Atlantic

DES MEERES UND DER LIEBE WELLEN

7/10

 

Atlantic© 2014 Thimfilm

 

LAND: NIEDERLANDE / BELGIEN / DEUTSCHLAND / MAROKKO 2014

REGIE: JAN-WILLEM VAN EWIJK

MIT FETTAH LAMARA, THEKLA REUTEN, MOHAMED MAJD, BOUJMAA GUILLOUL U. A.

 

Stürmisch ist er. Saukalt. Strömungs- und nährstoffreich – der atlantische Ozean. Nicht gerade das Meer zum Chillen, aber das Meer, um den starken Sportler zu markieren und zu surfen, was das Zeug hält. Die Küsten Marokkos und jene der kanarischen Inseln sind das Paradies für Wellen-Junkies schlechthin. Wer ein Surfbrett hat, hat den Sinn seines Lebens gefunden. Und gehört fortan zu einer Gruppe von Menschen, die mit Dreadlocks, kurzen Schlabberhosen und einer gehörigen Portion Lässigkeit das Leben auf die leichte Schulter nehmen. Um meterhohen Wasserbergen zu trotzen gehört schon eine Portion rotzfrecher Todesmut. Und nach jeder unversehrten Rückkehr an den Strand ist die Existenz um einige Fuhren Küstensand leichter. Womit wir beim Subgenre des Surfer-Films wären. Tatsächlich gibt es Festivals wie jene des Bergfilms, die sich ausschließlich den gefilmten Loops mit Brett und Segel widmen. Womöglich nur was für Surfer-Nerds, obwohl auch Nicht-Dudes so mancher cineastischen Spezialität neben all den atemberaubenden Stunts auch andere Aspekte abgewinnen können. So gesehen bei Atlantic, einer entrückend poetischen Filmerzählung, die den Wassermassen zwischen alter und neuer Welt in den schönsten Lichtreflexionen huldigt und einen Fischersohn namens Fettah auf eine Reise schickt, von welcher er womöglich nicht mehr zurückkehren wird.

Der niederländische Filmemacher Jan-Willem van Ewijk hat ein elegisches Essay über die Sehnsucht nach einem besseren Leben inszeniert, ohne sich dabei aber explizit auf die Charakterisierung des Flüchtlings an sich zu beschränken. Sein Film fordert mehr Fragen und Skepsis zutage als es anfangs den Anschein hat. Denn der Laiendarsteller und Surfer Fettah, der von van Ewijk für eine Rolle selbes Namens gecastet wurde, gibt sich seinen Träumen hin. Den Träumen von einem Leben in einem Elysium des Westens, in einem gelobten Land, wo Milch und Honig fließen, wo es allen besser geht, wo das einzig erstrebenswerte Ziel des materiellen Wohlstands so nah ist wie nirgendwo sonst. Es ist weniger die Schwärmerei für eine junge Frau, die den jungen Fischer und Surfer beeindruckt, sondern der Ort, von wo dieses Wesen aus dem Westen herzukommen scheint. Längst an einen Freund Fettah´s vergeben, entspinnt sich zwischen beiden dennoch eine fast schon intime Vertrautheit – die aber nicht mehr sein kann als ein sommerlicher Flirt, dessen Buschfeuer relativ schnell verraucht. Der Mann aus Afrika will aber mehr. Was genau, darüber lässt uns van Ewijk eigentlich im Unklaren. Sein Abenteurer will das, was durch den Besuch sämtlicher Touristen plötzlich so greifbar nah erscheint. Will das, was er eigentlich gar nicht kennt, und über die Maßen idealisiert. Es ist die eigene Unzufriedenheit, die das Auswandern in ein besseres Leben rechtfertigen soll. Das eigene kleine Glück, die Wertschätzung vertrauter Menschen, greifbare Werte, die bleiben, wenn nichts mehr bleibt – selbst die einfordernden Rufe nach Rückkehr bleiben angesichts des Wagemuts, die Grundrechte auf das Menschenmögliche einzufordern, ungehört.

