Aquaman: Lost Kingdom (2023)

SO VIELE MEILEN UNTER DEM MEER

6/10


aquamanlostkingdom© 2023 Warner Bros. Entertainment


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JAMES WAN

DREHBUCH: DAVID LESLIE JOHNSON

CAST: JASON MOMOA, PATRICK WILSON, AMBER HEARD, YAHYA ABDUL-MATEEN II, NICOLE KIDMAN, RANDALL PARK, DOLPH LUNDGREN, TEMUERA MORRISON, PILOU ASBÆK, MARTIN SHORT U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Unter der Riege Zack Snyders hatte die Elite der DC-Superhelden wenig Sinn für Humor, dafür aber konnten sich diese formschön und mit Bildgewalt so richtig in Szene setzen, als wären sie gerade erst aus ihren Panels gestiegen. James Wan, seines Zeichens Schöpfer des Folter-Franchise Saw und Macher von Conjuring, wollte da schon mehr sein Publikum zum Lachen bringen – und das Pathos insofern aus dem Storytelling quetschen, damit immerhin noch Schauwerte übrigblieben, die bibelgleiche Himmelsstimmungen nicht mehr am Radar hatten. Der DC-Overkill war geboren – Aquaman aus dem Jahr 2018 hat zwar Jason Momoa als leuchtturmfestes Zentrum auf der Habenseite – ringsherum aber tobt ein CGI-Gewitter, das selbst so ausufernde Rechner-Schlachten wie George Lucas‘ Angriff der Klonkrieger als nüchternen Arthouse-Film erscheinen lassen. Hinzu kommt der unfreiwillig komische Antagonist namens Black Manta, ein Schurke mit Lord-Helmchen-Optik und seltsamen Intentionen für sein Handeln. Wenn dann die Haarpracht der Atlanter unter Wasser separatistische Züge annimmt und man einem wie Willem Dafoe deutlich ansieht, dass er diese seine Rolle wirklich nur des Geldes wegen angenommen hat, erweckt das den deutlichen Eindruck, ein hochbudgetiertes, aber heillos überfrachtetes Königsdrama vorgesetzt bekommen zu haben, das mit Guilty-Pleasure-Gurken wie Masters of the Universe nicht nur Dolph Lundgren gemeinsam hat. Ein Flash Gordon unter Wasser hätte es werden können – mit Charme und verspielter Naivität. Was daraus wurde? Ein Kassenschlager. Und wieder einmal mehr der Beweis dafür, dass gutes Einspiel nichts über die Qualität eines Filmes aussagt.

Warum also habe ich nun ein zweites Mal den stolzen Preis einer Cinegold-Kinokarte gelöst, wenn schon das erste Solo-Abenteuer aus meiner Sicht so sehr zu wünschen übrigließ? Erstens resultiert meine teils unreflektierte Entscheidung daraus, dass Superheldenfilme aus Marvel und DC stets auf meiner Watchlist stehen. Zweitens stirbt die Hoffnung, dass die Macher aus ihren Fehlern vielleicht gelernt haben könnten, zuletzt. Drittens ist der Guilty-Pleasure-Faktor, wenn man gemeinsam mit dem Sohnemann und jeder Menge Popcorn in einem fast leeren Kino sitzt, unübersehbar.

Nach rund zwei Stunden solider Unterhaltung ist klar: Die Hoffnung hat nochmal die Kurve gekriegt, Aquaman behält Oberwasser. Das in sich abgeschlossene Abenteuer rund um ein verlorenes Königreich schließt ohne Wehmut, doch mit Reminiszenzen an literarische Vorbilder, die Pforten einer Welt, in der das Casting der Helden das Beste war, was DC jemals passieren konnte. Momoa fühlt sich in seinem Da Capo-Auftritt regelrecht verpflichtet dazu, mit Humor vieles besser zu machen. Das Vertrauen darauf, dass er es damit ehrlich meint, schwindet ab und an, doch prinzipiell kann man ihm dankbar sein. Patrick Wilson, der vormals seinem Halbbruder den Thron streitig machen wollte, wirkt fast schon wie eine Alternative zu Captain America. Und der intelligente Wissenschafts-Normalo Randall Park, der auch im Marvel-Universum mitmischt, probt den Aufstand im Kleinen, was das Abenteuer bis zu einem gewissen Grad erdet. Diesem Dreier-Gespann ist es zu verdanken, dramaturgisch solide zu bleiben. Amber Heard, Nicole Kidman und all die anderen Mitstreiter bleiben flach und empfinden niemals, was in ihrem Skript steht. Doch das macht nichts. Denn der großartige Jules Verne schwebt als körperlose Ideen-Entität über allem. Das, was Bösewicht Black Manta unter dem Eis der Antarktis findet, wird zum aquanautischen Retro-Paradies für Fans des Schmökers 20.000 Meilen unter dem Meer. Wäre es nicht der finstere Kordax, der darauf wartet, das siebente Königreich dank des umweltschädlichen Orichalcum-Gemischs, das als phantastisches CO2-Schreckgespenst die Welt aufheizt, wieder erstarken zu lassen, hätte auch Captain Nemo sein Konterfei durchs kristallklare Eis der Tiefe schimmern lassen können. Das U-Boot, mit welchem der wahnsinnige David Kane Atlantis überfällt, wird zweifelsohne zur Nautilus. Das Meer wird zum Dorf, und dennoch für die Oberwelt eine Terra incognita, aus der nichts an die Festlandvölker hindurchsickert, so wild auch die Kriege da unten toben mögen.

Mit dieser Patina aus lang vergangenen Technologie-Zeiten zwischen Steampunk, Fluch der Karibik und Arielle, die Meerjungfrau nimmt Aquaman: Lost Kingdom zumindest jede zweite Welle – unterm Meeresspiegel ein guter Schnitt. Das Abenteuer, wenn auch nicht sonderlich originell, bleibt kurzweilig und lässt seine retromechanischen Kraken auffallend oft durch Bild staksen. Jules Verne selbst, wäre er im Auditorium gesessen, hätte wohl Spaß daran gehabt, wenngleich ihm so manche evolutionäre Unlogik schmecken würde wie ein Schluck Salzwasser.

