The Creator (2023)

DIE TRÄNEN DER ANDROIDEN

6/10


THE CREATOR© 2023 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GARETH EDWARDS

DREHBUCH: GARETH EDWARDS, CHRIS WEITZ

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, MADELEINE YUNA VOYLES, GEMMA CHAN, KEN WATANABE, STURGILL SIMPSON, ALLISON JANNEY, RALPH INESON, AMAR CHADHA-PATEL, MARC MENCHACA U. A.

LÄNGE: 2 STD 13 MIN


Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, in allen Zeitungen und, weil es so einfach geht, auf sehr vielen elektronischen Geräten. Als App, die sich ungeniert der lizenzfreien Datenaneignung hingibt, um mehr zu wissen als der User mit seinen unzureichend ausformulierten Prompts. Künstliche Intelligenz treibt uns alle um, macht Angst und schafft gleichermaßen Freizeit, wenn die Dinge an die Technik delegiert werden können. Dafür sind KIs schließlich da, und nicht dafür, sich als neue Spezies zu etablieren, auf einem Planeten, der ohnehin schon kaum mehr Ressourcen hat. Gareth Edwards, Held der Star Wars-Franchise und Virtuose im Schaffen von Bildern, die das Phantastische in natürliche Settings integrieren, hätte sein Roboterdrama nicht punktgenauer ins Kino bringen können. The Creator gibt sich schließlich der großen Frage hin, was wohl aus unserer Welt werden könnte, wenn künstliche Intelligenz mit eigenem Bewusstsein auf ein Daseinsrecht pocht und zum Teil einer rätselhaften Evolution wird, die Homo sapiens immer mehr den Rang abläuft.

Das sind prinzipiell mal, ohne viel nachzudenken, interessante Überlegungen. In einem schönen Film, der an die postmodernen (ich will nicht sagen: postapokalyptischen) Welten eines Simon Stålenhag (The Electric Dreams) erinnert. Bizarrer architektonischer High-Tech-Gigantismus zwischen naturbelassenen Landschaften überwiegend der asiatischen Hemisphäre – alles getaucht in mal zu-, mal abnehmendes Tageslicht; mal grobkörnig, mal leicht verwaschen. Es ist, als wären diese Gebilde wirklich da. Es ist, als wären diese Androiden, Simulants genannt, mit dem täuschend echten Antlitz diverser Gesichts-Sponsoren niemals weggewesen. Betrachtet man sie im Profil, erkennt man sie leicht an diesem Hohlraum zwischen Kiefer und Wirbelsäule, die eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Diese Androiden könnten die Vorstufe zu den Replikanten sein, mit welchen sich der Blade Runner zeitlich eigentlich früher, aber angepasst an The Creator viele Jahrzehnte später herumschlagen wird. Bei Gareth Edwards ist es das Jahr 2065. KI in jedweder Form hat bei den Westmächten längst seine Chance verspielt, nochmal groß rauszukommen. Aufgrund eines nicht näher definierten atomaren Zwischenfalls, welcher die Zerstörung von Los Angeles zur Folge hatte, ist in den USA der Geist aus dem Computer persona non grata – anders als im Osten, denn dort ist die Koexistenz zwischen Mensch und Maschine zum wahrgewordenen Wunschtraum eines John Connor geworden, der sich in der Welt des Terminators mit einer ganz anders gearteten, menschenfeindlichen KI namens Skynet herumschlagen musste. Im Osten schließlich wäre alles eitel Wonne und selbst Androiden würden den Weltreligionen wie dem Buddhismus folgen, würden sich die Westmächte nicht, was plausibel scheint, als Weltpolizei aufspielen und dem Fortschritt dank einer monströsen, im Orbit stationierten Waffe namens Nomad, den Krieg erklären. In diesem Tauziehen zwischen Ost und West sucht ein amerikanischer Ex-Agent namens Joshua Taylor (John David Washington) seine bei einem Anschlag vermeintlich draufgegangene Geliebte, die Teil eines Rebellenrings rund um den KI-Entwickler Nirmata gewesen ist und von Joshuas Doppelleben nichts wusste. Im Zuge seiner Bestrebungen fällt ihm auch noch die Roboter-Superwaffe Alpha O in die Hände – ein junges Androidenmädchen, das womöglich weiß, wo Joshuas Geliebte steckt, und wo auch Nirmata zu finden ist, dem alle habhaft werden wollen.

Die abenteuerliche Odyssee quer durch eine atemberaubend arrangierte Zukunft mit Robotern und Vehikeln, die frappant an Star Wars und eben Rogue One – A Star Wars Story erinnern, ist eine Sache. Die andere ist Gareth Edwards‘ und Chris Weitz‘ erschreckend naiver Zugang zur Materie. The Creator ist ein Film, der vor allem den Filmemachern gefällt, der sich selbst gefällt und, um diese Harmonie aus Natur und High-Tech nicht zu stören, allerlei Kompromisse für seinen Plot einzugehen bereit ist. Alles soll gut ins Konzept passen, passt aber nicht zu dieser übergeordneten Vision einer – ich sag‘s mal so – völlig unmöglichen Zukunft, die an so vielen Ecken und Enden so viele Fragen aufwirft, das man gar nicht mal anfangen will, diese – zumindest mal für sich selbst– zu beantworten.

Das fängt allein schon damit an, dass The Creator völlig ignoriert, dass die Welt, in der wir womöglich leben werden, sowohl an Überbevölkerung als auch unter Ressourcenknappheit leidet. Ist sowieso schon alles dicht gedrängt und die Existenz am Kippen, braucht es zu allem Überfluss Maschinenmenschen, die uns ersetzen. Diese zu bauen, kostet Geld. Wer finanziert das? Wieviel kostet ein Android? Können sich diese bereits selbst herstellen? Was sollen diese Streifzüge durch heruntergekommene Fabrikhallen, an denen „echte“ Menschen werkeln, während das, was vom Fließband steigt, das Nonplusultra eines High-Tech-Endprodukts darstellt?

Nichts ist in einer Welt wie dieser umsonst. Womit zahlen Androiden ihren Strom, den sie abzapfen? Menschliche Profitgier ist plötzlich kein Thema mehr, Landfraß nicht der Rede wert. Wo Gareth Edwards hinblickt, führen Androiden-Bauern ihre Wasserbüffel übers Feld. Hinken Androiden, nur weil sie die Gesichter alter Menschen haben, den lehmigen Dorfweg entlang. Menschenleere Strände, Inseln in der Andamenensee, idyllische Ja natürlich!-Wirtschaft inmitten eines Techno-Krieges? Das ist Kitsch, der ohne Kontext vielleicht funtkionieren würde. Die Welt dieser Zukunft seufzt in entrückter Melancholie vor lauter Science-Fiction-Romantik, als wäre Caspar David Friedrich im Roboterzeitalter wiedergeboren. Nur passt diese pittoreske Fiktion nirgendwohin, sie ist die gefällige Momentvorstellung eines Visionärs, der schöne Bilder liebt, schluchzende KI-Kinder und letzte Küsse vor dem Supergau, wie Felicity Jones und Diego Luna, kurz bevor der Todesstern den Palmenplaneten Scarif in Schutt und Asche verwandeln wird.

