Lucky

KEINER KOMMT HIER LEBEND RAUS

6/10

 

lucky© 2017 Alamodefilm

 

LAND: USA 2017

REGIE: JOHN CARROLL LYNCH

MIT HARRY DEAN STANTON, DAVID LYNCH, RON LIVINGSTON, TOM SKERRITT U. A.

 

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie was man bekommt. Das hat vor vielen vielen Jahren mal Forrest Gump gesagt. Zu einer Zeit, da war Harry Dean Stanton womöglich noch fit wie ein Turnschuh. Das Leben kann aber auch so sein wie der Fluchtversuch einer Schildkröte, genauer gesagt einer Landschildkröte. So sehr sie auch ihrem Schicksal zu entkommen versucht, den sprichwörtlichen Holzpyjama trägt sie immer mit sich herum. Zu Lebzeiten ihr trautes Heim, wird ihr Panzer irgendwann zur Gruft. Dem Tod, dem Ende allen organischen Lebens, lässt sich nicht von der Schippe springen. Diese Erkenntnis fährt dem steinalten Cowboy nach einem im wahrsten Sinne des Wortes niederschmetternden Aha-Moment bis in die arthritischen Knochen. Auch das Leben eines Einzelgängers wie Lucky wird bald ein Ende haben. Die Ungewissheit, wie lange noch, das Bangen vor dem finsteren Nichts, der absoluten Leere, macht den vermeintlichen Atheisten plötzlich schwer zu schaffen. Eine Scheiß-Angst hat er plötzlich. Da kann man noch so gesund sein, irgendwann gibt die Maschine Mensch seinen Geist auf. So alt wie ein Kaktus zu werden, oder eben gar so alt wie eine Landschildkröte, das wäre schon was. Und das dürre Männlein, das sich jeden Morgen vor dem Aufstehen einen Sargnagel anheizt, sich schnäuzt, kämmt, brav seine Yoga-Übungen absolviert und zu seinem Lieblings-Café mehr stapft als schlendert, um das Wort des Tages beim Kreuzworträtseln zu lösen, blickt erst sehr spät, aber doch, auf ein viel zu schnell vergangenes Leben zurück.

Das Leben ist nichts ohne den Tod. Debütregisseur John Carroll Lynch orientiert sich an lebensphilosophischen Roadmovies wie About Schmidt oder Nebraska und skizziert einen kleinen, feinen One-Man-Spätwestern, der in einer Aneinanderreihung kleiner Lokalszenen und Gesprächsfragmente vor sich hin sinniert wie ein Friedhofsbesucher, der unter dem Grabmal ehemals verwandter Seelen eine Rast einlegt und im Dämmerschlaf den Geheimnissen des Universums näher rückt, der Entropie und dem Zustand des Nicht-Seins. Harry Dean Stanton hat die richtige Visage dafür. Mit seinem eingefallenen Resting-Asshole-Face zeigt er nach außen hin dem Unvermeidbaren den Stinkefinger, im Inneren aber rollt er sich des Nächtens unter seiner Decke zusammen, verletzlich wie ein Kind und fürchtet sich vor der Einsamkeit. Doch Alleinsein muss nicht zwingend einsam sein. Aber was, wenn doch? Die kauzige Odyssee in die Gedankenwelt eines Menschen, der am Ende seines Weges ankommt und nicht weiß, wer oder was ihn überhaupt abholt, ist angereichert mit allerlei Symbolik und geradezu metaphysischen Einsprengseln wie das dubiose rote Telefon oder das Mysterium des rot beleuchteten Kellers (kann natürlich von der Lichtdeutung her klarerweise ein Laufhaus sein, aber sicher weiß man es nicht). Überhaupt zieht sich die Farbe Rot bedeutungsschwer durch den Film. Farbe überhaupt spielt eine Rolle. Sogar Lucky´s heißgeliebte Bloody Mary setzt bewusste Akzente. Aki Kaurismäki macht es gelegentlich ähnlich. In seinem Film Le Havre stiehlt sich die Farbe Türkis in fast jede Szene.

