Mit einem Tiger schlafen (2024)

DAS INNERE NACH AUSSEN KEHREN

8/10


miteinemtigerschlafen© 2024 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: ANJA SALOMONOWITZ

CAST: BIRGIT MINICHMAYR, JOHANNA ORSINI, LUKAS WATZL, OSKAR HAAG, JOHANNES SILBERSCHNEIDER, SALADIN DELLERS, CARL ACHLEITNER, GRISCHKA VOSS U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN 


Die meiste Zeit ihres Lebens stand sie im Schatten ihrer männlichen Künstlerkollegen zu einer Zeit, in der die Kunst von Frauen eher belächelt als ernstgenommen wurde: Maria Lassnig, stets unverstanden und unnahbar zugleich, die Personifizierung der Einsamkeit einer Nonkonformistin. So, wie Anja Salomonowitz die Kärtner Ikone der feministischen Body-Art und des surrealen Aktionismus skizziert, möchte man meinen, es mit einer Ausgestoßenen zu tun zu haben, die stets vergeblich, und ähnlich wie Vincent van Gogh, darum bemüht war, ihren ganz persönlichen Zugang zu ihrer Kunst für andere verständlich zu machen. All die Versuche scheiterten, bis die Dame alt und gebrechlich wurde und ihre Kunstwerke längst als Teil einer Familie ansah, die sie nie gehabt hatte. Zweisamkeit, Vertrautheit, das Teilen von Ansichten und Empfindungen – Lassnig blieb stets allein auf weiter Flur, in großräumigen, lichtdurchfluteten Atelierräumen, meist am Boden liegend, verkrümmt und seltsam verrenkt, um so ihr Innerstes nach außen kehren zu können und dieses Etwas auf großformatige Leinwände zu applizieren, die, sobald sie fertiggestellt waren, nicht selten an Francis Bacon erinnern, nur heller, strahlender, getaucht in pastellige Farben, die neben dunklen, körperlichen Details existieren. Das Körperliche, allerdings das subjektiv Körperliche, war Lassnig stets das Wichtigste. Ihre Werke sind zahlreich, surreal und phantastisch. Selbstportraits, die mit Träumen und Albträumen kokettieren. Selbstportraits, die Lassnig mit gesellschaftlichen Agenden und einer abstrakten Gefühlswelt verband wie keine andere.

Ihre Werke gingen mir lange Zeit nie besonders nah. Womöglich, weil ich nicht gut genug hingesehen hatte. Ein Umstand, der sich geändert hat, und nicht erst sein diesem Film, der es tatsächlich schafft, dem Subgenre des Künstlerbiopics völlig neue Vibes zu verpassen. Mit einem Tiger schlafen – so auch der Titel eines ihrer Gemälde – ist alles, nur kein normaler Spielfilm mit klassischer Chronologie. Lassnigs Leben liegt scheinbar in Bruchstücken vor dem Publikum, Salomonowitz schlendert, über all die Scherben gebeugt, von einer zur anderen, hebt sie auf, dramatisiert sie, in völlig ungeordneter Reihenfolge; die Lust am Chaotischen, am Assoziativen befeuert den ganzen Film. Von der Kindheit im ländlichen Kärnten springt Salomonowitz gleich weiter in die späten Jahre, von dort wieder zu ihren Anfängen während der Nazizeit, um dann wieder als Erwachsene die Rolle ihres kindlichen Alter Egos einzunehmen, das der Willkür einer Mutter ausgesetzt war, die eine Hassliebe zu ihrer Tochter gehabt zu haben schien. Da man in den ersten Jahren des Heranwachsens für den Rest des Daseins geprägt wird, ist es auch nicht verwunderlich, dass Lassnig immer wieder abtaucht in die Dunkelheit der Mädchendaseins. Wie die geniale Eremitin dann ihre Seele zur Schau stellt, ist das mitfühlende, schmerzliche und berührende Drama einer Einzelgängerin, die immer berühmt sein wollte, so wie Arnulf Rainer, Ernst Fuchs oder Joseph Beuys, in den späten Jahren aber ihre Bilder als die Chronik ihres Lebens betrachtet, längst nicht mehr notwendig, sie irgendwem zu vermachen.

