The Royal Hotel (2023)

WORK-LIFE-BALANCE IN DOWN UNDER

8/10


the-royal-hotel© 2023 Universal Pictures


LAND / JAHR: AUSTRALIEN 2023

REGIE: KITTY GREEN

DREHBUCH: KITTY GREEN, OSCAR REDDING

CAST: JULIA GARNER, JESSICA HENWICK, HUGO WEAVING, JAMES FRECHEVILLE, TOBY WALLACE, HERBERT NORDRUM, BARBARA LOWING, URSULA YOVICH, DANIEL HENSHALL U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Willkommen in Down Under, dem Land des ewigen Sommers, des Crocodile Dundee, der Abenteuer und der Kängurus. Dem Land des Vollrausches, der sozialen Tristesse und des offen gelebten Alltags-Sexismus postkolonialer weißer Männer. Als Australien-Reisende muss sich Frau diesen Diskriminierungen nicht unbedingt aussetzen, da genügt es womöglich, auf Touristenpfaden mit allen anderen unterwegs zu sein. Doch was tun, wenn die Kohle knapp wird und der Urlaub noch lange nicht vorbei ist? Die beiden kanadischen Studentinnen Hannah und Liv wollen sich durch diesen Engpass nicht unterkriegen lassen und ergattern bei einer Work & Travel-Agentur einen zeitlich begrenzten Aushilfsjob in einer Bar irgendwo im Outback, weitab vom Schuss inmitten der Wüste, wo Buschmeister-Schlangen ihr Zuhause haben, Beuteltiere vor die Tür hopsen und der Kookaburra womöglich sein Morgenständchen schnattert. Mehr eintauchen ins authentische Leben der Australier geht nicht, doch nach der freudigen Erwartung folgt die unausweichliche Ernüchterung. Das Etablissement im roten Staub nennt sich zwar The Royal Hotel, doch der Schriftzug lässt sich kaum noch lesen und das Personal zeichnet sich nicht gerade durch eine herzerwärmende Willkommenskultur aus. Hier im Nirgendwo herrschen Zustände, die nur mit ganz viel Alkohol schöngesoffen werden können, da kann die Fauna noch so aus dem Busch hervorspringen und mit fernwehklagender Exotik ausschließlich beim Fremdenverkehr punkten. Die beiden Mädels bleiben trotzdem – und erfahren gleich am ersten Abend, an dem die Männer einer nahegelegenen Miene nicht nur ihren Durst löschen wollen, wie mit jungen Frauen hier umgegangen wird. Nicht für immer, sagen sich beide, und während Liv immer mehr dem Alkohol zugetan scheint und Party feiert, obwohl sie arbeiten sollte, behält Hannah die Contenance und genügend Abstand zu all dem Testosteron, dass hier allabendlich einfällt. Obwohl einer der Gäste ehrlich zu meinen scheint, gibt es andere, die Hannah in Panik geraten lassen. Natürlich kommt eines zum anderen.