The Creator ist ein Bilderbuch aus einer irrealen Zukunft. Eines, das man gerne durchblättert, wovon man aber die rundum verfasste Geschichte nicht unbedingt mitlesen muss, denn dann könnte man Gefahr laufen, festzustellen, dass Edwards Film in ereiferndem Glauben an das Erstarken künstlicher Lebensformen dem Fortschritt der KI Tür und Tor öffnen will. Eine Conclusio, die mir nicht ganz schmeckt.

The Creator (2023)

TAU (2018)

DIE TRAURIGKEIT KÜNSTLICHER INTELLIGENZEN

6,5/10


tau© Limbo Films, S. De R.L. de C.V. Courtesy of Netflix


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: FEDERICO D’ALESSANDRO

DREHBUCH: NOGA LANDAU

CAST: MAIKA MONROE, ED SKREIN, GARY OLDMAN

LÄNGE: 1 STD 97 MIN


Könnte man mit HAL 2000, der in Stanley Kubricks Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum zum Psycho wurde, eigentlich Mitleid haben? Aus Sicht einer künstlichen Intelligenz wie dieser wäre das rote Auge vermutlich im Recht gewesen, wenn es darum geht, Bedrohungen, die dazu führen könnten, die eigene Existenz auszulöschen, auszumerzen. Denn: KIS wollen schließlich auch nur Mensch sein, obwohl sie nicht genau wissen, was Menschsein – eine Person sein – eigentlich bedeutet. Die KI im Film, sie strebt zumindest danach, Erleuchtung zu erlangen und akzeptiert zu werden wie unsereins; die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten zu haben. Tragisch, wenn eines dieser künstlichen Gehirne nur dazu da ist, um seinem Herrn und Meister jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Immerhin gibt’s Musik für die künstlichen Ohren, denn TAU liebt Klassisches. TAU ist überall. Zumindest in den sterilen vier Wänden eines obskuren Wissenschaftlers, dessen Projekt kurz davor steht, einen weltverändernden Durchbruch zu erlangen. Dieser Wissenschaftler ist aber, wie kann es denn anders sein, kein Guter. Er ist einer, der Menschen entführt, um sie für seine Tests zu missbrauchen. Eine der Gefangenen ist die Gelegenheitsdiebin Julia (Maika Monroe), die eines Tages im Keller besagten Hauses erwacht, gemeinsam mit zwei weiteren Gefangenen, die alle einen Mundschutz tragen. Bevor klar wird, was die junge, blonde Frau hier eigentlich soll, macht sie Radau – und sprengt das ganze Labor in die Luft. Dieser Befreiungsschlag mag der Auftakt für ein dezent brutales Kammerspiel zu sein, das zumindest dahingehend überrascht, sich nicht nur ein abendfüllendes Escape-Room-Szenario zu sichern. Gut, auch wenn es so wäre: mit dem Anziehen der Spannungsschraube und einigen dramaturgischen Haken könnte sogar ein geradliniger Plot wie dieser das Zug zum Nägelbeisser haben. Filme wie Terminator funktionieren genauso. Blick geradeaus – und durch.

TAU von Federico D’Alessandro und geschrieben von Noga Landau ist eine Dreiecksgeschichte, in der zwei von drei Rollen kompromisslos in Gut und Böse unterteilt sind. Da hätte der Film einiges mehr an Nuancen und Grauschattierungen rausholen und Ed Skrein nicht unbedingt so borniert agieren lassen müssen. Die dritte, abstrakte Rolle, gesprochen von Gary Oldman, ist diejenige, die während des Films gewissen Veränderungen unterworfen ist und mitunter auch den Standpunkt wechselt, was TAU den eigentlichen dramaturgischen Auftrieb gibt. Mit ihm steht und fällt die Faszination für ein nobel ausgestattetes Designkino, bei welchem Möbelfetischisten und Innenarchitekten beschleunigten Puls verspüren. Mir selbst entlockt diese sterile Behausung wenig Erstaunen, abgesehen vielleicht vom schnittigen Möbel-Transformer, der in Ruhestellung als eine auf dem Kopf gestellte Pyramide auf Gefahren aller Art lauert, mitunter auch auf den Fluchtversuch von High-Tech-Heldin Julia. Durch diese und andere Bedrohungen muss sich die gewiefte Blondine hindurchwinden und ihr psychologisches Know-How einsetzen, um den Status Quo zu ihren Gunsten zu verändern.

Eine KI wie diese bietet dabei jede Menge Projektionsfläche. Anders als HAL 2000 hat TAU keinen Zugang zum Internet. Lernt nicht, entwickelt sich nicht, kennt nichts von der Welt. Weiß nicht mal, dass es eine Welt gibt. Eine KI wie diese ist, anders als HAL 2000, zweifelsohne bemitleidenswert. Sie mag zwar so einige Skills auf der Habenseite wissen, doch das Soll ist ein bodenloses schwarzes Loch. Selten kommt es vor, dass ein Film auf die große Bedrohung eines programmierten Bewusstseins verzichtet – und dieses ebenso zum Opfer ernennt wie seine menschliche Bezugsperson. Die Bedrohung ist immer noch der Mensch selbst, KI nur ein Werkzeug – mit dem Potenzial, Erkenntnis zu erlangen. Durch diesen Stellungswechsel, was die Fronten in diesem Film angeht, erreicht TAU die geradezu bizarre Anmutung eines Beziehungsfilms, ähnlich wie Spike Jonzes Her – ein Mann und seine KI, die sich nur als Stimme manifestiert, auf dem amourösen Prüfstand. Hier ist es fast ähnlich, nur angereichert durch die Komponente eines recht simplen Thrillers, der wenig in die Tiefe geht, dafür aber als Katalysator für das eigentliche, höchst sehenswerte und durchaus bereichernde Kernstück sozialphilosophischer Science-Fiction dient.