Aquaman: Lost Kingdom (2023)

Roter Himmel (2023)

DIE PRIORITÄTEN EINES KÜNSTLERS

6,5/10


Roter-Himmel© 2023 Christian Schulz / Schramm Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: CHRISTIAN PETZOLD

CAST: THOMAS SCHUBERT, PAULA BEER, LANGSTON UIBEL, ENNO TREBS, MATTHIAS BRANDT U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Selbstzweifel und miese Laune. Fast könnte man meinen, diese beiden Eigenschaften gehören zum Künstlerdasein wie das Amen im Gebet. Fast könnte man meinen, die Selbstzweifel sind nur dazu da, um für Komplimente zu fischen: Dass das neue Werk sowieso gar nicht so schlecht ist, dass die bescheidene Selbstauffassung den Künstler nur sympathischer macht und devot gegenüber seiner gottgegebenen Gabe, Sätze stilvoll auszuformulieren und aneinanderzureihen. Nur keine falsche Bescheidenheit, könnte man meinen, um dann dem gemarterten Denker, der sich in die stille Oase eines Ferienhauses zurückzieht, um seinem Werk den letzten Schliff zu geben, auf die Schulter zu klopfen. Bei Leon, einem innerlich unrunden und von allem genervten Schriftsteller, ist das erhaschte Lob wohl genau der Motor, der ihn auf Vollgas bringt. Doch dieses Lob, das kommt nicht. Denn niemand hat seinen Zweitroman gelesen, abgesehen vom Verleger wohlgemerkt, der in den nächsten Tagen an die Nordseeküste kommen soll, um das Werk durchzugehen. Bis dahin heisst es arbeiten – doch wie soll das gehen, wenn die aus zwei Freunden bestehende Künstlerkommune (der andere, Felix, ist Fotograf und muss ein Portfolio fertigstellen) plötzlich durch eine dritte Person ergänzt wird, noch dazu durch eine attraktive junge Frau, die sich allnächtlich amourösen Vergnügungen hingibt und den armen, wirklich armen Leon um den Schlaf bringt?

Es wäre alles eine fast schon banale, norddeutsche Beziehungsgeschichte im Dunst frühsommerlicher Vorfreuden auf trockenheisse Monate, würde Christian Petzold, der im Rahmen der Viennale womöglich stundenlang über seinen Film hätte referieren können, nicht wieder seine schwergewichtige Metaebene in den Plot geholt hätte. Aus der Konstellation genrebekannter Charaktere, die allesamt nicht überraschen und tun, was von ihnen erwartet wird, entsteht somit ein Schicksalsreigen, der sein Ensemble auf gar keinen Fall in Ruhe tun lassen will, was es tun möchte. Viel zu viel steht auf dem Spiel, viel zu viel ringsherum in dieser Welt, um die sich keiner mehr schert, geht da vor sich. Es lodern Waldbrände, die kaum mehr zu kontrollieren sind, und das im Juni. Der Himmel leuchtet rot in der Nacht, das donnernde Geräusch der Löschhubschrauber lenkt Leon von seiner Arbeit ab, während Felix nur an den Strand will, um dabei Leute zu fotografieren, die aufs Meer schauen. Diese Ursuppe, die könnte bald übergehen, wenn der Klimawandel irgendwann zu seinem Ende kommt. Noch blicken wir erstaunt auf das, was sich auf rätselhafte Weise so anfühlt, als wäre es ein Naturphänomen oder eine Selbstverständlichkeit. Wie die Biolumineszenz des Meeres. Wie unbedeutend erscheint da die Qual des Virtuosen, den nächsten Bestseller zu schreiben? Doch Thomas Schubert, bekannt aus Karl Markovics fulminantem Einstand Atmen, grantelt und zwidert herum wie ein Hans Moser des 21. Jahrhunderts – zynisch, herablassend und wehleidig. Ihm zuzusehen, vertreibt die Zeit in Windeseile, weil er oft sein darf, wie wir selbst oft sein wollen, dabei aber ganz vergessen, dass es noch andere und anderes gibt, wofür es den aufmerksamen Blick braucht. Thomas Schuberts schwarzer Mann im Strom der Begebenheiten ist das von der Seele des Kreativen geredete La Linea-Männchen, dem man den Strich zum Weitergehen wegradiert.

Insofern wagt Petzold, das Künstlerdasein als mitunter etwas Irrelevantes darzustellen, in Anbetracht höher gesetzter Koinzidenzen und merkwürdiger Konstellationen. Roter Himmel wirkt wie metaphysische Mystery, wie ein Sommernachtstraum zwischen rezitierten Gedichten und Ascheregen. Einerseits ist es das, andererseits auch wieder nicht. Niemandem gelingt dieses zarte Changieren zwischen den Ebenen so beiläufig wie Petzold. Und dennoch ist es diesmal so, als würde der schon seit ewigen Zeiten filmemachende Virtuose ausnahmsweise mal selbst ein bisschen unter Druck geraten sein. So geschmeidig und leichtfüßig sich das Stelldichein am Meer auch anfühlt, so vehement bricht Petzold mit der Entrücktheit seiner Fast-Künstlerkommune. Schicksalsschläge wie bei einer Soap Opera donnern hernieder – das ist fast schon zu direkt und zu rutschfest am Schlafittchen gepackt. Aufgesetzt, will ich fast meinen. Und dann doch wieder nicht, denn das, was kommt, das ist schließlich etwas, dass man fast schon erwarten muss. Natürlich ist Roter Himmel dann nichts mehr Belangloses mehr, kein Künstlerjammern, kein Blickezuwerfen durchs Haus und am Strand. Das ist schön und gut, und auch faszinierend sowie in äußerster (Dis)harmonie dargeboten. Die Notwendigkeit aber, erhellen zu müssen, nimmt dem Drama aufgrund des zu erwarteten Unerwarteten eine gewisse Spontaneität, die sich so gut aus dem sozialen Spannungsfeld entladen ließe.

