Causeway

FLUCHT ZURÜCK NACH VORNE

5/10


causeway© Apple TV+


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: LILA NEUGEBAUER

CAST: JENNIFER LAWRENCE, BRIAN TYREE HENRY, LINDA EDMOND, JAYNE HOUDYSHELL, FRED WELLER, NEAL HUFF U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Mit einem tristen Indie-Drama wurde die Welt auf sie aufmerksam – zu einem tristen Indie-Drama kehrt Jennifer Lawrence nun zurück. Causeway ist ihr jüngstes Werk, und es erscheint in den dunklen Wintermonaten zeitgerecht auf dem Streamingdienst Apple TV+, denn dieser hat anscheinend ein Faible für Filme wie diese, die in unterschiedlicher Qualität einmal wirklich beeindrucken (wie das Sci-Fi-Drama Schwanengesang) oder lieber lethargisch bleiben, wie eben in diesem Fall. Ein Stück erarbeitete Lebensweisheit wie diese kann mitunter nur so tun, als hätte sie mehr auszusagen als ein kommerziell orientierter Comic-Blockbuster, denn diese sind ja schon allein aufgrund ihres Schwerpunkts auf Schauwerte gleich vorverurteilt, was Tiefe anbelangt. Sieht man allerdings genauer hin, können introvertierte Dramen wie dieses ihre wahre inhaltliche Ratlosigkeit auch nicht mehr kaschieren. Da kann Jennifer Lawrence noch so traumatisiert und emotional verkümmert ins Narrenkästchen blicken – der Film wird dadurch nicht griffiger oder gehaltvoller. Er bleibt zumindest inhaltlich von so geringer Spannkraft wie die Wasserspiegel der vielen Swimmingpools im feucht-tropischen Süden der USA, die Jennifer Lawrence alle reinigen muss. Doch warum nur tut sie das?

Lawrence spielt Lindsay, eine körperlich wie neuronal in Mitleidenschaft gezogene US Army-Ingenieurin, die bei einem Routineeinsatz in Afghanistan aufgrund eines Hinterhalts der Taliban schwer verletzt wurde. Der Unfall führte zu einer Gehirnblutung, die wiederum zur körperlichen Beeinträchtigung, die nur nach langen Monaten der Reha wieder so einigermaßen in den Griff zu bekommen war. Die Bilder des Schreckens von damals mindert das nicht – umso schwerer ist es, sich selbst genug zu motivieren, um, wieder daheim, zumindest vorübergehend ein neues Leben anzufangen, bis es wieder an die Front gehen kann. Denn das will sie, trotz oder gerade wegen dieser erschütternden Erlebnisse, die ein ziviles Dasein fast schon unmöglich machen. Dummerweise muss sie sich bei Muttern einquartieren – das Verhältnis zwischen den beiden pendelt zwischen zerfahren und vorsichtiger Annäherung, wobei schon einiges zu viel im Argen liegt, um länger in der Obhut der Vergangenheit bleiben zu wollen. Wie es der Zufall so will, trifft Lindsay auf den Mechaniker James (Brian Tyree Henry, zuletzt gesehen als Killer Lemon in Bullet Train), der ein ähnliches Schicksal mit sich herumträgt.

Klar wird aus dieser Begegnung mehr. Und auch aus der neuerlichen Zusammenkunft zwischen Mutter und Tochter. Causeway ist ein Aufarbeiten des Vergangenen und eine Suche nach einem Neuanfang. Für einen Indie-Film wie diesen klingt der Plot mittlerweile etwas abgenutzt und reicht gerade mal für eine Ausgangssituation, um unterschiedliche Ansätze darin zu entdecken. Das eindringliche Antikriegsdrama Brothers, ob als dänisches Original oder Remake mit Tobey Maguire und Jack Gyllenhal, ist ähnlich akzentuiert, entwickelt aber eine bedrohliche Eigendynamik. Die Tragikomödie Red Rocket von Sean Baker hat zwar keine traumatischen Kriegserlebnisse zu bieten, erzählt aber ebenfalls von Vergangenheit und Neuanfang auf erfrischend spitzbübische Weise. Familien spielen dabei immer eine Rolle, ob dysfunktional oder Geborgenheit bietend. Was Lila Neugebauer in ihrem ersten Langfilm daraus macht, scheint ein bisschen sehr gedankenverloren. Natürlich, Lawrence nimmt sich zurück und gibt sich ganz ohne Schminke und sonstige Accessoires bemüht natürlich. Brian Tyree Henry ist da schon chargierender, spontaner in seinen Emotionen, auch glaubhafter. Doch beide sind souverän in ihrer Arbeit, treten aber in der Entwicklung ihrer Figuren fast bis zuletzt auf der Stelle.

Für Langeweile sorgt Causeway aber dennoch nicht, was den beiden Darstellern geschuldet ist. Schauspielkino also für einen ruhigen Filmabend, der wenig Erhellendes bietet, seine Zuseher aber wissen lassen möchte, mit anscheinend viel Schwermut auch genug Gehaltvolles kommuniziert zu haben. Das lässt sich schnell glauben – in Wahrheit bringt das Thema für einen Langfilm viel zu wenig ins Rollen.