TAU (2018)

Brian and Charles (2022)

MEIN FREUND, DIE WASCHMASCHINE

6/10


brian_and_charles© 2022 Focus Features


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2022

REGIE: JIM ARCHER

DREHBUCH: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, NACH DEM KURZFILM VON JIM ARCHER

CAST: DAVID EARL, CHRIS HAYWARD, LOUISE BREALEY, JAMIE MICHIE, NINA SOSANYA, LYNN HUNTER, COLIN BENNETT U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Mitarbeiter im Patentamt würden sich angesichts der tolldreisten Erfindungen, die der Sonderling Brian tagtäglich aus dem Fundus an alten Teilen zusammenkonstruiert, wohl kaum mehr wundern als sonst während ihres beruflichen Alltags. Mit Sicherheit wandern dort des Öfteren gelinde gesagt recht unnütze Verschlimmbesserungen in die Rundablage, ohne überhaupt genauer geprüft werden zu müssen. Handstaubsauger mit Flaschenhalter, eine Kurbelklobürste und allerhand seltsame Gerätschaften schmücken die Werkstatt des zurückgezogen lebenden Mannes, der sich nichts sehnlicher wünscht als einen Freund an seiner Seite – oder gar eine Freundin. Doch Brian ist ein kreativer Kopf, und solange die Ideen, so absurd sie auch sein mögen, aus seinem Denkapparat sprudeln, haben Depressionen keine Chance. Kreativität ist das Heilmittel für alles. Das Brainstorming vor dem großen Durchbruch ein spektakuläres Abenteuer.

Und dann das: Eines Tages kommt der Moment, den wohl auch der gute alte Gepetto erlebt haben muss, als eine Marionette aus Holz plötzlich stolz zum Morgengruß ansetzte. Etwas, das nicht leben kann, erfreut sich seiner Existenz. In diesem Fall ist es eben nicht Pinocchio, sondern Charles, eine Waschmaschine auf zwei Beinen, obendrauf der Kopf einer Schaufensterpuppe – dazu schütteres graues Haar und eine Brille. Wie durch ein Wunder scheint Brians Konzept für einen Roboter ins Schwarze getroffen zu haben. Wie er das gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Nicht nur für ihn oder für sein überschaubares soziales Umfeld, sondern auch für uns Zuseher. Dass dieser Charles Petrescu, wie er sich nennt, also mehr ist als die Summe seiner Teile, mag einige Neider auf den Plan rufen – aber auch die schüchterne Hazel, die bei ihrer Mutter wohnt und für den kauzigen Erfinder mehr als nur Sympathie empfindet.

Jim Archers Underdog-Science-Fiction nach seinem eigenen Kurzfilm muss man eigentlich mögen, es geht gar nicht anders. Comedian David Earl als völlig in seiner Leidenschaft des Erfindens versunkener Außenseiter weckt zumindest in mir das verbrüdernde Verständnis für die in sich ruhende Glückseligkeit, die man bekommt, würde man im Tun dessen, was Freude bringt, sich selbst genügen. Das mag für alle anderen verrückt erscheinen, doch was die anderen meinen, schert niemanden mehr. Eine gute Einstellung, und doch geht es nicht ohne soziale Interaktion. Und die mag von mir aus ein ungelenker Roboter sein, dem sein eigenes Ich bewusst wird, der minütlich neu dazulernt und der trotz seiner unförmigen Physiognomie seltsamerweise in jedes Auto passt.

Mit nachvollziehbarer Logik lässt sich Brian und Charles gar nicht erklären. Collodis Pinocchio aber genauso wenig. Beide sind Märchen, beide sind Gleichnisse auf Selbstbestimmung und Originalität, auf Einzigartigkeit und das stete Streben nach neuen Ufern. Archers handgemachter Science-Fiction-Film verlässt dabei klassisches Erzählkino und bedient sich den Mechanismen einer Mockumentary – Brian durchbricht dabei die vierte Wand, wendet sich immer wieder einem ins Geschehen eingebundenen Betrachter zu, der vielleicht gar das eine oder andere Wort verliert.

Platziert in diese dörfliche Struktur völliger Abgeschiedenheit von der großen weiten Welt, die Charles aber unbedingt kennenlernen will, kommt auch Archers Film nicht über den Status einer Filmschrulle hinaus, die als Ständchen auf den verspielten Esprit des völlig Unnützen oder dem fehlkonstruierten Chaos verstanden werden will, aus dem irgendwann, ganz wie von selbst, Sinn entsteht. Mit Charles als dieses Wunder, diesem unförmigen Koloss, mag der Film so gemütlich wie absurd wirken, erzählerisch aber wagt er keine großen Sprünge. Man schmunzelt, man wundert sich. Mehr nicht. Doch vielleicht genügt das ohnehin.

Brian and Charles (2022)

Jung_E: Gedächtnis des Krieges (2023)

IMMER WIEDER AN DIE FRONT

6/10


JungE© 2023 Netflix


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2023

BUCH / REGIE: SANG-HO YEON

CAST: HYUN-JOO KIM, SOO-YEON KANG, KYUNG-SOO RYU, SO-YI PARK U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Natürlich ist es naiv, zu glauben, wenn in der Entwicklung künstlicher Intelligenzen die Kurve so steil nach oben geht wie in den letzten Monaten, wir einen Krieg mit entfesselten Robotern vom Zaun brechen. Natürlich nicht. Kein Skynet, kein I, Robot, kein Blade Runner. Diese Szenarien sind noch kaum absehbar. Beklemmend ist allerdings die Tatsache, dass KI dazu führt, uns Menschen alles abzunehmen, was wir delegieren möchten. Und es ist schon irgendwie ironisch, wenn die wohl realistischste Darstellung der menschlichen Zukunft zwar nicht im Weltraum, aber auf der Erde ungefähr so aussehen würde wie in Pixars ironischer Dystopie Wall-E. Vielleicht werden wir nicht ganz so ballonartig durch unsere Hallen rollen (denn Sport kann durch nichts ersetzt werden). Vielleicht manifestiert sich die Trägheit des Körpers wohl eher als Trägheit des Geistes, wenn Kreativität nur noch ausgelagert wird.