Mit einem Tiger schlafen gelingt es auf erfrischende Weise, das Geflecht an Szenen dennoch in einer verblüffenden Akkuratesse zu ordnen. Ein Widersprich in sich, der sowohl als Werkschau, als dokumentarische Betrachtung und als analytisches Portrait funktioniert, ohne die Zuneigung für die dargestellte Person vermissen zu lassen. Zu danken ist dieses Gefühl der Verbundenheit natürlich Birgit Minichmayr (Andrea lässt sich scheiden), die, um viel freier zu agieren, nicht altern braucht, nur um eine äußerliche Authentizität zu wahren. So einfach scheint es, diesen Anspruch wegzulassen. Dafür gibt sich die Burgschauspielerin in ihrer Performance einem biographische Akzente setzenden Naturalismus hin – intuitiv, ernsthaft und im Einklang mit einer, die wohl, hätte sie diesen Film noch gesehen, vielleicht gar zugeben würde, endlich verstanden worden zu sein.

Mit einem Tiger schlafen (2024)

Homo Sapiens

WAS WIND, WASSER UND LICHT ERZÄHLEN

5/10

 

Homo Sapiens© 2016 Geyrhalter Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2016

REGIE: NIKOLAUS GEYRHALTER

DREHBUCH: NIKOLAUS GEYRHALTER

KAMERA: NIKOLAUS GEYRHALTER

 

Im Buch Die Welt ohne uns beschreibt Autor Alan Weisman sachlich und mit sehr viel Vorstellungskraft, was wohl wäre, wenn Homo sapiens von einem Moment auf den anderen verschwinden würde. Wie lange würden die Relikte unserer Zivilisation noch sichtbar bleiben? Was wird nur sehr langsam verschwinden, was gar nicht? Diese Lektüre hat etwas Befreiendes, tröstendes, zumindest für unsere geknechtete Mutter Erde, wenn sie lesen könnte. Ist aber auch beklemmend genug, wenn es darum geht, was mit all den Atommüll-Endlagern letzten Endes passiert. Oder wer als letzter das Licht in den AKWS abschaltet. Dabei kommt die Geißel des Plastikmülls als langanhaltender Atem tatsächlich zu guter Letzt. Die Erde, die muss sich angesichts dessen beeilen, wenn sie nicht mehr an den Menschen erinnert werden will. Ob sich das noch ausgeht, bis die Sonne zum roten Riesen mutiert, bleibt dahingestellt. Der Mensch ist eben ein so nachhaltiges wie nachlässiges Wesen. Was morgen ist, kommt nach der Sintflut – oder so ähnlich.

Dieses Morgen hat sich Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter mal so richtig zur Brust genommen – und Orte aufgesucht, die der Mensch bereits hinter sich gelassen hat. Die Welt ohne uns nach Alan Weisman existiert in entropischen Enklaven bereits jetzt schon. Das themenverwandte Werk Homo sapiens ist darüber hinaus ein Film, der die Grenzen des gewählten Mediums auslotet – und dennoch ein Film bleiben muss. Geyrhalter´s Meditation auf den Verfall ist wohl einer von ganz wenigen Werken, die gänzlich ohne Sprache auskommen. Filme ohne Menschen, das ist keine Seltenheit. Ohne Verbalisieren irgendeines Zustandes oder eines Bedürfnisses – das ist schon gewagt, von einem fehlenden Score mal ganz zu schweigen. Das würde ja schließlich den Menschen wieder ins Spiel bringen. Und um den Menschen einmal ganz wegzudenken, braucht es  – gar nichts. Nur einen einzigen Blick auf das Ganze, auf den Untergang, auf die Rückeroberung der Elemente. Was zu hören ist, und zwar in fabelhaftem Sound, ist der Wind und das Wasser, die mit Staubpartikel reflektierendem Licht Fragmente des Erfassten bewegen, stören, sukzessive verändern. So radikal wie Homo sapiens ist selten ein Film, das ist eine Konsequenz, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Das ist eine Ablehnung des Fortschritts in seiner Reinkultur. Das Ende ist hier wie ein neuer Anfang, eine neue Ordnung der Natur, der Welt und seinen Gesetzen, die es auch ohne den Menschen geben muss. Geyrhalter´s Film klammert den egozentrischen Zweibeiner aber nicht ganz aus – er bleibt Betrachter. Denn ohne Betrachtung existiert nicht mal dieser Film – oder doch?