So fängt der junge Mann und das Meer keinen Marlin, der an der Angel hängt und wie bei Hemingway während der Fahrt zurück ans Ufer aufgefressen wird – vielmehr orientiert sich der Glückssucher an den Gestirnen, und verliert dennoch die Orientierung. Mag sein, dass ich Atlantic völlig falsch eingeschätzt habe. Doch das, was mir van Ewijk´s Film vermittelt, ist kein Manifest, dass Mut macht oder den Mutigen bemitleidet. Nichts, was den Flüchtenden besser verstehen lässt. Im Gegenteil. Die Sehnsucht nach dem Mehr im Leben taucht im Meer des Lebens auf poetische, zurücknehmend kritische Weise als Fragment in der kalten Strömung unter.

Atlantic

Mein ziemlich kleiner Freund

GRÖSSE IST RELATIV

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kleinerfreund

Bilbo Beutlin, Yoda, Tyrion Lennister – die Liste der kleinen großen Helden ist länger geworden, und die Zeiten, in denen man nach der Größe beurteilt hat, sind obsolet und längst vorbei. Insbesondere popkulturelle Medien konzentrieren sich auf die augenscheinlich Schwächeren und machen aus ihnen die wahren Antreiber der Revolution und Ikonen des Umdenkens. Zu diesen resoluten Gesellen wähnt sich auch der französische Neo-Stummfilm-Star (The Artist) und Liebling der Frauen, Jean Dujardin. In der ganz und gar nicht albernen Komödie Mein ziemlich kleiner Freund begibt sich der intellektuelle Charmebolzen mit Dreitagebart auf Augenhöhe mit Virginie Efira´s unterstem Blusenknopf. Die bezaubernd schöne Entdeckung des französischen Kinos, die schon im frühsommerlichen Liebesfilm Birnenkuchen mit Lavendel einem eigenbrötlerischen Superhirn den Kopf verdreht hat, darf nun ihr Herz an einen Herzbuben verlieren, der so gar nicht ins gesellschaftstaugliche Gesamtbild passt. Denn wie soll denn ein Mann, der um vieles kleiner ist als die Frau, diese denn beschützen? Wie denn ganz nach Humphrey Bogart-Manier auf sie herabsehen? Einfach Stärke, Unbezwingbarkeit und Macht demonstrieren? Nun, oberflächlich betrachtet gar nicht. Die Schulter zum Anlehnen ist plötzlich um einige Zoll weiter unten. Und siehe da – nicht nur wir Zuseher ertappen uns dabei, wie wir uns vorgefertigten und ungenügend reflektierten Normen unterwerfen. Ohne Widerstand, fast antriebslos und unbemerkt anerzogen. Regisseur Laurent Titard (u.a. die Verfilmung des Comics Der kleine Nick) hinterfragt mit seiner liebenswürdigen und augenzwinkernden Boulevardkomödie, die sich viel mehr als Liebesfilm versteht und weniger als bizarrer Schenkelklopfer auf Kosten der physisch Benachteiligten, die Parameter, die einen Mann erst zu einem Mann machen müssen. Aber müssen sie das wirklich? Das Überbordwerfen überkommener Vorurteile ist nach dieser Frage, die man sich selbst stellt, nur eine logische Konsequenz.

Was an einer Komödie zu einer Herkulesaufgabe wird, die ihre Attraktion durch die Kleinwüchsigkeit eines ansonsten stattlichen Mannes bezieht, ist, niemals respekt- oder gar würdelos zu erscheinen. Leicht könnte der Plot hier ins Diskriminierende kippen. Was Mein ziemlich kleiner Freund aber gelingt, ist, seine Hauptfigur niemals, und nicht mal in den Szenen, die das Problem der geringen Größe frappant veranschaulichen, der Lächerlichkeit preiszugeben. Etwas, das den amerikanischen Regiebrüdern Peter und Bobby Farrelly in ihren komödiantischen Freakshows wie Schwer verliebt nie wirklich gelungen ist.

Jean Dujardin muss sein Image des Frauenverstehers und Mann von Welt nicht mal ansatzweise konterkarieren. Die Größe alleine ändert nicht seinen Charakter, sein Tun und seine Entschlossenheit. Zwischendurch allerdings mag er den Erschwernissen des Alltags, die sein Anderssein mit sich bringt, ohnmächtig gegenüberstehen – doch man kann sich denken, in welche Richtung die leichtfüßige, französische Dramödie steuert. Zwar letzten Endes – und der Realität leider ins Auge sehend – etwas naiv, aber mit der Idealvorstellung einer besseren und toleranteren Welt beginnt das Um- und folglich das Andersdenken. Ja, es wird nicht leicht sein. Doch wer will schon wirklich so leben, wie es die anderen wollen?