Kann sein, dass der Meister des Surrealen, David Lynch, seinen Einfluss geltend gemacht hat. Nicht nur, dass Dean Stanton immer ein gern gesehener Gast in Lynch´s Filmalbträumen war – privat war da sicher sowas wie Freundschaft. In der Stammbar von Lucky treffen beide nun als fiktive Gestalten aufeinander. Der knorrige Stanton und der stets zertreute David Lynch als die verblüffende Erscheinung eines in die Jahre gekommenen James Stewart. Mit Hut und Anzug und auf der Suche nach seinem Lebenstier, der Schildkröte Präsident Roosevelt, postuliert er mit verhaltener Stimme und melancholischer Traurigkeit die Metaphorik eines Reptils wie diesem und entzündet scheinbar ganz unbeabsichtigt einen Diskurs nicht nur über die Verbrüderung mit dem Tod als auch mit der Akzeptanz des Verlustes. Doch weder Lucky noch Lynch resignieren oder huldigen einem fatalistischen Weltbild. Das Leben ist ein andauerndes Klarkommen. Mit oder ohne Yoga, mit Wut im Bauch oder einem Lächeln. Das unausweichlich Tröstende kommt bestimmt. Und hat auch Harry Dean Stanton kurz nach den Dreharbeiten ereilt. Als ob er es gewusst hätte, so lässt sein letzter Blick direkt in die Kamera eine gewisse Ahnung aufblitzen. Carroll Lynch´s Lucky ist wie eine Graphic Novel, skurril und plakativ. Gleichzeitig aber auch anekdotenhaft, manchmal sehr bürgerlich und in unerwarteten Momenten dort sperrig, wo das Erzählen gerade seinen Fluss hat. So gesehen und mit Nachsicht betrachtet ist Lucky filmgewordener sozialer Besuchsdienst. Ignoriert man eigenbrötlerisch unsympathische Gemeinheiten, zahlt sich Zuhören jedenfalls aus. Denn eine anteilnehmende Begegnung mit dem Alter ist oft auch eine Begegnung mit dem eigenen Status Quo des Lebens.

Lucky

Der letzte Tanz

HAROLD & MAUDE IN DER ANSTALT

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letztertanz

Nach Gusti Wolf und Susi Nicoletti wohl die letzte des Grande Dame-Cercles österreichischer Bühnenpräsenz: Erni Mangold. Die eben erst 90 Jahre jung gewordene Charaktermimin ist das beste Beispiel dafür, das eine hohe Anzahl an gelebten Jahren nicht gleichbedeutend ist mit tatenlosem Warten auf das unvermeidliche Lebensende. Ganz im Gegenteil, der Lebensabend birgt Überraschungen, zumindest mal für Kainz-Medaillenträgerin Erni Mangold. Sie darf sich glücklich schätzen, neben Publikumslieblingen wie Josef Hader oder Tobias Moretti die Film-, Fernseh- und Theaterlandschaft Österreichs immer noch mitzubestimmen.

Eine ihrer aussagekräftigsten und mittlerweile berühmtesten Rollen ist jene der Insassin einer geriatrischen Pflegeanstalt. In Der letzte Tanz spielt sie mit unverhohlener Leichtigkeit und Engagement eine vermeintlich demente Patientin hohen Alters, die, verlassen von ihrer Familie, im jungen Zivildiener Karl so etwas Ähnliches wie eine Seelenverwandtschaft entdeckt. Darüber hinaus aber auch jemanden, der ihr das Gefühl einer lange nicht empfundenen, menschlichen Nähe vermittelt. Soweit, so berührend. Doch der iranisch-stämmige Regisseur Houchang Allahyari, der womöglich geplant hat, so etwas Ähnliches wie Harold und Maude im Pflegeheim zu inszenieren, hält sich leider viel zu lange mit erzählerischem Beiwerk auf und vergisst dabei, sich ausreichend dem Kern der Geschichte zu widmen. Anstatt die tabuisierte Beziehung zwischen Alt und Jung zu vertiefen und sich einfach mehr Zeit zu nehmen, die Gefühlswelten der beiden Protagonisten für den Zuseher nachvollziehbar werden zu lassen, opfert Allahyari mindestens ein Drittel der gesamten Laufzeit dem Prozedere von Verhaftung und Inhaftierung des sträflichen Zivildieners, noch dazu in blassem Schwarzweiß. Um zu zeigen, dass dieser eine Straftat begangen hat, wäre eine knappe Einleitung ausreichend gewesen. Dafür hätte man nach der Episode in der Pflegeanstalt durchaus noch einen Prolog über die gerichtlichen Konsequenzen dranhängen können. So bleibt aber für den eigentlichen Film kein Platz mehr. Auch bleibt dadurch der Charakter des Zivildieners Karl ungreifbar und diffus, ja fast schon auf seine eigene Art unsympathisch. Erni Mangold allerdings spielt mit Bravour, kann aber an der Sperrigkeit der eigenwilligen Liebesgeschichte nichts ändern. Dazu lässt sich der Iraner Allahyari letzten Endes dann sogar noch dazu verleiten, den Skandal einer unrechtmäßigen Beziehung zu exhibitionieren.

Unterm Strich erreicht Der letzte Tanz nicht mal ansatzweise die Intensität von Filmen wie Harold und Maude – dazu scheint Daniel Sträßer als der Jungspund an der Seite von Erni Mangold sichtlich zu überfordert. In seiner Rolle und als Schauspieler. Doch das fehlende inszenatorische Timing des Filmes stellt die schauspielerischen Defizite aber sogar noch in den Schatten. Liebe zwischen den Generationen – aus dem Ansatz einer berührenden Beziehungschronik abseits der Norm wird aus dem Film sowohl ein halbherziges Justizdrama als auch ein halbherziges Anstaltsdrama, was so womöglich nie beabsichtigt war.

Der letzte Tanz