Priscilla (2023)

SÜSSES NICHTSTUN AUF SCHLOSS GRACELAND

5,5/10


priscilla© 2024 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: SOFIA COPPOLA

DREHBUCH: SOFIA COPPOLA, NACH DER BIOGRAFIE VON PRISCILLA PRESLEY & SANDRA HARMON

CAST: CAILEE SPAENY, JACOB ELORDI, TIM POST, LYNNE GRIFFIN, DAN BEIRNE, DAGMARA DOMINCZYK, ARI COHEN, RODRIGO FERNANDEZ-STOLL, EMILY MITCHELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Wer ist der bessere Elvis? Austin Butler oder Jacob Elordi? Wirklich schwer zu sagen. Am besten, man mixt beide Interpretationen zusammen – was dabei herauskommt, könnte dem wahren Wesen des King of Rock’n‘Roll schon ziemlich nahekommen. Während Butler sich ausgiebig auf die Bühnenperformance des Stars konzentrieren konnte, gibt ihm Elordi die private Breitseite. Sein nuschelnd dahingeschmissenes und für Nicht-Natives wirklich unverständliches Slang-Englisch klingt wie das Original und macht ihn allein schon dadurch zum souveränen Imitator. Wenn sich dann noch Elordis Profil im Halbschatten zu seiner „Cilla“ hinneigt, meint man in einigen Szenen, vollends verblüfft, dem 1977 verstorbenen Original zu begegnen. Und was ist mit Priscilla? Stimmt, Sofia Coppolas neues Werk will ja schließlich nicht ein weiteres Elvis-Biopic sein, sondern sich diesmal ganz und gar seiner besseren Hälfte widmen – der um viele Jahre jüngeren Lebens- und Leidensgenossin der in den Untergang gerittenen Musik-Ikone, die als lebendig begrabene, eierlegende Wollmilch-Rampensau in Las Vegas ihr Ende fand.

Priscilla hatte da schon einige Jahre früher, 1973 nämlich, die Reißleine gezogen und war ausgestiegen aus diesem schalen Promileben, bestehend aus Tabletten, Drogen und leidenschaftsloser Bühnenpräsenz. Die vom süßen, schüchternen Küken zur selbstbewussten Frau gewandelte Showbiz-Adelige fand ihr Heil in der Selbstfürsorge. Ein glückliches Eheleben war das längt schon keines mehr. Wie es dazu kam, wie Priscilla Presley ihr Leben an der Seite einer weltbewegenden Ikone wohl empfunden und gesehen haben mag – darüber gibt die mittlerweile stark geliftete Dame höchstselbst in ihrem Buch Elvis and Me reichlich Auskunft. Diesen Stoff hat Sofia Coppola nun verfilmt, streng aus der Sicht ebenjenes von heute auf morgen plötzlich privilegierten jungen, zerbrechlich und verletzbar wirkenden Mädchens, das wie Alice in ein Wunderland kam, in welchem man nicht sonderlich viel zu tun hatte ausser sich einlullen zu lassen vom Wohlstand, vom materiellen Glück und der fast schon väterlichen Kümmerung eines von allem Weiblichen vergötterten Idols, dem der Ruhm gar nicht mal so zu behagen schien. Der wie ein Thronfolger, der schließlich die Macht übernehmen muss, weil so vorgesehen, eben dieses Spiel zuspielen hatte  – kaum hinterfragend, warum das alles so weit hat kommen können. In diesem Herrscherhaus namens Graceland muss die aus Deutschland heimgeholte Priscilla nun das Spiel nach allen Regeln mitspielen – das scheint ihr anfangs alles recht, wenn sie doch nur an der Seite ihres Elvis sein kann. Doch früh schon quälen medial ausgeschlachtete Techtelmechtel des Stars und der viele verordnete Müßiggang, bestehend aus Warten und Harren und Shoppen, die junge Seele. Bis Elvis sich abermals bemüßigt fühlt, zu seinem Baby heimzukehren, um dann wieder zu verschwinden, für einen neuen Film. Und so weiter und so fort.

