Pearl (2022)

EINE PERLE VERLIERT DIE FASSUNG

7/10


pearl© 2022 Universal Pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: TI WEST

DREHBUCH: TI WEST, MIA GOTH

CAST: MIA GOTH, DAVID CORENSWET, TANDI WRIGHT, MATTHEW SUNDERLAND, EMMA JENKINS-PURRO, ALISTAIR SEWELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Niemand ist bei den Kälbern? Natürlich nicht. Die hübsche junge Pearl will eigentlich etwas ganz anderes aus ihrem Leben anstellen als nur das Vieh bei guter Gesundheit zu halten und den als Pflegefall dahinsiechenden Vater pflegen. Doch wir befinden uns am Anfang des 20. Jahrhunderts, die spanische Grippe geißelt den Erdball wie vor kurzem Covid, nur noch um einen Tick tödlicher. Der Erste Weltkrieg geht langsam seinem Ende zu. Und da ist es am klügsten, sich nach der Decke zu strecken und das Beste aus dem zu machen, was man hat. So zumindest meint es die strenge Institution namens Mutter, die Pearl keinerlei Freiheiten schenkt, sondern stets an ihre Pflicht erinnert, für Haus und Hof geradezustehen.

Was aber, wenn die große weite Welt lockt? Wenn Frau sich selbst dazu ausersehen fühlt, ein Star zu werden? Margot Robbie hat das in Babylon – Rausch der Ekstase schließlich auch hinbekommen, also zumindest anfangs. Wieso sollte Pearl nicht auch das Zeug dazu haben? Eine strahlende Erscheinung ist sie ja. Wenn sie aber dauerstrahlt, kann einem schon anders werden. Und wenn sie dann auch noch zu blaffen beginnt und nicht versteht, warum ihr die Welt nicht zu Füßen liegt, ließe sich der Pfaffe schon zur letzten Ölung bitten.

Mit dieser fast schon ikonischen Figur einer taufrischen Psychopathin gelingt es Ti West, eine neue Institution für das Subgenre des Slasher-Horrors zu schaffen. Eine, die zu Halloween neben Michael Myers, Freddy Kruger und Jason Voorhees die Gegend unsicher macht – in rotem Festtagskleid, mit zwei Zöpfen und bewaffnet mit Axt oder Heugabel. Dabei scheint sie nur tanzen zu wollen – und mehr Beweggründe für ihre Meuchelei zu haben als all die anderen genannten gesichtslosen Killermaschinen. Da hat Pearl ihnen einiges voraus. Nämlich den unverschämten Wunsch auf Selbstbestimmung. Dumm nur, dass eine grundlabile Persönlichkeit wie Pearl nicht anders kann als lustvolles Töten als einfachste Methode zu wählen, ihrem Käfig zu entkommen. Doch da wartet weder Regenbogen noch eine Yellow Brick Road. Wenn’s hochkommt, ist da nur die Vogelscheuche.

Wer Ti Wests 70er-Slasher X gesehen hat – ebenfalls mit Mia Goth, nur in einer anderen Rolle – wird sich beim Gedanken daran, wie die beiden Alten in der heruntergekommenen Ranch vor lauter Neid auf die Jugend eine Filmcrew systematisch dezimiert, die Nackenhaare aufstellen. Die Herrin des Hauses, immer noch getrieben von der Sehnsucht, ein Star zu sein, ist Pearl in hohem Alter. Mit diesem, in enormem Ausmaß den Stil der Technicolor-Filme imitierenden Prequel hält ein leidenschaftlicher Coming of Killer-Film Einzug, der als Reminiszenz aufs frühe Mörderkino genauso funktioniert wie auf Hitchcocks Psychohorror, in welchem ein Motel zum Schauplatz garstiger Alltagsroutine wird. Die Eltern-Kind-Diskrepanzen sind da wie dort ein Thema, und wenn Mia Goth, die hier heult und grinst und kreischt wie eine Furie, zu ihrem Geständnis ansetzt, verzichtet Pearl darauf, nur platter Effekt-Manierismus bleiben zu wollen. Wests Film strebt ebenso nach Größerem wie Mia Goths Figur selbst. Wenn man auch nur irgendwie „Sympathy for the Devil“ entwickeln kann; wenn Filme Zugänge schaffen in eine Welt aus Tod, Verderben und geistiger Verwirrung, dann funktioniert das nur im Rahmen eines entrückten Horrormärchens, das seinen strohaufwirbelnden Judy Garland-Albtraum satirisch konnotiert, ihn aber ernster nimmt als es den Anschein hat. Und das ist das Perfide daran.