Roter Himmel (2023)

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

EL CONDOR PASA

7/10


Utama© 2023 Polyfilm


LAND / JAHR: BOLIVIEN, URUGUAY, FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE / PRODUKTION: ALEJANDRO LOAYZA GRISI

CAST: JOSÉ CALCINA, LUISA QUISPE, SANTOS CHOQUE, CANDELARIA QUISPE, PLACIDE ALI, FÉLIX TICONA U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Damals hat der österreichische Poet Ludwig Hirsch den großen, schwarzen Vogel in seiner Ode an den Tod als Bote des Jenseits deklariert. Die Krähe weicht aber, sobald man den Atlantik überquert und in Südamerika ankommt, einem ganz anderen gefiederten Freund: Dem Kondor. Was dieser tut, wenn er weiß, dass sein Leben zu Ende geht? Er fliegt auf den höchsten Gipfel der Berge, und stürzt sich dort in den Tod, bevor das Leben all seine Würde verliert. Mit der Mentalität dieses stattlichen Tieres kann der alte Virginio ganz gut umgehen. Und er weiß auch: Lässt sich der Kondor blicken, kann das nur eines bedeuten. Das Leben geht zu Ende. Und dennoch heißt es: so lange weitermachen, bis der Arzt kommt. Oder bis er eben nicht kommt. Oder wieder geht. Denn Virginio, der braucht keine Hilfe von irgendwem. Schon gar nicht will er in die Stadt zu seinem Sohn, mit dem er sich längst zerstritten hat. Ehefrau Sisa sieht das vielleicht etwas anders. Aber sie fragt ja keiner. Sie weiß auch nicht, dass Virginio unter heftigen Hustenanfällen leidet, und die tagtägliche, kilometerlange Wanderung mit der hauseigenen Lamaherde immer mühsamer wird.

Da taucht plötzlich Enkel Clever auf, der seine Großeltern über alles liebt und auch dem mürrischen Opa zur Hand gehen will. Der ist skeptisch und sieht in Clevers Erscheinen nur eine indirekte Botschaft seines Sohnes, endlich die alte Hütte im Nirgendwo aufzugeben. Denn die Dürre hier im bolivianischen Hochland hat den letzten Brunnen des nahen Dorfes austrocken lassen. Der Weg zum Wasser wird immer länger. Die Ernte geht nicht auf, und dann bricht Virginio unterwegs auch noch zusammen. Das Ende einer Existenz im Einklang mit der Natur ist gekommen. Dagegen kann auch der Enkel nichts machen, denn wer nicht will, der hat schon alles, was er braucht.

Wie die älteste, noch lebende Generation mit dem Klimawandel zurechtzukommen versucht – diese Betrachtung eines hingenommenen Untergangs mehr schlecht als recht am Leben gehaltener Traditionen wurde beim Sundance Filmfestival 2022 mit dem World Cinema Grand Jury Price ausgezeichnet. Alejandro Loayza Grisi lässt in seinem beschaulichen und zugleich unwirtlichen Naturalismus-Drama weniger die Worte als vielmehr Geräusche sprechen. Der rasselnde Atem des an einer Lungenkrankheit leidenden alten Viehbauern zieht sich von Anfang bis Ende durch den ganzen Film. Einmal ist es ein kehliges Röcheln, dann schweres Luftholen, dann erbärmlicher Husten. Sein Schnaufen steht für eine Existenzgrundlage in ihren letzten Atemzügen. Dazwischen hören wir die eigenwilligen Töne der wuscheligen Kamele, das Knirschen von Sand und Steinen unter den Schuhen der Wandernden; das Grollen des Donners oder den Wind, der über die Ebene fegt. Der Sound von Utama. Ein Leben in Würde ist als nonverbales Requiem komponiert, während die beiden Alten gar nicht so viel zu sagen haben, sondern lieber diesem Abgesang lauschen, da sie mit ihren Gesten und Blicken genügsam genug sind.

Wie sehr es schwerfällt, im Alter den Umbruch zu akzeptieren, ist zwar keine wirklich neue Erkenntnis – doch der Blick in eine so ferne, alte und bis in die Gegenwart archivierte Welt macht klar, was auf diesem ganzen Erdball als einzige Sache wirklich alle angeht, und zwar wirklich alle, bis zum letzten Eremiten irgendwo versteckt in den Bergen: Das Ende des Klimas, so wie wir es kennen.

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)

Rubikon

DA BRAUT SICH WAS ZUSAMMEN

6/10


rubikon© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

REGIE: LENI LAURITSCH

BUCH: LENI LAURITSCH & JESSICA LIND

CAST: JULIA FRANZ RICHTER, GEORGE BLAGDEN, MARK IVANIR, NICHOLAS MONU, KONSTANTIN FROLOV, LJUBISA GRUICIC, JONAS GERZABEK, HANNAH RANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Es gibt ihn also doch, den Genrefilm inmitten der österreichischen Filmlandschaft. Doch man muss ganz genau schauen, um ihn zu entdecken. Das ist wie beim Pilzesuchen in einem Wald voller Farne. Irgendwo leuchtet etwas Gelbes hindurch – eine Besonderheit, die später auf den Tisch kommt. Oder ins Kino. Wie eben einer von nur ganz wenigen Science-Fiction-Filmen, für welches sich der Filmfonds Austria und das Österreichische Filminstitut durchgerungen haben, Geld zu investieren.

