Dragonfly (2025)

EIN HUND KAM IN DIE KÜCHE

8/10


© 2025 AMP International


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: PAUL ANDREW WILLIAMS

KAMERA: VANESSA WHYTE

CAST: ANDREA RISEBOROUGH, BRENDA BLETHYN, JASON WATKINS U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Die ausgewählten Features im Rahmen des Slash Filmfestivals in Wien haben wirklich alles zu bieten – und kein Werk gleicht dem anderen. Das ist das Besondere an diesen elf Tagen, da man nie genau weiß, was man denn nun vorgesetzt bekommt, da auch Autorenfilmerinnen und -filmer auf der großen Leinwand reüssieren können, von denen man noch gar nichts weiß, zuvor vielleicht nur peripher etwas gehört hat und die das Zeug, die Ideen und vor allem die Narrenfreiheit haben, um wirklich und wahrhaftig für Überraschungen zu sorgen. Einer dieser Arbeiten ist Dragonfly des Briten Paul Andrew Williams, der seinem Wiener Genrepublikum auch leibhaftig alle Ehre erwiesen hat und es sich nicht nehmen ließ, uns seinen Film zu präsentieren – und das, obwohl Dragonfly gar nicht mal als typischer Genrefilm betrachtet werden kann. Oder vielleicht gerade deswegen?

Zwei, die sich gefunden haben

Wir haben es hier weder mit reinem Horror, noch mit einem Thriller, noch mit Fantasy oder Science-Fiction zu tun. Was bleibt dann noch – und wo ist der Slash-Faktor? Nun, es bleibt, was den Feature Film im Essenziellen ausmacht:  das große, erzählte Drama, die Substanz zwischen dem Spiel der Protagonistinnen. Dragonfly lässt anfangs völlig unklar, wie beide Charaktere einzuschätzen wären. Die eine nämlich, das ist Brenda Blethyn, eine Klasse für sich seit Mike Leighs Lügen und Geheimnisse und oscarnominiert für ihre exaltierte Darstellung im intensiven Talentedrama Little Voice. Die andere nicht weniger eine Koryphäe, die Vielseitigkeit in Person, authentisch bis ins Mark und so nuanciert, dass die eine Rolle und sonst keine, und zwar jene, die gerade auf der Leinwand zu sehen ist, die einzige sein mag, die Andrea Riseborough je gespielt hat. Mit weitem Spielraum zur freien Interpretation ihrer Figur gibt sie in Dragonfly die desillusionierte, mit sich selbst und der Welt arrangierte Colleen, der ihr tristes, durch Sozialhilfe finanziertes Dasein wohl vorwiegend für die stattliche Hündin an ihrer Seite bestreitet, ein ehrfurchtgebietender Vierbeiner, vor dem Nachbarin Elsie zuerst zurückschreckt, bevor sie sich an die Tatsache gewöhnt, dass Colleen und ihr Anhang wohl von nun an zu ihrem Leben gehören. Die ständigen Heimhilfen, die keine Ahnung von Elsies Bedürfnissen haben und wohl auch wenig persönliche Beziehung in ihre automatisierte Pflege einfließen lassen, hat die alte, gehbehinderte Dame endgültig satt. Welch ein Glück, dass die wortkarge, etwas zynische, aber aufopferungsvolle Nachbarin die Zügel in die Hand nimmt und rund um die Uhr genau das macht, was vor allem zur Corona-Zeit während des Lockdowns agilen Hausparteien angeraten wurde für ihr vulnerables Umfeld zu tun.

