sammelt der Mysterythriller Bedrohung in kleinen Happen – um am Ende ganz andere Saiten aufzuziehen als wie es sonst bei Shyamalans Filmen üblich ist. Vielleicht liegt das daran, dass Knock at the Cabin auf keinem Originaldrehbuch beruht. Und daher überraschend überraschungslos bleibt, obwohl die Wahrheit hinter all dem sowohl das eine als auch das andere sein kann. Ob Schwurbler oder wahrer Prophet – anscheinend steckt beides im Menschen, und die Chance, was zum Zug kommt, ist Fifty-fifty. Damit arrangiert sich der irrationale Film sehr bald, sehr willig und recht leidenschaftslos, womit er sein eigenes Licht unter den Scheffel stellt.

Knock at the Cabin (2023)

She Said

DURCH DIE MAUER DES SCHWEIGENS

7/10


shesaid© 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: MARIA SCHRADER

BUCH: REBECCA LENKIEWICZ

CAST: CAREY MULLIGAN, ZOE KAZAN, PATRICIA CLARKSON, ANDRE BRAUGHER, JENNIFER EHLE, SAMANTHA MORTON, ANGELA YEOH, MAREN HEARY, SEAN CULLEN, TOM PELPHREY U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Der Despot ist immer und überall, ganze zwei Stunden lang. Er durchdringt die Geschehnisse, die Schicksale und den Widerstand gegen Machtwillkür wie eine körperlose Entität – und dennoch haben wir ihn immer vor Augen, diesen beleibten, ekelhaften Riesen, der nur ein Wort zu sprechen braucht, schon würden alle nach seiner Pfeife tanzen. Bei so viel Macht liegt die Schuld auch bei denen, die diese Macht überhaupt erst zuließen. Wie bei jedem Tyrannen. Dieses Mal ist es Harvey Weinstein, ein zu 23 Jahren Haft verurteilter Frauenschänder, der nichts mehr genossen hat als seine Macht auf sexueller Ebene auszuspielen. Das so jemand Filme wie Pulp Fiction oder Shakespeare in Love ermöglicht hat, würde man am liebsten verdrängen. So wie Maria Schrader die physische Präsenz des Miramax-Imperators bis auf ganz wenige Szenen ausspart, weil es vollends genügt, einfach nur die Möglichkeit anzudeuten, einer wie er treibt überall sein Unwesen.

Dass sich durch den Verzicht des Abbildens diese Präsenz noch mehr verstärkt als durch schnöde Nachahmung, ist eines der Hattricks in diesem präzise ausformulierten Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz, welches Maria Schrader genauso präzise in Szene setzt. Und wahrlich: Im Gegensatz zu ihrem letzten Film, den sehenswerten Androiden-Philosophikum Ich bin dein Mensch ist She Said ungleich komplexer – eine inszenatorische Abschlussprüfung, ein aus unzähligen Einzelteilen und ebenso vielen Gesichtern bestehendes Recherche-Puzzle, das sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert, um keinen Faden zu verlieren oder in Erklärungsnotstand zu geraten. Schrader war sich ihrer Aufgabe bewusst – und steht in ihrer Sorgfalt Regiekollegen wie Alan J. Pakula (Die Unbestechlichen), Adam McKay oder Tom McCarthy (Spotlight) in nichts nach, wenn es heißt, die Chronik weltverändernder Geschehnisse aufregend genug auf die Leinwand zu bringen.