Die letzte Zukunftsvision, die hierzulande produziert wurde, war The Trouble with Being Born – Androiden ersetzen verschwundene oder verstorbene Personen. Alles recht kunstvoll, recht sperrig, fast schon wie das obligate Betroffenheitskino, doch das gewisse Etwas hatte der Streifen von Sandra Wollner dennoch. Wäre der Film ebenfalls gesponsert worden, wenn er sich nicht so dermaßen als Kopfkino etabliert hätte? Wenn er gefälliger gewesen wäre? Eine einfachere Sprache gehabt hätte? Wenn er sich mehr an westliche Produktionen orientiert hätte wie eben Rubikon? Bei diesem hier wurde eine Ausnahme gemacht, und das vermutlich deshalb, weil Rubikon sich nicht als klaustrophobischer Science-Fiction-Horror vermarkten lassen will wie Alien, Life oder The Cloverfield Paradox, die alle ein ähnliches Grundsetting haben. Sondern weil sich Leni Lauritsch mit etwas sehr Brisantem beschäftigt, und zwar mit dem ökologischen Notstand unseres Planeten. Und nicht nur mit diesem. Nebst der Klimakrise ist das zukünftige Resultat der momentanen Teuerungswelle und der eskalierenden Gier nach Profit die Auflösung aller Staaten und die Aufteilung aller Landmassen in von Konzernen kontrollierten Gebieten, die noch dazu untereinander Krieg führen. Irgendwie ist in dieser Vision des Jahres 2056 alles im Argen, und von oben, aus dem Orbit, blicken eine Handvoll Astronauten auf die Erde hinab, die derweil noch so aussieht wie sie es immer vom Weltraum aus tut. Friedlich, mit Lichtern gesprenkelt, umsponnen von weißen Wolken. Ein Anblick, den die Besatzung der Raumstation Rubikon jeden Umlauf lang genießen kann, wenn sie gerade mal nicht damit beschäftigt ist, eine Methode zu finden, um anhand von Algen gesunde, saubere Luft zu erzeugen. Die Lösung für alle Probleme.

Doch dann wird’s finster – zumindest auf der Erde. Schmutzigbraune Wolkenbänke schieben sich flächendeckend über den Globus, und es scheint, als wäre das Ende der Menschheit nah. Wie lange noch lässt es sich im Weltraum überleben? Oder sollen alle zurück auf die Erde, mitsamt dem Grünzeug im Schlepptau, um frische Luft in die Apokalypse zu bringen? Eine Gewissenfrage, die jede und jeder der dreiköpfigen Besatzung für sich allein beantworten muss, und deren Antwort nicht unbedingt konform geht mit jener des jeweils anderen. Es entspinnt sich also ein Konflikt aus Für und Wider, aus Trotz und Menschenverstand. Aus Eigennutz und Altruismus. Leni Lauritsch hat hier einige Kernfragen aufs Tapet gebracht – und noch gleich allerhand Leute mit ins Filmteam geholt, die einiges von ihrer Arbeit verstehen. So wirkt Rubikon von vorne bis hinten professionell getrickst, auch wenn wir die paar wenigen Weltraumszenen anderswo schon zur Genüge kennen, uns aber daran womöglich nie sattsehen werden. Das Set Design wirkt nicht billig, für Stimmung sorgen die obligaten engen Gänge, das indirekte Licht und die Einsamkeit des Astronauten vor der Entscheidung, die Menschheit zu retten oder im Stich zu lassen.

Von der Antwort auf diese Frage hängt alles ab. Damit scheint Rubikon als formschönes und exzellent fotografiertes Kammerspiel aber manchmal zu beiläufig umzugehen. Die extreme Situation fordert extreme Handlungen, und dennoch scheint aus psychologischer Sicht mancher Text zu einstudiert, um wirklich den emotionalen Stress im Kopf der Überlebenden zu unterstreichen. Um diese Situation nicht zu gemächlich werden zu lassen, dafür bemühen sich Julia Franz Richter (Der Taucher, Undine) und Co mit sichtlichem Engagement, und nur sehr selten rutschen ihre Intonationen auf dialektgefärbtes Fernsehfilmniveau ab. Lauritsch orientiert sich überdies an Genrebeiträgen aus anderen Ländern, um die Situation in ihrem Film ähnlich nachzuspielen, so zum Beispiel an Joe Pennas Stowaway – Blinder Passagier. Hier allerdings ist die Ausgangssituation etwas anders positioniert: Wo die Luft in Rubikon eine Mindestzahl an Sauerstoffatmern benötigt, um den nötigen Gasaustausch zu gewährleisten, sind es in Stowaway eben zu viele. Auch hier: ein Dilemma entsteht, welches alle Beteiligten an ihre Grundsatzfragen bringt.

Rubikon gelingt besser. Die Dringlichkeit des Ganzen mag zwar nicht ganz so überzeugen, die Prämisse am Ende des Films führt sowieso alles ad absurdum, doch als etwas anderer Beitrag zum österreichischen Film, der vielleicht noch andere Macher ihrer Zunft ermutigt, es ihm in dieser Richtung gleichzutun, ist Rubikon ein achtbares Stück Profi-Handwerk.

Rubikon

Tides

EIN LUFTBEFEUCHTER NAMENS ERDE

7/10


tides© 2020 Constantin Filmverleih GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2020

BUCH / REGIE: TIM FEHLBAUM

CAST: NORA ARNEZEDER, IAIN GLEN, BELLA BADING, SARAH-SOFIE BOUSSNINA, JOEL BASMAN, SOPE DIRISU U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Nach der großen Dürre folgt die ewige Feuchtigkeit –- zumindest handhabt der vielversprechende Schweizer Filmemacher Tim Fehlbaum den Fortgang der Menschheit für die ferne Zukunft auf diese Weise. 2011 verblüffte er bereits mit Hell, einer nicht gerade staubfreien Vision einer ausgetrockneten Erde, wo jeder auf der Suche nach einem Tröpfchen Wasser gerne auch mal über Leichen geht. Eine verstörende, düstere Sache, dieser Film, trotz ganz viel Sonne. Weniger düster, aber immer noch düster genug, gibt sich das Gegenstück zu diesem Entwurf: Tides, und zwar spielen da selbige tatsächlich eine wesentliche Rolle, denn alles, was von unserem Planeten noch trockenen Fußes überquerbar scheint, das sind die Gezeitenzonen.