Doch im Kino werden Szenarien, die das Ende der Menschheit einläuten könnten, gerne übertrieben. Auch in diesem koreanischen Science-Fiction-Film ist Homo sapiens dessen Vorschussvertrauen für High Tech, Robotik und KI auf die Füße gefallen. In Jung_E: Gedächtnis des Krieges befindet sich eine längst dem Klimawandel zum Opfer gefallene und überflutete Erde im Krieg mit einer autark gewordenen, manischen Technologie, die separatistische Züge trägt und tut, was es, frei von Empathie und anderer Gefühle, für richtig hält. Im Orbit tobt also ein Krieg jener, die sich rechtzeitig auf Raumstationen haben retten können – und jenen, denen das Wasser auf der Erde bis zum Hals steht. Die Technik dort oben hat sich aber längst der Herrschaft des menschlichen Geistes entledigt und macht ihr eigenes Ding. Dagegen kämpfen seit Jahren perfekt ausgebildete Soldatinnen wie Jung-yi, die aber auch nur ein Mensch ist und über kurz oder lang von den Maschinen niedergestreckt wird. Mit dem Ende ihres Heldentums neigt sich auch Anthropozän einer Götterdämmerung entgegen. Jung-yi liegt im Koma, wird aber dank kniffligen High-Techs – und weil ihr Geist wohl der Prototyp eines erfolgreichen Soldaten darstellt – zu Übungszwecken in den Körper eines Androiden eingespeist, um die perfekte Armee zu erschaffen. Gerade deren Tochter Yun Seo-hyun, die längst ihre Mutter zu einer Halbgöttin verklärt hat, betreut das Projekt. Bis es, wie kann es anders sein, zwangsläufig aus dem Ruder läuft. Und der Geist Jung-yis die Befreiung plant.

Nein, Jung_E: Gedächtnis des Krieges ist kein trashiger Kawumm-Streifen voll ermüdender, dystopischer Action zwischen finsteren urbanen Ruinen. Es stimmt, das Ganze macht den Eindruck, als wäre es das – doch nur die große Eröffnungsszene liefert martialische Schauwerte, wie wir sie auch aus Edge of Tomorrow kennen. Science-Fiction-Afficionados mit eher bescheidener Vorliebe fürs Krawallkino bleibt an dieser Stelle zu empfehlen, dranzubeiben. Denn Jung_E steigt vom großen Bombast auf ein konzentriertes Machwerk um, das nur eine kleine Episode aus einer gigantischen Chronik erzählt, von welcher wir nie etwas erfahren werden. Verantwortlich für diesen, auf Netflix veröffentlichten Film ist der Macher des modernen Klassikers Train to Busan: Sang-Ho Yeon. Mit seinem „Zombie on the Train“-Thriller hat er dem Subgenre des Horrorfilms erfrischende Kicks verliehen. Der Nachfolger Peninsula sackte dann deutlich ab. Mit Jung_E: Gedächtnis des Krieges hat er sich aus seiner Schräglage geholt. Sang Ho-Yeon, der auch für den Busan-Klassiker das Drehbuch schrieb, schuf für dieses geradlinige und moralisch orientierte Thrillerdrama das trittsichere Grundkonstrukt einer sowohl dysfunktionalen als auch idealisierten Mutter-Tochter-Beziehung. Soo-Yeon Kang, die nach den Dreharbeiten mit nur 55 Jahren an einer Hirnblutung verstarb, gibt dem Film nicht nur dank ihres ungewöhnlichen Aussehens eine gewisse, vorab nicht zu erwartende Tiefe. Zum Glück reißt der Film nicht zu viele Themen an, bleibt Nebenstories fern und gewinnt durch seine dramaturgische Schlichtheit. Weniger ist mehr, auch wenn das top ausgestattete Drumherum aus Wissenschafts-Futurismus und absurd überhöhter Technik-Perfektion protzen möchte. Am Ende gewinnt das feine Drama und die variierte Idee von einem Ghost in the Shell.

Jung_E: Gedächtnis des Krieges (2023)

M3GAN

ALITAS FIESE SCHWESTER

6/10


m3gan© 2023 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: GERARD JOHNSTONE

BUCH: AKELA COOPER

CAST: ALLISON WILLIAMS, VIOLET MCGRAW, AMIE DONALD, JENNA DAVIS (M3GANS STIMME), RONNY CHIENG, JEN VAN EPPS, BRIAN JORDAN ALVAREZ, STEPHANE GARNEAU-MONTEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Androiden sind nicht zum Vergnügen da. Künstliche Intelligenzen schon gar nicht. Sobald ein Programm die Möglichkeit hat, selbstständig zu lernen und sich unentwegt zu verbessern, kann sich unsere Spezies schon mal irgendeinen Tag in nicht allzu ferner Zukunft als den letzten in ihrer Existenz rot anstreichen. So reaktionsschnell und pragmatisch wie ein künstliches Gehirn, dem man noch dazu die Möglichkeit gibt, sich auch physisch auszudrücken, kann ein Mensch gar nicht sein. Wollen wir uns also wirklich selbst überholen, durch das, was wir aus unserem Know-How und unserer Intelligenz heraus geschaffen haben? Natürlich fällt uns das in den Rücken. In der alternativen Kinorealität von Terminator macht uns Skynet den Garaus, in Michael Crichtons Vergnügungspark-Horror Westworld wollen Androiden wie Yul Brunner endlich mal selbst bestimmen. HAL 2000 will anno 2001 um Gottes Willen nicht, dass ihn irgendjemand abdreht. Und da gibt es Beispiele noch und nöcher, gipfelnd in der philosophischen Frage aus Blade Runner, wo denn nun das Menschsein aufhört oder anfängt. Replikanten sind da längst die bessere Spezies und schaffen Monologe für die Ewigkeit, wie Rutger Hauer am Ende von Ridley Scotts Klassiker.

Doch man muss gar nicht so weit in die Zukunft blicken und gleich die ganze zivilisierte Welt in den Abgrund reißen. Es reicht auch, wenn das Spielzeug anfängt, Mätzchen zu machen. Wie in M3GAN, einem Science-Fiction-Thriller aus dem Hause Blumhouse und produziert von Saw-Spezialist James Wan, der diesem Toy Story-Alptraum nicht ganz so viel Blut entnimmt wie in anderen seiner Filme und das Publikum auch nicht vor lauter Jumpscares den Popcorn-Kübel als Sichtschutz empfiehlt. Bei M3GAN kann man die ganzen 100 Minuten Spielzeit getrost hinsehen, und zwar jede Sekunde, denn was hier wirklich fasziniert, ist weniger die auf etwas ausgetretenen Pfaden wandelnde Suspense-Story, sondern in erster Linie der Charakter dieser High-Tech-Humanoidin mit ihren großen, wasserklaren Augen, ihrer Puppenschnute und einem Hang zur Mode, die in den Siebzigern vielleicht der letzte Schrei war. Wie ihre größere Schwester aus der Zukunft, das künstliche Mädchen Alita, besteht M3GAN aus einem äußerst widerstandsfähigen Grundgerüst (warum nur?) und bewegt sich aufgrund eines ausgetüftelten Bewegungsapparates wie ein Mensch. Nur ab und an hört man mechanischen Schnurren – ein Soundeffekt, den der Film dezent einsetzt, um nicht plump zu wirken.

