Thelma – Rache war nie süßer (2024)

DIE GELD-ZURÜCK-GERIATRIE

4/10


thelma_rache© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: JOSH MARGOLIN

CAST: JUNE SQUIBB, FRED HECHINGER, RICHARD ROUNDTREE, PARKER POSEY, CLARK GREGG, DAVID GIULIANI, BUNNY LEVINE, MALCOLM MCDOWELL, ANNIE O’DONNELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Wenn der eigene Enkel zum Liebsten gehört, was Oma noch hat, dann mag die Hiobsbotschaft am anderen Ende der Leitung wohl noch stärker durch Mark und Pein fahren. Denn Daniel hat Mist gebaut. Anscheinend sitzt er irgendwo im Gefängnis und wartet darauf, dass die Großmutter ihn da rausholt. Unsereins weiß natürlich: Bei diesem Anruf handelt es sich unmissverständlich um den berüchtigten Enkel-Trick, wenn wildfremde Gauner so tun, als wären sie Teil der Familie. Im Alter, so zeigen es diverse Fälle, werden manche leichtgläubig oder lassen sich so sehr von ihren Emotionen mitreißen, um um den Problemfall kritisch zu beäugen. Oma Thelma ist so jemand. Sie kratzt ihr Erspartes zusammen, um das Geld dann per Briefsendung an eine ominöse Adresse zu senden. Kurze Zeit später, als die Familie bei Thelma aufschlägt, stellt sich heraus: Das alles war nur Fake. Jetzt könnte man sich an der Nase nehmen und aus den Fehlern lernen. Doch das Geld – schließlich zehntausend Dollar – ist futsch. Wie also zurückholen? Alten trauen Nachfolgegenerationen nichts mehr zu, letztlich geht es nur darum, diese vor den Unannehmlichkeiten einer längst erprobten Welt zu schützen, als wären sie Kleinkinder. Oma Thelma kann also auf niemanden zählen, der nicht ihrer Altersklasse entspricht. Also holt sie sich Hilfe vom alten Ben, der in einer Seniorenresidenz wohnt und einen Scooter besitzt. Mit diesem tuckern die beiden nach Venice, um den Abzockern das Handwerk zu legen.

Das klingt nach einer spritzigen Seniorenkomödie unter kalifornischer Sonne, nach schräger Situationskomik und vielleicht nach ein paar derben Zoten auf Kosten sämtlicher Altersklischees. Letzteres trifft auch tatsächlich zu. Doch von spritzigem Vergnügen kann, und das ist nicht der minimalen PS des elektrischen Rollers zu verdanken, leider keine Rede sein. Die erst mit 61 Jahren ins Rampenlicht gerückte Schauspielerin, bekannt aus Nebraska, About Schmidt und The Big Bang Theory (dort gab sie in einer Episode Sheldon Coopers Oma) ist mit 95 Jahren noch erstaunlich rüstig. Mit wie viel Elan sie hier die Eigeninitiative ergreift, mag einem anfangs noch die Ohren flattern lassen. Allerdings: Trotz ihres resoluten Auftretens ist die Figur der Thelma wenig sympathisch. Irgendetwas fehlt, vielleicht ist es die etwas ruppig vorgeführte Integrität einer Superhelden-Seniorin, die eine gewisse charkterliche Imperfektion vermissen lässt. Durch diese Imperfektion entstünde eine wärmende Vertrautheit, die Thelma nicht hat. Und dann taucht dann auch noch Ben auf, und zwar Richard Roundtree, der Shaft aus den Siebzigerjahren,um mit seiner alten Jugendfreundin durch die Gegend bis nach Venice zu eiern. Auch er charakterlich ein Langeweiler.

Regisseur und Autor Josh Margolin kann für seine Komödie einige Namen gewinnen, darunter Parker Posey und Clark Gregg (Agents of S.H.I.E.L.D.). Fred Hechinger, eben erst als Diktator Caracalla in Gladiator II zu sehen, gibt den Taugenichts Daniel. Sie alle folgen den Routinen eines uninspirierten Drehbuchs, ihnen selbst mangelt es an Esprit und Tiefe. Sogar Clockwork Orange-Milchbub Malcolm McDowell gibt uns die Ehre, und auch er bleibt nur der Handlanger einer recht biederen Story, die zwar eine alte Dame zeigt, wie sie in die Gänge kommt, sich selbst aber von diesem Tatendrang nicht anstecken lässt. Der langweilige Rhythmus des Films und mangelnde Originalität, die sich der Vorhersehbarkeit hingeben wie so manches Spätsemester seinem Schicksal, bescheren einen müden Selbstjustiz-Schwank ohne viel Tiefe und auch ohne hintergedanklicher Metaebene, die mit den Stereotypen des Älterwerdens aufräumen würde. So leicht wäre es gewesen, mehr daraus zu machen.

