Stars at Noon (2022)

NACKT IN NICARAGUA

5/10


starsatnoon© 2022 Ad Vitam Distribution


LAND / JAHR: FRANKREICH 2022

REGIE: CLAIRE DENIS

DREHBUCH: CLAIRE DENIS, ANDREW LITVACK, LÉA MYSIUS

CAST: MARGARET QUALLEY, JOE ALWYN, DANNY RAMIREZ, BENNY SAFDIE, JOHN C. REILLY, NICK ROMANO U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Reden wir nicht über Politik. Reden wir über die Liebe. Oder die Leidenschaft. Die Sexuelle Begierde, die in zerknüllten feuchten Laken und dampfenden Körpern – mein Gott, ist das schwülstig formuliert – ihren Ausdruck findet. Doch ob schwülstig hin oder her: in letzter Zeit ist mir kein anderer Film untergekommen, der die Definition von romantischem Abenteuer so sehr in eine Groschenroman-Ästhetik verpackt wie Stars at Noon. Die französische, sich quer durch alle Genres durchkostende Vielfilmerin Claire Denis hat sich eines Romans aus den Achtzigern angenommen, der in den Wirren des Nicaragua-Krieges spielt und sehr viel mit CIA, waghalsigem Journalismus und zwielichtigen Nutznießern aus der Wirtschaft zu tun hat. Alles Faktoren, die großes internationales Kino versprechen, so episch, als wären Catherine Hepburn und Spencer Tracy oder Lauren Bacall und Humphrey Bogart traumwandelnde Gestalten inmitten politischer Umbrüche und derlei gesellschaftlicher Spannungen, die damit einhergehen.

Traumwandlerisch ist wohl das Adjektiv, das am besten zu Stars at Noon passt. Ins Zentrum setzt Claire Denis Margaret Qualley, die Tochter Andie McDowells und seit Tarantinos Once Upon a Time… in Hollywood einem breiteren Publikum wohlbekannt. Sie gibt eine amerikanische Journalistin, die unangenehme Fragen gestellt und einen Artikel veröffentlicht hat, den allerlei mächtige Leute als bedenklich einstufen. Das hat zur Folge, dass die junge, durchaus promiskuitive Dame ohne Geld und ohne Pass in Nicaragua festsitzt und darauf hofft, durch Sex in die Gunst mancher Männer zu gelangen, die Beziehungen haben. Nicht selten lässt sie sich dafür auszahlen, darunter auch von Geschäftsmann Daniel (Joe Alwyn), der den Reizen der zugegeben hocherotischen Trish naturgemäß erliegt. Dieser Geschäftsmann aber hat sich mit den falschen Leuten eingelassen, und zwar mit jenen der costa-ricanischen Polizei und natürlich auch mit der CIA, und allesamt sind sie hinter ihm her, während Trish, immer noch darauf aus, ihre Papiere zurückzuerlangen, Daniel zur romantischen Zweisamkeit nötigt, wann immer sich dazu die Gelegenheit bietet. Letztendlich beschließen sie, sich gemeinsam Richtung Costa Rica abzusetzen. Auch ohne Pass und Geld.

Was an Stars at Noon am meisten fasziniert, ist das Gesicht von Margaret Qualley. Claire Denis kann sich daran nicht sattsehen. Wenn das liebreizende Konterfei nicht reicht, gibt’s Qualley auch im Evakostüm vor dem Fenster, vor dem Spiegel, auf dem Bett oder im Badezimmer. Es ist, als hätte Richard Hamilton lediglich seinen Weichzeichner vergessen, doch die eingefangene, schweißtreibende Schwüle tut ihr Übriges, um Konturen aufzuweichen. Stars at Noon ist schön anzusehen, keine Frage. Diese stellt sich aber umso mehr, betrachtet man den offensichtlichen Anachronismus des Films. Denis liegt weder daran, eine komplexe politische Geschichte zu erzählen noch daran, all die Umstände, die Trish und Daniel dorthin gebracht haben, wo sie sind, näher zu erläutern. Nicht mal die Zeit scheint von Bedeutung, Referenzstücke, um ein bestimmtes Jahrzehnt zu eruieren, fehlen gänzlich. Also vermischt sie Versatzstücke der modernen Gegenwart wie Smartphones und Chipkarten mit den politischen Unruhen der Reagan-Ära. Indizien, die nicht zusammenpassen.

Überhaupt nutzt Stars at Noon seinen fadenscheinigen Plot lediglich als abstrahiertes Konstrukt, als simplifizierte Verzerrung eines relevanten Politikums. Wie ein hohles Gefäß, in das Claire Denis ihre Zeit totschlagende Romanze bettet, eine Art Kulisse ohne Tiefe, eine austauschbare Variable für Thrillerdramen aller Art. In diesem kafkaesken Mysterium stört Margaret Qualley rein gar nichts, ihr breites Lächeln entschädigt für vieles, jedoch nicht für das langweilige Spiel von Joe Alwyn, zwischen beiden sprüht kein Funke. All die übrigen Figuren sind Staffage rund um Qualleys einnehmender Entrücktheit, der man die Rolle der investigativen Journalistin keine Sekunde abnimmt. Wer sind sie dann, diese beiden? Kolportierte Antihelden einer Stil-Hommage an den amerikanischen Film Noir, deren Plots manchmal so undurchschaubar waren, dass man sich am liebsten gar nicht damit auseinandersetzen, sondern nur mit den schmachtenden Momenten der Liebenden Vorlieb nehmen wollte. Diese Diffusion gelingt Claire Denis dann doch. Ob schwülstige Tropennächte das Soll erfüllen? Wie bei so vielen anderen Filmen bleiben bei diesem hier ohnehin nur Fragmente in Erinnerung. Es sollen die richtigen sein.