Der erste kluge Schachzug in der Inszenierung ist die Vorwegnahme eines Einzelschicksals in wortloser Klarheit und in wenigen Szenen: Wenn Laura Madden nach anfänglicher Euphorie, an einem Filmset zu arbeiten, in der nächsten Szene plötzlich verzweifelt weinend die Straße runterläuft, ihre Kleider unter dem Arm, dann sagt das alles: Hier passiert jede Menge Unrecht, und zwei New York Times-Journalistinnen, die sich auf investigative Recherchen verstehen, nehmen sich dieses Themas an. Erstmal geht es nur im Allgemeinen um sexuelle Belästigung in der Filmbranche, später dann wird es konkret: Besagter Harvey Weinstein dürfte einigen Dreck am Stecken haben, davon können nicht nur Promis wie Rose McGowan, Gwyneth Paltrow und Ashley Judd (Chapeau vor so viel Engagement – sie spielt sich nämlich selbst) ein Klagelied singen, sondern auch unzählige Assistentinnen, die als verstörtes Lustobjekt Weinsteins mit Geld und Verschwiegenheitsklauseln mundtot gemacht wurden. Dabei ist Weinstein vielleicht nur die Spitze des Eisberges, während gerade in dieser Branche Nötigung und Missbrauch scheinbar überall als Teil der Firmenpolitik gebilligt werden.

Wir wissen, wie es bislang ausgegangen ist. Wie es aber dazu kam, und mit welchem Eifer und welchem Teamgeist die New York Times – gedreht wurde an Originalschauplätzen wie tatsächlich in der Zeitungsredaktion – hier am Ball geblieben war, weiß zu faszinieren. Carey Mulligan und Zoe Kazan als das Ermittlerduo Jodi Kantor und Megan Twohey ordnen sich schauspielerisch dem großen Ganzen unter. Sie transportieren ihre Rollen mit genügend Persönlichkeit, aber nicht zu viel, um ihre eigene Biografie daraus zu machen. Dabei stechen speziell die kleinen Nebenrollen aus der Fülle an Namen hervor, wie Weinsteins Sprachrohr Lenny oder Samantha Morton als Zelda Perkins, die mit einem bewegenden Dialog die Zeit stillstehen lässt.

Die Zeit ist in diesem Film übrigens ein Trugschluss. Bei einer Länge von zwei Stunden mutet der Film viel länger an, was aber nicht zum Nachteil gereicht. Grund dafür ist die Fülle an Wendungen, Puzzleteilchen und Intermezzi, die diesen Journalismus-Thriller nie langweilig werden lassen, sondern am Köcheln halten. Dabei bleibt das Streben nach erzählerischer Klarheit stets vorrangig. Vielleicht verdrängt diese Methode mitunter die Emotionalität, will aber auch Menschen wie Kantor und Twohey ebenso danken wie dem Umstand, dass Frauen angesichts solch erlittener Schmach niemals mehr ihre Stimme verlieren müssen.

She Said

Beast – Jäger ohne Gnade

AUF LEISEN PFOTEN KOMMT DER TOD

5/10


beastjaegerohnegnade© 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, ISLAND 2022

REGIE: BALTASAR KORMÁKUR

CAST: IDRIS ELBA, SHARLTO COPLEY, IYANA HALLEY, LEAH JEFFRIES, MARTIN MUNRO, DANIEL HADEBE U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Können Tiere so etwas wie Rache empfinden? Den Elefanten sagt man ähnliches Verhalten schon die längste Zeit nach. Elefanten – die vergessen selten etwas (im Gegensatz zu mir), schon gar nicht Zweibeiner, die Ihnen im Laufe ihres Lebens Böses angetan haben. Menschenaffen sind da schon mehr auf unserer Seite, allerdings erfolgt diese Art der Vergeltung unmittelbar, ohne von langer Hand geplant worden zu sein. Über Großkatzen indes gibt es so manche mit Vorsicht zu genießende Legenden, die den Tieren mehr Vorsatz einräumen als anderen Lebewesen, die uns Zweibeinern am nächsten stehen. Deutlich plausibler sind da schon jene Prädatoren, die, gegen ihren natürlichen Speiseplan gerichtet, auf Menschen losgehen. Als die wohl bekanntesten Vertreter dieser Unart galten die Löwen aus dem Reservat von Tsavo, die um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert Kolonialisten wie Einheimische in Angst und Schrecken versetzten. Stephen Hopkins hat mit Der Geist und die Dunkelheit daraus einen Film gemacht und Michael Douglas sowie Val Kilmer zur Flinte greifen lassen. Und ja: Sogenannte Man-Eater gab’s und gibt’s nicht nur bei den Löwen – zum Ausgleich wütete in Asien auch so mancher Tiger.