Pearl (2022)

Piggy (2022)

DER FEIND MEINER FEINDINNEN

6,5/10


piggy© 2022 Alamode Filmdistribution Österreich


LAND / JAHR: SPANIEN, FRANKREICH 2022

BUCH / REGIE: CARLOTA PEREDA

CAST: LAURA GALÁN, RICHARD HOLMES, CARMEN MACHI, CLAUDIA SALAS, IRENE FERREIRO, CAMILLE AGUILAR, PILAR CASTRO, JOSÉ PASTOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Gibt es das tatsächlich noch, dass Menschen aufgrund ihrer körperlichen Beschaffenheit gehänselt, verspottet und gemobbt werden? Womöglich würden mir jetzt einige die Gegenfrage stellen, in welcher Welt ich denn lebe. Irgendwie aber denke ich mir, dass Dinge wie Übergewicht längst nicht mehr Grund dafür sind, Menschen auszugrenzen. Das mag naiv sein, ich geb’s zu. Umso erschreckender ist es, dass junge Frauen wie Saras Altersgenossinnen, die in einer spanischen Kleinstadt ihren Sommer herunterbiegen, ungebildet und gehässig genug sind, um den Sprung in eine moderne Welt der Toleranz nicht geschafft und diese auch nicht im Rahmen ihrer Erziehung mit auf den Weg bekommen zu haben. In manchen Teilen der Welt hängt man halt noch immer einige Jahrzehnte hinterher, so traurig es sein mag. In diese kummervolle Wolke, entstanden aus Ablehnung von außerhalb, hängt die Tochter eines Fleischers ihren Gedanken nach, hört Musik und träumt davon, dazuzugehören. In diesem Sommer aber, wo sie ihrem Vater stets zur Hand gehen muss und von ihrer Mutter permanent bevormundet wird, wird alles anders werden. In diesem Sommer wird Piggy, wie sie von den anderen beschimpft wird, über sich selbst hinauswachsen und allen zeigen, wo der Fleischhaken hängt.

Denn ein Psychopath treibt sein Unwesen, der scheinbar wahl- und ziellos mordet und eines heißen Badetages ganz zufällig auf Sara trifft, die gerade eine Kaskade an Beleidigungen und üble Quälereien über sich ergehen lassen muss. Anscheinend hat der tumbe Killer ein Herz für Außenseiter – und überhaupt für Sara, die es ihm angetan hat. Also tut er das, was das gehänselte Mädchen nicht zustande bringen kann: Er knöpft sich all die Mobberinnen vor, entführt sie und verfrachtet sie in seinen Lieferwagen. Als Sara des Verbrechens gewahr wird, entschließt sie sich, einerseits aus Angst und andererseits aus Genugtuung für erlittene Schmach, nichts zu tun. Eine stille Vereinbarung zwischen Killer und Gemobbter scheint besiegelt, denn der Feind meiner Feindinnen könnte ein Freund sein. Noch dazu ein Mann, der Sara erstmals das Gefühl gibt, als junge Frau wahrgenommen zu werden.

