Sisu: Road to Revenge (2025)

ICH UND MEIN HOLZ

5,5/10


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LAND / JAHR: FINNLAND 2025

REGIE / DREHBUCH: JALMARI HELANDER

KAMERA: MIKA ORASMAA

CAST: JORMA TOMMILA, STEPHEN LANG, RICHARD BRAKE, EINAR HARALDSSON, JAAKKO HUTCHINGS, SANDY E. SCOTT, ERGO KÜPPAS U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN



Das Bahnhofskino hat wieder eröffnet! Im Mitternachtsprogramm nach Machete, Planet Terror und Death Proof lässt sich Jalmari Helanders wie ein Italowestern der Bauernschneuzer-Sorte aufgezogener Taiga-Reisser dank stilsicherer Tonalität bequem unterbringen. Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann und sein Holz, der als kriegsgebeutelter Selfman sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes neu aufbauen will. Dafür muss der schweigsame Aatami Korpi, bekannt aus Sisu, in ehemals finnisches und nunmehr russisches Gebiet vordringen. Was dort zu holen ist? Nichts sonst außer die Heimstatt seiner Familie, die von Kriegsverbrecher Igor Draganov hingemetzelt wurde. Dieses Blockhaus will Korpi abbauen, auf seinen Truck laden und in Finnland neu errichten, stets in Gedenken an seine Lieben, die er, soweit er es mimisch darstellen kann, schmerzlich vermisst. Doch dieser Draganov, verkörpert von Permanent-Bösewicht und Vorzeige-Antagonist Stephen Lang, der auch in Avatar die Nemesis gibt, bekommt den Auftrag, auch den letzten der Korpi-Familie auszulöschen, hat der doch hunderte russische Gefolgsleute auf dem Gewissen.

Alles was Flügel hat fliegt

Den Rest kann man sich denken. Viel mehr Stoff gibt es nicht. Fast so viel und vielleicht einen Deut mehr als in George Millers Mad Max: Fury Road. Bei diesem Roadmovie fängt Jalmari Helander ganz schön viel atemberaubende Landschaft ein. Jorma Tommila, der einmal mehr kein Drehbuch auswendig zu lernen braucht, weil kein Wort über seine blutenden Lippen kommt, fährt mit sehr viel Holz, das ihm immer wieder abhanden kommt und wie durch Geisterhand wieder eingesammelt wird, von A nach B, stets Stephen Lang im Nacken, der einmal wilde Biker, dann Militärflugzeuge hinterherhetzt. Alles kein Problem für diesen hartgesottenen Burschen, der zäher ist als Leder und ungefähr so viel aushält wie John Wick. Ein finnischer Stehaufmann, der sogar Panzern beibringt, wie man fliegt. All diese Action ist natürlich völliger Nonsens. Purer, gewalttätiger Eskapismus, der diesmal aber nicht nur so elementare Emotionen wie Rache bedient, sondern vorrangig mal Flucht und Widerstand. Die Road to Revenge wird erst sehr viel später zu selbiger, nämlich erst dann, wenn bei unserem Protagonisten die Hutschnur platzt.

Ventil für den Erstling

Bis dahin geht dem Sequel trotz vieler gemachter Kilometer und zerstörter fliegender wie fahrbarer Untersätze die Puste aus. Es ist, als wäre vom Original noch so viel aufgestaute Energie vorhanden gewesen, dass es ein Ventil gebraucht hat, um diese noch irgendwohin absorbieren zu lassen. So wird Teil Zwei zum Löschpapier von Teil Eins, überraschend spannungsarm und unspektakulär in seinem berechneten Spektakel. Sisu selbst war 2022 noch ein staubtrockener, finnischer Anti-Nazi-Western, da kannte man Aatami Korpi natürlich noch nicht, und wusste beileibe auch nicht, wie dieser tickt und ob er den Aggressoren in seinem Land überhaupt Herr werden kann. Am Ende des wahnwitzigen, explizit brutalen Streifens wusste man es dann: dieser Finne packt alles. Natürlich auch Teil Zwei. Und da setzt das große Gähnen an.

Artisten, Panzer, Attraktionen

Es ist witzig, den Salto eines Panzers zu bewundern. Die blutige Rache hat dann auch seine Genugtuung gegenüber eines störrischen Antagonisten, der schon längst hätte ins Gras beissen können, den Lang aber mit verkniffenen Gesichtsausdruck aus dem FF beherrscht. Doch dahinter lässt sich nichts entdecken, alles was Sisu: Road to Revenge bietet, ist Show, eine Revue voller öl-, schlamm- und blutgetränkter Attraktionen und niemals realer möglicher Gegebenheiten. Ein surreales, absurdes Stück Actionkino, doch alles in allem nicht mehr als für Zwischendurch, wie der Happen an einer Tankstelle, wenn man gerade unterwegs ist. Mit oder ohne Holz.

