El Camino – A Breaking Bad Movie

BLICK ZURÜCK NACH VORNE

6/10

 

elcamino© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: VINCE GILLIGAN

CAST: AARON PAUL, JESSE PLEMONS, ROBERT FORSTER, SCOTT MCARTHUR, CHARLES BAKER, SCOTT SHEPHERD, BRYAN CRANSTON, JONATHAN BANKS U. A.

 

Der Spoilometer gibt Entwarnung: denn dass Aaron Paul alias Jesse Pinkman einer der wohl besten Fernsehserien der Welt überlebt hat, ist seit dem Trailer zu El Camino – A Breaking Bad Movie kein Geheimnis mehr. Und wer die Serie damals als Mutter aller Binge-Watch-Formate inhaliert hat wie eine frische Tüte Kartoffelchips, der wird wohl die letzten Minuten der letzten Staffel wohl auch nie wieder vergessen: Heisenberg am Boden und Pinkman auf der Flucht, bewerkstelligt in einem schwarzrot-gestreiften El Camino, noch dazu fertig mit der Welt und dem Leben, gepeinigt, verängstigt, verwahrlost. Dieser El Camino ist es auch, der mühelos die Brücke schlägt zwischen dem Finale aus 2013 zu dem nun auf Netflix erschienenen Epilog einer Kette unrühmlicher, bizarrer und tragischer Ereignisse, die mit der Krebsdiagnose des Chemielehrers Walter White überhaupt erst begonnen haben. Mit gewissem Know-How lässt sich viel anrichten, zum Guten wie zum Bösen, und das haben der kongeniale Bryan Cranston und sein Schüler Aaron Paul in einer 5staffeligen Langzeitstudie eindringlich bewiesen. Wer da nicht Couchmaniküre betrieben hat, dürfte etwas ganz anderes gesehen haben, nur nicht Breaking Bad. Und es ist schön, nach so vielen Jahren sozusagen wieder heimzukommen nach Albuquerque, an den Ort weniger schöner, aber unter- und oberweltbewegender Extreme.

Mastermind Vince Gilligan hat letzten Endes also doch darauf verzichtet, das Schicksal des Jesse Pinkman der Fantasie seiner Fans zu überlassen. Das teilweise offene Ende hatte seinen unorthodoxen Reiz, so wie der ganze Stil der Serie, aber dennoch: wie der nicht erklingende letzte Ton einer uns bekannten Melodie dürfte die vage Zukunft wie Schrödingers Katze Gilligan so sehr gequält haben, das der letzte Vorhang um alles in der Welt noch fallen musste. Wir wissen also: Pinkman ist seinen Peinigern entkommen, diese wiederum haben unter dem Kugelhagel von Walter Whites tödlichem MG-Selbstauslöser das Zeitliche gesegnet. Einer von Ihnen, ein ganz perfider Bösling mit Hang zum beiläufigen Alltagsgrauen (Jesse Plemons in erschreckend unguter Psychopathen-Jovialität) dürfte dabei vorher schon sein unrechtmäßig Erspartes irgendwo in die Möblage seiner vier Wände integriert haben – welches Pinkman aber zwecks Neuanfang dringend nötig hat. Blöd nur, dass von dieser Kohle auch andere Leute wissen, und so entwickelt sich das spannende BB-Nachspiel zu einer Art The Good, the Bad and the Ugly, alle auf der Suche nach dem Schatz des Toten, während die Kavallerie Pinkman ganz oben auf die Liste gesetzt hat. Gilligans Reminiszenz an die Heist-Western gipfelt sogar in einer skurrilen Duellszene, die wie ein Plug-In formschön ins Breaking Bad-Universum passt. Notwendig wäre El Camino aber nicht gewesen, geschweige denn ungeduldig herbeigesehnt. Die Umstände einer Flucht nach vorne kann man in Erfahrung bringen, muss man aber nicht. Der Plot war damals schon auserzählt – die einen überleben, die anderen sterben. Pinkman wäre seinen Weg schon gegangen, unterkriegen ließ sich der Bursche ohnehin nie. Das Wiedersehen macht aber dennoch Spaß, und vor allem nerdige Flashbacks halten mit Cameos einiger kultiger Charaktere aus der Serie nicht hinterm Berg. Vor allem in diesen Szenen lässt sich erkennen, wie Aaron Paul seinen Charakter eigentlich angelegt und im Laufe der Geschichte verändert hat: vom blauäugigen, jugendlichen Kleinkriminellen zum traumatisierten Leidensgenossen, dem nichts mehr bleibt außer die Zähigkeit, sich neu zu erfinden.