Leigh, Fassbinder und die Mystery dazwischen

Corona ist aber längst vorbei, das Tribute fordernde Alter aber bleibt – und so entwickelt sich zwischen den Beiden nicht nur eine Zweckgemeinschaft, sondern auch so etwas wie eine Freundschaft, von der man aber nie so genau weiß, wie tief sie geht, wie ehrlich sie ist, wie eigennützig. Lange Zeit ist Dragonfly kein Genrekino, sondern immersives Autorenkino im Realismus eines Mike Leigh, dass dank seiner beeindruckenden Schauspielerinnen die Routine eines scheinbar monotonen Alltags zu einer psychosozialen Revue der Gesten, Momente und Blicke werden lässt. So faszinierend kann emotionale Annäherung sein, so fesselnd der zaghafte Seelenstriptease, der immer tiefer vordringt und sich gerne auch im Dunkeln verläuft, bis es dann doch so weit ist und der gespenstische Terror einer Fremdbestimmung über dieses unscheinbare Zweiparteienhaus am Rande der Industrie durch die verschlissenen Zwischenräume eines Werteverständnisses bricht und in gallig-bitterem Zynismus fast schon eine Fassbinder’sche Geschichte erzählt, die den Trost in der Autonomie findet, jenseits davon aber vergeblich danach sucht.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf, Wegsehen geht nicht, das Schauspiel der beiden ist so mächtig, da sehnt man sich kein bisschen nach dem großem Knall oder altbekannten Elementen, welche die Eskalation eines Psychothrillers markieren. In der Eintracht des Kaffeekränzchens, der mildtätigen Helping Hand und dem Zweck der entkommenen Einsamkeit liegt der Suspense, das erschütterliche Vertrauen, das so leicht in einen missverstandenen Horror kippen kann. Der symbolische Titel Dragonfly mag zwar nur schwer interpretierbar sein, das grandiose Schauspielkino um den Störfall in einem sozialen System bei weitem nicht.

Dragonfly (2025)

The Killer on the Road (2023)

ZUM AFFEN GEMACHT

6,5/10


thekillerontheroad© 2024 Leonine


ORIGINALTITEL: HE WENT THAT WAY

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JEFFREY DARLING

DREHBUCH: EVAN M. WIENER, NACH DEM BUCH VON CONRAD HILBERRY

CAST: JACOB ELORDI, ZACHARY QUINTO, PATRICK J. ADAMS, TROY EVANS, ALEXANDRA DOKE, PHOENIX NOTARY U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Get your Kicks on Route 66 – Bei Erwähnung dieser quer durch fünf Bundesstaaten führenden Fernstraße muss ich für meinen Teil unweigerlich an die Coverversion des Bluesliedes von Bobby Troop denken, welche die unvergleichliche Synthierock-Band Depeche Mode so unvergesslich gut fabriziert hatte. Auf dieser legendären Straße, die bereits für allerlei Filmproduktionen aus dem Roadmovie-Genre hat herhalten müssen, sind – wir sind ja schließlich in den USA – ungeschaut nicht ganz grüne Typen unterwegs, die sich gerne mal von arglosen Überlandfahrern mitnehmen lassen. So ein Fall hat sich in den Sechzigerjahren tatsächlich ereignet, und zwar passierte dieses Unglück einem Tiertrainer namens Dave Pitts, der mit seinem Schimpansen Sparky unterwegs gewesen und zufällig auf den Serienkiller Larry Lee Ranes getroffen war, der sein Opfer letztlich nicht über den Jordan schicken konnte, da der Affe ihm sonst leid getan hätte, wäre er allein geblieben. So ein Glück im Unglück klingt kurios – und ist tatsächlich so passiert. Kein Wunder, dass dieser Stoff, der wiederum auf dem Buch von Conrad Hillberry beruht, irgendwann verfilmt werden musste. Als Low Budget-Produktion kam Anfang des heurigen Jahres das tragikomische Thriller-Roadmovie The Killer on the Road in die amerikanischen Kinos, um nun in Übersee auf diversen Streaming-Diensten zu erscheinen. Eine Lichtspiel-Auswertung ist sich für Jeffrey Darlings eigenwilligem Freund- und Feindschaftsdrama leider nicht ausgegangen. Wobei man dazusagen muss: Einen weiteren Film von diesem Mann, der vielleicht eine weltweite Auswertung im Kino entgegengesehen hätte, wird es auch nicht mehr geben. Er verstarb kurz nach den Dreharbeiten.