Thelma – Rache war nie süßer (2024)

Beau Is Afraid (2023)

DIE FURCHT VOR DER ÜBER-MUTTER

4/10


beauisafraid© 2023 Leonine


LAND / JAHR: USA, KANADA 2023

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

CAST: JOAQUIN PHOENIX, NATHAN LANE, AMY RYAN, PARKER POSEY, ARMEN NAHAPETIAN, RICHARD KING, PATTI LUPONE, DENIS MÉNOCHET, KYLIE ROGERS, MICHAEL GANDOLFINI, THÉODORE PELLERIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 59 MIN


Ich fühl‘ mich gut, ich fühl mich toll, ich fühl mich wundervoll. Wer sich noch erinnern kann: Mit diesem Mantra hat sich Bill Murray allmorgendlich auf den kommenden Tag vorbereitet – so gesehen in der genialen Komödie Was ist mit Bob. Er gab dort einen von Angstzuständen zerfressenen Neurotiker, der sich letzten Endes an seinen Therapeuten hängt, obwohl sich dieser im Urlaub wähnt. Diese verzagte Schreckhaftigkeit, verbunden mit selbstironischem Humor, taugt zur komödiantischen Sternstunde, jedoch ohne fehlenden Respekt vor Leuten, die mit Angststörungen tatsächlich zu tun haben. Und nun, einige Zeit später, fürchtet sich Joaquin Phoenix wie nicht blöd. Als Beau, einem Mann mittleren Alters, hat er schon unzählige Sitzungen bei seinem Therapeuten absolviert, um sich danach wieder nach Hause zu kämpfen, denn auf offener Straße unterwegs zu sein, ist in der Welt von Beau mit einer Art Selbstmord gleichzusetzen. Komprimiert auf einen einzigen Straßenzug, finden wir uns in Hieronymus Boschs Weltgericht wieder, nur heruntergebrochen auf den grindigen Schrecken urbaner Endzeit zwischen Messerstecherei, Raubüberfällen und halbverwesenden Leichen, die mitten auf der Straße liegen. Ari Aster, Macher von unangenehmen Horrorknüllern wie Hereditary oder Midsommar, lässt diesen Beau in subjektiver Panik auf eine verzerrte Welt blicken. Alles scheint hier im Argen zu sein – und noch schlimmer. Visionen vom Worst Case werden zur Realität – daheim angekommen, muss sich das Häufchen Elend noch mit einer eigentümlichen, schlaflosen Nacht herumschlagen, bevor es am nächsten Tag per Flieger zur heißgeliebten Mama gehen soll. Wie zu erwarten, geht auch das schief – Koffer und Schlüssel werden gestohlen, und Wasser für die Tabletten ist auch keines da. Der eine Haken folgt dem anderen, und Beau verliert, dem heiligen Hiob gleich, nahezu alles, was er hat.

Das Pech jagt den von einer Vielzahl an Ängsten Gepeinigten von einer Prüfung zur nächsten. Davor davonzulaufen, scheint nichts zu bringen. Tod, Verderben und Wahnsinn begleiten ihn. Killer stechen auf ihn ein, psychisch kranke Kriegsversehrte werfen drohende Blicke. Die Mutter stirbt, erschlagen von einem Kronleuchter. Nun muss Beau so schnell wie möglich zum Begräbnis, der Druck von außen steigt. Und der Druck ganz woanders ebenso, trägt doch Beau ein Trauma mit sich herum, das mit dem Tod seines Vaters zusammenhängt, starb der doch just im Moment seiner Zeugung.

Gut, angesichts dieses Dilemmas sollte man mal ordentlich durchschnaufen. Geht aber nicht. Die Odyssee von Joaquin Phoenix, bestehend aus Albträumen, irren Zeitgenossen und Instant-Paranoia in Brauseform, setzt sich selbst unter Druck, ohne irgendwo Luft abzulassen. Ari Aster buttert alles in seine epischen drei Stunden hinein, dem er nur habhaft werden kann. Darunter die Freud’sche Psychoanalyse, Schuldgefühle und einen satten Mutterkomplex. Alles, was da so in den Niederungen des Unterbewusstseins eines Menschen kreucht und fleucht, formt sich zu dem Schreckensbildnis einer Übermutter zusammen, unter deren Stöckelschuhen sich die im Seidenpyjama herumgeisternde, stets entsetzte männliche Jungfrau winden wird. Beau Is Afraid ist ein aus dem Ruder laufendes und zutiefst unentspanntes Unikum an Film, ein in die Länge gewalzter, durch und durch unbequemer Psychohorror ohne rettende Ufer, ohne Zuversicht und ohne Humor – auch wenn Phoenix seine Rolle so anlegt, als würde er sich von einer aussichtslosen Lage nur nächsten kaspern. In Wahrheit tut er das nicht, seine Rolle hat keinen Anfang und kein Ende – weder entwickelt sich dieser Charakter des Beau in irgendeiner Weise weiter, noch schenkt ihm Aster jene Form von Erkenntnis, die jenen, die sich mit ihrer Angst auseinandersetzen, zwangsläufig widerfahren muss.

Zugegeben, diese satten drei Stunden sind nie langweilig. Das unberechenbar Bizarre macht neugierig, erschöpft aber gleichermaßen. Letztlich bleibt alles eine undefinierbare, erzählerische Pustel, konfus und ungeordnet, surreal und beliebig: Der Flickenteppich einer kruden Selbstfindung ohne Ziel, aufgrund der Menge an Ideen erschreckend dumpf und lähmend wie ein langsam steigendes Fieber. Der Kopf glüht, die Glieder schmerzen. Ein Zustand, den niemand will.

Beau Is Afraid (2023)