Sisu: Road to Revenge (2025)

Sisu (2022)

FAIRNESS AUF FINNISCH

6/10


sisu© 2023 Praesens Film


LAND / JAHR: FINNLAND 2022

REGIE / BUCH: JALMARI HELANDER

CAST: JORMA TOMMILA, AKSEL HENNIE, JACK DOOLAN, MIMOSA WILLAMO, ONNI TOMMILA U. A.

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Wenn ein Außenseiter, der mit unorthodoxen und zweifelhaften Methoden dennoch eine gewisse Moral vertritt, wirklich schlimmen Jungs den Garaus macht, sei es nun aus Rache oder um die Schutzlosen zu beschützen – wenn so ein Fremder ohne Namen und mit wenigen Worten auf den Lippen in diesem Streben gar nicht anders kann als nicht zu sterben, dann ist das ein gern interpretierter Mythos in der Welt des Kinos. Und längst nichts Neues mehr. Ob Clint Eastwood, Chuck Norris oder Arnold Schwarzenegger – sie alle sind überzeichnete und fern realer Umstände Kämpfe austragende Kultfiguren, die unsere Sehnsucht nach einer gerechteren Welt zumindest in diesen paar Stunden, in denen sie über den Screen flirren, stillen können. Quentin Tarantino geht sogar so weit und verändert die Geschichte, um zu bekommen, was einer Welt mit moralischem Ordnungs-Soll eigentlich zusteht. 

Dieser wortkarge Finne im Actionstreifen Sisu ist auch so einer. Sisu – das ist finnisch steht für eine schwer bis gar nicht übersetzbare Umschreibung eines hartnäckigen Überlebenswillens. Und ja, ich muss zugeben – hartnäckiger ums Überleben kämpft eigentlich nur noch John Wick, der als Stehaufmännchen im letzten Teil seines Franchise was weiß ich wie oft die Stufen zum SacréCœur hat hochlaufen müssen.

Im Jahr 1944, während die Nationalsozialistische Armee bei ihrem Abzug aus Finnland nur verbrannte Erde hinterlässt, hat sich der Eigenbrötler Aatami Korpi, ehemals Kampfmaschine in den Diensten der finnischen Armee und rund 300 Russen am Gewissen, vom Krieg abgewandt und sucht in den weiten Ebenen Lapplands nach Gold. Seine Suche wird alsbald belohnt, und Fortuna schüttet in Form schwerer Edelmetallklumpen ihr Füllhorn aus. Auf dem Weg zurück in die Zivilisation queren marodierende Nazis seinen Weg – und zumindest einige von denen müssen sehr bald schon auf deftige Weise ins Gras beißen. Vom Gold wird dann auch noch Obersturmführer Helldorf (fast so garstig wie seinerzeit Lee van Cleef: Aksel Hennie) angelockt. Und es beginnt eine Hasenjagd per Panzer quer durchs Gelände, während Korpi sein Survival-Know How auspacken muss, um den Verbrechern immer eine Nasenlänge voraus zu sein.

Bald aber stehen die Chancen für den Anti-Helden ziemlich schlecht. Und nach allen Parametern der Logik wäre Sisu ein Kurzfilm mit einer Länge von fünf, na sagen wir zehn Minuten. Doch nein – Nazis wie diese müssen – zumindest aus hier kolportierten sadistischen Gründen – dem groben Gutmenschen gegenüber Kulanz walten lassen. So verlangt es das Skript, so verlangt es nicht nur das Subgenre des längst aus der Zeit gefallenen Bahnhofs- oder Grindhouse-Kinos. Robert Rodriguez und Mastermind Tarantino – den beiden gelang es glatt,  das Vokabular der Exploitation-Filme mit Werken wie Death Proof, Planet Terror oder Machete neu erklingen zu lassen. Einflüsse des Italowesterns sind da kaum zu übersehen.

Sisu huldigt beiden Stilen. Und macht anhand üppiger Lettern, die, formschön eingeblendet, den Film in mehrere Kapitel unterteilen, überdeutlich, womit wir es zu tun haben. Mit einer stilsicheren Reminiszenz, dessen Macher Jalmari Helander (unbedingt ansehen: Rare Exports – der etwas andere Weihnachtsfilm) sein Handwerk versteht. Und der auch weiß, worauf es ankommt, um seinen archaischen Blut- und Beuschelreißer in einem überzeichneten und vielen, wenn nicht allen Gesetzen der Logik widerstrebendem Universum zu verankern. Ein satter, rauer Score und überhöhtes Sounddesign vor allem dann, wenn im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen fliegen, machen aus Sisu ein fast schon physisch greifbares Event. Im Grunde aber ist, so hingefetzt das Ganze inszeniert ist, nichts davon wirklich innovativ. Ein Mann-Armeen gibt‘s mittlerweile viele. Nazis fahren auch nicht zum ersten Mal zur Hölle, während ihnen ihre abgetrennten Extremitäten um die Ohren fliegen. Im Grunde mag Sisu recht dünn ausfallen. Was man aber zu schätzen weiß, ist der lakonische Zynismus, dieser schweigsame Zorn, die raue Gegend. Und die Liebe zur beinharten Trivialität, die die Grundemotionen von Rache und Genugtuung bedient.