Dabei vereint The Killer on the Road zwei bekannte Gesichter. Zum einen Zachary Quinto, der sich als neuer Mr. Spock aus dem Star Trek-Reboot als würdiger Nachfolger von Leonard Nimoy beweisen konnte – und Newcomer Jacob Elordi, Shootingstar und niemand geringerer als Elvis an der Seite von Caley Spaeney in Priscilla. Letzterer bedient sich, wie sein Fachkollege Austin Butler (auch er war Elvis) ungeniert an einem Vorbild aus den 50er Jahren: James Dean. Hätte dieser einen Thriller gedreht, wie es sie erst in der Revolution des New Hollywood gegeben hat – er würde sich gebärden wie Elordi, vielleicht etwas melancholischer und defätistischer. Elordis Killerfigur, die einen anderen Namen als das reale Original trägt und auch viel älter ist, zappelt unentschlossen zwischen Möchtegern-Verbrecher und leichtfüßigem Vagabund hin und her. Etwas anstrengend, ihm dabei zuzusehen. Und etwas anstrengend ist es auch, das devote und korrekte Verhalten von Zachary Quinto mitzuerleben, der auf völlig unvorhersehbare Weise auf das sträfliche Verhalten des zugestiegenen Mitreisenden entwaffnend reagiert. Im Kofferraum sitzt obendrein ein in ein Schimpansenkostüm gesteckter Halbwüchsiger – hier merkt man, wie niedrigbudgetiert dieser Streifen gewesen sein muss. Letztlich arrangiert man sich mit dieser lausigen Darstellung eines Primaten – ganz so, wie sich Quinto und Elordi arrangieren müssen – oder wollen. Beide Einzelgänger, steht der eine dem anderen in der Rollenwahl des Charakters nicht im Wege. So, wie Quintos Figur auf den Killer reagiert, lässt diesen vollends seine Spur verlieren. Es geht um Aktion und Reaktion, um Deeskalation und Ehrlichkeit. Werte, die während der langen Fahrt die Route 66 entlang erörtert werden. Ein bisschen wie Green Book, nur exzentrischer, unberechenbarer, auch sperriger. Und längst nicht so reißerisch, wie der Titel vermuten lässt. Kein Wunder: Im Original heisst Darlings Film He Went That Way. Sobald aber Killer im Titel steht, steigt der Marktwert.

Auf gewisse Weise zahlt sich The Killer on the Road dann doch noch aus. Weil er erstens auf einem wahren Fall beruht (den echten Trainer und seinen Affen sieht man im Abspann) und zweitens eine völlig ungewöhnliche Beziehungsgeschichte erzählt, die durch Hochs und Tiefs führt, vieles in der Grauzone lässt und seinen Faden nicht verliert. Ein kleines Stückchen richtig amerikanisches Roadmovie, mit Blick aus dem Seitenfenster und dem Odeur von Affenmist im Cockpit.

The Killer on the Road (2023)

Causeway

FLUCHT ZURÜCK NACH VORNE

5/10


causeway© Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: LILA NEUGEBAUER

CAST: JENNIFER LAWRENCE, BRIAN TYREE HENRY, LINDA EDMOND, JAYNE HOUDYSHELL, FRED WELLER, NEAL HUFF U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Mit einem tristen Indie-Drama wurde die Welt auf sie aufmerksam – zu einem tristen Indie-Drama kehrt Jennifer Lawrence nun zurück. Causeway ist ihr jüngstes Werk, und es erscheint in den dunklen Wintermonaten zeitgerecht auf dem Streamingdienst Apple TV+, denn dieser hat anscheinend ein Faible für Filme wie diese, die in unterschiedlicher Qualität einmal wirklich beeindrucken (wie das Sci-Fi-Drama Schwanengesang) oder lieber lethargisch bleiben, wie eben in diesem Fall. Ein Stück erarbeitete Lebensweisheit wie diese kann mitunter nur so tun, als hätte sie mehr auszusagen als ein kommerziell orientierter Comic-Blockbuster, denn diese sind ja schon allein aufgrund ihres Schwerpunkts auf Schauwerte gleich vorverurteilt, was Tiefe anbelangt. Sieht man allerdings genauer hin, können introvertierte Dramen wie dieses ihre wahre inhaltliche Ratlosigkeit auch nicht mehr kaschieren. Da kann Jennifer Lawrence noch so traumatisiert und emotional verkümmert ins Narrenkästchen blicken – der Film wird dadurch nicht griffiger oder gehaltvoller. Er bleibt zumindest inhaltlich von so geringer Spannkraft wie die Wasserspiegel der vielen Swimmingpools im feucht-tropischen Süden der USA, die Jennifer Lawrence alle reinigen muss. Doch warum nur tut sie das?