Und jetzt – jetzt ist Südafrika dran. Baltasar Kormákur, Spezialist für Themen, in denen Homo sapiens schutzlos irgendwelchen Naturgewalten ausgeliefert ist und dabei vergeblich versucht, in kompromisslos konsequenten Ereignissen doch noch als Bewältiger hervorzugehen – dieser Baltasar Kormákur wandert nun von isländischen Meeren über den Himalaya immer weiter in südliche Gefilde, um endlich mal auf Safari gehen zu können. Das macht er nicht allein, sondern mit Superstar Idris Elba an seiner Seite. Und ja – Sharlto Copley, sowieso Südafrikaner, darf hier auch noch seinen Heimvorteil genießen. Zu den beiden gesellen sich zwei halbwüchsige Mädchen, Elbas Filmtöchter, die auf den Spuren ihrer verstorbenen Mutter unterwegs sind, und einfach nicht verstehen können, warum sich Papa von ihr noch zu Lebzeiten getrennt hat. Klar braucht es diesen familiendramatischen Unterbau, denn irgendwo muss der Haussegen ja schief hängen, um im Angesicht einer blanken Katastrophe wieder geradegebogen zu werden. Und diese Katastrophe kommt dann auch, während einer Wildlifetour durch ein inoffizielles Reservat, auf vier samtleisen Pfoten angepirscht. Ein Löwe hat es auf Menschen aller Art abgesehen. Ein Löwe macht eine ganze Spezies verantwortlich dafür, dass Wilderer sein Rudel getötet, in alle vier Winde verstreut und eingefangen haben. Ein Löwe schwört jetzt Rache. Und dabei ist egal, wie sehr zum Handkuss Idris Elba unschuldigerweise kommen mag. Mensch ist Mensch, und Tier ist Tier.

Beast – Jäger ohne Gnade orientiert sich stark an einem ganz bestimmten Meisterwerk der Survival-Suspense, nämlich an Jurassic Park. Statt eines T-Rex lässt nun ein Panthera leo sein Gebrüll los, und Erwachsene wie Kinder sind in ihrem fahrbaren Untersatz, der knapp am Abgrund hängt, schutzlos ausgeliefert. Da wir ungefähr wissen, welche Schrecken uns da erwarten, mag der Faktor der Unvorhersehbarkeit ein bisschen schwinden – um dem entgegenzuwirken, lässt Kormákur seine Protagonisten Dinge tun, die bar jeder Vernunft sind. Mutig – ja – aber auch äußerst doof. Doch wie gesagt: Mensch ist Mensch, und Tier ist Tier. Dass dem Löwen dabei menschliche Emotionen angedichtet werden, mag bei Disney gang und gäbe sein – bei Kormakur hätte ich mir da schon etwas mehr Respekt vor den Tatsachen erwartet. Doch andererseits: Im Kino dürfen Legenden gerne als Tatsachen betrachtet werden, also warum sich nicht ein spielfilmlanges Duell mit wilden Mähnen liefern?

Tatsächlich macht Idris Elba seine Sache wieder mal gut, obwohl man ihm ansieht, dass Beast – Jäger ohne Gnade jetzt nicht unbedingt zu seinen Herzensprojekten zählt. Das schöne Südafrika wird es ihm wohl angetan haben – wer würde denn nicht gern dort drehen wollen und dabei alles bezahlt bekommen? Viel Geld hat man auch für die Animation des Untiers ausgegeben. Es ist nicht zu erkennen, wann der Löwe echt ist und wann er aus dem Rechner kommt. Oder ist dieser überhaupt nur animiert? Von diesen Machern hätte sich zum Beispiel Prey einige Ezzes holen können – denn der wilde Bär im Predator-Sequel lässt bewegungstechnisch zu wünschen übrig.

