Sasquatch Sunset (2024)

BIGFOOT OHNE HENDERSONS

5,5/10


sasquatchsunset© 2024 Protagonist Pictures

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: DAVID & NATHAN ZELLNER

DREHBUCH: NATHAN ZELLNER

CAST: RILEY KEOUGH, JESSE EISENBERG, NATHAN ZELLNER, CHRISTOPHE ZAJAC-DENEK

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


Allen ernüchternden Ausreden zum Trotz und auch obwohl es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, da ja schließlich sein kann, dass der Kerl auf dem verwaschenen Video aus den späteren Sechzigerjahren einfach nur ein Mensch in einem Kostüm war, bin ich, einfach aus Liebe zum Thema, fest davon überzeugt: Bigfoots oder Sasquatchs gibt es wirklich. Denn wer kann schon behaupten, all diese ausgedehnten Wälder Nordamerikas wirklich gründlich erforscht zu haben? In diese botanische Tiefsee bettet sich eine primitive, dürftig intelligente Spezies, die rein zur Selbsterhaltung den Dreh insofern raushat, nicht entdeckt zu werden. Wie diese Wesen wohl die Welt sehen? Ob sie wissen, dass sich eine andere Spezies, eben Homo sapiens, die Erde längst untertan gemacht hat? Oder ist unsere Existenzblase aus ihren Augen ebenso eine mythenumrankte Möglichkeit, eine Legende, der man nicht unbedingt auf den Zahn fühlen muss, weil es eben sein kann, dass sich danach vieles vielleicht auch zum Schlechten ändert?

David und Florian Zellner, bislang eingefleischten Westernfans vielleicht bekannt dank ihres feministischen Westerns Smoking Gun mit Mia Wasikowska und Robert Pattinson, haben mit Sasquatch Sunset den Spies umgedreht und eine namenlose pelzige Primatenfamilie ins nordkalifornische Humboldt County geschickt, um die Welt aus ihren Augen für uns Fortschrittsmenschen erfassbar zu machen. Man darf davon ausgehen, dass diese Sasquatchs wohl nicht einer alphabetischen Sprache mächtig sind. Sie grunzen und brummen, alles Übrige drückt sich durch Gestik und Mimik aus. Es sind vier Individuen, ein älteres Männchen, ein jüngeres Männchen, ein Weibchen und ein noch nicht ganz ausgewachsenes, kindliches Exemplar. Wie die Verwandtschaftsverhältnisse wohl zueinander sind, wird wohl nie ganz klar. Das älteste Männchen und somit auch deren Anführer ist stets drauf und dran, mit dem Weibchen zu kopulieren, doch dieses hat nur Augen für den Jüngeren. Der Alte ist aber immerhin so weit in seinem Denken fortgeschritten, dass er andauernd versucht, Dinge zu zählen, ob Beeren an einem Strauch oder die Sterne am nächtlichen Himmel. So ziehen diese vier durch die Wälder, man möchte meinen, wir wären in einem Land vor unserer Zeit, wie Jean-Jacques Annaud dies mit Am Anfang war das Feuer bereits ebenfalls ohne Worte verfilmt hat. Die Natur ist ihre Welt, instinktive Bedürfnisse und Triebe dominieren das Dasein. Und dann passiert das: Der Alte lehnt sich zu weit aus dem Fenster des Abenteuers, berauscht sich mit Pilzen und Beeren und landet auf dem Speiseplan eines Pumas. Drei bleiben über, und auch sie müssen mit den Tücken der Natur klarkommen. Und nicht nur das: Es scheint, als gäbe es da noch eine andere Spezies, die seltsame Spuren hinterlässt, mit denen die Sasquatchs wenig anfangen können.

