The End We Start From (2023)

HINTER MIR DIE SINTFLUT

5/10


the-end-we-start-from© 2023 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: MAHALIA BELO

DREHBUCH: ALICE BIRCH, NACH DEM ROMAN VON MEGAN HUNTER

CAST: JODIE COMER, JOEL FRY, KATHERINE WATERSTON, GINA MCKEE, NINA SOSANYA, MARK STRONG, BENEDICT CUMBERBATCH, SOPHIE DUVAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Diese Woche soll es endlich wieder mal ordentlich regnen. Zumindest hier, im staubtrockenen, glutheissen Wiener Becken, waren all die verzweifelten Regentänze für die Fische. Unter solchen Umständen wandern Filme, die sich mit Klimawandel und noch dazu mit dem heiß ersehnten Niederschlag auseinandersetzen, die Watchlist höher. Eines dieser neuen Werke ist jener Streifen, der Jodie Comer als frischgebackene Mutter durch ein teilweise überflutetes und vollends dem Ausnahmezustand anheimgefallenes Großbritannien schickt. Durch das London an der Themse lässt sich nur noch per Boot manövrieren, zum Glück haben eine Frau ohne Namen und ihr Mann rechtzeitig Haus und Heim hinter sich gelassen, zum Glück hat diese Frau auch rechtzeitig ihr Baby zur Welt gebracht. Es scheint, als wäre das Schicksal dieser frischgebackenen Familie gewogen, denn Papas Eltern leben überdies in höhergelegenen Gefilden am Land, mit jeder Menge Vorrat, um gut durch die Krise zu kommen. Diese dauert aber länger als gedacht, es scheint, als wäre die Flutkatastrophe sowas wie einer Zombieapokalypse gewichen, nirgendwo gibt es mehr Nahrung, und selbst im Haus der Großeltern leert sich der Keller. Das Schicksal meint es also doch nicht gut, als ein Unglücksfall dem anderen folgt und Jodie Comers Charakter plötzlich ganz allein dastehen muss, den Säugling vor die Brust geschnallt und ums Überleben kämpfend. Die Suche nach Papa muss verschoben werden. Die Zukunft ist ungewiss.

Aus gefühlt jedem Katastrophenzustand wird im Kino gerne eine Endzeit generiert. Auf ein zivilisiertes Danach lässt sich in vielen Fällen einfach nicht mehr hoffen. Meist ist das Elysium ein am Horizont vage manifestierter Lichtblick, ein Ideal, ein Hoffnungsschimmer oder Motivator, der die hartnäckig Suchenden nicht resignieren lässt. The End We Start From ist nicht viel anders und fühlt sich an wie ein Spin Off von The Last of Us, nur ohne den toxischen Pilzsporen anheimgefallene Mutanten. Hier ist das Hochwasser schlimm genug, um die gesellschaftliche Ordnung aus den Angeln zu heben. Dass man in Zeiten wie diesen dann doch noch eine neue Generation in eine ungewisse, äußerst instabile Zukunft schicken soll, versucht der nach einem Roman von Megan Hunter inszenierte melodramatische Streifen zu illustrieren. Und lässt sich dabei zu einem mitunter elegischen Kaffeekränzchen für Mamas hinreissen, das mit einer Engelsgeduld, die der Zuseher vielleicht nicht hat, den pflegetechnischen Alltag von Jodie Comer und dann auch noch Katherine Waterston, die sich ebenfalls um ihr Kleinkind bemüht, in den Fokus nimmt. Das mutet in jedem Fall recht empathisch und gefühlvoll an, reizt die Thematik aber zu sehr aus, während sich der rote Faden in den Wirren der nicht näher beleuchteten Katastrophe verliert, die überdies das Gefühl vermittelt, nicht ganz schlüssig zu sein. Geht’s mal nicht um das Erfüllen mütterlicher Pflichten, setzt Mahalia Belo Jodie Comers Konterfei breitenwirksam in Szene – nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig. Und dann nochmal: nachdenklich, rückblickend, sehnsüchtig, vielleicht gar schwelgend in Erinnerungen mit Partner Joel Fry, der stets so aussieht, als würde er nicht nur in den Fluten, sondern auch im Selbstmitleid ertrinken.

Es ist schon gut erkennbar, worum es der Story um Mutterschaft angesichts extremer Umstände wohl gehen mag: Um den Verlust gesicherter Existenzgrundlagen und die Erschaffung neuer Parameter. Was es dafür braucht, ist letztlich die gesamte leidgeprüfte Familie. Mahalia Belo lässt sich mit dieser redundanten Erkenntnissuche aber viel zu viel Zeit, The End We Start From hat mitunter ermüdenden Leerlauf und fühlt sich dem Melodramatischen sehr zugetan. Ein Endzeitdrama light mag hier gelungen sein, für all jene, die The Road mit Viggo Mortensen als unzumutbar erachten, derweil ist dieser düstere Streifen einer der „schönsten“ und aufrichtigsten Filme um das Ende der Welt, die bisher gedreht wurden. The End We Start From weiß nicht so recht, wieviel es seinen Figuren zumuten will. Als Schonprogramm zwischen Krabbelstube und Existenzanalyse mag dieser gemächliche Paradigmenwechsel wie weichgespült wirken, auch wenn, wie es scheint, die Insel sich mutwillig selbst aufgibt.