Dabei muss eines vorweg genommen werden: The Royal Hotel ist kein Thriller per se und auch kein Outback-Horror mit geistig verwirrten Psycho- und Soziopathen, die den beiden Protagonistinnen eine Tortur verabreichen wollen. Kitty Green, die 2019 mit ihrem unbequemen Missbrauchsdrama The Assistant sexuelle Nötigung á la Weinstein am Arbeitsplatz zwar etwas verhalten, aber dennoch mit Gespür für Andeutungen zum Thema und auch bei Festivals von sich reden machte, folgt vier Jahre später einer ähnlichen Richtung. Diesmal sind es aber weder Vergewaltigung noch sexueller Missbrauch noch ähnlich Schwerwiegendes. Diesmal ist es die bedrohliche toxische Männlichkeit, die sich wie ein drohendes Gewitter in latenter Gefährlichkeit am Horizont abzeichnet, immer bereit, durch auffrischenden Sturm heranzunahen und um sich zu schlagen. Diese Männlichkeit ist ekelhaft. Das Selbstverständnis der gestandenen maskulinen Kleingeister, fremde Frauen als ihr Eigentum zu betrachten, nur weil sie vielleicht als erster einen Spruch losgelassen haben – der Umgang mit der Körperlichkeit einer Frau und die Diskriminierung durch Sprache und abwertender Klischees werden zur Herausforderung für Julia Garner, die auch in The Assistant die Hauptrolle spielt, und Jessica Henwick – zum bedrohlichen Wüstenwind, der überall weht, wo die Kinderstube aus regressivem Verständnis über Geschlechterrollen besteht, dabei goibt’s derlei Defizite nicht nur hier, in Australien. Meinetwegen auch im österreichischen Hinterland oder und vor allem auch in den USA. In diesem Dunst aus Alkoholmissbrauch, daraus bedingenden Missverständnissen und unangenehmen Verhaltensauffälligkeiten entsteht eine geradezu virtuose Miniatur aus dem Subgenre des sozialkritischen Reisefilms, eingefangen als schleichende Eskalationsspirale, die sich sowohl um den Reiz der australischen Wildnis als auch um die Tristesse einer stagnierenden Arbeiterklasse schlängelt, als wäre das alles die Down Under-Version eines Ken Loach-Films, nur mit dem Unterschied, dass Kitty Green mehr will als nur ein Sittenbild abzugeben. Sie will ihr dynamisches Frauen-Duo, das erstmal gar nicht so scheint, als könnte es das, dazu befähigen, mit den Verhältnissen Tabula Rasa zu machen.

Diese Art Frauenpower ganz ohne militanten Feminismus, der Männer an sich gerne über den Kamm schert, weil es einfach ist, es so zu tun, bleibt nachvollziehbar, authentisch und entlockt dem Willen zur Selbstbestimmung ungeahnte Energien. Mit diesem kraftstrotzenden Impuls am Ende des Films setzt The Royal Hotel unübersehbare Zeichen, die als krönender Abschluss eines differenzierten Geschlechterdiskurses mit Freuden das überhöhte Stilmittel des Kinos nutzen. Das alles mit Wut im Bauch und einem Grant auf das Selbstmitleid komplexbeladener Männer, die sich aufführen wie schlecht erzogene Problemkinder.

The Royal Hotel (2023)

Mortal Engines – Krieg der Städte

WHERE DO YOU GO TO, MY BRITAIN?

7/10

 

mortalengines© 2018 Universal Pictures and MRC. All Rights Reserved.

 

LAND: USA, NEUSEELAND 2018

REGIE: CHRISTIAN RIVERS

CAST: HERA HILMAR, ROBERT SHEEHAN, HUGO WEAVING, JIHAE, STEPHEN LANG, PATRICK MALAHIDE U. A.

 

Vor kurzem wurde ich gebeten, nachzusehen, was denn 2019 Einschneidendes für uns bringen wird. So wirklich fündig wurde ich nicht wirklich. Was einzig und allein aus der Agenda des kommenden Jahres hervorsticht, ist Großbritannien, das der europäischen Union entweder in harter oder weicher Form den Rücken kehren wird. Da stellt sich die Frage: Where do you go to, Great Britain? Das weiß keiner so wirklich, nicht mal Theresa May, weil es so einen Fall noch nie gegeben hat. Aber irgendeiner muss immer anfangen. Und dann weitermachen. Oder weiterrollen. Denn letzteres passiert, viele Dekaden nach unserer Zeitrechnung, nach einem apokalyptischen Krieg mit Quantenwaffen (was auch immer das sein soll), der eine verwüstete Erde und ganz viel Altmetall zurückgelassen hat, um daraus wieder neue Städte zu bauen, die diesmal mobil sind, tiefe Furchen im Erdreich hinterlassen und imstande sind, kleinere Städte innerhalb einer Zahnradumdrehung zu verknuspern. Was für ein verblüffender Zufall, dass diese Megacity auf Walzen Großbritannien darstellt. Ein Brexit in ferner Zukunft also – und jetzt kommt das augenzwinkernd Ironische an dem ganzen: Dieses Großbritannien, das nur mehr aus einer verschachtelten und aufgetürmten Stadt London besteht, will zwar ebenso die Grenzen sprengen wie das Großbritannien, das wir kennen – aber es will in das gelobte Land hinein, und nicht hinaus. Kann gut sein, dass hier niemand sonst diese politische Allegorie entdeckt – mich amüsiert das, und für mich bekommt dieses Fantasy-Epos dadurch eine Metaebene, die man mag oder auch nicht, die aber mehr zu erzählen scheint als nur ein Mad Max-Märchen zur 3er-Potenz.