Der steckbrieflichen Sogwirkung seiner Schöpfung bleibt Gilligan treu, auch in El Camino kann man schwer wegsehen oder sich währenddessen mit anderem beschäftigen. Dabei liegt die Qualität des Thrillers in seinen Konstellationen des Zufalls. Breaking Bad ist somit nach dem Abspann von El Camino endgültig Fernseh- und ein bisschen auch Filmgeschichte. Zeit also, dass sich Gilligan etwas Neues ausdenkt. Und das sollte man, erfahrungsgemäß, eigentlich nicht verpassen.

El Camino – A Breaking Bad Movie

Der Fall Jesus

VON SAULUS ZU PAULUS

4/10

 

Der Fall Jesus© 2017 Pure Flix

 

LAND: USA 2017

REGIE: JON GUNN

CAST: MIKE VOGEL, ERIKA CHRISTENSEN, ROBERT FORSTER, FAYE DUNAWAY U. A.

 

Bei Matthäus 19 heißt es doch so schön: Wer es fassen kann, der fasse es! Dabei beziehen sich Jesus´Worte auf die Bereitschaft, sich dem Glauben einmal mehr, einmal weniger offenkundig hinzugeben. Sich Gott komplett zu verschreiben, oder dessen Botschaften in respektvollem Abstand zu interpretieren. Der Glaube, der ist ja etwas ganz Persönliches, der gehört in jedem Fall nicht dogmatisiert. Und schon gar nicht frei von Zweifel gehalten. Wer es also zur Gänze begreifen kann, diese frohe Botschaft, der soll das tun. Wer hinter den Vorhang blicken kann, der soll das machen. Alle anderen müssen das nicht, sie sollen es so fassen, wie sie es fassen können. Und wer nicht bedungungslos an die Wahrheit glaubt, der kommt deswegen auch nicht weniger ins Himmelreich, das betrifft dann wieder vermehrt die Reichen. Auch Reporter Lee Strobel wäre auch dann ins Himmelreich gekommen (sofern es eines gibt, aber wie gesagt: Zweifel sind immer ein Zeichen dafür, sich mit einem Thema aktiv auseinanderzusetzen) hätte er sich der Authentizität des Neuen Testaments weiterhin verschlossen. Doch irgendetwas ließ den faktenversessenen Journalisten einfach nicht davon abhalten, die Wahrheit über den historischen Jesus herausfinden zu wollen. Nicht aber, weil er dessen Existenz wiederlegen wollte. Nicht, weil er die ganze christliche Lehre für Humbug gehalten hätte. Sondern einfach, weil er schon von Anbeginn an, bevor die Recherchen zu den Fakten überhaupt in Angriff genommen wurden, bereits daran glauben wollte. Wollen also, aber leider nicht können. Das wäre der Glaubwürdigkeit eines Reporters wohl nicht zuträglich, denn solche Berufe zeichnen sich dadurch aus, alles penibel recherchieren zu müssen, um nicht enttarnt zu werden als Kolporteure, die Gesagtes und Gehörtes nochmal unreflektiert aufwärmen. Das geht natürlich gar nicht. Also ist sich Lee Strobel selbst im Weg.