Causeway

The Unforgivable

MORD VERJÄHRT NIE

6/10


theunforgivable© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA, DEUTSCHLAND 2021

REGIE: NORA FINGSCHEIDT

CAST: SANDRA BULLOCK, AISLING FRANCIOSI, VINCENT D’ONOFRIO, VIOLA DAVIS, JON BERNTHAL, ROB MORGAN, RICHARD THOMAS, LINDA EDMOND U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Vor zwei Jahren hat uns die rabiate Helena Zengel im deutschen Sozial- und Erziehungsdrama Systemsprenger die Ohren vollgeschrien. Mittlerweile ist das talentierte Mädchen schon mit Tom Hanks im Wilden Westen gewesen. Bin schon neugierig, wo es sie das nächste Mal hin verschlägt. Und ob auch Rollen abseits der verhaltensauffälligen Minderjährigen interessant wären. Nora Fingscheidt, die Regisseurin hinter Systemsprenger, hat den Schritt nach Übersee ebenfalls gemacht. Um einen Film mit Sandra Bullock zu drehen. Tom Hanks, Sandra Bullock. Könnte sein, dass das ganz große Business die neue Spielwiese wird. Muss es aber nicht, wie man zum Beispiel an Stefan Ruzowitzky sieht. Der dreht wieder lieber in Europa. Auch sehr schön – und ganz sicher auch kreativer.

In The Unforgivable bleibt Nora Fingscheidt allerdings jenem Genre treu, mit welchem sie von sich reden machte: dem Sozialdrama. Das kann sie gut, das merkt man. Doch Fingscheidt war für den Film nur zweite Wahl. Überhaupt hätte Christopher McQuarrie Regie führen sollen, mit Angelina Jolie in der Hauptrolle. Es ist anders gekommen – glücklicherweise. Denn bei Angeline Jolie hätte man nie so genau gewusst, ob sie selbst mit der Tragödie des Films hadert oder ihre Filmfigur. Zuviel Glamour stört leider auch die Authentizität. Bullock kennen wir zwar auch alle, doch die hat ein deutlich variantenreicheres Spektrum zu bieten, was Schauspiel angeht. Und Fingscheidt? Der Sozialfall, der nicht in die Norm passt, ist zwar nicht so systemsprengend und unbezwingbar wie Helena Zengel, hat aber dennoch genauso die Arschkarte gezogen. Der größte Unterschied: Während man sich beim wütenden Mädel die Zähne ausgebissen hat, beißt Sandra Bullock ihre Zähne an ihrer Umwelt aus. Beides nicht schön. Mit anderen Worten: einmal Mörder – immer Mörder.

Damit muss also Sandra Bullock alias Ruth Slater nach 20 Jahren Frauengefängnis klarkommen. Auf ihr Konto geht der Mord an einen Sheriff. Die Sünden sind offiziell zwar abgebüßt, als Copkiller ist man aber generell Persona non Grata. Aber irgendwie muss es ja weitergehen. Und irgendwie muss auch das letzte bisschen Familie wiedergefunden werden – die kleine Schwester Katie, die Ruth mit fünf Jahren zuletzt gesehen hat. Das wäre zwar alles mühsam, aber machbar gewesen, gäbe es nicht noch die Söhne des ermordeten Polizisten, die Rache üben wollen.

Mit The Unforgivable, der Verfilmung einer Fernsehserie namens Unforgiven, lässt Netflix kein Drama ungelebt. Das Tragische und all die Entbehrungen lassen sich außerdem von Sandra Bullocks verlebtem Konterfei wunderbar ablesen. Make Up-Artists haben hier alles Stücke gespielt – und sogar noch mehr: mit verbissener Leidensmine und einem kurz vor der Explosion stehendem Grant, fest verankert im Mimischen, schleppt sich Bullock von einer Entbehrung zur nächsten. Reue, Desillusion, etwas Resignation und schreckhaftes Sozialverhalten ergeben in Summe das, was die Oscarpreisträgerin darstellt. Ein durchaus durchdachtes, vielleicht etwas zu grimmiges Bild in schier endlosen Grautönen. Was ihr aber fulminant gelingt, ist, im Laufe der Geschichte langsam, aber doch, auf plausible Weise aufzutauen. Da erkennt man wieder, was Bullock wirklich kann. Und es sind Momente, die zu ihren besten zählen.

Womit der Film allerdings nicht oder nur schwer zurechtkommt, ist die Rache-Komponente der um ihren Vater geprellten Brüder. Das will dann doch so gar nicht überzeugen, und ist dann auch deutlich zu viel des Guten, obwohl ich zugeben muss, dass dieses Fragment des Dramas als pushender Baustein dem Script ganz nette Wendungen verpasst. Fast möchte man meinen, hier einem Film von Susanne Bier beizuwohnen, so komplex darf es mitunter sein, während all die Figuren im Ausgleich dazu so sang und klanglos davongehen, wie sie gekommen sind. Der Fokus bleibt auf Sandra Bullock und ihrer Schwester (Aisling Franciosi, großartig in The Nightingale) als familiäre Wertekonstanten in einer von austauschbaren Randfiguren bevölkerten Welt.

The Unforgivable