Die dramatische Konstellation des im letzten Jahr auf dem Wiener Slash Filmfestival präsentierten, spanischen Thrillers birgt schon eine groteske, knackige Prämisse. Während sich bei Steven Kings Carrie dank telekinetischer Fähigkeiten nämlicher Teenie aus eigener Kraft heraus zu wehren weiß, greift Sara auf ein menschliches Monster zurück, dass ihr Zärtlichkeit entgegenbringt und als Beschützer fungiert. Ob edler Ritter oder nicht – das Ideal vom Beistand einer Frau gegenüber stellt sich in Carlota Peredas Autorenfilm einem kritischen Diskurs über Rollenbilder und Verantwortung, über Gut und Böse und dem Recht auf Rache. Dabei fädelt sie ein Coming of Age-Drama unter das Thriller-Genre, dem Hauptdarstellerin Laura Galán ein ausdrucksstarkes Gesicht verleiht.

Während sich das moralische Dilemma einer sich längst als Frau verstanden werden wollenden Persönlichkeit ausweitet und einige interessante Impulse setzt, greift das übrige Szenario auf gängige Slasher-Versatzstücke zurück, die manchmal an M. Night Shyamalans Split erinnern oder in der klischeehaften Darstellung sämtlicher Provinzbürger münden. Diese Elemente holen einen dann doch nicht so ab wie die Killer-Mädchen-Konstellation, wobei am Ende aber die Erwartungen im blutigen Finale fast schon wieder unterlaufen werden. Wie sich Laura Galán als brachiale Naturgewalt durch die Grauzonen physischer wie psychischer Gewalt kämpft, um eine Richtung für sich selbst zu finden, lässt sich als spektakulärer Showdown bezeichnen. Piggy ist ein zwar simpel gestrickter und manchmal etwas unbeholfen inszenierter, aber letzten Endes durchdachter schräger Thriller, den wohl, würde Harris Glenn Milstead als Divine noch leben, John Waters (u. a. Female Trouble) zu seinen Bestzeiten des Undergroundkinos auch gerne inszeniert hätte. Nur fraglich, ob die zarte Selbstfindung Saras zugunsten schockierender Trash-Momente nicht auf der Strecke geblieben wäre.

Piggy (2022)

Every Breath You Take

GESTÖRTE VERHÄLTNISSE

3/10


everybreathyoutake© 2021 Originals Factory


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: VAUGHN STEIN

CAST: CASEY AFFLECK, MICHELLE MONAGHAN, SAM CLAFLIN, INDIA EISLEY, VERONICA FERRES U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Mich würde brennend interessieren, wie denn die originale Drehbuchfassung von Schreiberling David Murray ausgesehen haben mag. Mit Sicherheit nicht so, wie sie dann tatsächlich abgesegnet worden ist. Schade darum. Vor allem auch schade, weil sich Oscarpreisträger Casey Affleck und Michelle Monaghan ganz andere Filme verdient hätten. Das Problem ist wie so oft bei den Tonnen an Scripts, die da jährlich über die Studiotische gehen: die Urfassung scheint fürs Publikum nicht gefällig genug. Natürlich sind viele auch unausgegoren und bedürfen einer Anpassung. Einige sind auch wirklich mies, da hilft nicht mal mehr eine Revision durch andere. Warum allerdings Drehbücher dahingehend verschlimmbessert werden, indem verbrauchte Formeln aus Plots, die wir bereits aus den Achtzigern kennen, zum Kitten dramaturgischer Schwächen herangezogen werden, bleibt unbeantwortet.