Greta Thunbergs Erben haben also der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen, als sie diesen unseren geliebten Planeten aufgeben mussten, um irgendwo anders zu siedeln, nämlich ein ganzes Stück weit entfernt auf einem Staubkorn namens Kepler 209. Im Grunde sowas wie der Mars, nur vielleicht wärmer. (Warum dann nicht gleich auf dem Mars siedeln, wenn man sowieso nicht raus kann?) Als eine Expedition nach Hause geschickt wird, um den Zustand von Terra abzuklären, stürzt die Raumkapsel ab – Astronautin Louise überlebt (Ein guter, bekannter, aber immer wieder reizvoller Ausgangspunkt für dystopische Science-Fiction). Klarerweise bleibt Louise nicht allein, denn sie wird von den Muds – einem Menschenstamm, scheinbar aus dem Waterworld-Universum – eingefangen. Die wiederum werden zwar nicht von den Smokern, jedoch von anderen Wattpiraten überfallen, die deren Kinder klauen. Louise schafft es aus ihrem Gezeitengefängnis und nimmt die Verfolgung auf. Dabei trifft sie auf die eine oder andere, alles verändernde Überraschung.

Tides ist ein Augenschmaus. Womit man Denis Villeneuve bereits bildsprachlich assoziiert, das können andere genauso gut, und ganz ohne Abkupfern. Gedreht an Orten wie der deutschen Nordseeküste mit ihrem ewig scheinendem Wattenmeer, findet Tim Fehlbaum mehr als genug postapokalyptische Settings, ohne auch nur an CGI zu denken. Das Wetter ist als proaktiver Stimmungsdesigner ebenfalls mit an Bord, und das ganz ohne Honorar. Wie bei Villeneuve schälen sich auch hier Silhouetten aus Dunst und Nebel, scheinen alte Schiffswracks, die ihr blankes Grundgerüst in den verhangenen Himmel recken, wie abgestürzte Raumschiffe vergangener Äonen. Dieses Szenario, eingefangen mit einer innovativen Kameraführung, die sich nicht scheut davor, nahe an seine Protagonisten und an all diese mit Regenmänteln und grobem Stoff gekleideten Gestalten heranzugehen, birgt das Zeug für episches Visionskino. Nicht zuletzt findet Fehlbaum mit Nora Arnezeder eine Frauenfigur, die gut und gerne Heldinnen wie Sigourney Weaver oder Katherine Waterston aus dem Alien-Kosmos das Wasser reichen kann. Ein tougher Charakter in einer Welt des Überlebens.

Gegen so viel Setting-Performance und Charakter-Brillanz kommt die Story selbst allerdings nicht an. Diese gibt sich zwar nicht moralinsauer und tadelnd, dafür aber nimmt sie das Ende und den Neuanfang der Menschheit hin wie ein vorbeiziehendes Unwetter. So, wie Mutter Erde das machen würde.

Tides

I Am Greta

AM FREITAG IST ALLES GANZ ANDERS

6/10

greta© 2020 Filmwelt Verleihagentur

LAND: SCHWEDEN, DEUTSCHLAND, USA, GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE & KAMERA: NATHAN GROSSMANN

MIT: GRETA THUNBERG

LÄNGE: 1 STD 37 MIN

Was haben Forrest Gump und Aktivistin Greta Thunberg eigentlich gemeinsam? Sie haben ein Projekt, das sie durchziehen, frei nach dem Motto: Move your ass, your mind will follow. Forrest Gump hat irgendwann zu laufen begonnen, Greta hat sich irgendwann vor das schwedische Parlament gesetzt. Beide sind Einzelgänger, und beide hatten irgendwann die Medien auf ihrer Seite. Dank dieser meinungsmachenden Institution hatten gab’s bald unzählige Anhänger, die entweder mitgelaufen sind, weil sie den Run von Forrest Gump für ein höheres Ziel hielten – oder mitstreiken wollten, weil sie auch das für ein höheres Ziel hielten – was es ja im Gegensatz zu Forrest Gumps Dauerlauf auch war. Hatte Greta Thunberg das beabsichtigt? Oder ist ihr das Ganze passiert? War es vielleicht in erster Linie die Idee von Gretas Papa?

Das dokumentarische Portrait einer Öko-Ikone von Dokufilmer Nathan Grossmann beginnt mit der Stunde Null, aus allen erdenklichen Perspektiven gefilmt. Rein zufällig wird Grossmann nicht vor dem Parlament auf und ab spaziert sein, um darauf zu warten, die Story schlechthin zu ergattern. Gretas Projekt „Friday for Future“ war also nichts spontanes, sondern etwas sorgfältig geplantes, durchbesprochenes – ein durchgetaktetes Medienereignis, natürlich für einen guten Zweck. Oder war alles ganz anders, war vielleicht Grossmann doch rein zufällig dort? Spannend, was sich in die Doku I am Greta alles hineininterpretieren lässt oder welche Gedanken man dabei verfolgt. Grossmann hat das Mädchen also ein Jahr lang überallhin begleitet. gefilmt, wo noch nicht gefilmt wurde und dazu gefilmt, wo längst die Kameras anderer Reporter glühten. Viel Persönliches zeigt er daher nicht. Was wir sehen, ist ein zusammenmontiertes Portrait aus öffentlichen und privaten Aufnahmen. Greta spricht, Greta schweigt, Greta sucht ihren Ausgleich im Tänzeln und Herumhüpfen. Ist mal in sich gekehrt, dann wieder vergnügt. Lässt negative Feedbacks aus den sozialen Medien aber unkommentiert.