Was mich dann doch überrascht, ist das von manchen Kritikern als hanebüchen bezeichnete Finale im Steppensand: Um dafür wirklich aufstöhnend mit den Augen zu rollen, würde ich mich vorher lieber genau in die Verhaltensforschung von Großkatzen einlesen. So allerdings kann ich das, was da abgeht, gar nicht so ganz als Schwachsinn abtun. Beast – Jäger ohne Gnade ist somit besser als befürchtet, wenngleich gemalt nach Zahlen und die Wucht einer erbarmungslosen Natur mag diesmal an den hochgekurbelten Fenstern eines geländegängigen, aber verkehrsuntüchtigen Fahrzeugs abprallen wie die blutigen Tatzen eines amoklaufenden Simba.

Beast – Jäger ohne Gnade

The Black Phone

WENN DIE TOTEN ZWEIMAL KLINGEN

7/10


The Black Phone
© 2022 UNIVERSAL STUDIOS. All Rights Reserved.

LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: SCOTT DERRICKSON, NACH EINER KURZGESCHICHTE VON JOE HILL

CAST: ETHAN HAWKE, MASON THAMES, JEREMY DAVIES, JAMES RANSONE, MADELEINE MCGRAW U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Wenn Jugendliche im Schulterschluss gegen das Böse kämpfen, kommt einem derzeit natürlich sofort Stranger Things in den Sinn. Wenn nicht Stranger Things, dann zumindest Stephen Kings Es. Der Manifestation panischer Ängste in Gestalt eines zähnefletschenden Clowns konnte Bill Skarsgård unter der Regie von Andrés Musschietti neues Grauen einhauchen, allerdings trieb das Böse hier auf keinem Boden der Tatsachen sein Unwesen, sondern im Genre des phantastischen Horrors. Dort stehen seit jeher unbedarfte, von den Härten des realen Leben noch weitgehend verschonte Kids im Fokus der dunklen Mächte. Denn: Irgendwann zieht irgendwo immer etwas Paranormales ein Kind auf die andere Seite.

Scott Derrickson lässt das Phantastische außen vor. Er probiert es von der anderen Seite. Und krempelt die gesetzte Ordnung von Metaphysischem und Irdischem ordentlich um. Sein Psychothriller The Black Phone zeigt das Böse in Gestalt eines maskierten Mannes, der für jede Situation die richtige Visage hat. In diesem Thriller, der Ende der Siebziger in irgendeiner Kleinstadt spielt (wo sonst?), treibt dieser Grabber sein Unwesen. Ein finsterer Geselle mit schwarzem Lieferwagen, der Kinder, vornehmlich Buben, von der Straße wegzerrt und schwarze Luftballone am Tatort hinterlässt. Ein Psychopath mit System. So wie Kindermörder M aus Fritz Langs gleichnamigem Klassiker. Eines Tages trifft es den jungen Finney, der ohnehin eine schwere Kindheit mit sich herumschleppen muss. Die Mutter verstorben, der Vater Alkoholiker, in der Schule mobben die Halbstarken. Einzig Schwester Gwen, die in ihren Träumen in die Zukunft sieht, gibt ihm Halt. Als sich Finney jedoch im Keller des bösen Mannes auf sich allein gestellt sieht, läutet ein kaputtes, schwarzes Telefon. Am Apparat: Das Jenseits. Es gilt: Kein Anschiss unter dieser Nummer. 