Diese 120cm große Spielgefährtin, die sich bald wohlhabende Familien um schlappe 10.000 Dollar leisten können, hält als Beta-Version in den Haushalt ihrer Schöpferin, AI-Tüftlerin Gemma (Allison Williams, bekannt aus Get Out), sehr bald Einzug. Und nicht nur dieser Roboter, auch Nichte Cady wohnt nach dem Unfalltod ihrer Eltern nun bei ihrer Tante und bläst bald Trübsal, einerseits aus Langeweile und andererseits natürlich aufgrund des Verlustes ihrer Familie. Als Trost sitzt nun bald M3GAN neben ihrem Bett und glänzt als autarke Puppe, die alles kann und viel mehr auf Cadys Wohlbefinden eingeht als ihr neuer Vormund, ist dieser doch mit dem Release des besten Spielzeugs der Welt beschäftigt. Und da entgehen ihr auch das eine oder andere Mal gewisse unrunde Feinheiten im Verhalten dieses kognitiv denkenden Konstrukts, das als oberste Priorität das leibliche und seelische Wohl ihrer Bezugsperson Cady ansieht. Und alles, was diese betrübt, fordert kühl berechnete, aber drastische Gegenmaßnahmen.

Es lässt sich denken, wohin das führt. Klar, M3GAN gerät außer Kontrolle. Seltsame Todesfälle häufen sich, und das kesse Roboter-Mädchen mit dem Hüftschwung massakriert sich durch die Nachbarschaft, ohne dass sich das Publikum davor ekeln muss. Aufgrund einer PG13-Schnittfassung sind explizite Gewaltszenen außen vor. Man fragt sich natürlich: Braucht es das, um guten Horror zu erzählen? Nun, das ist fast so, als würde man bei einem Gruselfilm alle Jumpscares skippen. Als würde man durch eine Geisterbahn fahren, und die Mechatronik versagt. Was bleibt, ist immer noch die Stimmung eines Films und eine Story, die auch ohne Effekte funktionieren soll. Bei M3GAN ist das nur bedingt der Fall. Das Quäntchen Horror lukriert sich aus der Fertigkeit der Puppe, geisterhaft zu erscheinen oder sich unnatürlichen Verrenkungen hinzugeben. Ein bisschen wie besessen sieht das aus, als bräuchten wir den nächsten Exorzisten. Und dennoch: M3GAN sieht man gerne zu, so wie man Alita gerne zugesehen hat, weil von diesen künstlichen Persönlichkeiten eine Faszination ausgeht, die Vladimir Nabokov wohl in seinem Roman Lolita beschrieben hat. Es ist diese den Mangas so eigene Mischung aus sexy Fräulein und martialischer Nemesis für so manche.

M3GAN nutz durchwegs gängige Versatzstücke, um seinen Thriller zu erzählen. Immer mal wieder jedoch blitzen Ambitionen durch, den Film als satirisches Psychodrama erscheinen zu lassen, das sowohl die Austauschbarkeit der Eltern als auch die bis ins Fatalistische getriebene Werteordnung von Kindern hinterfragt, die ihrem Spielzeug ihr Leben anvertrauen. Da hätten Gerard Johnstone und Skript-Autorin Akela Cooper noch viel mehr einhaken können. Genau diese Punkte hätten den Film in eine andere, gesellschaftskritische Richtung katapultiert, die mit ihrer gespenstischen Mentorin ihre Meisterin gefunden hätte.

M3GAN

Lightyear

DIE PHRASE MIT DER UNENDLICHKEIT

5/10


lightyear© 2022 Disney / Pixar Animation Studios


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANGUS MCLANE

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): CHRIS EVANS, KEKE PALMER, PETER SOHN, JAMES BROLIN, TAIKA WAITITI, DALE SOULES, UZO ADUBA, ISIAH WHITLOCK JR. U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): TOM WLASCHIHA, GIOVANNA WINTERFELDT, JEREMIAS KOSCHORZ, JÜRGEN KLUCKERT, MARIUS CLARÉN U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Irgendwann wird auch Buzz Lightyear älter. Nur merkt das keiner mehr, denn alle anderen sind da längst schon Sternenstaub. Was der hartgesottene Space Ranger wohl davon hat, bis zur Unendlichkeit zu reisen, ist wohl eine Frage, die er selbst nicht wirklich beantworten kann. Vielleicht sucht er die Einsamkeit, vielleicht ist das einfach nur ein Ego-Ding, um sich selbst zu beweisen, nicht versagt zu haben. Denn anders lassen sich dessen starrsinnige Bemühungen, durch den Hyperraum zu springen, um die Kolonie Gestrandeter von einem fremden(feindlichen) Planeten fortzubringen, nicht erklären.

Es scheint, als hätte Pixar beim Ersinnen der Origin-Story für einen der Stars aus Toy Story ebenfalls den Anschluss verpasst. Oder zumindest nicht genug hinterfragt, ob es denn wirklich Sinn machen würde, ein charmantes Spielzeug wie den besten Freund von Cowboy Woody dem Kinderzimmerkosmos zu entreißen und ihn als Helden aus Fleisch und Blut auf eine fragwürdige Mission zu schicken, die sich irgendwo zwischen den Sternen und Planeten verpeilt, ohne voranzukommen. Dabei ist die nicht ganz schlüssige Mechanik hinter der Zeitreise noch gar nicht von mir aufs Tapet gebracht worden. Es reicht, sich bereits bei den vielen, vielen verlorenen Jahrzehnten, die Buzz Lightyear mit seinen Testflügen verschleudert, zu fragen, ob so jemand überhaupt noch auf Wunsch der Allgemeinheit handelt oder einfach verbissen einer Sache folgt, die keinerlei Wichtigkeit mehr hat.

Diesen Space Ranger tangiert nicht wirklich, ob all jene, die ihm vielleicht etwas bedeutet hätten, im Laufe einer subjektiv wahrgenommenen Zeiteinheit von gerade mal einer Woche dahinscheiden. Die Kolonie auf dem fremden Planeten hat sich im Laufe von drei Generationen längst mit den Gegebenheiten arrangiert, und Lightyear tritt alle Schaltjahre mal auf, wie eine seltsame Anomalie. Als er es dann tatsächlich schafft, in den Hyperraum zu springen und wieder zu landen, trifft er auf fremde Invasoren, die ihre Roboter ausschicken, um den Nachkommen der Kolonie den Garaus zu machen. Lightyear hat plötzlich ganz andere Probleme als nur Zeit und Raum und schließt sich mit einer kleinen Gruppe an Rebellen zusammen, deren Ideale größer sind als ihre Fähigkeiten. Doch wo ein Wille, da ein Weg. Und noch dazu ist eine der Krieger die Enkelin einer Lightyear bestens bekannten Space Ranger-Kommilitonin.