So, wie Priscilla vom Leben an der Seite eines Weltstars eingelullt und ruhiggehalten wird, so eingelullt und ruhiggehalten wird man auch als Zuseher. Während Baz Luhrman in seinem epischen Biopic ordentlich auf Emotionen setzt, mit den authentisch nachchoreographierten Gigs für die nötige Wucht sorgt und das Wort Drama ganz groß schreibt, gibt sich Sofia Coppola einem gemächlichen Makeup- und Styling-Pragmatismus hin. Alles ist akkurat nachempfunden, sogar die Fotos, die Hochzeit, all das, was Elvis-Fans längst von den echten bildlichen Dokumenten her kennen. Schmuck ausgestattet ist ihr Werk allemal, das sind sie immer. Hinter dieser Fassade eine Koexistenz aus Anhimmeln und Hinhalten, aus Wunschlosglücklichmachen und verhängtem Elvis-Dekret. Es plätschert, es knistern die Satinlacken, Cailee Spaeny mausert sich währenddessen vom traumverlorenen Sixties-Püppchen zum duldenden Eigentum mit hochdopierter Frisur. Der Wandel ist gut gespielt, wirklich viel Mut fasst sie in ihrem Spiel allerdings nie. Es bleibt bei wenigen Ausbrüchen, denen die Lust an der Reibung fehlt. Jacob Elordi hingegen ist das eigentlich Verblüffende an der ganzen, eigentlich redundanten Geschichte, die sich kaum weiterbewegt, obwohl sie es doch tut. Und plötzlich ist es da, das schmerzliche Ende der beiden, und ehe man sich versieht, ist es auch schon wieder vorbei. Fast schon als Fußnote oder filmisches Nachwort untergebracht, lässt Sofia Coppola auch hier kein Crescendo zu, zieht ihren ganzen Film im gleichen Rhythmus durch, ohne Höhen, ohne Tiefen, fast schon monoton, aber schön anzusehen.

Priscilla (2023)

Don’t Worry Darling

DESPERATE HOUSEWIVES 2.0

5/10


dontworrydarling© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: OLIVIA WILDE

BUCH: CAREY & SHANE VAN DYKE, KATIE SILBERMAN

CAST: FLORENCE PUGH, HARRY STYLES, OLIVIA WILDE, CHRIS PINE, GEMMA CHAN, KIKI LAYNE, NICK KROLL, DOUGLAS SMITH, DITA VON TEESE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Die Black List ist eine jährliche Zusammenfassung aller Drehbücher, die zu gut sind, um sie in der Rundablage verkommen zu lassen – um die sich aber bis zu gegebenem Zeitpunkt auch noch keiner geschert hat. Potenzial, das also darauf wartet, auf die große Leinwand zu kommen. Geniale Konzepte, komplex und schlüssig, die Kehrseite des Giftschranks. Eines dieser jahrelang in der Warteschleife befindlichen Skripten hieß Don‘ t Worry Darling. Wie sich herausstellt: Das Warten hatte zwar ein Ende, doch die große Erlösung kam um einiges zu spät. Nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem ganz andere Drehbücher von ganz anderen Leuten Ähnliches zu erzählen wussten und Don’t Worry Darling in seiner kolportierten Exklusivität im Vergleich dazu etwas alt aussieht. Was der Thriller, inszeniert von Olivia Wilde (Booksmart), aus dem Sack lassen will, ist zwar formvollendete Mystery mit Anleihen, die in der Feminismus-Debatte zu finden sind, in seinen Innovationen aber hinterher hinkt. Ist Don’t Worry Darling also ein verzichtbares Stück Hochglanzkino?

Nun, so richtig schlecht gerät das Vexierspiel nicht, allein schon aufgrund des überzeugend agierenden Ensembles um Florence Pugh, die allesamt auf einen hinausgezögerten Story-Twist hinarbeiten, der den Kinosaal letzten Endes wohl kaum mit staunendem Geraune füllen wird. Hier fällt einem maximal die Kinnlade herunter aufgrund des Schlendrians, unter welchem das geheim gehaltene Konstrukt dahinter aller Welt präsentiert wird.