Peter Jackson, der seit seinem arbeitsplatzbeschaffenden Mammut-Projekt Der Hobbit kein Regie-Zepter mehr angefasst hat, schickt Regie-Greenhorn und Weta-Genie Christian Rivers ins Feld, um Philip Reeve´s preisgekrönten ersten Teil seiner Predator City-Quadrilogie zu verfilmen. Was ihm überraschenderweise ziemlich gut gelingt. Statt mechanisch, kalt und steril, wie manche Kritiker meinen, gerät das düstere Epos um rollende Werkzeugkästen und Motoren zu einem detailverliebt ausgestatteten Waterworld im knochentrockenen Steampunk-Stil, in dem die 20er Jahre des 20ten Jahrhunderts mit Melone, deutschen Uniformen aus der Zeit Wilhelm II. und ganz viel Chaplin´s Modern Times fröhliche Urständ feiern. Dass das Ganze nicht zu einem manieristischen Zitatenschatz verkommt, ist der isländischen Hauptdarstellerin Hera Hilmar zu verdanken. Dieses erfrischend neue Gesicht auf der Blockbuster-Leinwand kompensiert nicht nur die Unbeholfenheit ihres Co-Akteurs Robert Sheehan, sondern haucht dieser eisenharten Schicksalssymphonie ganz viel Seele ein. Ihre Verbitterung, die Trauer über ihren Verlust und ihre Wut dem piratischen Machtgefüge gegenüber lässt Hilmar ein bisschen so werden wie eine Symbiose aus Arya Stark aus Game of Thrones und einer desillusionierten Ronja Räubertochter. Nicht umsonst ist das mit rotem Tuch vermummte Konterfei der jungen Dame auf allen Plakaten zu sehen – sie ist das Kernstück, der eigentliche Antrieb, der die Maschine am Laufen hält. Und dann gibt es da noch ganz viel Star Wars, vor allem gegen Ende des Films, und da macht Mortal Engines auch kein Geheimnis daraus, eine Geschichte nach bewährtem Erfolgsrezept erzählen zu wollen. Statt Rasendem Falken und X-Flüglern haben wir es hier mit so aerodynamischen wie formschönen Luftschiffen zu tun, die dem „Todesstern“ namens London ans Eingemachte wollen. Dieser Hang zum Abkupfern sei den Drehbuchautoren Jackson und Fran Walsh verziehen, auch wenn Mortal Engines sein ausgefeiltes CGI irgendwann nicht mehr unter Kontrolle zu haben scheint. Dann droht dem dystopischen Eventkino szenenweise der platte Overkill. Doch Deus ex Machina sei Dank bekommt Rivers die Kurve. Anders als bei urbanen Dystopien wie Die Tribute von Panem oder Die Bestimmung bewahrt sich Mortal Engines die narrativen Parameter einer legendenhaften High Fantasy, da spürt man schon den Atem eines Drachen, wenngleich dieser aus Zahnrädern und stampfenden Turbinen besteht.

Die Schrauben, die bleiben festgedreht, auch wenn glühäugige Cyborgs manch eine locker haben – und wir uns ebenso in einer Zukunft weit nach den Skynet-Kriegen wieder finden könnten. Alles zusammen fügt sich zu einer zwar nicht wirklich staunenswert originellen, aber zumindest staunenswert ausgestatteten Welt mit versteckten Seitenhieben auf die aktuelle Politik, in die es sich einzutauchen lohnt, auch wenn das Schmieröl dann nicht mehr aus der Kleidung geht.

Mortal Engines – Krieg der Städte