Klingt extrem gruselig. Ist es aber nur manchmal. Denn, wie schon gesagt, dreht Derrickson den Spieß um. Aus einem paranormalen Horrorfilm im Gewand eines Krimis wird ein durchwegs düsterer, in schmutzig-rostigen Brauntönen gefilmter Entführungsfall, der in seiner desillusionierenden Machart an David Finchers Zodiac erinnert, allerdings durchsetzt mit paranormalen Elementen. Peter Jacksons Jenseits-Thriller In meinem Himmel mit Saoirse Ronan kommt ebenfalls hin, nur bleibt von bunten Seifenblasen und einer CGI-Wunderwelt nichts mehr übrig. Derrickson macht auf Aktenzeichen XY ungelöst, bleibt puristisch, ungeschönt und karg. Ethan Hawke, dessen Verhalten mit keinerlei psychologischen Erklärungen untermauert wird und der als finsteres wie plakatives Abziehbild eines vorsätzlichen, allerdings auch recht generischen Verbrechers seine wohl böseste Rolle verkörpert, kaspert bedrohlich durchs Halbdunkel. Ein gesichtsloses Schreckgespenst, vor welchem Kinder wie vorm schwarzen Mann händeringend vor die Knie gehen oder sich hinter dem Rockzipfel der Mutter verstecken, wäre sie hier.

Doch all diese Gestalten, bösen Männer und Psychopathen, die sollen zum Teufel gehen. Das ist dort, wo die Geister in diesem Film nicht sind. Wenn Finney seine Tipps von all jenen erhält, die der Grabber über die Klinge springen ließ, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man Finney und seine Schwester, die durch ihre Träume versucht, ihren Bruder zu finden, im Stillen anfeuert. Dabei zeigt Derrickson viel Mitgefühl für seine Protagonisten und entwirft mit ruhiger Hand ein Szenario des morbiden, leisen Schreckens hinter und vor verschlossenen Türen – aber auch einen so beharrlichen wie berührenden Siegeszug der Verlorenen, die nicht umsonst gestorben sein wollen.

Kinder sind zäh. Lassen sich kaum unterkriegen oder brechen. Sind resilienter als Erwachsene und greifen auf ein Spektrum helfender Imaginationen zurück, die entweder eine ganz neue, irreale Welt erzeugen – oder mit einer existierenden, verborgenen Dimension in Verbindung treten. Und: Sie haben einen langen Atem. Alles Dinge, womit das Böse nicht rechnen will. Und zwar aus reiner Überheblichkeit.

The Black Phone

Tarantula

JEDEM TIERCHEN SEIN PLÄSIERCHEN

6/10


tarantula© 1955 Universal Studios


LAND / JAHR: USA 1955

REGIE: JACK ARNOLD

CAST: JOHN AGAR, MARA CORDAY, LEO G. CARROLL, NESTOR PAVIA, ROSS ELLIOTT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Was würden Arachnophobiker dazu sagen, wäre das Subjekt ihrer Angst ums Hundert-, wenn nicht gar Tausendfache oversized? Wäre das eigentlich ein Erschwerniszuschlag zur Phobie oder wäre es weniger furchtbar, das Tier schon aus weiter Ferne sichten zu können? Liegt die Angst nicht eher darin, dass so kleine haarige Biester wie eine Tarantel (nicht falsch verstehen: ich liebe diese Kreaturen!) aus jeder Ecke kriechen und dabei mit ihren acht unepilierten Beinchen bedrohlich winken könnten? Ich würde mich vermutlich vor einer tonnenschweren Schabe wohl weniger ekeln als vor einem rasend schnell dahinkriechenden daumengroßen Sanitär-Invasor. Bedrohlich bleibt so ein achtbeiniges Ungetüm vielleicht dennoch. Und nicht, weil es Phobien zusätzlich schürt, sondern durchaus imstande ist, ganze Straßenzüge plattzumachen.

Jack Arnold, Fifties-Papst des Monsterfilms, hat nicht nur Ameisen aufgeblasen oder Guillermo del Toros Wasserwesen aus The Shape of Water vorweggenommen – er hat mit seinem kleinen Öko-Reißer Tarantula auch ein Denkmal für die südamerikanische Vogelspinne gesetzt – für ein an sich recht verträgliches, nicht wirklich aggressives, dezent giftiges Wesen, dass man als Haustier durchaus gerne auf Körperteilen spazieren lassen kann, um nichtsahnende Besucher ob des eigenen Mutes zu beeindrucken.