Immerhin – einen Teil des nötigen Kleingelds für diesen Film hat gar Veronika Fernes beigesteuert – und sich gleich eine Nebenrolle reserviert, in welcher sie auf Augenhöhe mit Casey Affleck kommuniziert. Hilft aber alles nichts: Every Breath You Take (Danke an The Police an dieser Stelle) ist ein Psychothriller, der etwas trist und unter bewölktem Himmel dazu einlädt, im Bett zu bleiben. Diese Tristesse ist ja prinzipiell mal kein Fehler, da sie zumindest mal die Gefühlslage der Protagonisten widerspiegelt, die als Ehepaar den Tod ihres Sohnes zu betrauern haben. Klar kommt man über sowas nie hinweg, zumindest hält noch die pubertäre Tochter nach außen hin ein gewisses Familienidyll aufrecht. Papa Affleck ist, gefangen in seiner Melancholie, noch dazu Psychiater, der eines Tages den überraschenden Selbstmord einer seiner Patienten, einer jungen Frau, akzeptieren muss. Wenig später drängt sich deren verschollener Bruder ins Bild, der nicht weiß wohin mit dem Erbe und irgendwann, keiner hat es kommen sehen, bei Familie Psychiater ein und ausgeht, sehr zur Freude der Tochter, die den verständnisvollen Schönen (ein stereotyper Sam Claflin) fast schon auf penetrante Weise anhimmelt. Als Zuseher merkt man bald: da kann was nicht stimmen. Denn immer, egal in welchem Psychothriller, ist der oder diejenige, die völlig grundlos das Vertrauen eines arglosen Haushalts gewinnen will, selten aus Gutherzigkeit auf so einem Trip. Die wahren Gründe sind mannigfaltig, aber auch da gibt es einen gemeinsamen Nenner: den des Psychopathen.

Alles kein Geheimnis, und so viel manipulatives Gebaren von außerhalb fällt bei einer dysfunktionalen Familie wie dieser auf fruchtbaren Boden. Es wundert nur, dass diese noch nie einen Hollywoodthriller gesehen hat, sonst würde ihr manches bekannt vorkommen. Und so entwickeln sich die Dinge, wie sie zu erwarten sind, und Casey Affleck würde wahnsinnig gerne mal entspannen, so kraftlos will er den Haussegen gerade richten, wenn schon Monaghan nichts dazu beiträgt, außer dass sie leidet und sich nach Liebe sehnt. Wer jetzt noch nicht in die Küche gegangen ist, um sich ein zweites Bier zu holen, ohne die Pausetaste zu drücken, wird womöglich beim Showdown wieder auf der Couch sitzen. Der fällt so dermaßen hanebüchen aus, dass er gleich das ganze mühsam errichtete, schwerfällige Kartenhaus aus grauem Familiendrama mitreißt und unter seinen Klischees begräbt.

Every Breath You Take

Berlin Syndrom

DAS TRAUMA VON HINTER DER MAUER

6,5/10


Berlinsyndrome© 2017 MFA+ Film Distribution


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2017

REGIE: CATE SHORTLAND

CAST: TERESA PALMER, MAX RIEMELT, MATTHIAS HABICH, LUCIE ARON, EMMA BADING U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Was mich bei Blockbustern stets motiviert, in Erfahrung zu bringen, ist das bisherige Schaffen jener Künstler, die bei dem einen oder anderen hochbudgetierten Konzernfilm im Regiestuhl gesessen haben. Einfach so, aus heiterem Himmel, werden diese Leute ja wohl nicht angeworben worden sein, da muss es vorab etwas gegeben haben, das die Verantwortlichen zum Beispiel bei Disney wohl überzeugt haben muss. Meist sind das kleine Filme, dafür aber umso beachtenswerter. Das war schon bei James Gunn oder Gareth Edwards so, das ist auch bei Cate Shortland so. Einige wenige werden sie bereits kennen, vorausgesetzt, ihnen ist der Psychothriller Berlin Syndrom ein Begriff. 3 Jahre später dann der Sprung in die Oberliga: Black Widow.

In ihrer urbanen Düster-Romanze aus dem Jahr 2017 lässt sich schon ganz gut Shortlands Gespür für toughe Frauenrollen erkennen, die einen gewissen Leidensweg hinter sich gebracht haben oder gerade dabei sind, diesen hinter sich bringen zu wollen. Was einen nicht umbringt, macht einen nur noch stärker. Black Widow war stark. Und Terese Palmer als Berlin-Touristin ist das ebenso. Oder sagen wir lieber: unglaublich zäh. Denn das muss sie auch sein. Als Backpackerin quer durch Europa macht die junge Australierin Claire beim Zwischenstopp in Berlin Bekanntschaft mit dem Englischlehrer Andi. Aus dieser Bekanntschaft wird bald etwas mehr, allerdings hat das Ganze aber keine Zukunft, denn Claire will tags darauf weiterreisen nach Leipzig. Fast wäre alles gut gegangen. Fast wäre der kurze Flirt nur eine angenehme Urlaubserinnerung geblieben. Doch Claire verschiebt ihre Weiterreise, kann von Andi nicht mehr lassen, kommt zu ihm in die Wohnung – und von dort nicht mehr weg. Andi entpuppt sich nämlich als wachechter Psychopath und sperrt das Mädchen in seiner Wohnung ein. Wie Priklopil, nur ohne Keller. Ein Ringen zwischen Resignation, Wut und Hoffnung setzt an, darunter natürlich eine Brise Stockholm, wobei Berlin Syndrom die Allegorie dieses intensiven Dramas am besten widerspiegelt.