Der Fall Jesus erzählt von der Eigenmission eines Mannes, der später zu einem angesehenen Vertreter des apologetischen Glaubens und der kreationistischen Entstehungslehre (!) werden wird. Womit wir plötzlich bei einer, ich kann mir nicht helfen, überraschend ungetarnten Kirchenpropaganda gelandet sind, die vorgibt, ein geschichtswissenschaftlicher Thriller zu sein, dabei aber von einem völlig verhobenen Trugschluss ausgeht. Dieser lautet wie? Dass Glaube welcher Art auch immer aus der Akzeptanz irgendwelcher Fakten resultiert. Das wird niemals passieren, und auch wenn die Passionsgeschichte des Mannes aus Nazareth irgendwie auch wiederlegt hätte werden können (was aber nicht passiert ist), wäre die Sache des Glaubens immer noch eine andere. Auch wenn die Bibel nicht recht hat, hat der eigene Glaube immer noch Hand und Fuß. Kann also ein Mensch wie Lee Strobel hinsichtlich einer metaphysischen Entität wirklich Überzeugung erlangen, sofern sich die Prämisse, nur zu glauben was man sieht, erfüllt? Oder wäre dieser Mensch ohne des Bohrens in heiligen Wunden nicht ohnehin zur selben Erkenntnis gelangt? Laut dessen Bericht würde ich behaupten: ja. Strobels Frau, die auf ganz anderem Wege zu ihrem Glauben gefunden hat, nämlich in Bezug auf das Wunder, dass ihre Tochter vor dem Erstickungstod bewahrt hat, ist in ihrer Neuausrichtung in punkto Lebenssinn da schon glaubwürdiger, wenn auch hier von einer leicht fanatischen Freude beseelt, die ihr ja zu wünschen ist, die aber dennoch irritiert. Das erinnert unweigerlich an das kürzlich in Wien stattgefundene Massengebet für Exkanzler Sebastian Kurz durch den Awakening Europe-Verein, der natürlich aus den USA kommt, denn dort kommt das ganze erzkonservativ christliche Glaubenskonzept eigentlich her.

Zu diesem bigotten Bekenntnis will uns der von der christlichen Produktionsfirma Pure Flix gedrehte, populistische Film aber eigentlich verleiten. Zu einer Hurra-Erleuchtung, die wie aus heiterem Himmel Ungläubige zu eifrig buckelnden Gläubigen machen soll, ungefähr so wie Saulus zu Paulus wurde, was zwar missionstechnisch damals seinen Mehrwert hatte, aber wer will heutzutage noch missionieren, wo jeder, der etwas damit anfangen will, seinen persönlichen Jesus hat? Der Fall Jesus will das schon, auf Basis unwiderlegbarer historischer Fakten, die für sich schon einen spannenden Einblick in die Bibelarchäologie gewähren, die aber mit der massentauglichen Erweckungssystematik frömmelnder Gebetsgruppen eigentlich gar nichts zu tun haben wollen – und dort auch nicht hingehören.

Der Fall Jesus

Smoking Gun

SCHÖNES FRÄULEIN, DARF ICH´S WAGEN?

7,5/10

 

damsel_pHcHoj© 2018 Universal Pictures

 

ORIGINALTITEL: DAMSEL

REGIE: DAVID & NATHAN ZELLNER

CAST: ROBERT PATTINSON, MIA WASIKOWSKA, DAVID ZELLNER, NATHAN ZELLNER, JOSEPH BILLINGIERE, ROBERT FORSTER U. A.

 

Edward Cullen ist zurück! Für jene, die Twilight nicht kennen: es ist der Vampir, der tagsüber funkelt wie ein Swarovski-Kristall, auf Debussy steht und überhaupt auf sterbliche Oberstufenschülerinnen wie Kristen Stewart eine war. Bevor nun aber falsche Hoffnungen aufkommen: nicht Cullen selbst ist zurück, sondern der, der ihn so erfolgreich und Hype-anfällig gespielt hat – nämlich Robert Pattinson. Wie wir Filmfreunde natürlich alle gelesen haben, wird Pattinson als möglicher neuer Batman gehandelt (mittlerweile ist es fix!). Geht denn das? Nun, ich meine: Ja, sehr gut sogar. Auch Pattinson wird älter, reifer und differenzierter in seinem Schauspiel. Ist zwischen eingangs erwähnter Blockbuster-Reihe und aktuellem Stand Gefahr gelaufen, im natürlich nicht zu verachtenden Low-Budget-Arthousekino zu stranden. Und gerade eben ist der ehemalige oder Immer-noch-Mädchenschwarm im Science-Fiction-Film High Life zu sehen, an der Seite von Juliette Binoche. Vom Raumanzug ist es kein weiter Sprung mehr ins Bat-Suit. Zwischendurch kann er ja mal halt machen und sich das Schießeisen umschnallen. Was er mittlerweile auch schon getan hat. Und zwar in einem Western, der so abseits des Mainstreams vor sich hin flaniert, dass ihn wohl kaum einer bislang bemerkt haben wird. Was aber ein Fehler ist. Denn der Film mit dem sträflich kaputtgedeutschenglischten Titel Smoking Gun ist ein – und das wage ich zu behaupten – so kleiner wie feiner Geheimtipp, der den unorthodoxen Geist eines Jim Jarmusch atmet und die Westernanthologie von Joel & Ethan Coen, nämlich The Ballad of Buster Scruggs elegant bei sich einhaken lässt.