Zellners Film ist eine Hommage und eine Huldigung auf jene, die nicht die geringste Lust verspüren, sich zu offenbaren. Als kultisch verehrte Bigfoots geben sich Riley Keough und Jesse Eisenberg im Ganzkörper-Fursuit und mit mühsam applizierten Gesichtsmasken die Ehre, bei genauer Betrachtung unterscheidet sich die Qualität des Make-Ups wohl kaum von jener, die bereits damals in den Sechzigern für den Planet der Affen zum Einsatz gekommen war. Aus Budgetgründen wurde wohl von Motion und Facial-Capture abgesehen. Doch Sasquatch Sunset hat gar nicht den Anspruch, technisch State-of-the-Art sein zu müssen. Die analogen Kostüme haben ihren Reiz, die offensichtliche Künstlichkeit der Visagen verleihen diesem in freier Natur gedrehten Drama etwas Kunstbewusstes, nämlich den leisen Status eines aktionistischen filmischen Denkmals, das als Installation in einem Museum of Modern Art gut und gerne im Endlosloop laufen könnte.

Es ist dies die Zeitspanne eines Jahres, die gezeigt wird, inhaltlich viel zu entdecken gibt es dabei nicht, daher lässt sich Sasquatch Sunset auch nur szenenweise betrachten, ohne das große Ganze unbedingt im Auge behalten zu müssen. Eigenwillig ist das ganze Experiment aber trotzdem. Für einen richtigen Spielfilm ist es gar zu wenig, als Kurzfilm hätte Zellners Blickwinkelspiel genauso funktioniert. Romantisiert und weichgezeichnet wird, um auch jüngere Semester für dieses Machwerk zu interessieren, allerdings gar nichts. Sex und Tod und die Ausscheidungen des Körpers schmeicheln dem Ideal eines kryptozoologischen Wunders gar nicht. Will man diese Wesen denn so sehen, in all ihren Unzulänglichkeiten? Oder doch lieber Mister Link aus den Aardman Studios? Wie wäre es mit Bigfoot und die Hendersons? Diesen sind wir längst gewohnt. Da erscheinen die Individuen aus Zellners Machwerk geradezu sperrig und ungefällig.

Der nette Gag am Ende des Films, der munter so weiterlaufen könnte bis zum Tag ihrer endgültigen evidenten Entdeckung, ist zwar ein netter Schlusspunkt, doch die nagende Überlegung, man hätte den ereignislosen Alltag weniger lang breitgetreten und stattdessen mehr das Drama zwischen Legende und Entdeckung in den Fokus genommen, vereint sich mit dem unbefriedigenden Gefühl, etwas verpasst zu haben. Sasquatch Sunset ist wie ein verwackeltes Found Footage-Video: Wieder fehlt das gewisse Etwas, das alles hätte beweisen können.

Sasquatch Sunset (2024)

Smoking Gun

SCHÖNES FRÄULEIN, DARF ICH´S WAGEN?

7,5/10

 

damsel_pHcHoj© 2018 Universal Pictures

 

ORIGINALTITEL: DAMSEL

REGIE: DAVID & NATHAN ZELLNER

CAST: ROBERT PATTINSON, MIA WASIKOWSKA, DAVID ZELLNER, NATHAN ZELLNER, JOSEPH BILLINGIERE, ROBERT FORSTER U. A.

 

Edward Cullen ist zurück! Für jene, die Twilight nicht kennen: es ist der Vampir, der tagsüber funkelt wie ein Swarovski-Kristall, auf Debussy steht und überhaupt auf sterbliche Oberstufenschülerinnen wie Kristen Stewart eine war. Bevor nun aber falsche Hoffnungen aufkommen: nicht Cullen selbst ist zurück, sondern der, der ihn so erfolgreich und Hype-anfällig gespielt hat – nämlich Robert Pattinson. Wie wir Filmfreunde natürlich alle gelesen haben, wird Pattinson als möglicher neuer Batman gehandelt (mittlerweile ist es fix!). Geht denn das? Nun, ich meine: Ja, sehr gut sogar. Auch Pattinson wird älter, reifer und differenzierter in seinem Schauspiel. Ist zwischen eingangs erwähnter Blockbuster-Reihe und aktuellem Stand Gefahr gelaufen, im natürlich nicht zu verachtenden Low-Budget-Arthousekino zu stranden. Und gerade eben ist der ehemalige oder Immer-noch-Mädchenschwarm im Science-Fiction-Film High Life zu sehen, an der Seite von Juliette Binoche. Vom Raumanzug ist es kein weiter Sprung mehr ins Bat-Suit. Zwischendurch kann er ja mal halt machen und sich das Schießeisen umschnallen. Was er mittlerweile auch schon getan hat. Und zwar in einem Western, der so abseits des Mainstreams vor sich hin flaniert, dass ihn wohl kaum einer bislang bemerkt haben wird. Was aber ein Fehler ist. Denn der Film mit dem sträflich kaputtgedeutschenglischten Titel Smoking Gun ist ein – und das wage ich zu behaupten – so kleiner wie feiner Geheimtipp, der den unorthodoxen Geist eines Jim Jarmusch atmet und die Westernanthologie von Joel & Ethan Coen, nämlich The Ballad of Buster Scruggs elegant bei sich einhaken lässt.