Genug des Philosophierens, das übernimmt Homo sapiens ohnehin und entlässt seinen Betrachter in sachte Bewegtbilder des Vergänglichen. Irgendwo hüpft eine Kröte durchs Bild, und Tauben flattern ein und aus, zwischen all dem entsorgungsreifen Vermächtnis ohne Nutzen. Zu gerne hätte ich gewusst, wo Nikolaus Geyrhalter unterwegs war. Die einzelnen Orte sind unterteilt durch Blackouts, ohne zu verraten, wohin die nächste Reise geht. Ehrlich gestanden ist mir trotz aller Achtbarkeit für Geyrhalter´s Konzept die Enthaltung jeglicher Information zu wenig. In Michael Glawogger´s grandiosem Filmvermächtnis Untitled gibt es ähnliche Szenen, die allerdings mit Worten aus dem Off erst so richtig Sinn machen und eigene Gedanken zum Laufen bringen. Gerne hätte ich gewusst, wo die Welt ohne uns bereits existiert, wo kein Mensch mehr irgendetwas verloren zu haben scheint, wo sich das Leben neu erfinden muss. Geschichten hinter dem Ende, und wären es nur Textzeilen gewesen – schade um das sekundenlange Dunkel dazwischen.

Panorama-Tableaus aneinanderzureihen, wie Homo sapiens es macht, das langt für eine Multimedia-Installation für Kunstkammern der Moderne, dem 21er Haus oder für das Mumok in Wien. An die Wand projiziert und im Endlos-Loop. Großartig fotografiert und trotz seiner gerümpelhaften Statik unerwartet intensiv, ist das Doku-Essay fürs Kino nach meinen Begriffen viel zu enthaltsam und geizt mit Informationen, die dem interessiert selbstreflektierenden Betrachter allerdings zugestanden wären.

Homo Sapiens

Untitled

REISE INS ICH

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untitled

Am 23. April 2014 verstarb der österreichische Filmemacher Michael Glawogger im westafrikanischen Land Liberia an Malaria. Er war gerade mal 57 Jahre alt. Jahrzehnte eines kreativen Lebens, in denen er vor allem durch seinen dokumentarischen Spürsinn und den speziellen Blick auf das große Ganze als ganz Großer des österreichischen Filmschaffens geschätzt wurde und wird. Mit seinen Werken setzte ich mich erstmals 1998 auseinander – mit die Kino-Doku Megacities. Eine hypnotische Odyssee tief ins Herz globaler Ballungszentren. Schon damals waren seine Bilder und die Art des Erzählens anders, als man es von sachkundigen Reportagen bislang gewohnt war, Denn das, was Glawogger uns mitteilen wollte, ging tiefer. Berührte die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschseins auf lakonische, bittere, entfesselte Art und Weise. Die Weltreise, das gigantische neue Projekt des Visionärs, welches in erster Linie vom niemals ruhenden Umherwandern des getriebenen Wesens namens Mensch erzählen sollte, geriet wider Erwarten aller zu Glawoggers ureigener Passion, zum finalen Kreuzweg, zum letzten Gang. Kurz: zu einem filmischen Vermächtnis.