The End We Start From (2023)

Brian and Charles (2022)

MEIN FREUND, DIE WASCHMASCHINE

6/10


brian_and_charles© 2022 Focus Features


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2022

REGIE: JIM ARCHER

DREHBUCH: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, NACH DEM KURZFILM VON JIM ARCHER

CAST: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, LOUISE BREALEY, JAMIE MICHIE, NINA SOSANYA, LYNN HUNTER, COLIN BENNETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Mitarbeiter im Patentamt würden sich angesichts der tolldreisten Erfindungen, die der Sonderling Brian tagtäglich aus dem Fundus an alten Teilen zusammenkonstruiert, wohl kaum mehr wundern als sonst während ihres beruflichen Alltags. Mit Sicherheit wandern dort des Öfteren gelinde gesagt recht unnütze Verschlimmbesserungen in die Rundablage, ohne überhaupt genauer geprüft werden zu müssen. Handstaubsauger mit Flaschenhalter, eine Kurbelklobürste und allerhand seltsame Gerätschaften schmücken die Werkstatt des zurückgezogen lebenden Mannes, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen Freund an seiner Seite – oder gar eine Freundin. Doch Brian ist ein kreativer Kopf, und solange die Ideen, so absurd sie auch sein mögen, aus seinem Denkapparat sprudeln, haben Depressionen keine Chance. Kreativität ist das Heilmittel für alles. Das Brainstorming vor dem großen Durchbruch ein spektakuläres Abenteuer.

Und dann das: Eines Tages kommt der Moment, den wohl auch der gute alte Gepetto erlebt haben muss, als eine Marionette aus Holz plötzlich stolz zum Morgengruß ansetzte. Etwas, das nicht leben kann, erfreut sich seiner Existenz. In diesem Fall ist es eben nicht Pinocchio, sondern Charles, eine Waschmaschine auf zwei Beinen, obendrauf der Kopf einer Schaufensterpuppe – dazu schütteres graues Haar und eine Brille. Wie durch ein Wunder scheint Brians Konzept für einen Roboter ins Schwarze getroffen zu haben. Wie er das gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Nicht nur für ihn oder für sein überschaubares soziales Umfeld, sondern auch für uns Zuseher. Dass dieser Charles Petrescu, wie er sich nennt, also mehr ist als die Summe seiner Teile, mag einige Neider auf den Plan rufen – aber auch die schüchterne Hazel, die bei ihrer Mutter wohnt und für den kauzigen Erfinder mehr als nur Sympathie empfindet.

Jim Archers Underdog-Science-Fiction nach seinem eigenen Kurzfilm muss man eigentlich mögen, es geht gar nicht anders. Comedian David Earl als völlig in seiner Leidenschaft des Erfindens versunkener Außenseiter weckt zumindest in mir das verbrüdernde Verständnis für die in sich ruhende Glückseligkeit, die man bekommt, würde man im Tun dessen, was Freude bringt, sich selbst genügen. Das mag für alle anderen verrückt erscheinen, doch was die anderen meinen, schert niemanden mehr. Eine gute Einstellung, und doch geht es nicht ohne soziale Interaktion. Und die mag von mir aus ein ungelenker Roboter sein, dem sein eigenes Ich bewusst wird, der minütlich neu dazulernt und der trotz seiner unförmigen Physiognomie seltsamerweise in jedes Auto passt.

Mit nachvollziehbarer Logik lässt sich Brian und Charles gar nicht erklären. Collodis Pinocchio aber genauso wenig. Beide sind Märchen, beide sind Gleichnisse auf Selbstbestimmung und Originalität, auf Einzigartigkeit und das stete Streben nach neuen Ufern. Archers handgemachter Science-Fiction-Film verlässt dabei klassisches Erzählkino und bedient sich den Mechanismen einer Mockumentary – Brian durchbricht dabei die vierte Wand, wendet sich immer wieder einem ins Geschehen eingebundenen Betrachter zu, der vielleicht gar das eine oder andere Wort verliert.

Platziert in diese dörfliche Struktur völliger Abgeschiedenheit von der großen weiten Welt, die Charles aber unbedingt kennenlernen will, kommt auch Archers Film nicht über den Status einer Filmschrulle hinaus, die als Ständchen auf den verspielten Esprit des völlig Unnützen oder dem fehlkonstruierten Chaos verstanden werden will, aus dem irgendwann, ganz wie von selbst, Sinn entsteht. Mit Charles als dieses Wunder, diesem unförmigen Koloss, mag der Film so gemütlich wie absurd wirken, erzählerisch aber wagt er keine großen Sprünge. Man schmunzelt, man wundert sich. Mehr nicht. Doch vielleicht genügt das ohnehin.

Brian and Charles (2022)