Dabei habe ich mir schon im Vorfeld, beim Lesen anderer Rezensionen und der Synopsis des Films so meine Gedanken gemacht, wie das Ganze wohl würde enden können. Die Frauen von Stepford, Die Truman Show oder Get Out wurden hier bereits vergleichend zu Rate gezogen. Daraus lässt sich schon ein Bild machen. Vor allem für letzteren – oder besser gesagt – dem kreativen Universum des Jordan Peele zeigt Don’t Worry Darling eine unverblümt nacheifernde Affinität. Denn so seltsam, wie Peele seine Filme arrangiert, lässt auch Olivia Wilde die rätselhaften Ereignisse beginnen. Mitten in der Wüste, irgendwo in den USA (nehme ich an), inmitten einer 50er-Jahre Zeitblase in Ausgestaltung einer Kleinstadt, die an Desperate Housewives und ihre Wisteria Lane erinnert, mit Shoppingcenter, Schwimmbad und netten Lokalen. Konzentrisch angeordnet und von Paaren bewohnt, die den männlichen Chauvinismus aus verstaubten Jahrzehnten hochhalten. In diesem Lebensentwurf gehen die Herren der Schöpfung arbeiten, während die Frau eben als Hausfrau putzt, kocht und wenn noch Freizeit bleibt, mit den anderen Hausfrauen abhängt, um über Gehaltloses zu plaudern. Small Talk auf ewig, unter glühender Sonne. Wer will das nur? Aber bitte, für jede Philosophie gibt es Mikrostaaten, warum nicht auch für diese, die von einem mysteriösen Lackaffen namens Frank (herrlich undurchschaubar: Chris Pine) als Beinahe-Sektenführer mit überzeugenden, aber leeren Phrasen am Laufen gehalten wird. Bis Florence Pugh als bisher drolliges Herzblatt die Grenzen überschreiten wird, langsam merkt, dass hier nichts so ist, wie es scheint und offen das System attackiert. Ex-One Direction-Sänger Harry Styles, der scheinbar mehr weiß als seine bessere Hälfte, rauft sich derweil sein gestyltes Haar. Und Olivia Wilde herself nippt am Drink.

Und ja, das ganze Szenario sieht gut aus. Florence Pugh folgt man gerne – aber viel zu lange – durch den Nebel der Tatsachen, wünscht ihr viel Erfolg dabei und stellt sich trotzig an ihre Seite, wenn sie Chris Pine die Leviten liest. Das wiederum bedeutet: Olivia Wilde hat ein Gespür für Regie, ganz ungeachtet irgendwelcher Techtelmechtel hinter den Kulissen, die mich erstens nichts angehen, und zweitens auch nicht tangieren. Wo Wilde Einspruch hätte erheben können, wäre beim Drehbuch der Gebrüder Carey und Shane van Dyke gewesen (Fun Fact: beides Söhne des Schauspielers Dick van Dyke). Die Prämisse, die der Story nach dem notgedrungenen Twist zugrunde liegt, der wiederum die einfachste und bequemste Form einer Wahrheit offenbart, die man nur offenbaren kann, fällt haltlos aus allen Wolken. Durchdacht ist hier wenig, und all diese vielen Fragen, die sich auftürmen, nachdem wir alle wissen, was los ist, lassen sich dann auch nicht mehr in Kauf nehmen, nur um auf einer weiteren Metaebene über Selbstbestimmung und Frauenbilder zu diskutieren. Dafür verlässt sich Don’t Worry Darling zu sehr auf seine rätselhaften Versatzstücke, Männer in roten Overalls (siehe Jordan Peeles Wir) und Puzzleteilen, die zu einem anderen Spiel gehören.

Dennoch bleibt Don’t Worry Darling schauspielerisch spannend und dicht erzählt, die tanzenden Damen aus den 20ern (so sehr 50er ist der Film gar nicht – mit Ausnahme der farbenfrohen, fahrbaren Untersätze) stehen für den gepredigten Ordnungswahn, der sagt, wo Frau hingehören soll. Das alles entbehrt nicht einer gewissen Sogwirkung und eines Unterhaltungswerts, doch um wirklich einen Knüller zu fabrizieren, der die mittlerweile abgedroschenen Mystery-Formeln außen vorlässt, um neue zu entdecken: dafür hätte man gleich ein ganz anderes Skript schreiben können.

Don’t Worry Darling

Schwarze Milch

SO WEIT UNSERE FREIHEIT REICHT

8/10

 

schwarzemilch© 2020 Alpenrepublik

 

LAND: MONGOLEI, DEUTSCHLAND 2020

REGIE: UISENMA BORCHU

CAST: UISENMA BORCHU, GUNSMAA TSOGZOL, TERBISH TEMBEREL, BORCHU BAWAA, FRANZ ROGOWSKI U. A.

 

Man muss genau hinsehen, um in Zeiten wie diesen den richtigen Film im richtigen Kino zu finden. Derzeit haben die großen Ketten alle geschlossen – sie warten auf grünes Licht aus den USA. Wenige kleinere Kinos haben geöffnet – und die können jetzt den größten Nutzen daraus ziehen. Indem sie Filme zeigen, die sonst vielleicht nur Nischen bedienen und untergehen würden angesichts großer Konkurrenz. Es ist gut, genau hinzusehen, denn dann fallen Filme ins Auge so wie dieser hier – Schwarze Milch. Ein mongolisch-deutscher Streifen, diesjährig bei der Berlinale erstmals aufgeführt. Und ein Werk, das man eigentlich nicht verpassen sollte.