Wenn man Berlin Syndrom aber abseits von Shortlands Film googelt, stößt man auf die Bezeichnung einer massiven Hauterkrankung. Die ist damit sicherlich nicht gemeint. Sowohl Teresa Palmer als auch Max Riemelt (u. a. Napola – Elite für den Führer) sind zumindest rein körperlich pumperlgesund. Ersterer mag wohl einen Riesenknacks mit sich herumtragen, doch viel eher ist der Bezug auf Berlin ein politischer. Rundherum Mauern, Einfordern des Gehorsams, ein ständiges Überwachen. Riemelt verkörpert in ausdrucksloser Intensität die Essenz eines totalitären Regimes und ernennt Claire dabei als Symbol einer unterdrückten und ihrer Freiheit beraubten Bevölkerung. Ein Mikrostaat, der DDR nicht unähnlich. Oder: wurde man selbst mal unterdrückt, ist das Unterdrücken anderer ein leichtes. Gelernt ist eben gelernt.

Cate Shortland rückt nah an ihr Schauspielerpaar heran, lässt sie mühelos ihr Dilemma empfinden, macht auch aus der Figur des Peinigers keinen verhassten Bösewicht und aus Terese Palmer kein bemitleidenswertes Opfer. Die Australierin leistet dabei sowohl Widerstand als auch Gehorsam, wie eine all ihrer Rechte beraubte Bürgerin, die auf die Gunst der Stunde wartet, um aufzubegehren, dabei manche Gelegenheiten aber verstreichen lässt. Aus Angst? Aufgrund eines nicht ganz durchdachten Scripts? Interessant dabei ist die Location: ein heruntergekommener Altbau, womöglich im Osten Berlins, vielleicht ein leerstehendes Viertel aus den Zeiten des Kommunismus. Einzig Andis Wohnung ist des Nächtens beleuchtet. Er als letztes Überbleibsel einer dunklen Epoche. Vielleicht, ohne selbst diesen Kontext zu begreifen.

Berlin Syndrom

Joyride – Spritztour

EIN FALL VON SELBER SCHULD

6/10


joyride© 2001 Twentieth Century Fox Deutschland


LAND: USA 2001

REGIE: JOHN DAHL

CAST: PAUL WALKER, STEVE ZAHN, LEELEE SOBIESKI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Womit hat sich J. J. Abrams eigentlich herumgeschlagen, bevor er das Kultkino der 80er fürs 21. Jahrhunderts salonfähig gemacht hat? Er hat Drehbücher geschrieben. Zum Beispiel für das Amnesiedrama In Sachen Henry mit Harrison Ford. Oder für Forever Young, dem Kryonik-Drama mit Mel Gibson. Wohl eher weniger bekannt ist seine Vorlage für den Autobahn-Psychothriller Joyride – Spritztour von Genrespezialist John Dahl (Red Rock West). J. J. Abrams ist ja irgendwie so ein verspielter Kerl wie Steven Spielberg es zu seinen besten Zeiten gewesen war. Dessen Lebenswerk dürfte Abrams mit Sicherheit auch inspiriert haben, da braucht man sich nur Super 8 anzusehen. Der Mann hat ein Händchen für Suspense und Spannung, für Figuren und deren Beziehung untereinander. Seine Filme wirken lebendig, und nicht wie aufgewärmte Variationen etablierter Klassiker. Abrams hat auch den Mut, neues zu wagen. Aber nicht immer. Sein Script zu Joyride ist eine deftigere Version des 70er-Fernsehthrillers Duell von – wie kann es anders sein ­- eben Steven Spielberg, der damit eines der besten Genrestücke abgeliefert hat, die mit wenig Budget größtmögliche Wirkung erzielen. Für die, die das Szenario nicht kennen: ein Mann fährt mit seinem Auto den Highway entlang und wird von einem schwarzen Truck verfolgt, dessen Fahrer man nie zu Gesicht bekommt. Mehr ist es nicht – doch das reicht schon, um mit Spaß an der Freude und den Versatzstücken aus Paranoia und dem Unberechenbaren herumzujonglieren. Macht und Ohnmacht wurde selten so gnadenlos gut auf grobe Muster reduziert.