Bilder, Momentaufnahmen, Szenen menschlicher Mobilität. Die Sammlung an Filmmaterial, die während des ersten Teilstücks von Wien nach Liberia zusammengetragen wurde, hat Glawogger´s Regiekollegin Monika Willi nun zu einem zutiefst berührenden, unberechenbaren und nachdenklich stimmenden Weckruf des Geistes zusammengeschnitten. Entstanden ist dabei ein Meisterwerk der dokumentarischen Erzählkunst, das so weit von klassischem Infotainment entfernt ist wie Nacktschnecken von Star Wars. Untitled – das namenlose, bewusstseinsverändernde Wunderwerk – lässt das Kinopublikum in ihren eingefahrenen Sehgewohnheiten allein zurück und beschert vor allem jenen, die sich völlig erwartungslos und open-minded dem 100minütigen Experiment hingeben, völlig neue Erfahrungen.

Das liegt alleine schon daran, dass der Film keiner linearen Geschichte folgt. Das Aufeinanderfolgen der Szenen und textfreien Bildmeditationen gleicht einem scharfkantigen Mosaik, allerdings mit Bruchstücken, die nicht zueinanderpassen, sondern bewusst und vehement kontrastieren wollen. Monika Willi setzt Glawogger´s Bilder wie nicht mehr zuordenbare Scherben scheinbar willkürlich zueinander. In dieser Willkür aber, in dieser unstringenten und scheinbar zusammenhanglosen Unordnung steckt, viel tiefer als auf den ersten Blick erkennbar, eine Metamorphose der Wahrnehmung. Ein Bereitmachen auf den Rückblick auf ein Leben, ein Reflektieren des eigentlichen Sinns vom unentwegt bewegten Dasein. Untitled schenkt dem Zuseher etwas ganz Bestimmtes, nämlich eine Art Interaktivität. So wie ein abstraktes Gemälde jeden einzelnen Betrachter auf eine andere, sehr persönlich interpretierte Reise mitnehmen kann, so ist das namenlose Gebet der Bilder ein kryptisches Buch voller Zitate, Gleichnissen über das Leben und Gedanken über den Tod. Niedergeschrieben von Michael Glawogger, in einzelnen Szenen rezitiert von Birgit Minichmayer mit ihrer unverwechselbaren Theaterstimme. Zwischen den Sätzen bleibt ein Vakuum, das gefüllt werden will von eigenen Gedanken. Kaum ein anderer Film vermag es in solch einer Intensität, den Zuseher in ein Stimmungsgewitter zu katapultieren, dass minutenweise wechselt und durch dieses emotionale Stimulieren den Motor eigener Gedankengänge anwirft. Es ist eine Zwischenwelt zwischen Wachzustand und traumbeseeltem Schlaf. Ein Niemandsland zwischen Leben und Tod. Letzte Bilder, ein wehendes Hemd. Streunende Hunde. Menschen hinter den Fenstern. Einbeinige Fußballspieler. Esel im Staub. Und immer wieder rollende Karren, trottendes Vieh. Gehende Menschen, die scheinbar nirgendwo ankommen. Bilder, nach denen das Nichts kommt. Und eine Kamera, die sich hindurchzwängt zwischen Menschen, Tieren, baufälligen Gemäuern. Glawogger beschert uns mit seinem Gespür für die Essenz des menschlichen Miteinanders grandiose Aufnahmen, die Staub, Schweiß und Salzwasser berührt haben. Die, meist aus bodennahem Blickwinkel, die Monstrosität von Fremdartigkeit und Einsamkeit hervorkehren.

Mit seinen letzten Streifzügen über den Erdball schafft Glawogger posthum sein Opus Magnum, seinen besten Film, indem es von nichts zu handeln scheint und wo es gleichzeitig um alles geht. Das den gemeinsamen Nenner seiner Werkschau präsentiert. Einen Schlussstrich aus Neugier, Trauer, das Gefühl von Freiheit und Neuanfang. Untitled ist kein Film für Zwischendurch. Kein Experiment, aus dem man ungeschoren wieder davonkommt, so rätselhaft scheint seine Mechanik. Es ist ein Erlebnis, für das man bereit sein muss. Ein unberechenbares Philosophikum, das sich jedem Genre entzieht. Dem sich sein Betrachter aber nicht entziehen kann.

 

Untitled