Schauplatz des Schwarzweißfilms ist ein Wüstenkaff irgendwo im Süden der USA. Dort treibt ein Wissenschaftler Experimente mit Tieren und deren Wachstum und versucht so, zukünftig aufkeimende Welternährungsprobleme im Keim zu ersticken. Experimente implizieren meist auch Fehlschläge, vor allem, wenn sie am Menschen erprobt werden. Und so gibt es, bevor die Arachnide größenwahnsinnig wird, erstmal mutierte rachsüchtige Ex-Kollegen, die besagtes Labor verwüsten und so ganz unbeabsichtigt manchen Tieren die Freiheit schenken. Eines davon hat dabei schon einige Dosen des Wachstumsserums intus und denkt gar nicht daran, sich in irgendein Erdloch zu verkriechen. Bald ist das staksende Teil unübersehbar für alle.

Natürlich ist Tarantula ein Klassiker. Alleine das Filmposter (lässt sich leicht googlen) spricht Bände. Und auch, was die visuellen Effekte angeht, fährt der Streifen heute noch. Gewieft, wie Arnold das sonst nur 10 bis 20 cm große Tier in die Landschaft kopiert, als steige sie tatsächlich über die Hügel, um sich an Pferden und Menschen zu mästen. Legendär natürlich auch die Szene, in der das possierliche Wesen durch das Fenster eines Hauses guckt, um den weiblichen Cast zum Kreischen zu bringen. Dieser Moment ist tatsächlich etwas schaurig, und auch wenn die schwarze Silhouette am Horizont erscheint, wird einem gar ein bisschen anders. Aber nur ein bisschen, denn der unfreiwillig komische Guilty Pleasure-Faktor überwiegt. Auch sonst macht Arnold nicht viel Feserlesen mit dem Plot und wie üblich in den 50ern kommt das banale Ende recht abrupt. Ein Low Budget-Thriller eben, der die in der breiten Masse vertretene Abneigung für Spinnen potenziert und daraus eine derbe Creepshow zelebriert, die zumindest optisch immer noch seinen Reiz hat.

Tarantula

Die schwarze Katze

UNIVERSAL-IKONEN IM CLINCH

5/10


the-black-cat© 1934 Universal Pictures


LAND: USA 1934

REGIE: EDGAR G. ULMER

CAST: BELA LUGOSI, BORIS KARLOFF, DAVID MANNERS, JULIE BISHOP, LUCILLE LUND, EGON BRECHER, JOHN CARRADINE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 6 MIN


Frankensteins Monster gegen Graf Dracula? Schön wär’s. Der aus Österreich-Ungarn stammende Edgar G. Ulmer, seines Zeichens Multitasker beim Film – vom Bühnenbild über die Regie bis hin zur Produktion – trug den Begriff B-Movie fast schon als dritten Vornamen. Zweitklassige Filme, in denen es an allen Ecken und Enden mangelte. Oft schrieb Ulmer seine Drehbücher selbst. Hin gehudelt während des Frühstücks oder am Lokus. Innerhalb weniger Tage waren diese Filme dann auch schon abgedreht. Doch was zählte, war die Resonanz des Publikums, und die war gut. Bei Die schwarze Katze geradezu phänomenal. Mit der gleichnamigen Erzählung von Edgar Alan Poe hat dieser nette Versuch eines Psychothrillers aber nichts zu tun, obwohl dieser im Vorspann steht. Den beiden Universal-Ikonen mag das egal gewesen sein, die waren damit beschäftigt, in diesem kruden Streifen aufeinander loszugehen. Und Ulmer? Der huldigt hier seiner alten Heimat Österreich-Ungarn. Schauplatz ist das Land der Magyaren, manch eine Biographie der Figuren hat österreichischen Bezug.