Joyride ist ähnlich. Auch hier jagt bald ein dunkler Truck die formschöne Karre von Paul Walker und Steve Zahn. Diesmal aber, im Gegensatz zu Duell, aus gutem Grund: die beiden Brüder erlauben sich einen schlechten Scherz mit einem Trucker, der glaubt, das Date seines Lebens zu verbuchen. Walker tut nämlich auf leichtes Mädchen und lockt den Unbekannten, dessen Funk-Pseudonym „Rostiger Nagel“ lautet, um Mitternacht in ein Motel. Natürlich ist dort vom Date keine Spur. Solche Spielchen kann man treiben – muss man aber nicht. Und wenn doch, sollte man in Betracht ziehen, dass manche einen ganz anderen Sinn für Humor an den Tag legen als die, die andere bis zur Peinlichkeit triezen wollen. Durchaus kann es passieren, dass dieser andere gar einer ist, der nicht ganz so eine gesunde Psyche an den Tag legt wie du und ich.

Was folgt, ist ein Katz- und Mausspiel. Falsche Fährten und gemeine Finten wechseln sich ab, irgendwann ist auch noch Leelee Sobieski mit dabei. Das alles ist schön auf Zug inszeniert, doch das Nachsetzen des Psychopathen ist eine hausgemachte Sache, nicht so eine völlig ungeahnte Katastrophe, die aus heiterem Himmel kommt wie bei Duell. Abrams und Dahl machen aus diesem David gegen Goliath-Konzept einen handfesten Thriller mit allem, was dazugehört, von verstörender Gewalt bis zum eskalierenden Showdown. Von perfiden dramaturgischen, aber doch halbwegs zu erahnenden Hakenschlägen bis zur Anonymität des Bösen. Joyride ist ein Fall von selber schuld – ohne Chance auf ein klärendes Gespräch.

Wenn ihr erst kürzlich den Thriller Unhinged mit Russel Crowe gesehen habt, der ungefähr in dieselbe Kerbe schlägt, könnt ihr John Dahls Reißer schon mal richtig einordnen. Im Grunde ein ähnlicher Film, nur das Böse hat dort Star-Appeal.

Joyride – Spritztour

Unhinged – Ausser Kontrolle

ICH HASSE MONTAGE

6,5/10


unhinged© 2020 Leonine Distribution 


LAND: USA 2020

REGIE: DERRICK BORTE

CAST: RUSSEL CROWE, CAREN PISTORIUS, GABRIEL BATEMAN, JIMMI SIMPSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Ist das Wochenende vorbei, und die Arbeitswoche beginnt, hat nicht nur Kater Garfield jeden Grund zum Jammern. Der ganze Stress geht wieder von vorne los. Doch Kopf hoch: das nächste Wochenende kommt bestimmt – oder? Im Falle der frisch geschiedenen Jungmutter Rachel könnte dieser Montag zum schlimmsten ihres Lebens werden. Und das nur, weil Rachel, gestresst und entnervt, einem Verkehrsteilnehmer ein wutentbranntes Hupkonzert um den Latz geknallt hat. Jeder andere würde da maximal den Finger zeigen (auch nicht die feine englische), doch dieser hier verlangt bei der nächsten roten Ampel eine Entschuldigung. Was denn – den Verkehr behindern und dann noch die beleidigte Leberwurst spielen? Rachel denkt nicht daran, einzulenken. Und der andere, der namenlose bärtige Hüne im Cockpit eines monströsen Geländewagens, ebenso wenig. Nur: dieser ist ein Psychopath, Rachel hingegen nicht. Und es kommt, was kommen muss: ein Katz- und Mausspiel, für das nun an einem Montag wie diesen wirklich keiner Zeit hat, spinnt sich durch den Wochenbeginn.

