In Liebe, Eure Hilde (2024)

AUS LIEBE IM WIDERSTAND

6/10


in-liebe-eure-hilde© 2024 Pandora Film / Frederic Batier


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2024

REGIE: ANDREAS DRESEN

DREHBUCH: LAILA STIELER

CAST: LIV LISA FRIES, JOHANNES HEGEMANN, LISA WAGNER, ALEXANDER SCHEER, EMMA BADING, SINA MARTENS, LISA HRDINA, LENA URZENDOWSKY, NICO EHRENTEIT, FRITZI HABERLANDT, FLORIAN LUKAS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Schluchzen, Tränen, Betroffenheit im Kinosaal. Emotionale, mitunter verstörte Missstimmung. Wohin mit den eigenen Emotionen nach einem Film wie diesem?

In Liebe, Eure Hilde von Andreas Dresen fordert und überfordert. Das biographische Drama als schwermütig zu bezeichnen, wäre fast schon banal. Schwer verdaulich trifft es eher, nur: Schwer verdaulich muss auch nicht zwingend bedeuten, dass sich dahinter ein guter Film versteckt. Die Schwere eines Films liegt dabei weniger an den Themen. Es lassen sich diese auch ganz anders erzählen, ohne dabei die Relevanz zu verlieren. Einen Film über den Holocaust zu erzählen in Form einer Tragikomödie wie Das Leben ist schön, mag ein innovativer Ansatz gewesen sein. Sexueller Missbrauch und Demenz im Doppelpack zu bearbeiten, ohne dabei das Publikum danach zum Therapeuten schicken zu müssen, mag Michel Franco in Memory gelungen sein. Andreas Dresen nimmt sich nach Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush erneut einer True Story an, gebettet in den biographischen Auszug über eine historische Person. Sein neuer Film handelt vom Schicksal der Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die im August 1943 wegen Hochverrats und Spionage hingerichtet wurde. Dieser Fall erinnert unweigerlich an Sophie Scholl. Marc Rothemund hat im Jahr 2005 der weißen Rose ein erschütterndes und stark auf ihr Tun und Wirken fokussiertes Denkmal gesetzt, Julia Jentsch absolvierte dabei wohl eine ihrer besten Acts. Nun folgt ihr Liv Lisa Fries, bekannt aus der fulminanten zeitgeschichtlichen Krimiserie Babylon Berlin, und erhält dabei von Andreas Dresen reichlich Spielzeit, um jene noch so erdenkliche Emotion, die eine junge Frau mit diesen Ambitionen zu dieser Zeit und unter diesen Umständen gehabt haben kann, in ihre Rolle zu legen. Niemals ist das zu dick aufgetragen, denn Fries legt in all ihren Auftritten stets eine grundlegende Natürlichkeit an den Tag, die kein Regisseur der Welt ihr austreiben kann. Mit diesem schauspielerischen As im Ärmel hätte In Liebe, Eure Hilde ein wegweisendes Politdrama werden können. Doch Dresen hatte etwas andere im Sinn: Das Tun und Wirken Hilde Coppis außen vorzulassen und stattdessen den Menschen dahinter zu präsentieren. Leider ein Trugschluss. Denn Menschen wie Coppi definieren sich vorallem durch ihre Ideale, ihre Ideen und hehren Ziele. Dresen macht aus dieser historischen Person etwas, womit diese, würde sie den Film sehen, vielleicht selbst nicht glücklich gewesen wäre.

Was bleibt, ist die Rolle der Frau als bedingungslos Liebende, als fürsorgliche Mutter und hinnehmende Ehefrau. Wieviel davon ist tatsächlich so gewesen? Ihr Sohn Hans Coppi, der am Ende des Filmes dann auch noch zu Wort kommt, kann darüber keinen Aufschluss geben. Briefe aus dem Gefängnis allerdings schon. Drehbuchautorin Laila Stieler ersinnt daraus eine viel zu bescheidene Betrachtung einer austauschbaren, universellen Frauenrolle, die, so wie es scheint, in den Widerstand hineingerutscht zu sein scheint, unreflektiert und aus bedingungsloser Liebe im Rollenbild der Vierziger. Fast schon erscheint diese Prämisse seltsam trivial, um es sich leisten zu können, den Aspekt des Widerstandes nur peripher zu behandeln. Dieses Periphere betrifft allerdings auch all die anderen Personen, die Hilde umgeben. Sie bleiben schemenhaft und grob umrissen, Johannes Hegemann gibt Hans Coppi auffallend wenig Charakter, geschweige denn Charisma. All das wird von Liv Lisa Fries überblendet, die den Film so schmerzlich macht.

Der dargestellte Schmerz aber ist das nächste Problem nebst dem verpeilten Fokus, den Dresen gesetzt hat: Sein Hinhalten genau dorthin, wo es wehtut, mag dem Film Authentizität geben und das Publikum auch die Chance geben, allerhand nachzuspüren, was man nicht erleben will. Die Zuseher müssen sensibilisiert werden. Des Öfteren jedoch ertappt sich Dresen dabei, dieses Schmerzempfinden zum Selbstzweck werden zu lassen. Ob minutenlanges Wehen-Management bei der Geburt des kleinen Hans oder die Hinrichtung selbst: Für In Liebe, Eure Hilde hat das kaum einen Nutzen. Es sei denn, die Qualität eines Films misst sich an seiner Schwere.

