U Are the Universe (2024)

DAS LETZTE DATE DER MENSCHHEIT

8/10


© 2025 Drop Out Cinema


ORIGINALTITEL: TI-KOSMOS

LAND / JAHR: UKRAINE, BELGIEN 2024

REGIE / DREHBUCH: PAVLO OSTRIKOV

CAST: VOLODYMYR KRAVCHUK, ALEXIA DEPICKER U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Nein, man verhört sich dabei nicht, wenn der Film in manchen Szenen seine Hommage an einen ganz großen, wenn nicht den größten Klassiker der Science-Fiction erhobenen Armes vor sich herträgt: Die Klänge von Also sprach Zarathustra erklingen nicht im eigenen Kopf, sondern tatsächlich – während einer ausgesucht augenzwinkernden Weltraumszene, die sich angesichts des Endes der Menschheit eines Humors bedient, der so heilend wirkt wie der Trost eines guten Freundes. Dabei wären wir, das eingeschworene Publikum des Slash ½-Festivals, fast gar nicht in den Genuss dieser Szene gekommen. U Are the Universe war noch nicht ganz fertiggestellt, als Russland über die Ukraine herfiel. Und dennoch, trotzdem sich seit damals das Land im Kriegszustand befindet und einige aus der Filmcrew an die Front mussten, vollbrachte der Filmemacher Pavlo Ostrikov das Unmögliche. Das Ergebnis ist ein handwerklich ausgefeilter, top ausgestatteter Weltraumfilm, der höher budgetierten Genrefilmen um nichts nachsteht, und der gleichermaßen eine Geschichte erzählt, die so viel Sehnsucht und Empfindung in sich trägt, dass niemals zum Pathos wird, was der einsame Kosmonaut auf dem Weg zum Jupiter alles durchmachen muss.

Diese Odyssee, die sich tief vor Stanley Kubricks 2001 verbeugt und sich Klassikern wie Lautlos im Weltraum, Dark Star oder Moon freundschaftlich anschließt, setzt sich erst nach einem im wahrsten Sinne des Wortes vernichtenden Paukenschlag in Gang. Kein geringerer Himmelskörper als die Erde setzt Ostrikov auf die Abschussliste. Wie eiternde Pusteln entzünden sich brennende Herde auf der Erdoberfläche, ein vernichtendes Feuer breitet sich aus, und dann der große Knall. Andriy Melnyk, einziges Personal auf einem Atommülltransporter in Richtung des Jupitermonds Callisto, dürfte nun, wenn man eins und eins zusammenrechnet, der letzte Mensch des gesamten bekannten Universums sein. Wie fühlt sich das an? Erstmal gar nicht, denn so ein Ereignis muss ein menschlicher Geist erst einmal akzeptieren. Zum Glück muss Andriy nicht alleine mit diesen neuen Parametern klarkommen – eine künstliche Intelligenz namens Maxim, ein klobiger Roboter mit Greifarm und Bordcomputer des Schiffes (HAL 2000 lässt grüßen) versucht, genug Empathie zu simulieren, um den Trost eines guten Freundes zu spenden. Während des Manövers, den rasend heranfliegenden Trümmern der Erde auszuweichen, bekommt Melnyk tatsächlich nochmal Post – von Catherine, die in einem Forschungsraumschiff nahe des Saturns festhängt. Auch wenn die beiden Planeten beim Aufzählen des Sonnensystems nebeneinanderliegen – der Weg von Jupiter zu Saturn ist weit, die Funkübertragung sehr lang, so geht der Dialog eher schleppend vor sich. Im Grunde aber ist es das narrative Prinzip romantischer Filme wie Schlaflos in Seattle, die wiederum die antike Sehnsucht nach Zweisamkeit zwar nicht auf so ein dramatisches Level hochschrauben wie bei Orpheus oder Odysseus, dafür aber den alltäglichen Gebrauch davon abbilden. In U Are the Universe geht es dramatisch genug einher, ohne aber das Drama aufzubauschen.

Jene, die Kinoromantik eher skeptisch gegenüberstehen, seien aber entwarnt. Dieser entschleunigte und gleichsam beschleunigende Solo-Trip in die Ewigkeit eruiert zwar das Grundbedürfnis des Menschen, seiner Einsamkeit zu entgehen, füttert den Plot aber mit geschickt platzierten Wendungen, die den geradlinigen Trip durchs Dunkel zumindest im Kopf mäandern lassen. Mit viel Mut zur Stille, zur Reduktion und zu einer Ironie, die angesichts einer Endzeit so rettend wie wohltuend erscheint, verlässt sich Ostrikov im sicheren Vertrauen auf seinen Hauptdarsteller, der wahrscheinlich nur rein zufällig dem leidgeprüften Präsidenten Selenskyj ein bisschen ähnlich sieht. Fast könnte man in manchen Szenen meinen, er selbst wäre isoliert von allem, stets unterwegs, ein Ziel zu finden, dass nicht mehr sein kann als ein schicksalsentscheidendes Blind Date, weil es das letzte ist, das die Menschheit jemals eingehen wird.