Lawrence spielt Lindsay, eine körperlich wie neuronal in Mitleidenschaft gezogene US Army-Ingenieurin, die bei einem Routineeinsatz in Afghanistan aufgrund eines Hinterhalts der Taliban schwer verletzt wurde. Der Unfall führte zu einer Gehirnblutung, die wiederum zur körperlichen Beeinträchtigung, die nur nach langen Monaten der Reha wieder so einigermaßen in den Griff zu bekommen war. Die Bilder des Schreckens von damals mindert das nicht – umso schwerer ist es, sich selbst genug zu motivieren, um, wieder daheim, zumindest vorübergehend ein neues Leben anzufangen, bis es wieder an die Front gehen kann. Denn das will sie, trotz oder gerade wegen dieser erschütternden Erlebnisse, die ein ziviles Dasein fast schon unmöglich machen. Dummerweise muss sie sich bei Muttern einquartieren – das Verhältnis zwischen den beiden pendelt zwischen zerfahren und vorsichtiger Annäherung, wobei schon einiges zu viel im Argen liegt, um länger in der Obhut der Vergangenheit bleiben zu wollen. Wie es der Zufall so will, trifft Lindsay auf den Mechaniker James (Brian Tyree Henry, zuletzt gesehen als Killer Lemon in Bullet Train), der ein ähnliches Schicksal mit sich herumträgt.

Klar wird aus dieser Begegnung mehr. Und auch aus der neuerlichen Zusammenkunft zwischen Mutter und Tochter. Causeway ist ein Aufarbeiten des Vergangenen und eine Suche nach einem Neuanfang. Für einen Indie-Film wie diesen klingt der Plot mittlerweile etwas abgenutzt und reicht gerade mal für eine Ausgangssituation, um unterschiedliche Ansätze darin zu entdecken. Das eindringliche Antikriegsdrama Brothers, ob als dänisches Original oder Remake mit Tobey Maguire und Jack Gyllenhal, ist ähnlich akzentuiert, entwickelt aber eine bedrohliche Eigendynamik. Die Tragikomödie Red Rocket von Sean Baker hat zwar keine traumatischen Kriegserlebnisse zu bieten, erzählt aber ebenfalls von Vergangenheit und Neuanfang auf erfrischend spitzbübische Weise. Familien spielen dabei immer eine Rolle, ob dysfunktional oder Geborgenheit bietend. Was Lila Neugebauer in ihrem ersten Langfilm daraus macht, scheint ein bisschen sehr gedankenverloren. Natürlich, Lawrence nimmt sich zurück und gibt sich ganz ohne Schminke und sonstige Accessoires bemüht natürlich. Brian Tyree Henry ist da schon chargierender, spontaner in seinen Emotionen, auch glaubhafter. Doch beide sind souverän in ihrer Arbeit, treten aber in der Entwicklung ihrer Figuren fast bis zuletzt auf der Stelle.

Für Langeweile sorgt Causeway aber dennoch nicht, was den beiden Darstellern geschuldet ist. Schauspielkino also für einen ruhigen Filmabend, der wenig Erhellendes bietet, seine Zuseher aber wissen lassen möchte, mit anscheinend viel Schwermut auch genug Gehaltvolles kommuniziert zu haben. Das lässt sich schnell glauben – in Wahrheit bringt das Thema für einen Langfilm viel zu wenig ins Rollen.

Causeway