In Liebe, Eure Hilde (2024)

Berlin Syndrom

DAS TRAUMA VON HINTER DER MAUER

6,5/10


Berlinsyndrome© 2017 MFA+ Film Distribution


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2017

REGIE: CATE SHORTLAND

CAST: TERESA PALMER, MAX RIEMELT, MATTHIAS HABICH, LUCIE ARON, EMMA BADING U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Was mich bei Blockbustern stets motiviert, in Erfahrung zu bringen, ist das bisherige Schaffen jener Künstler, die bei dem einen oder anderen hochbudgetierten Konzernfilm im Regiestuhl gesessen haben. Einfach so, aus heiterem Himmel, werden diese Leute ja wohl nicht angeworben worden sein, da muss es vorab etwas gegeben haben, das die Verantwortlichen zum Beispiel bei Disney wohl überzeugt haben muss. Meist sind das kleine Filme, dafür aber umso beachtenswerter. Das war schon bei James Gunn oder Gareth Edwards so, das ist auch bei Cate Shortland so. Einige wenige werden sie bereits kennen, vorausgesetzt, ihnen ist der Psychothriller Berlin Syndrom ein Begriff. 3 Jahre später dann der Sprung in die Oberliga: Black Widow.

In ihrer urbanen Düster-Romanze aus dem Jahr 2017 lässt sich schon ganz gut Shortlands Gespür für toughe Frauenrollen erkennen, die einen gewissen Leidensweg hinter sich gebracht haben oder gerade dabei sind, diesen hinter sich bringen zu wollen. Was einen nicht umbringt, macht einen nur noch stärker. Black Widow war stark. Und Terese Palmer als Berlin-Touristin ist das ebenso. Oder sagen wir lieber: unglaublich zäh. Denn das muss sie auch sein. Als Backpackerin quer durch Europa macht die junge Australierin Claire beim Zwischenstopp in Berlin Bekanntschaft mit dem Englischlehrer Andi. Aus dieser Bekanntschaft wird bald etwas mehr, allerdings hat das Ganze aber keine Zukunft, denn Claire will tags darauf weiterreisen nach Leipzig. Fast wäre alles gut gegangen. Fast wäre der kurze Flirt nur eine angenehme Urlaubserinnerung geblieben. Doch Claire verschiebt ihre Weiterreise, kann von Andi nicht mehr lassen, kommt zu ihm in die Wohnung – und von dort nicht mehr weg. Andi entpuppt sich nämlich als wachechter Psychopath und sperrt das Mädchen in seiner Wohnung ein. Wie Priklopil, nur ohne Keller. Ein Ringen zwischen Resignation, Wut und Hoffnung setzt an, darunter natürlich eine Brise Stockholm, wobei Berlin Syndrom die Allegorie dieses intensiven Dramas am besten widerspiegelt.

Wenn man Berlin Syndrom aber abseits von Shortlands Film googelt, stößt man auf die Bezeichnung einer massiven Hauterkrankung. Die ist damit sicherlich nicht gemeint. Sowohl Teresa Palmer als auch Max Riemelt (u. a. Napola – Elite für den Führer) sind zumindest rein körperlich pumperlgesund. Ersterer mag wohl einen Riesenknacks mit sich herumtragen, doch viel eher ist der Bezug auf Berlin ein politischer. Rundherum Mauern, Einfordern des Gehorsams, ein ständiges Überwachen. Riemelt verkörpert in ausdrucksloser Intensität die Essenz eines totalitären Regimes und ernennt Claire dabei als Symbol einer unterdrückten und ihrer Freiheit beraubten Bevölkerung. Ein Mikrostaat, der DDR nicht unähnlich. Oder: wurde man selbst mal unterdrückt, ist das Unterdrücken anderer ein leichtes. Gelernt ist eben gelernt.

Cate Shortland rückt nah an ihr Schauspielerpaar heran, lässt sie mühelos ihr Dilemma empfinden, macht auch aus der Figur des Peinigers keinen verhassten Bösewicht und aus Terese Palmer kein bemitleidenswertes Opfer. Die Australierin leistet dabei sowohl Widerstand als auch Gehorsam, wie eine all ihrer Rechte beraubte Bürgerin, die auf die Gunst der Stunde wartet, um aufzubegehren, dabei manche Gelegenheiten aber verstreichen lässt. Aus Angst? Aufgrund eines nicht ganz durchdachten Scripts? Interessant dabei ist die Location: ein heruntergekommener Altbau, womöglich im Osten Berlins, vielleicht ein leerstehendes Viertel aus den Zeiten des Kommunismus. Einzig Andis Wohnung ist des Nächtens beleuchtet. Er als letztes Überbleibsel einer dunklen Epoche. Vielleicht, ohne selbst diesen Kontext zu begreifen.

Berlin Syndrom