Nichtsdestotrotz ist I am Greta eine nicht wenig faszinierende und nicht zwingend zum Vorteil für Gretas Jünger konzipierte, erhellende Betrachtung auf ein menschliches Phänomen. Ironisch, wenn Greta Wasser predigt und die Gefolgschaft Wein trinkt. Wenn es nicht um Selfies geht, und alle anderen auf ein Selfie mit ihr wollen. Es scheint, als wäre Gretas manischer Wille, das Klimafehlkonstrukt umzureißen, ein Perlenwerfen vor die Säue. Ihre verbale, verkniffene Wut vor all den Politbonzen sind ihre besten Momente. Nur schade, dass diese bei vielen Mächtigen maximal eine gewisse belustigende Faszination vor dem Ungewöhnlichen hervorruft. Denn das ist sie auf jeden Fall, unsere Greta Thunberg: ungewöhnlich. Klug obendrein, keine Frage. Eine Musterschülerin, die sich Auszeiten vor der Schulbank leisten kann. Was mich aber am Ende des Portraits weiterhin und noch mehr faszinieren würde, wäre so manch eine Stimme aus dem Off. Zum Beispiel mehr Wortspenden vom Vater, von der Mutter. Vielleicht gar aus Gretas Schule? Welche Mechanismen wohl hinter all diesem Foght fürs Klima stecken mochten. So gesehen bleibt I am Greta zwar ein runder Abschluss ihres Aktivistenjahres, ein Resümee ihrer öffentlichen Person und ein werbewirksamer Abspann. Mehr aber nicht. Und gerade dieses „Mehr“ würde mir noch fehlen.

I Am Greta

The Hunt

BEAT THE RICH

7/10

 

THE HUNT© 2020 UNIVERSAL STUDIOS All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2020

REGIE: CRAIG ZOBEL

CAST: BETTY GILPIN, HILARY SWANK, EMMA ROBERTS, ETHAN SUPLEE, JUSTIN HARTLEY, AMY MADIGAN U. A.

 

Sowas aber auch! Da hat sich Präsident Trump ja dermaßen auf den Schlips getreten gefühlt – und mit ihm die ganzen MAGAs, die so große Stücke auf den ersten Mann im Staate halten, der sich oft wiederholt, vieles vage formuliert und sich kaum auf Expertisen verlässt. Braucht er nicht, er ist ein politisches Wunder und vielem erhaben. Allerdings – kränken lässt er sich trotzdem. Und ein Skandal ist schnell gemacht. Von Obamagate fehlt nicht mehr viel zum Hunt-Gate – oder: Willkommen zur fröhlichen Schubladisierung der eigenen Klientel! Blumhouse hat sich mit seiner Thrillersatire The Hunt keinen Gefallen getan – oder aber auch jeden nur erdenklichen. Denn nichts macht einen Film interessanter als ein Skandal, als die Empörung über ihn. Und das noch dazu im Vorfeld, ähnlich wie bei Terry Georges Armenier-Epos The Promise. Kaum einer dieser Ankläger hat den Film je gesehen, doch wettern lässt sich über Kolportiertes natürlich sehr leicht. Es ist wie stille Post: wenn´s von einem Ohr zum anderen wandert, werden die infamen Frechheiten in solchen Filmen immer dreister. Wobei ich mir ernsthaft die Frage stelle: weswegen?

Weil das Häufchen Menschen, die sich, entführt und geknebelt, in einem Wäldchen wiederfinden, um von Unbekannten wie in die Luft geworfene Tauben abgeknallt zu werden, aus Stereotypen besteht, die dem Spektrum Trump-Wähler zuzuordnen sind? Hut ab vor denen, die das rauslesen konnten. Ich hab´s jedenfalls nicht erkannt, dafür segnen gut zwei Drittel aller Kandidaten viel zu rasch das Zeitliche, um überhaupt sagen zu können, welche politische Gesinnung die hätten. Alles was zählt ist anscheinend die Statistik. Aber gut – immerhin dürften es Leute sein, die dem Establishment auf ihre Art den Rücken kehren und kaum so leben wie die Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten. Im Gegenteil – diese Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten, diese CEOS und Stakeholders und sonstigen Kapazunder, die standen bei manch einem zum Freiwild erklärten armen Teufel auf dem Kieker. Aus genervtem Augenrollen wird bitterer Ernst. und die Damen und Herren im Anzug, die nicht wissen wohin mit dem ganzen Geld, blasen zum Halali. Die Trefferquote ist hoch – und unschön für die Auserwählten. Das Blut spritzt, eine Prise Gore darf auch noch sein. Nichts für Zartbesaitete, doch längst keine Challenge für Hartgesottene.

Was sich anfühlt wie ein zynischer Mix aus Surviving the Game und Natural Born Killers, bekommt erst seinen unberechenbaren Topspin mit dem Auftreten einer der wohl coolsten Bräute seit Uma Thurman in Kill Bill: Betty Gilpin. Spätestens dann wird The Hunt zu ihrer ganz eigenen Showbühne. Die Dame weiß, wie Mimik sonst noch geht, wie gegen die Norm gebürstet man in Anbetracht solch verqueren Ereignissen ein gewisses Quantum an Radikalvernunft bewahrt. Und wie ein verkaterter Montag-Morgen, an welchem einem am Besten niemand in die Quere kommen sollte, zur schlafwandlerischen Trotzphase wird. Gilpin checkt sehr bald, was Sache ist – und verbiegt die Regeln des Spiels. Wobei, wie schon die Macher des Films betonten, hier gern gedroschene Phrasen sowohl von der Elite als auch vom nörgelnden Durchschnittsbürger wie Blindgänger durch die Botanik brechen. Ernsthafte Kritik an wen auch immer ist das keine, vielleicht auch, weil Medien kaum eine Rolle spielen, die aber als allseits bekannte vierte Macht noch mehr zu sagen hätten als nur auf Social Media die Kampfarena hochzufahren. Dafür will The Hunt viel zu gerne einfach nur ein Actionthriller sein, der die Verachtung des jeweils anderen schürt.