Worum es also geht? Um ein Ehepaar auf der Hochzeitreise durch Ungarn, das aufgrund eines Autounfalls bei Regen die Hilfe des obskuren Dr. Werdegast annehmen muss, der wiederum jemanden kennt, der eine neumodische Villa auf dem Hügel einer kriegshistorisch bedenklichen Ruhestätte errichtet hat. Dort suchen sie Zuflucht, während sich die Gattin auskuriert. Dieser Herr im Haus, genannt Poelzig, ist noch rätselhafter als Werdegast. Bald wird klar: letzterer ist dem Hausherrn nicht gut gesonnen – ganz im Gegenteil: er sinnt nach Rache aufgrund vergangener Schmach. Den beiden frisch Vermählten hingegen dämmert bald, das irgendetwas in diesen vier Wänden verhindert, dass die beiden wieder weiterreisen.

Boris Karloff ist ein Charakter, so einen gibt’s auch kein zweites Mal. Der grimmige, diabolische Blick, das bedächtige Wandeln durch den Flur. Längst nicht so grobschlächtig wie als Frankenstein, mehr wie der untote Pharao aus Die Mumie. Bela Lugosi hingegen gibt den Geschmeidigen, den Gutmenschen. Der Moment, wenn sich die beiden dann in die Haare geraten, ist sehenswert. Der Schauplatz – eine moderne Villa im Stil der Neuen Sachlichkeit, mitsamt morbid-musealem Kellergewölbe, ebenso. Sonst aber bietet der lediglich 66 Minuten lange Streifen recht behäbige Unterhaltung. Die schwarze Katze ist ein Film, der seine Zeiten nicht ganz so schadlos überdauert hat wie manch anderer Klassiker. Aus gegenwärtiger Sicht betrachtet, ist sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch jede Menge Luft nach oben. Immer dann, wenn’s pikant wird, leiten grobe Schnitte zur nächsten Szene über. Vieles sieht man erst gar nicht, obwohl es stattfindet, vielleicht aus Kostengründen eingespart. Das geht fast schon in Richtung Ed Wood, von Liebe zum Detail kann man nicht gerade schwärmen. Das Frauenbild ist fragwürdig, ja geradezu sexistisch. Die Prise Teufelskult verleiht dem Thriller auch nicht die Würze, die er aus heutiger Sicht vielleicht gebraucht hätte.

Die schwarze Katze ist insofern kurios, da die Hintergründe zum Film, dessen Stars und Regisseur wohl interessanter sind als das Werk selbst.

Die schwarze Katze

The Hunt

BEAT THE RICH

7/10

 

THE HUNT© 2020 UNIVERSAL STUDIOS All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2020

REGIE: CRAIG ZOBEL

CAST: BETTY GILPIN, HILARY SWANK, EMMA ROBERTS, ETHAN SUPLEE, JUSTIN HARTLEY, AMY MADIGAN U. A.

 

Sowas aber auch! Da hat sich Präsident Trump ja dermaßen auf den Schlips getreten gefühlt – und mit ihm die ganzen MAGAs, die so große Stücke auf den ersten Mann im Staate halten, der sich oft wiederholt, vieles vage formuliert und sich kaum auf Expertisen verlässt. Braucht er nicht, er ist ein politisches Wunder und vielem erhaben. Allerdings – kränken lässt er sich trotzdem. Und ein Skandal ist schnell gemacht. Von Obamagate fehlt nicht mehr viel zum Hunt-Gate – oder: Willkommen zur fröhlichen Schubladisierung der eigenen Klientel! Blumhouse hat sich mit seiner Thrillersatire The Hunt keinen Gefallen getan – oder aber auch jeden nur erdenklichen. Denn nichts macht einen Film interessanter als ein Skandal, als die Empörung über ihn. Und das noch dazu im Vorfeld, ähnlich wie bei Terry Georges Armenier-Epos The Promise. Kaum einer dieser Ankläger hat den Film je gesehen, doch wettern lässt sich über Kolportiertes natürlich sehr leicht. Es ist wie stille Post: wenn´s von einem Ohr zum anderen wandert, werden die infamen Frechheiten in solchen Filmen immer dreister. Wobei ich mir ernsthaft die Frage stelle: weswegen?