Gut, im Original heißt das seltsame Stelldichein zwischen Birkenwäldern und freakigen Saloons Damsel – ein Wort, dass wohl kaum mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im täglichen Sprachgebrauch zu finden sein wird. Damsel steht umgangssprachlich für ein Fräulein nach altem Geschlechterbild, das unbedingt von einem starken männlichen Helden vor was auch immer gerettet werden muss. Diese Damsel spielt Mia Wasikowska – bewährte Alice unter der Fuchtel von Tim Burton und tougher Stiefvaterschreck in Park Chan Woks Stoker. Das angeblich zartbesaitete Fräulein ist entführt worden – und der liebestrunkene Vagabund Samuel (eben Pattinson) will sie befreien, sind doch beide längstens verlobt und füreinander bestimmt. Dem prärietauglichen Minnesänger zur Seite: auch so ein Loser, ein falscher Prediger unter dem Herrn, der die beiden nach geglücktem Heldenakt stante pede trauen soll. Das Problem dabei: nichts passiert, wie es passieren soll. Und die Karten werden im Viertelstundentakt neu gemischt. Und niemand, der auch nur glaubt, die Handlung dieses Films im Voraus erahnen zu können, wird diese Wette gewinnen. Smoking Gun ist wie ein Taschenspielertrick am Straßenrand, wie das obligate Hütchenspiel, wo seltsamerweise die Murmel immer dort ist, wo sie nicht sein kann. Das ist verblüffend. Und in ungefähr so ähnliche schenkelklopfend staunende Zwischenwelten tauchen die Gebrüder Zellner ihren skurrilen Schwank, der mit seltsam verträumten Bildimpressionen aufwartet, um dann wieder in clownesker Italowestern-Manier a la Sergio Corbucci Heldenapotheosen vom Himmel zu holen und Männer- wie Frauenrollen zu karikieren.

Diese Gebrüder Zellner, mir bis dato völlig unbekannt, werde ich zukünftig genauer verfolgen. Im Grunde hecken sie ähnliche Dinge aus wie die Coens, schreiben selbst, inszenieren selbst, doch was sie von den anderen unterscheidet, ist, dass sie sogar selbst mitspielen. Und wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die ganze schlendernde Westerngroteske, die vor allem anfangs an Szenen absurder Theaterstücke eines Ionesco oder Beckett erinnern, nur halb so süffisant gewesen. David Zellner als Pastor wider Willen spielt das Häufchen Elend mit selbstverachtender Inbrunst, weiß sich weder da noch dort zu helfen und erbittet händeringend beim großen Manitu um das Glück, das man doch zur Zeit der großen Treks doch im Westen finden kann, oder etwa nicht? Ja, so ist das mit den Mythen. Da wird ordentlich aufgeräumt, in Smoking Gun. Melancholische Bitternis wie bei Buster Scruggs sucht man allerdings vergebens – das ist aber auch nicht weiter schlimm. Schlimm genug sind all die Wendungen, die aus völlig verklärter Liebe völlig außer Kontrolle geraten. Smoking Gun ist ein ungewöhnlicher, leichtfüßiger Spaß, der die Kugeln aus verbogenen Gewehrläufen niemals gerade fliegen lässt und neugierig macht auf das bisherige Repertoire der Zellners. Howdy, kann ich da nur sagen. Und wer kann, der greife zur Gitarre und schrummt mal ein bisschen mit.

Smoking Gun