Ob George Orwells Schweinchen namens Schneeball oder das Gleichnis vom Hasen und der Schildkröte – Regisseur Craig Zobel will einen scheinbar determinierten Algorithmus im Klassenkampf unterwandern: sozialphilosophisch wird The Hunt jedoch nie werden, dafür aber ist er so gut wie das wutschnaubende Kopfschütteln über populistische Aufmacher einer Boulevardzeitung. Betty Gilpin als zynische Aktivistin wieder Willen ist dann jene, die vom Pöbel bis zum arroganten Charakterschwein all die Schmierblätter zerknüllt und in die Tonne kickt. Das wiederum hat Klasse.

The Hunt

Gegen den Strom

AND THE BAND PLAYED ON

6/10

 

gegendenstrom© 2018 Pandora Filmverleih

 

LAND: ISLAND, FRANKREICH, UKRAINE 2018

REGIE: BENEDIKT ERLINGSSON

CAST: HALLDORA GEIRHARDSDOTTIR, JÓHANN SIGURÐARSON, JUAN CAMILLO ROMAN ESTRADA U. A.

 

Solange die Musik spielt, ist nicht alles verloren. Das hat man sich auf der Titanic auch gedacht. Also fidelten die Streicher bis zum bitteren Ende, und zwar immer noch, als alles bereits in den Fluten versank. Wer das sonst nirgendwo nachgelesen hat, weiß das seit James Camerons Filmwunder von 1997. Wenn also die Stille nach wohlkomponierten Klängen folgt, wird wohl schon alles so richtig im Argen sein. In der isländischen Tragikomödie, die ich eigentlich gar nicht in das Genre einer Tragikomödie einsortieren will, ist das Schlimmste noch nicht eingetreten. Obwohl die Lage schlimm genug ist. Denn die Combo, die spielt den ganzen Film hindurch. Was nun, das wird sich so mancher Leser denken, in den meisten Filmen sowieso der Fall ist, denn in gefühlt jeder Produktion bis auf die Filme von Michael Haneke oder dem Dogma 95 gibt es einen eigenen Score. In Gegen den Strom zwar auch, nur musizieren die Artisten live im Film, sind also Teil der Kulisse und begleiten unsere Protagonistin Halla im Grunde auf Schritt und Tritt. Auf offenem Felde, in der unwirtlichen Einöde Islands oder in ihren eigenen vier Wänden. Das ist ein interessantes Stilmittel, das habe ich ehrlich so noch nicht gesehen. Die Musik ist also ein weitaus wichtigerer Teil in Hallas Geschichte, um nur als Score eingespielt zu werden. Solange also die Musik läuft, kann Halla noch einiges riskieren. Und das tut sie.

Wenn sie nicht gerade ihre Chorgruppe leitet, rüstet sie „gegen den Strom“. Da haben wir ihn wieder, den doppelten Wortsinn. Denn Halla gelingt es mehrere Male, ohne entdeckt zu werden, mittels Pfeil und Bogen die Spannungsleitungen für die lokale Aluminiumfabrik zu kappen. Denn die ist schlecht für die Umwelt. Durch ihr Tun schreckt sie jede Menge Investoren ab, die da vielleicht mehr im Sinn haben als nur die Fabrik zu übernehmen. Eine Aktivistin also, durch und durch. Gleichzeitig aber auch bereit, ein Flüchtlingskind zu adoptieren, falls sie denn an die Reihe kommt. Da ist also einiges am Köcheln, und klingt nach stressigem Alltag. Den Idealismus, den Mut und die Überzeugung für eine Sache, den hat Regisseur Benedikt Erlingsson in seinem Frauenportrait so richtig groß geschrieben. Die Welt, die will er mit seiner Figur Halla besser machen, es scheint, als würde er sich wünschen, dass mehr Menschen so denken und handeln wie sie, gegen alle Konformität und eigentlich gegen jede Vernunft. Denn die, die kommt später. Wenn das verursachte Chaos Früchte trägt. Wenn der Plan aufgeht.

Vom isländischen Kino bin ich schon einiges gewohnt. Vor allem lakonisches, schwarzhumoriges. Sehr schräges aber auch wuchtiges. Gegen den Strom kann sich da nirgendwo wirklich einordnen. Das kaum bis gar nicht humorvolle Drama ist trotz seiner außergewöhnlichen Heldin ernüchternd normal, immer auf der Spur, selten versponnen. Halldóra Geirharðsdóttir verkörpert die Rolle der Kämpferin mit nüchterner Verbissenheit, die vollends überzeugt ist von ihrem Tun. Eine Hardlinerin, die all die Risiken, die sie beschwört, womöglich nicht abschätzen kann. Das ist nicht wirklich isländisch gefärbt, auch wenn so manche Szene ansatzweise skurril wirkt. Im Endeffekt ist es das aber nicht. Gegen den Strom ist trotz all seiner Aufregung ein unaufgeregter Film, vor allem durch das kontrollierte Spiel der Hauptdarstellerin. Die Welt zu verändern, so die Prämisse des Filmes, ist nichts, was per Multitasking erfüllt werden kann, bei all der Liebe zu den Ambitionen, die das Drama hat. Das mag klarsichtig sein, aufrichtig sein, aber letzten Endes ein Kampf gegen Windmühlen, der vielleicht erwirkt, dass sich die Windmühle weiterdreht, aber kein Monster mehr ist. Weil das eigene Leben immer noch oberste Priorität haben soll. Der Storytwist am Ende macht dann das Unmögliche möglich, erwartbar war er nicht. Ein bisschen bemüht zusammenkonstruiert, aber warum nicht, wenn es doch der guten Sache dient, und sich die Rettung der Welt auf die eines einzelnen herunterbrechen lässt.