Weil das Häufchen Menschen, die sich, entführt und geknebelt, in einem Wäldchen wiederfinden, um von Unbekannten wie in die Luft geworfene Tauben abgeknallt zu werden, aus Stereotypen besteht, die dem Spektrum Trump-Wähler zuzuordnen sind? Hut ab vor denen, die das rauslesen konnten. Ich hab´s jedenfalls nicht erkannt, dafür segnen gut zwei Drittel aller Kandidaten viel zu rasch das Zeitliche, um überhaupt sagen zu können, welche politische Gesinnung die hätten. Alles was zählt ist anscheinend die Statistik. Aber gut – immerhin dürften es Leute sein, die dem Establishment auf ihre Art den Rücken kehren und kaum so leben wie die Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten. Im Gegenteil – diese Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten, diese CEOS und Stakeholders und sonstigen Kapazunder, die standen bei manch einem zum Freiwild erklärten armen Teufel auf dem Kieker. Aus genervtem Augenrollen wird bitterer Ernst. und die Damen und Herren im Anzug, die nicht wissen wohin mit dem ganzen Geld, blasen zum Halali. Die Trefferquote ist hoch – und unschön für die Auserwählten. Das Blut spritzt, eine Prise Gore darf auch noch sein. Nichts für Zartbesaitete, doch längst keine Challenge für Hartgesottene.

Was sich anfühlt wie ein zynischer Mix aus Surviving the Game und Natural Born Killers, bekommt erst seinen unberechenbaren Topspin mit dem Auftreten einer der wohl coolsten Bräute seit Uma Thurman in Kill Bill: Betty Gilpin. Spätestens dann wird The Hunt zu ihrer ganz eigenen Showbühne. Die Dame weiß, wie Mimik sonst noch geht, wie gegen die Norm gebürstet man in Anbetracht solch verqueren Ereignissen ein gewisses Quantum an Radikalvernunft bewahrt. Und wie ein verkaterter Montag-Morgen, an welchem einem am Besten niemand in die Quere kommen sollte, zur schlafwandlerischen Trotzphase wird. Gilpin checkt sehr bald, was Sache ist – und verbiegt die Regeln des Spiels. Wobei, wie schon die Macher des Films betonten, hier gern gedroschene Phrasen sowohl von der Elite als auch vom nörgelnden Durchschnittsbürger wie Blindgänger durch die Botanik brechen. Ernsthafte Kritik an wen auch immer ist das keine, vielleicht auch, weil Medien kaum eine Rolle spielen, die aber als allseits bekannte vierte Macht noch mehr zu sagen hätten als nur auf Social Media die Kampfarena hochzufahren. Dafür will The Hunt viel zu gerne einfach nur ein Actionthriller sein, der die Verachtung des jeweils anderen schürt.

Ob George Orwells Schweinchen namens Schneeball oder das Gleichnis vom Hasen und der Schildkröte – Regisseur Craig Zobel will einen scheinbar determinierten Algorithmus im Klassenkampf unterwandern: sozialphilosophisch wird The Hunt jedoch nie werden, dafür aber ist er so gut wie das wutschnaubende Kopfschütteln über populistische Aufmacher einer Boulevardzeitung. Betty Gilpin als zynische Aktivistin wieder Willen ist dann jene, die vom Pöbel bis zum arroganten Charakterschwein all die Schmierblätter zerknüllt und in die Tonne kickt. Das wiederum hat Klasse.

The Hunt