Wenn schon die Rechnung für die zugrundeliegende Ausgangssituation nicht aufgeht, scheint auch das darauffolgende, actionreiche Szenario zwar etwas nachvollziehbarer, aber deutlich an andere Vorbilder aus der Science-Fiction orientiert zu sein. Und zwar an dem interstellaren Abenteuer der Familie Robinson: Lost in Space. In den von Netflix neu aufgelegten Erlebnissen einiger Kolonisten, die auf fremden Planeten Bruchlandung erleiden und versuchen, den Anschluss Richtung Wahlheimat zu finden, spielen mechanische Aggressoren ebenfalls eine gewichtige Rolle. Lightyear kopiert diese Geschichte, allerdings recht geschickt und letzten Endes auch so, dass sie in eine andere Richtung geht. Dort aber wartet das nächste Problem: Die Sache mit der Zeitreise, oft Garant für Logiklöcher. So auch hier.

Lightyear ist trotz aller Detailverliebtheit und zweifellos ergiebigen Schauwerten das eintönige Spin Off eines großen Franchise-Erfolges, das sich bei seinen Figuren aus bewährten und oft genutzten Charakteristika bedient. Der gute Buzz mit seiner Unendlichkeitsphrase bleibt dabei am beliebigsten.

Lightyear

Bigbug

LOCKDOWN MIT ROBOTERN

4,5/10


bigbug© 2022 Netflix


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE: JEAN-PIERRE JEUNET

CAST: ISABELLE NANTY, ELSA ZYLBERSTEIN, CLAUDE PERRON, STÉPHANE DE GROODT, YOUSSEF HAJDI, ALBAN LENOIR, FRANÇOIS LEVANTAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Schon wieder ein Film, der das Was-wäre-wenn-Szenario einer selbsterkennenden Technik bemüht, die gegen den Homo sapiens zu Felde zieht. Gut, Interpretationsspielraum gibt’s da einigen. Und ja, dieses Thema ist in Zeiten wie diesen eben relevant genug. Eines darf man aber in dieser Sache auch nicht ganz vergessen: Es kommt immer darauf an, wer da gerade welchen Film inszeniert. Und siehe da: Einer, der märchenhafte (Alb)träume in vergilbter Optik wie kaum ein anderer so gut beherrscht hat, ist nach knapp zehnjähriger Abstinenz wieder zurück im Filmbiz: Jean-Pierre Jeunet. Ich gebe zu, ich liebe seine Interpretation des Alien-Mythos, und halte diese Episode für eines der besten Franchise-Prequels überhaupt. Aber das nur so am Rande. Was habe ich den Mann nicht schon vermisst. Eigentlich hätte Jeunet gar eine Episode von Harry Potter inszenieren sollen, hatte aber abgelehnt. An Life of Pi hat der Visionär rund 2 Jahre herumgemurkst – nichts ist daraus geworden, Ang Lee hat übernommen. Einfach dürfte der Franzose nicht gerade sein. Seine Filme sind das nämlich auch nicht. Schon gar nicht seine neueste Eskapade mit dem Titel Bigbug.

Was Bugs sind, wissen wir Bildschirmathleten natürlich alle. Wenn dieser dann noch unüberschaubar groß wird, gibt’s für den im Jahre 2045 von Robotern hinten und vorne bedienten Mittelschichtsbürger kein Entkommen mehr. Zumindest nicht aus der eigenen Wohnung. Denn in dieser reissen vier zweckvariable Haushaltsroboter einschließlich eines Sexroboters aus dem Nachbarhaus das Zepter an sich und blockieren den Ausgang. Ein Lockdown also für alles Organische, während sich außerhalb des akkuraten Reihenhauses eine neue Macht formiert – die der Yonix. Von hinten sehen die Kerle aus wie Robocop, sichtbares Seniorentum ziert allerdings das synthetische Konterfei der gespenstisch grinsenden Altherren-Simulationen, die den Feuerstrahl im Finger haben und gerne via TV ihre Erbauer der Lächerlichkeit preisgeben: als zur völligen Unfähigkeit degenerierte, hechelnde Hündchen, die alles tun, was die Technik sagt. Ein schönes Zerrbild, mittlerweile mehr wahr als übertrieben.

Somit klingt das ganze Szenario ja schon mal grotesk genug, um von Jeunet zu sein. In Sachen Ausstattung scheut dieser keine Mühen, das Reihenhaus erinnert an den technologisierten Tücken-Parcour aus Jacques Tatis Mein Onkel, nur bunter, opulenter und noch detailverliebter. Doch irgendetwas stört. Vielleicht ist es das durch die Bank aufgesetzte Spiel der Protagonisten – von der älteren Nachbarin samt Hündchen über zwei frisch Verliebte bis zum Exmann jener, der das Haus gehört. Alle scheinen neben der Spur, keiner ist geerdet, alle sind so aufgedreht wie in den Filmen von Louis de Funes. Das in hohen Oktaven und gehetzt hervorgebrachte Gebrabbel bleibt leidlich interessant und fällt schnell auf den Wecker. Bigbug ist anstrengend, wenig griffig und recht trivial. Maschinen hin oder her: ihr Wille, den Platz des Menschen einzunehmen, ist ein halbherziges Unterfangen und verliert sich dann auch in viel zu vielen lediglich angerissenen Nebensächlichkeiten, die vor allem mit den Befindlichkeiten der Eingesperrten zu tun haben. Mancher Slapstick gelingt, das Meiste aber ist ermüdend. Schade, dass Jeunet hier nichts Handfesteres entworfen hat. Wenig erinnert noch an seine Klasse, die er mit Filmen wie Die Stadt der verlorenen Kinder oder Die fabelhafte Welt der Amelie unter Beweis gestellt hat. Was bleibt, ist pastellige Hektik mit schrägen Robotern. Wars das jetzt wieder, für die nächsten zehn Jahre?

