Jeanne du Barry (2023)

IM BETT MIT DEM KÖNIG

7/10


jeannedubarry© 2023 Why Not Productions


LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

REGIE: MAÏWENN

DREHBUCH: MAÏWENN, TEDDY LUSSI-MODESTE, NICOLAS LIVECCHI

CAST: MAÏWENN, JOHNNY DEPP, BENJAMIN LAVERNHE, PIERRE RICHARD, MELVIL POUPAUD, PASCAL GREGGORY, INDIA HAIR, DIEGO LE FUR, MICHA LESCOT, PAULINE POLLMANN U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Nie wieder wolle sie mit diesem Star zusammenarbeiten, hat Maïwenn Le Besco rückblickend gemeint. Er habe sich laut eines Berichts von Stefan Geisler auf filmstarts.de kaum für seine Rolle, geschweige denn für seinen Film interessiert, er habe sich diesen nicht mal angesehen – obwohl Johnny Depp das meistens nicht tut – eben sich selbst zu sehen. Er ist da sicher nicht der Einzige, der nicht wirklich darauf steht, sich selbst zu betrachten. Nicht nur Eitelkeit und Ego spielen da eine Rolle, ich kann das sogar ein bisschen nachvollziehen.

Will man aber einem Interview von Scott Orlin aus dem cinema-Magazin Glauben schenken, so dürfte der ins Rampenlicht der Schmierblätter gelangte Ex-Jack Sparrow der ideale Gesprächspartner gewesen sein, in den sich Maïwenn mit eigenen Worten richtig verliebt habe. Wie denn jetzt? Ein desinteressierter Launebär ohne Charme oder doch der Vertraute am Set mit der richtigen Chemie? Das wird man wohl nie wissen, denn die eine Erzählung ist wohl der Werbung des Films Jeanne du Barry geschuldet, und die andere ein gewisses, der Erschöpfung nach der Arbeit unterworfenes Resümee. Wie auch immer: eines ist gewiss. Johnny Depp ist ein Profi, und schauspielern, das kann er. Der mittlerweile 60 Jahre alte Promi, der sich zumindest bei den Prozessmitschnitten rund um den Amber Heard-Skandal der Physiognomie eines alternden Steven Seagal annähert, gibt den vorletzten Franzosenkönig als leicht aufgeschwemmten wie verschlossenen, dem Hofzeremoniell längst müde gewordenen Monarchen, der Abwechslung und Nonkonformismus dringend nötig hat und die Erschöpfung eines stagnierenden, bis zur Unfähigkeit dekadent gewordenen Absolutismus mit sich trägt wie eine tonnenschwere Perücke, unter der so manche Laus die bald schon eintretende fröhliche Endzeit feiert. Vor allem die Schlüsselszene im Halbdunkel seiner Gemächer, wenn Maïwenn als titelgebende Mätresse dem König ihre Aufwartung macht, trägt Johnny Depp eine ganze Epoche der Machtwillkür im Gesicht – ungeschminkt, Wein trinkend, mit wenigen Worten und abschätzendem Gelächter das Hofzeremoniell nur noch duldend, nicht vertretend. So hat man den Schauspieler noch nie gesehen. Und Maïwenn, die wusste, was sie tat, als sie sich für ihn entschieden hatte, um dann den Star eigentlich ganz unbewusst als mondänes Aushängeschild eines einstmals kreativen Hollywoods in Szene zu setzen, den momentanen Paradigmenwechsel in der Filmwelt reflektierend.

Die Biografie von Jeanne du Barry selbst ist ebenfalls so wenig ein Geheimnis mehr wie die Regentschaft des Königs. Bereits 1919 durfte die unorthodoxe Bettgespielin unter der Regie von Emil Jannings das Licht der Leinwand erblicken, dargestellt von Pola Negri. Weitere Auftritte sollen folgen, doch Maïwenn hat das Schicksal des von der Französischen Revolution ebenfalls nicht verschont gebliebenen höfischen Störfaktors ihr selbst auf den Leib geschneidert. Die Filmemacherin (u. a. Mein ein, mein alles – nominiert für die goldene Palme) interpretiert die Favoritin von Ludwig XV. als aus der Reihe der Entourage tanzende und schillernde Traumfigur, unwiderstehlich lächelnd und leidenschaftlich. Ernst Marischka, Macher der Sissi-Filme, wäre hin und weg von so viel Charisma, das einen Kostümfilm wie diesen zu einem Sittenbild in einer Zeitkapsel formt, in welchem ich, einmal nur hineingeblickt, dank der höfischen Entrücktheit das Drumherum der Gegenwart für einige Etappen so richtig außen vor lassen konnte.

Mit sicherer Hand und einem Gespür für Stimmungen wird Jeanne du Barry zu einem chronologischen Kostümreigen mit ganz viel bizarrem Hofzeremoniell, das naturgemäß unfreiwillig komisch wirkt, fast schon wie Realsatire, wenn nicht alles so wahr gewesen wäre. Das Rückwärtstänzeln vor dem König, das allmorgendliche Aufgebot im Schlafgemach des Regenten. Hachgott, wie eignet sich das nicht für eine Sensationsshow wie diese: für einen Blick zurück auf günstige und weniger günstige Umstände, die den Absolutismus als das darstellen, was er war. Darin wie ein Fisch, der ab und an gegen den Strom schwimmt, eine prächtige Verbündete – eine Modererscheinung in einem aus der Mode gekommenen Mikrokosmos der Eitelkeiten. Fashion Weeks in Versailles, die den müden König, sparsam mit Worten, in eine Götterdämmerung geleiten. Viel weniger zuckersüß als bei Sophia Coppola, dafür akkurater und um Maïwenn herum unverfälscht, geschmeidig arrangiert und konzentriert gespielt. Sie selbst allerdings bleibt eine sehnsüchtige Idealvorstellung, ein zeitgeistiger Popstar wie Romy Schneiders ewige Kaiserin.