Gut, im Original heißt das seltsame Stelldichein zwischen Birkenwäldern und freakigen Saloons Damsel – ein Wort, dass wohl kaum mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im täglichen Sprachgebrauch zu finden sein wird. Damsel steht umgangssprachlich für ein Fräulein nach altem Geschlechterbild, das unbedingt von einem starken männlichen Helden vor was auch immer gerettet werden muss. Diese Damsel spielt Mia Wasikowska – bewährte Alice unter der Fuchtel von Tim Burton und tougher Stiefvaterschreck in Park Chan Woks Stoker. Das angeblich zartbesaitete Fräulein ist entführt worden – und der liebestrunkene Vagabund Samuel (eben Pattinson) will sie befreien, sind doch beide längstens verlobt und füreinander bestimmt. Dem prärietauglichen Minnesänger zur Seite: auch so ein Loser, ein falscher Prediger unter dem Herrn, der die beiden nach geglücktem Heldenakt stante pede trauen soll. Das Problem dabei: nichts passiert, wie es passieren soll. Und die Karten werden im Viertelstundentakt neu gemischt. Und niemand, der auch nur glaubt, die Handlung dieses Films im Voraus erahnen zu können, wird diese Wette gewinnen. Smoking Gun ist wie ein Taschenspielertrick am Straßenrand, wie das obligate Hütchenspiel, wo seltsamerweise die Murmel immer dort ist, wo sie nicht sein kann. Das ist verblüffend. Und in ungefähr so ähnliche schenkelklopfend staunende Zwischenwelten tauchen die Gebrüder Zellner ihren skurrilen Schwank, der mit seltsam verträumten Bildimpressionen aufwartet, um dann wieder in clownesker Italowestern-Manier a la Sergio Corbucci Heldenapotheosen vom Himmel zu holen und Männer- wie Frauenrollen zu karikieren.

Diese Gebrüder Zellner, mir bis dato völlig unbekannt, werde ich zukünftig genauer verfolgen. Im Grunde hecken sie ähnliche Dinge aus wie die Coens, schreiben selbst, inszenieren selbst, doch was sie von den anderen unterscheidet, ist, dass sie sogar selbst mitspielen. Und wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die ganze schlendernde Westerngroteske, die vor allem anfangs an Szenen absurder Theaterstücke eines Ionesco oder Beckett erinnern, nur halb so süffisant gewesen. David Zellner als Pastor wider Willen spielt das Häufchen Elend mit selbstverachtender Inbrunst, weiß sich weder da noch dort zu helfen und erbittet händeringend beim großen Manitu um das Glück, das man doch zur Zeit der großen Treks doch im Westen finden kann, oder etwa nicht? Ja, so ist das mit den Mythen. Da wird ordentlich aufgeräumt, in Smoking Gun. Melancholische Bitternis wie bei Buster Scruggs sucht man allerdings vergebens – das ist aber auch nicht weiter schlimm. Schlimm genug sind all die Wendungen, die aus völlig verklärter Liebe völlig außer Kontrolle geraten. Smoking Gun ist ein ungewöhnlicher, leichtfüßiger Spaß, der die Kugeln aus verbogenen Gewehrläufen niemals gerade fliegen lässt und neugierig macht auf das bisherige Repertoire der Zellners. Howdy, kann ich da nur sagen. Und wer kann, der greife zur Gitarre und schrummt mal ein bisschen mit.

Smoking Gun