Stars at Noon (2022)

High Life

STERNENKIND IM ERSTVERSUCH

7,5/10

 

highlife© 2019 Pandora Film GmbH & Verleih KG

 

LAND: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, GROSSBRITANNIEN, POLEN 2018

REGIE: CLAIRE DENIS

CAST: ROBERT PATTINSON, JULIETTE BINOCHE, MIA GOTH, LARS EIDINGER, ANDRÉ BENJAMIN U. A. 

 

In meinem absoluten Lieblingsfilm, nämlich 2001 – Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick, da schwebt das Sternenkind fast schon so wie Major Tom über allen Dingen, scheint ganz plötzlich das Geheimnis hinter seiner Existenz erkannt zu haben, bildet eine Einheit mit dem Universum. Blickt dorthin zurück auf den Moment, in dem die Naturgesetze entstanden sind, und mit den Naturgesetzen auch die Möglichkeit, ein Wesen wie den Menschen zu ermöglichen. Beruhigend, dieses Einheitsdenken. Dass wir nicht verloren sind, sondern Teil des Ganzen. In High Life, einem Science Fiction-Film der vollkommen anderen Art, ist das Bewusstsein, Teil des Universums zu sein, ein verlorenes. Ganz so wie die Charaktere, die sich auf einer einsamen Mission ohne Rückfahrticket befinden, raus aus unserem Sonnensystem in Richtung eines kleinen schwarzen Lochs, dessen Erkundung aber nur die Bonusaufgabe sein soll. Die eigentliche Aufgabe ist die, jenseits von Terra neues Leben auf die Welt zu bringen.

Dabei hat sich zu dieser Aufgabe einzig und allein Wissenschaftlerin Juliette Binoche verpflichtet, genauso eine Straftäterin wie alle anderen auf diesem Schiff, aber zumindest mit genetischem Know-How ausgestattet. Was man von den anderen nicht sagen kann. Also werden die anderen dazu herangezogen, als Versuchskaninchen zu fungieren: als Samenspender und Gebärmutter. Für jene, die es nötig haben, hat dieses Raumschiff so was wie ein Sexzimmer, die so genannte Fuck Box. Dort kann Mann und Frau ihren Gelüsten frönen, ohne unbedingt einen Koitus mit einem Mitinsassen vollziehen zu müssen. Die Besatzung ist schließlich lange unterwegs, so lange wie einst Bruce Dern in Douglas Trumbulls Lautlos im Weltraum, um das bisschen Leben zu retten, was vom Planeten Erde übrig geblieben war. In High Life ist es die Reproduktion des Menschen um jeden Preis. Da ist es egal, wer wen begehrt, welche Sehnsüchte jemand hegt oder welche pathologischen Erscheinungen sonst noch existieren. Claire Denis eigenwilliger Beitrag zur humanphilosophischen Science Fiction reiht sich an die Mindfuck-Meditationen russischer Utopien, hat von Vorbildern wie Solaris oder Arthur C. Clarks Epen gelernt – und doch etwas völlig Eigenständiges entwickelt, einen völlig autarken Beitrag dazu geleistet, wenn es darum geht, die Relevanz des Menschseins im Universum zu betrachten. Dabei ist das Universum im Grunde eine Zigarettenschachtel, ein quaderförmiger Klotz, der im Nichts treibt, und darin spielt sich alles ab, vor allem die Zukunft der menschlichen Rasse und all die Ohnmacht dem eigenen kleinen Schicksal, der eigenen kleinen Reue gegenüber, die man angesichts einer Mission empfindet, die den Horizont erweitern könnte.

High Life ist moderne Kunst, ein photographisches Vexierspiel wie die Filme eines Tom Ford oder Michelangelo Antonioni. Die Odyssee zwischen artifizieller Installation, Avantgardismus und akkuratem Model-Shooting hat etwas Betörendes, vor allem dadurch, weil Denis Dissonanzen ins filmische Tempo bringt. Einmal elegisch, dann durchbrochen von Eruptionen heftiger Gewalt. Dazwischen das Physische, der menschliche Körper als poröses Gefäß, das Spuren hinterlässt, vom Samen bis zur Muttermilch. High Life ist daher auch überhaupt kein gefälliger Film, mitunter durchaus prätentiös und keinesfalls zögerlich in seiner Herausforderung an ein kunstbeflissenes Publikum. In Summe aber hat die Reise ohne Wiederkehr in all seinen Irritationen auch etwas sehr Schönes als Ziel, nach welchem zumindest Robert Pattinsons Charakter zu streben versucht. Er als einziger, der allem entsagt, ein Mönch unter Berserkern. Seine nüchterne, schlichte Figur interpretiert er mit Wohlwollen. Neben ihm machen sowohl Model Mia Goth als eine Art Auserwählte als auch Lars Eidinger (überraschend, ihn hier zu sehen) eine gute Leidensfigur.

Der Mensch ist kein Sternenkind, zumindest nicht jener, der von der Erde kommt, so die Conclusio. Mit Terra haben wir genug zu tun. Trotzdem aber lässt Claire Denis die Möglichkeit, dabei einem Irrtum zu erliegen, zumindest offen.

High Life