Gegen den Strom

Downsizing

ZUR WELTRETTUNG NACH LILIPUT

6/10

 

downsizing© 2017 Constantin Film

 

LAND: USA 2017

REGIE: ALEXANDER PAYNE

MIT MATT DAMON. CHRISTOPH WALTZ, HONG CHAU, UDO KIER, KRISTEN WIIG U. A.

 

Die Welt steht vor dem Kollaps. Die schreckliche Konsequenz des Evolutionstheoretikers und Vordenkers Thomas Malchus zu Überbevölkerung Mitte des 18ten Jahrhunderts wird irgendwann mal tatsächlich wahr werden. In Alexander Payne´s neuem Film ist sie das bereits. Die Menschheit in all ihren Ballungszentren hat keinen Platz mehr. Unbesiedelte Regionen der Erde sind zurecht unbesiedelt. Wo es einem gefällt, da kann man sich längst nicht mehr niederlassen. Vor allem nicht in gewohntem Wohlstand. Um dieses Problem zu beheben – da gibt es einige Ideen. Manche davon sind so greifbar real wie das Geschwisterverbot aus Tommy Wirkola´s What happened to Monday?, die düstere Vision einer Ein-Kind-Gesellschaft, wie sie heute bereits in China der Fall ist. Manche wiederum sind so absurd und unmöglich wie in Downsizing.

Zu Downsizing fällt mir der Bestseller des Hypothetikers und Zeichners Randall Munroe ein. In What if? beantwortet der Science-Blogger in wissenschaftlicher Klarheit diverse unmögliche Fragen wie „Was wäre, wenn sich alle Menschen an einem Ort der Erde einfinden und gleichzeitig loshüpfen?“. Oder „Was wäre, wenn die Erde plötzlich aufhören würde, sich zu drehen?“ Eine dieser Fragen könnte somit auch lauten: „Was wäre, wenn sich ein Teil der Weltbevölkerung auf 12cm verkleinern würde?“ Auf diese bizarre Vorstellung hat aber diesmal nicht Munroe, sondern Alexander Payne die Antwort. Und er hat nicht eine Antwort, sondern gleich mehrere parat. Weil man so eine Frage ja nicht nur aus einem Blickwinkel beantworten kann. Da gibt es Feedback auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene. Payne will alle zugleich beantworten. Das ist wiederum typisch für den Filmemacher. In seinem Familiendrama The Descendants, zu welchem er ganz so wie bei Downsizing auch selbst das Drehbuch verfasst hat, geht es auch nicht nur um eine Sicht der Dinge, um eine Botschaft oder um einen roten Faden. Payne mixt diverse Genres subtil ineinander. Mal wirken sie komisch, mal sehr ernsthaft, und plötzlich handelt der Film wieder von gänzlich anderen Dingen. Mag sein, dass seine Methode des Geschichtenerzählens vielen Zusehern als zerstreut erscheint. Alles anschneiden zu wollen, lässt keiner Perspektive die Chance, zur Gänze gesehen zu werden. Das trifft auch zweifellos auf Downsizing zu.

Denn im Grunde ist Downsizing ein Episodenfilm, der auf den ersten Blick nicht so aussieht wie einer. Das liegt schon allein daran, dass Payne seinen Film auch nicht in Episoden unterteilt hat – was aber dem Film besser bekommen hätte. Eigentlich sind es drei Teile. Der erste handelt von der allen physikalischen Gesetzen zum Trotz von norwegischen Wissenschaftlern entdeckten Möglichkeit, sich verkleinern zu lassen – zum Wohle der Umwelt und der eigenen Geldbörse – denn alles was kleiner ist, kostet weniger. Ist also eine augenzwinkernde, aber niemals scherzhaft gemeinte Utopie einer globalen Notbremse. Die zweite Episode spielt in Leasure Land, dem Land der Minikins (kann sich wer noch an die gelungen Serie aus den frühen Achtzigern erinnern?), in welchem unser lebensüberdrüssiger Paul „Matt Damon“ Safranek versucht, auch ohne seiner besseren Hälfte, die ihn im Stich gelassen hat, klarzukommen. Wie ist es, so groß wie eine Actionfigur zu sein? Und was für Nebenwirkungen schleichen sich ein? Weniger gesundheitlich, viel mehr sozialer Natur. Die dritte Episode spielt in Norwegen, im Herzen der Downsizing-Kommune, quasi in Liliput. Der letzte Akt ist es dann auch, der sich wieder betont mit der Zukunft der Menschheit beschäftigt – und mit der Prognose für die Gesamtheit des Lebens überhaupt. Das hat dann fast schon Endzeitstimmung. Und ich hätte nie gedacht, dass Downsizing eine solche Richtung nehmen würde. Denn Satire ist was anderes, davon ist Paynes Utopie weit entfernt.

Seiner Geschichte wohnt eine reizvolle Thematik zugrunde und ist nur von ganz subtilem Humor durchzogen, welcher der Ernsthaftigkeit eines unmöglichen Szenarios etwas mehr Leichtigkeit verleiht. Die hat der Film dringend notwendig, weil Payne´s Fokus auf manche Details so wirken, als hätte die Regie vergessen, sich rechtzeitig auszuklinken, um die Aufmerksamkeit wieder woandershin zu richten. Vieles verliert sich dadurch wie schon eingangs erwähnt als Fragment in den Hirnwindungen des Zusehers und hinterlässt offene Fragen.

Dennoch – Downsizing als (Alb)traum einer Menschheit im Puppenhaus-Format war es wert, verfilmt worden zu sein. Auch wenn die erwartete Farce gar keine ist.

Downsizing