Dabei ist die Geschichte von Wessi, die nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland zu ihrer Schwester in die Wüste Gobi zurückkehrt, recht überschaubar, in ihren Grundzügen geradezu simpel. Was Uisenma Borchu, die sich die Rolle der einen Schwester selbst an den Leib geschrieben hat, aus dieser Erzählung einer familiären Begegnung gemacht hat, wird zu einem intensiven, in seiner archaischen Kraft sich stetig steigernden Wunder eines Lebenswandels. Dabei findet Borchu eine unmittelbare, distanzlose Bildsprache. Die Kamera nähert sich den beiden Frauen auf neugierige, vertrauliche, manchmal gar indiskrete Art. Sie offenbaren ihre Sehnsüchte, ihre Ängste, ihre Diskrepanzen zueinander. Dann wieder die unendlich scheinende Weite der Sanddünen, den Reiter in der Ferne. Das Fehlen von Schutz und Nähe, die Scham kulturell bedingter Blöße. Hier, in den Weiten der Mongolei, scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Jurten stehen im Nirgendwo, die Bewohner der Steppe sind immer noch Nomaden, durchaus reich an allem was sie benötigen. Im Tross der Umherziehenden jede Menge Ziegen, Pferde. Gastfreundschaft für jeden und zahlreiche gute Omen. Ganz wichtig: das Patriarchat. Modern ist vielleicht das Motorrad zwischen den Teppichwänden der Zelte, das Klingeln des Mobiltelefons. Sonst aber pfeift der Wind, wird gemolken was die Zitze von Pferd und Ziege hergibt, wird geschlachtet, wenn Nahrung knapp wird. Wessi kann sich an all diese Riten des Tages kaum mehr erinnern. Zu fern ist ihr das alles. Fern ist ihr allerdings auch ihr Leben in Deutschland, nicht weniger dominiert von einem Machtmenschen, der vorgibt, was zu tun ist. Wessi sucht Selbstbestimmung, Hofft, diese in ihren Wurzeln zu finden. Eine neue oder wiedergefundene Identität. Mithilfe ihrer Schwester sollte das machbar sein. Doch die Welt der mongolischen Nomaden ist erstarrt im Willen der Männer. Egal ob diesen der träge Ehemann, der gewaltbereite Eindringling oder der zeremonienbewusste Stiefvater artikulieren. Als Frau ist man alleine zu schwach. Gemeinsam vielleicht aber stark genug.

Schwarze Milch – nach Paul Celans Gedicht Todesfuge bringt sie den Tod. Allerdings ist die Bezeichnung natürlich auch ein Oxymoron, ein sich widersprüchlicher Begriff. Klar zuzuordnen lässt sich die Bedeutung nicht gerade, eventuell hat sie eine eigene lokal verortete Symbolik, die sich mir nicht erschließt. Doch das macht nichts, klar ist, das Schwarze Milch nichts sonderlich Gutes bedeutet. Dass es vielleicht einer Verweigerung als Mutterfigur, einer Auflehnung gleichkommt. Und irgendwann später passiert es tatsächlich, in diesem uralten Kosmos aus Gebräuchen und Aberglauben. Die beiden Frauen werden zu zweifelnden Ikonen, umstürzlerisch und leidensfähig, weil sie brechen, was nicht gebogen werden kann. Borchus Film ist so authentisch wie möglich, in ihm ruht eine originäre Kraft, die gleichsam wunderschön, gleichsam lehrreich, aber auch unerbittlich sein kann. Die in OmU übersetzte Sprache der Mongolen ist eine ganz eigene, fremdklingende Metaebene in Hörbildern. Dem Schlachten der Ziegen lässt sich kaum zusehen, es sind dokumentarische Szenen eines Alltags, die Borchu für ihren Film verwendet und die ihm dieses echte, spürbare Etwas geben. Anfangs mag man nicht so recht wissen, wohin Wessi sich treiben lässt. Was sie möchte, weshalb sie zurückkehrt. Fast lässt sich vermuten, die Filmemachern selbst hat sich in ihrer Arbeit ähnlich treiben lassen, hinein in ein wiederentdecktes Land. Was sich dabei herauskristallisiert, sind überraschend ähnliche Sehnsüchte, sowohl im Westen also auch im Osten. Allen voran die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Freiheit.

Schwarze Milch