Sisu (2022)

Rare Exports – Eine Weihnachtsgeschichte

SIND´S GUTE KIND, SIND´S BÖSE KIND?

7/10

 

rareexports© 2010 Splendid Film

 

LAND: FINNLAND 2010

REGIE: JALMARI HELANDER

MIT ONNI TOMMILA, JORMA TOMMILA U. A.

 

Und wieder ist sie fast vorbei, die Weihnachtszeit. Rück- und vorausblickend muss ich feststellen, dass das Fest der Liebe in Film und Fernsehen meist auf das Da Capo längst bekannter Klassiker herunterzubrechen ist. Kaum mehr hat das Genre des folkloristischen Familienfilms Neues zu bieten. Warum auch – das Alte ist nach wiederholtem male immer noch sehenswert. Das Bekannte immer wieder ein Nachhausekommen, womöglich in die Kindheit oder in die nostalgische Vergangenheit, wo alles noch gut und beim Alten war. Allerdings hatte der Weihnachtsfilm für mich dieses Jahr wider meine eben vorgebrachte Meinung tatsächlich eine Überraschung zu bieten. Und wenn es um Überraschungen geht, da ist das Filmland Finnland ganz dick da. Die Filme aus dem waldigen Norden Europas sind sowieso immer eine Klasse für sich. Nichts wird dort normal erzählt, oft ist schwarzer Humor im Spiel, Lakonie sowieso. Und orthodox geht es da schon gar nicht zu. Und gerade weil Finnland das Heimatland des Weihnachtsmannes ist, braucht es hier auch einen Film, der die Legende vom keks- und milchliebenden, weißbärtigen Brummbären mit dem Faible für das Glück aller Kinder ordentlich konterkariert.

Rare Exports ist so ein Film. Genauer gesagt eine Weihnachtsgeschichte, wie es im Untertitel schon heißt. An einer stimmigen Weihnachtserzählung kann ja nichts verkehrt sein. Vor allem aus Finnland, wo im Vergleich zu hier im urbanen Wien wenigstens Schnee liegt. Doch Vorsicht: harmoniebedürftige Traditionalisten werden vor den Kopf gestoßen. Ein Publikum, das sich eine ähnlich kauzige Familiengeschichte wie Santa Clause erwartet, wird verstört sein. Denn der heilige Mann in Rot, der in Rare Exports aus mysteriösen Gründen wieder aufgetaut wird, hat alles andere als Kling Glöckchen Klingeling im Sinn. Dieser Ur-Weihnachtsmann, dieses archaische, bedrohliche Etwas, erinnert frappant an Knecht Ruprecht aus Theodor Storm´s gleichnamigem Gedicht. Diese Versezeilen sind uns allen bekannt. Vor allem diese hier:

Hast denn die Rute auch bei dir? Ich sprach: die Rute die ist hier. Doch für die Kinder nur, die schlechten, die trifft es auf den Teil, den rechten.

Da fragt sich der Nachwuchs natürlich sofort: wie viel Lausbub ist erlaubt, und wann nur holt mich der Krampus? Gehörnter Kettenrassler, bärtiger Nikolaus, freigiebiger Weihnachtmann – Regisseur Jalmari Helander (Big Game) erschafft in seiner abgefahrenen Groteske einen scheinbar dreifaltigen Mythos neu und lässt seltsame Begebenheiten und rauflustige weißbärtige Männer auf das verschneite Völkchen Mensch kurz vor Heiligabend los. Niemand ist plötzlich sicher, und keiner weiß mehr, wo all die Kinder hin verschwinden, die durch gruselige Holzpuppen ersetzt werden.

Für Grundschülerinnen und Grundschüler ist Rare Exports wirklich nicht zu empfehlen. Helander fabuliert hier einen Glühweincocktail aus düsterer Fantasy und zynischem Humor, wo der schneebeladene Eiswind nur so weht und das seltsame Grauen zur Weihnacht um sich greift. Doch in Filmland Finnland folgt, wie wir wissen, nichts nach erwartbaren Regeln. Diese Unberechenbarkeit und das Tappen im Dunkeln bis kurz vor dem Finale furioso würzen den filmischen Weihnachtskeks mit, wie es scheint, bewusstseinsverändernden Zutaten, die das Fest der Liebe zum gallig-respektlosen Fest der Hiebe verzerren. Wer die Antipode zum Weihnachtskitsch nicht für zu bizarr und respektlos hält, findet an Rare Exports mit all seinem augenzwinkernden Einfallsreichtum hinterfotzigen Gefallen. Und erfährt endlich, wie und warum der Weihnachtsmann überall gleichzeitig sein kann.

Rare Exports – Eine Weihnachtsgeschichte