Jeanne du Barry (2023)

An einem schönen Morgen (2022)

IM UMGANG MIT DENEN, DIE MAN LIEBT

7,5/10


aneinemschoenenmorgen© 2022 Les Films Pelléas


LAND / JAHR: FRANKREICH, DEUTSCHLAND 2022

BUCH / REGIE: MIA HANSEN-LØVE

CAST: LÉA SEYDOUX, PASCAL GREGGORY, MELVIL POUPAUD, NICOLE GARCIA, CAMILLE LEBAN MARTINS U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Dank Mia Hansen-Løve weiß ich nun, wo der große Ingmar Bergman gelebt und gearbeitet hat – dank eines kleinen, feinen, völlig unaufgeregten Autorenfilms, der sich 2021 als Bergman Island auf der Viennale eingeschlichen und vor allem damit beeindruckt hat, eine fast schon klassisch-romantische Liebesgeschichte mit der Kreativbeziehung eines Künstlerpaares zusammenzubringen. Dabei gelingen ihr zwei Ebenen, die fast schon metaphysisch miteinander verschmelzen. Ein Jahr später schickt Hanson-Løve statt Vicky Krieps und Tim Roth diesmal Lea Seydoux in ein fiktives Leben voller greifbarer, gelebter und wehmütiger Ereignisse, in welche abermals zwei Erzählebenen verflochten sind, die aber beide in ein Universum gehören, eng beieinander liegen und nur manchmal überlappen. Hinter An einem schönen Morgen steht ein klares Gespür für Timing; scheint es auf jede Minute, jede Sekunde anzukommen. All die Szenen scheinen klar definiert, Improvisation manchmal die doppelte Arbeit und daher vielleicht auch unerwünscht, denn Hanson-Løve kann der langen Rede kurzen Sinns nichts abgewinnen. Sie weiß genau, was sie erzählen muss und wie viel Kontext und wie viele Worte es maximal braucht, um niemals Gefahr zu laufen, ins Melodramatische zu kippen.

Dabei wären für das Genre des französischen Problem- und Liebesfilms alle Grundlagen gegeben, um sich in intellektuellen Streitgesprächen, philosophischen Off-Kommentaren oder einer verregneten Pariser Tristesse zu verlieren. Nichts dergleichen scheint die Filmemacherin auf irgendeine Weise zu beglücken. Daher nimmt sie ihre Affinität für kurze, knappe, doch niemals fragmentarisch wirkende Szenen zum Anlass, die Stationen einer späten Verliebtheit mit einem leisen Requiem auf das Alter, der Erinnerung und dem Vergessen zu verbinden.

Im Mittelpunkt steht die Tochter eines Philosophen, Sandra Kinsler, die ihrem Vater dabei zusehen muss, wie er einer neurodegenerativen Krankheit erliegt und immer tiefer in die Symptomatik des sogenannten Benson-Syndroms versinkt. Ähnlich wie Demenz, ist für den Erkrankten das Verarbeiten des Gesehenen gestört, und auch klar artikulieren, wie man gerne wollen würde, lässt sich längst nicht mehr. Daheim kann der Vater nicht mehr bleiben, er muss ins Pflegeheim. Das gestaltet sich als mühselige Odyssee, gleichzeitig muss Sandra damit klarkommen, das Vergangene als vergangen zu akzeptieren und lernen, von ihrem Vater langsam Lebewohl zu sagen. Obwohl Abschiede und Schlussstriche wie diese an Sandras Gemüt nagen, gibt es gleichermaßen auch einen erfrischenden Neuanfang: Ein alter Freund ist wieder in der Stadt, und was lange Jahre nie funktioniert hat, scheint diesmal von Amors Pfeilen getroffen: Beide verlieben sich ineinander. Das Problem nur: Liebhaber Clément ist verheiratet und hat einen Sohn. Wer muss also hier den Schlussstrich ziehen? Einer der beiden muss es tun.

An einem schönen Morgen erinnert in den Szenen mit Pascal Greggory als verwirrtem Vater an Florian Zellers Alters-Opus The Father. Wie unterschiedlich sowohl Hopkins als auch Greggory die Defizite des Altwerdens im Geiste darstellen können, ist verblüffend. Während Hopkins erst spät erkennt, wie hilflos er eigentlich ist, scheint Greggory diese Erkenntnis gar nie kommen zu müssen. Das Vergessen und das Entfernen aus der Realität verlaufen in ruhiger, murmelnder, schlurfender Ziellosigkeit – grandios und völlig unprätentiös gespielt. Die Qual, die man als Außenstehender dabei hat, vermittelt Lea Seydoux ebenfalls auf den Punkt genau. Und trotz dieser Schwere des Schicksals ist der Film auch dank Seydoux‘ völlig unverkrampftem Spiel und Hanson-Løves gelassener Inszenierung impressionistisches Erzählkino ohne plakative Schwere geworden, mit elegant eingeflochtenen, klassischen Versatzstücken des Kinos, die mit dem Rest harmonisieren. Viel passieren muss in Hanson-Løves Filmes eigentlich nie, doch dieses Dahinschweben zwischen den Wendepunkten eines Lebens, das sonst ein Außenstehender gar nicht bemerken muss, weil diese sich selbst genügen, ist schon eine große Eigenheit ihres Stils, und macht sie auch geradezu unverwechselbar in ihrer Art, Anspruch und Tagtraum bewusst ent- und dahingleiten zu lassen.

An einem schönen Morgen (2022)