 

Mein ziemlich kleiner Freund

Der letzte Tanz

HAROLD & MAUDE IN DER ANSTALT

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letztertanz

Nach Gusti Wolf und Susi Nicoletti wohl die letzte des Grande Dame-Cercles österreichischer Bühnenpräsenz: Erni Mangold. Die eben erst 90 Jahre jung gewordene Charaktermimin ist das beste Beispiel dafür, das eine hohe Anzahl an gelebten Jahren nicht gleichbedeutend ist mit tatenlosem Warten auf das unvermeidliche Lebensende. Ganz im Gegenteil, der Lebensabend birgt Überraschungen, zumindest mal für Kainz-Medaillenträgerin Erni Mangold. Sie darf sich glücklich schätzen, neben Publikumslieblingen wie Josef Hader oder Tobias Moretti die Film-, Fernseh- und Theaterlandschaft Österreichs immer noch mitzubestimmen.

Eine ihrer aussagekräftigsten und mittlerweile berühmtesten Rollen ist jene der Insassin einer geriatrischen Pflegeanstalt. In Der letzte Tanz spielt sie mit unverhohlener Leichtigkeit und Engagement eine vermeintlich demente Patientin hohen Alters, die, verlassen von ihrer Familie, im jungen Zivildiener Karl so etwas Ähnliches wie eine Seelenverwandtschaft entdeckt. Darüber hinaus aber auch jemanden, der ihr das Gefühl einer lange nicht empfundenen, menschlichen Nähe vermittelt. Soweit, so berührend. Doch der iranisch-stämmige Regisseur Houchang Allahyari, der womöglich geplant hat, so etwas Ähnliches wie Harold und Maude im Pflegeheim zu inszenieren, hält sich leider viel zu lange mit erzählerischem Beiwerk auf und vergisst dabei, sich ausreichend dem Kern der Geschichte zu widmen. Anstatt die tabuisierte Beziehung zwischen Alt und Jung zu vertiefen und sich einfach mehr Zeit zu nehmen, die Gefühlswelten der beiden Protagonisten für den Zuseher nachvollziehbar werden zu lassen, opfert Allahyari mindestens ein Drittel der gesamten Laufzeit dem Prozedere von Verhaftung und Inhaftierung des sträflichen Zivildieners, noch dazu in blassem Schwarzweiß. Um zu zeigen, dass dieser eine Straftat begangen hat, wäre eine knappe Einleitung ausreichend gewesen. Dafür hätte man nach der Episode in der Pflegeanstalt durchaus noch einen Prolog über die gerichtlichen Konsequenzen dranhängen können. So bleibt aber für den eigentlichen Film kein Platz mehr. Auch bleibt dadurch der Charakter des Zivildieners Karl ungreifbar und diffus, ja fast schon auf seine eigene Art unsympathisch. Erni Mangold allerdings spielt mit Bravour, kann aber an der Sperrigkeit der eigenwilligen Liebesgeschichte nichts ändern. Dazu lässt sich der Iraner Allahyari letzten Endes dann sogar noch dazu verleiten, den Skandal einer unrechtmäßigen Beziehung zu exhibitionieren.

Unterm Strich erreicht Der letzte Tanz nicht mal ansatzweise die Intensität von Filmen wie Harold und Maude – dazu scheint Daniel Sträßer als der Jungspund an der Seite von Erni Mangold sichtlich zu überfordert. In seiner Rolle und als Schauspieler. Doch das fehlende inszenatorische Timing des Filmes stellt die schauspielerischen Defizite aber sogar noch in den Schatten. Liebe zwischen den Generationen – aus dem Ansatz einer berührenden Beziehungschronik abseits der Norm wird aus dem Film sowohl ein halbherziges Justizdrama als auch ein halbherziges Anstaltsdrama, was so womöglich nie beabsichtigt war.

Der letzte Tanz