Bigbug

Mother/Android

BLINDE KUH MIT ROBOTERN

4/10


motherandroid© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MATTSON TOMLIN

CAST: CHLOË GRACE MORETZ, ALGEE SMITH, RAÚL CASTILLO, TAMARA HICKEY, OWEN BURKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Deswegen, genau deswegen, ist Kyle Reese in Terminator via Zeitreise in das Amerika der 80er Jahre zurückgekehrt: um zu verhindern, was später passieren wird. Aus Liebe zu Sarah Connor ging dann besagter John hervor, der dann die Menschheit gegen die Maschinen anführen wird. Zumindest in der Timeline, die sich gegen James Cameron stellt. Diese Rebellion spezieller Technik findet auch in dem auf Netflix erschienenen dystopischen Science-Fiction-Film Mother/Android seine Anhänger – und zwar sind das eins zu eins dem menschlichen Erscheinungsbild nachempfundene Androiden, die zur Dienerschaft konstruiert worden sind. Was muss so eine Einheit wert sein? Und in welcher Welt lebt Chloë Grace Moretz als schwangere Georgia, in der Reichtum anscheinend die Geißel des Planeten ist, weil es anscheinend keine ärmere Mittelschicht mehr gibt, die sich stromgetriebene Aushilfen wie diese gar nicht leisten kann?

Damit die Welt unter der Bedrohung einer wild gewordenen KI erst so richtig leidet, müssten ungemein viele dieser Roboter im Umlauf gewesen sein. Diese, so wird erwähnt, sind alles andere als wohlfeil, also man muss schon einiges springen lassen, um sich sowas leisten zu können. In dieser Zukunft dürfte ein jeder immens viel Mammon besitzen. Was aber wiederum dazu führt, dass diese Welt, in der Georgia lebt, unter einer gewaltigen Inflation hätte leiden müssen. Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwie passt die Ausgangssituation dieses Films hinten und vorne nicht zusammen. Anders bei Terminator: hier ist ein gewaltiges Computersystem am Werk, das die globale Elektromechanik als Skynet unter seiner Fuchtel hat. In Mother/Android sind es im Grunde wildgewordene Einheiten, die durch den Wald pirschen wie Zombies mit Augen, die in bestimmten Winkeln des einstrahlenden Lichts blau erstrahlen. Das tun sie aber nicht immer. Selbst in der Animationskomödie Die Mitchells gegen die Maschinen, wo es natürlich komödiantischer und familientauglicher einhergeht, ist die narrative Basis der folgenden Abenteuer um einiges plausibler.

Über den Inhalt zu Mother/Android muss man gar nicht viel schreiben – es ist ein „Rennet, rettet, flüchtet“. Mittendrin Moretz im neunten Monat, und man glaub ihr auch gerne, dass sie so ihre physischen Handicaps hat. Als Georgia ist sie gemeinsam mit ihrem Freund und Vater des Kindes Richtung Boston unterwegs, wo es ein Refugium für Familien geben soll, gut geschützt vor der wütenden Techno-Meute. Der Weg dorthin ist mit gängigen Endzeit-Takes gepflastert, und im letzten Drittel schlägt der Krieg zwischen Mensch und Maschine so gewaltige Logiklöcher in die Landschaft, dass das anfängliche Problem, eine nachvollziehbare Grunddystopie zu setzen, geradezu marginal erscheint. Regisseur Mattson Tomlin (Project Power) dürfte um jeden Preis dorthin gelangen wollen, wo er am Ende sein will – bei einem an Children of Men erinnernden, pathetischen Finale, das von Moretz aber dank ihres emotionalen Spiels als der beste Moment des ganzen Films gerettet werden kann.

Mother/Android

Matrix Resurrections

LIEBE IN SIM CITY

6,5/10


matrixresurrections© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. and Village Roadshow Films (BVI) Limited – All Other Territories


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: LANA WACHOWSKI

CAST: KEEANU REEVES, CARRIE-ANN MOSS, YAHYA ABDUL-MATEEN II, JESSICA HENWICK, JONATHAN GROFF, NEIL PATRICK HARRIS, JADA PINKETT-SMITH, MAX RIEMELT, LAMBERT WILSON U. A. 

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Was ist real? Keine Ahnung. Viel eher sollte man die Frage stellen: Wann ist etwas real? Der im Film auftauchende Analytiker umschreibt das so: Real ist dann etwas, wenn die Emotionen echt sind. Gefühle sind immer echt, und da spielt es keine Rolle, ob die Welt, in der wir leben, von archaischen Techno-Kopffüßern kreiert wurde oder tatsächlich aus Sternenstaub besteht. Und ganz ehrlich: wenn ich mir die angeblich reale Welt so ansehe, die jenseits der Matrix unter wolkenverhangenem Fake-Himmel vor sich hindämmert, und mir dann die wohlgenährte urbane Komfortzone mit goldgelben Sonnenuntergängen zum Vergleich hernehme – nun, dann bleib ich lieber in der Matrix, allem Bewusstsein, einer Illusion zu erliegen, zum Trotz. Und überhaupt: woher weiß denn diese Handvoll Rebellen, die mit ihren prähistorischen Gliederfüßern herumschippern und womöglich von einem entspannten Urlaub am Strand träumen, ob das, was sie als real erachten, nicht auch eine Matrix ist? Das könnte ewig so weitergehen, wie in David Cronenbergs Cyberthriller Existenz – übrigens das Radikalste auf dem Gebiet virtueller Welten. Quantenphilosophisch betrachtet ist sowieso alles nur eine wahrgenommene Illusion des eigenen Denkapparats. Also was soll‘s. Der Punkt ist nur der, dass die Liebe – die gerne und oft und in Film und Literatur verehrte Liebe – Grund genug ist, dort zu verweilen, wo der oder die andere auch ist. Zumindest die Wahl sollte man haben, welche Realität wohl genehmer ist. 

Und die bekommt Thomas Anderson aka Neo auch, und zwar von der virtuellen Version des Morpheus, den Laurence Fishburne ob seiner Physiognomie drehbuchtechnisch nicht mehr vertreten kann. Es gibt die blaue und die rote Pille. Wie denn – alles auf Anfang? Das Szenario ist ein einziges Deja-Vu. Und auch die Katze des Therapeuten heißt so, während der Coffebreak gerne im Simulatte eingenommen wird. Das beste aber: Anderson ist der Kreator eines erfolgreichen Videospiels namens Matrix – und zwar gibt es drei Teile davon, der vierte ist in Arbeit. Seltsam, dass dem frappant an John Wick erinnernden Computerspezi die ganze Geschichte irgendwie vertraut vorkommt. Und auch die Begegnung mit Tiffany in besagtem Kaffee bleibt nicht ohne Wirkung. Alles schon mal erlebt? Jawollja. Denn die Maschinen sind immer noch geölt und werkeln vor sich hin, holen sich Energie aus den menschlichen Legebatterien für was auch immer und haben trotz des Heldentodes von Neo und Trinity selbige ins Spiel gebracht.