Inspiriert von stilbildenden Klassikern aus dem Genre, wie zum Beispiel Steven Spielbergs Duell, darf Althase Russel Crowe mal so richtig den ganz bösen Buben spielen. Mit flatternden Nerven, die nur medikamentös zu beruhigen sind, schweißnasser Stirn und einer Wut in Bauch und Blick, das einem irgendwie anders wird, zieht seine Figur des scheinbar völlig grundlosen Irren eine Spur der Verwüstung durch New Orleans. Dabei hätte doch alles mit einem bisschen mehr an Selbstbeherrschung und vielleicht einer Anlehnung an die Binsenweisheit „Der klügere gibt nach, der Esel fällt in den Bach“, nur ein beschissener Montag wie jeder andere werden können. Aber nein – Wut tut nicht immer gut, Trotzverhalten genauso wenig. Nicht zu vergessen – die Arg- und Achtlosigkeit. Im Psychothriller Unhinged – Ausser Kontrolle scheint so manches arrangiert zu wirken, um überhaupt eine Gewaltspirale wie diese in Gang zu setzen: bei näherer Betrachtung allerdings sind diese Umstände durchaus reale, verdammt blöde Zufälle, die in garstiger Fatalität wie Dominosteine aufeinander fallen. Russel Crowe ist dieses Chaos eine Genugtuung. Warum allerdings, das weiß keiner so genau. Nur so viel: der Staat ist wieder mal an allem schuld. Näher geht Derrick Borte nicht auf seinen Wutbürger ein. Das unterscheidet ihn nicht gerade vorteilhaft von der Figur aus Joel Schumachers ähnlichem Amoklauf Falling Down. Michael Douglas Ambition für sein Ausrasten ist dort allerdings viel präziser, nachvollziehbarer – trotz all der sträflichen Handlungen war D-Fens immer noch einer, auf dessen Seite man war, da sein Unmut einem ganzen System galt. Russel Crowe quält hingegen nur einen einzelnen Sündenbock. Dieser widerwärtige Fokus ist längst nicht mehr Teil eines Vorhabens, diese Wut erklären zu wollen. Was bleibt, ist ein Hickhack zwischen Stark und Schwach, teils richtig perfid und finster, teils horrend überzeichnet. Unterm Strich aber grundsolide, auf Zug inszeniert und die Spannungsschraube lässt sich auch nur mehr mit Drehkreuz aufdrehen.

Unhinged – Ausser Kontrolle ist kurzweiliges Aggressionskino ohne sozialpolitischer oder gar psychologischer Metaebene. Hier geht´s um das, was man sieht und auch wieder nicht sieht, wenn der fahrbare Untersatz des bösen Mannes um die nächste Ecke biegt. Stimmt, ER kann jedem passieren. Also immer recht freundlich, nicht immer gleich hupen, denn das macht jeden Autofahrer rasend – wer weiß, wofür es gut ist. 😉

Unhinged – Ausser Kontrolle

Die Hölle

DER FEIND IN MEINEM AUTO

7/10

 

hoelle

REGIE: STEFAN RUZOWITZKY
MIT VIOLETTA SCHURAWLOW, TOBIAS MORETTI, ROBERT PALFRADER

 

Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen? Der Titel eines von Rainhard Fendrich in den 80er Jahren geschriebenen Austropop-Ohrwurms passt wie bestellt zumindest in die erste Hälfte des von Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky inszenierten urbanen Psychothrillers, der neben jeder Menge Suspense tatsächlich auch großzügige Actionszenen in der ewigen Wienerstadt aus dem Ärmel schüttelt. Doch die Action ist bei Österreichs Regie-Glückskind eigentlich nur als Bonus zu betrachten. Ruzowitzky´s große künstlerische Liebe gilt seiner Hauptdarstellerin – Violetta Schurawlow. Das Gesicht der gebürtigen Ukrainerin ziert nicht nur das Filmplakat im Großformat, auch so ziemlich die ganze Laufzeit des Streifens über schwelgt Kameramann Benedict Neuenfels in der bockigen Trostlosigkeit ihres Blickes – meist im Profil, und oft auch im Close up. Schuwawlow erinnert an Hillary Swank in Million Dollar Baby – so verbissen, selbstzerstörerisch und rebellisch geistert die junge Frau durch ein fremdes, unnahbares, flirrendes Wien. Und boxen kann sie auch. Allerdings Kickboxen ganz so wie van Damme, und das mit verheerender Wirkung, bevorzugt jenseits des Rings.

Unsere Anti-Heldin, die der Hölle entkommen muss. ist eine gescheiterte, missbrauchte Existenz, die ihrer Welt mit Wut und Zorn begegnet, stets begleitet von einer unterschwelligen Aggression ihrer Familie, den Männern und dem Gesetz der Straße gegenüber. Ihr zur Seite steht ein ausnehmend famoser Tobias Moretti. Sein schnauzbärtiger Kommissar ist unfreundlich, grantelnd und gleichzeitig fürsorglich. Vor allem jemand, der sich sein Leben genauso anders vorgestellt hat wie sein taxifahrender Schützling. Eine verkorkste, nach Nähe suchende Figur, die David Fincher verwenden würde, gäbe es eine Wiener Version von Sieben. Wien eignet sich ja für bizarre Krimis ja besonders gut. Die Stadt ist eine Metropole des Morbiden, die vor allem in ihren alten Zinshäusern und engen Hinterhöfen, die an Polanski erinnern, ausreichend Platz für Suspense bieten. Natürlich ist Die Hölle nicht so radikal und ausweglos wie Sieben. Denn Sieben hatte so jemanden wie Schurawlow nicht. Eine Kämpferin, die sich den Widrigkeiten ihres Lebens trotzig entgegenstellt. Und vor allem einem Peiniger, der sündigen Musliminnen die Hölle des Koran auf Erden bereitet. Ein nicht weniger grauenerregender Ritualmord, ebenfalls religiös motiviert wie die sieben Todsünden. Ruzowitzky erspart uns die Morde im Detail. Sein Film setzt auf die düstere Stimmung eines klassischen Serienkiller-Thrillers wie Copykill und orientiert sich, wie bereits erwähnt, stark an Wegbereitern aus dem französischen und amerikanischen Kino, wahrscheinlich, um sein Werk auch international erfolgreich vermarkten zu können. Was ihm aber nur bedingt gelingen wird. Zu manieriert, ja vielleicht sogar zu austauschbar ist sein Film. Spannend, das natürlich. Und weniger belanglos als Cold Blood, der trotz guter Besetzung inhaltlich ziemliche Schwächen aufwies. Aber im Genre des Psychothrillers sind die Plätze für denkwürdig innovative Filmperlen so gut wie durch die Bank besetzt. Und da hat Hollywood, und auch Frankreich schon so gut wie alles gesagt.

Für den kinomuffeligen Österreicher allerdings kann Die Hölle zu einem mitreißenden Genuss werden, vor allem, weil er mal neben Tatort, Kottan und Trautmann auch mal düstere Spannung jenseits des bewährten Wiener Lokalkolorits präsentiert bekommt. Somit kann Die Hölle überall spielen. So bleibt Ruzowitzky´s neuester Film neben all der lehrbuchartigen Geradlinigkeit eines klassischen Thrillers vor allem eines: atmosphärisch, latent depressiv und überraschend gut besetzt – und das ganz ohne Heimvorteil.

Die Hölle