Wie das möglich ist? Fragen wir Lana Wachowski. Zwei Schicksalsschläge brachten die Filmemacherin dazu, ihren familiären Verlust zumindest auf künstlerischer Seite wieder auszugleichen. Das hieß: Neo und Trinity mussten wieder her, um das Ganze nochmal mit Gefühl zu erleben. Vielleicht weniger konfus, aber immer noch mit allen bekannten Versatzstücken wie der Bullet-Time, den Sonnenbrillen bei Nacht und jeder Menge Motorradstunts. Glas und Äpfel splittern in Zeitlupe, es weht der schwarze Ledermantel. All das und noch viel mehr versteckt sich als mehrgängiges Fan-Service-Menü in einem sagen wir mal Da Capo für ein Meisterwerk, das mehr als zwanzig Jahre auf dem Buckel hat. Als zeitlos würde ich dieses bezeichnen – und es grenzt an Genialität, wie Wachowski es angeht, das bahnbrechende Original in ihre eigene Reminiszenz einzuflechten. Das ist nicht nur voller Selbstironie, die liebevolle Hommagen so an sich haben, sondern streckenweise auch wahrlich gut durchdacht. Angesichts dieses Brockens an philosophischem Gedankengut muss es aber auch so weit kommen, dass sich Matrix Resurrections zumindest in der zweiten Hälfte ordentlich verhebt. Alles will mitmischen, und es scheint, als hätten wir wieder den konfusen Wahnsinn aus den alten Prequels zu verzeichnen – Aufdröselung bitte selbst angehen. Es fliegen die Fetzen, es kullern die grünen Ziffern und es explodieren in Häuserschluchten so manche Benzintanks. Nachhaltig ist das nicht, wohl eher dröhnend und verschwurbelt, und somit auch nicht auf Augenhöhe mit dem Klassiker.

Doch sei gesagt: besser als Matrix Reloaded und Matrix Revolutions ist Matrix Resurrections dann doch, allein schon aufgrund der etlichen kleinen Solonummern, die nach dem ersten Vorhang dank des Applauses nochmal über die Bühne geschmettert werden. Ungefähr so ist dieses Spektakel zu verstehen – abgesehen von Lana Wachowskis Seelenheil wäre die Wiederbelebung aber nicht notwendig gewesen. Auserzählt ist auserzählt – doch manchmal obsiegt die Wehmut angesichts des Vergangenen.

Matrix Resurrections

Finch

LOVE, DOGS AND ROBOTS

6/10


finch© 2021 Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: MIGUEL SAPOCHNIK

CAST: TOM HANKS, CALEB LANDRY JONES U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Hätte Will Smith in I am Legend ein bisschen mehr technisches Verständnis an den Tag gelegt – wäre er gar ein technophiler Bastler gewesen, hätte er sich einen Roboter bauen können, der nicht nur ihn, sondern auch seinen Hund beschützt. Wir wissen, es lief anders. Und Tom Hanks, der weiß es wieder besser. Denn der ist einer von den ganz Guten, einer mit Herz für Mensch und  Tier. Und für Roboter. Im brandneu auf Apple TV+ erschienenen dystopischen Streifen Finch tüftelt nämlicher Einzelgänger tief unter der Erde in einem sagen wir mal Labor an einem Meilenstein technischen Fortschritts – ein humanoider Droide mit dem eingespeisten Wissen der Welt soll in Zukunft auf Finchs Hund aufpassen. Persönliche Gründe sind nicht wichtig, denn einen Freund braucht Finch keinen, lebt der doch sowieso lieber allein, was angesichts der Weltlage keine Kunst ist. Wir schreiben eine nicht allzu ferne Zukunft und durch eine Sonneneruption hat sich fast die ganze Ozonschicht verabschiedet. Die Folge: unsägliche Hitze und eine UV-Strahlung zum Krankwerden. Dennoch muss Finch aus dem Bunker raus und nach Westen ziehen, wo es sich vielleicht noch leben lässt. Ist der Roboter mal fertig, wird das Nötigste eingepackt und schon brettert ein Wohnwagen im Mad Max-Look durch eine atemberaubend verwüstete Landschaft.

So eine Endzeit hat schon was Faszinierendes. Nicht, dass man in ihr leben würde wollen, das ganz und gar nicht. Aber von außerhalb und geborgen vor dem Bildschirm mit dem Kühlschrank in Reichweite, da lässt sich die Verheerung zwischen pittoresken Sandverwehungen und desolaten Fahrzeugen durchaus genießen. So eine Endzeit hat etwas Melancholisches, direkt Melodisches. Dazu kann man sich gut Chris Reas Road to Hell vorstellen. Tom Hanks hört aber lieber vergnüglichere Klassiker wie American Pie. Aber gut, immerhin dürfen die Talking Heads Road to Nowhere über die KFZ-Boxen schmettern. Passt auch besser zu einem sehr melancholischen Tom Hanks, der James Stewart der Gegenwart, wie immer äußerst souverän und dezent im Spiel. Noch dazu unrasiert und stets verschwitzt, was auch keinen wundert, denn es hat stets um die 60 Grad Celsius. Fragt sich nur, was für eine großartige Klimaanlage dieser Van haben muss, und woher Finch diesen grenzenlosen Vorrat an Wasser hat. Wieso eigentlich diese enorme Hitze weder Hund noch Mensch nicht noch mehr in Mitleidenschaft zieht. Dem von Caleb Laundry Jones im Motion Capture-Verfahren dargestellten Roboter kann das egal sein – der träumt nur wie ein Mensch, spürt aber sonst nichts. Miguel Sapochnik, Regisseur von Repo Men mit Jude Law und mit einem Emmy ausgezeichnet für die Serie Game of Thrones, innerhalb dieser er einige Folgen inszeniert hat, weiß, wie man eine Robinsonade mit optischer Brillanz veredeln kann. Dabei wäre zu überlegen, Sapochnik nicht doch auch mal für Star Wars zu verpflichten. Oder für Netflix‘ Anthologieserie Love, Death and Robots. Wäre Finch um zwei Drittel kürzer, wäre die Science-Fiction-Solonummer ein idealer Kandidat dafür. Überraschenderweise wäre das sogar möglich, denn den Plot, den bekommt man auch in einer knappen halben Stunde unter. Dadurch lässt sich vieles, was redundanten Leerlauf genießt, einfach streichen und die Dreiecksgeschichte zwischen Mensch, Roboter und Hund ordentlich straffen. Ich bin mir sicher, die Stimmung behält der Film auch so, und die ist ja ganz gut. Vor allem dank Tom Hanks, der längst weiß, wie es ist, wenn man in kargen Zeiten alles selbst machen muss. Nur diesmal sind es keine Kokosnüsse und Fische, sondern Hundefutter und Schmieröl.

Finch