Europäisches Kino wie dieses, das obendrein atemberaubende Bilder liefert und sich in stilsicherem Setting wie daheim fühlt, wagt auch die geschwungenen Drehbuchzeilen einer tief empfundenen, tragisch-schönen Poesie, die sich das US-Kino wohl kaum getraut hätte und wenn doch, auf der eigenen Seife ausgerutscht wäre. Bei U Are the Universe ist es das aufrichtige Statement eines Versprechens, einer Vision, geformt mit Lehm, als Botschaft gegen den technologischen Fortschritt, die besagt, dass man nur mit den eigenen Händen wirklich begreifen kann, worauf es ankommt. Nach all der Technik, den Errungenschaften, der Dystopie, bleibt am Ende immer und irgendwo der Mensch, im Kreis des Leonardo Da Vinci, allein und sich selbst einem uneigennützigen Zweck empfehlend.

U Are the Universe (2024)

Die wandernde Erde

PING PONG IM WELTRAUM

5/10


wanderndeerde© 2019 Netflix


LAND / JAHR: CHINA 2019

REGIE: FRANT GWO

CAST: JING WU, QU JINGJING, GUANGJIE LI, CHUXIAO QU U. A. 

LÄNGE: 2 STD 5 MIN 


Euch ist doch sicher schon mal beim Schmökern in diversen Buchhandlungen der populärwissenschaftliche Bestseller What if… von Randall Munroe untergekommen. Ein kurioses Buch. Da drin beantwortet der Autor sämtliche physikalische Was wäre wenn-Fragen mit charmantem Humor und akkurater Sachlichkeit. Eine dieser Fragen könnte unter Umständen lauten: Was wäre, wenn wir versuchen würden, auf einer Seite der Erde gigantische Schubdüsen zu installieren, um so unseren Planeten, vorausgesetzt, die Eigenrotation würde abgebremst werden, aus dem Sonnensystem zu manövrieren? Munroe würde sich laut auflachend an den Kopf greifen bei so viel Phantasterei. Oder ist das doch nicht so absurd? Zumindest würde das Autor und Hugo-Preisträger Liu Cixin nicht so empfinden, geht doch das erdachte Szenario eigentlich auf seine Feder. Cixin wird Buchshoppern womöglich ebenso geläufig sein wie Munroe – bekannt ist dieser ja vor allem für seinen Drei-Sonnen-Romanzyklus. Die wandernde Erde ist da nur eine seiner Kurzgeschichten. Stoff genug jedenfalls, um ein Desastermovie im Stile eines Roland Emmerich hinzulegen, findet China.

Ich selbst greife mich aber ebenfalls an den Kopf bei so viel hanebüchener Science-Fiction. Man muss sich das natürlich auf der Zunge zergehen lassen: Unsere Sonne steht kurz davor, sich ums x-fache aufzublasen. Tatsächlich steht uns das allerdings erst in mehreren Milliarden Jahren bevor, hier jedoch ist der Worst Case gerade sehr spruchreif geworden. Also gibt es die Idee, die Erde aus ihrer Umlaufbahn zu bugsieren und nach Alpha Centauri zu schicken, um dort wieder in einem habitablen Orbit anzudocken. Die Erde als Tischtennisball, der im Top Spin über die Spielfläche fegt? Klar doch, und das Service obliegt den Chinesen. Gigantische Brenner werden errichtet – bei so viel Ressourcenverbrauch scheint der Welterschöpfungstag bereits sich selbst zu überholen. Aber gut – nebst diesen Düsen gibt es auch noch Zehntausende unterirdische Städte, und die Rotation muss man auch noch bremsen. Mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung stirbt eines schrecklichen Todes, nämlich den des Ertrinkens aufgrund unzähliger Tsunamis. Ein paar Milliarden sind auserwählt – Kollateralschaden ist die neue Menschlichkeit. Die Erde eiert also Richtung interstellaren Raum, und dabei muss diese den Jupiter passieren. Nun nähern wir uns der eigentlichen Story. Klar kommt diese dem Gasriesen zu nahe, und der schlimme Jupiter, der ist schon im Vergleich zu Terra ein gewaltiger Brocken und hat nicht wenig Lust, sich den Mini-Trabanten unter den Nagel zu reißen. Was tun, um dieser fiesen Gravitation zu entkommen? Da rauchen die Hirne, da quälen sich die Helden.

Filmland China hat für diesen kosmischen Irrsinn tief in die Börse gegriffen. Optisch betrachtet haben wir hier den Day After the Day After Tomorrow – das tiefgekühlte Shanghai und die schneestaubigen Fast & Furious-Fahrten mit Hammer-ähnlichen Tranportpanzern sind genauso geschmackvoll in Szene gesetzt wie die Darstellung des gravitativen Einflusses Jupiters auf die Erde. Doch Regisseur Frant Gwo ist nicht Roland Emmerich. Um mit so einem Spektakel auch auf menschlicher Ebene zu überzeugen, dafür braucht es das richtige Timing, um auch das Tempo in den richtigen Momenten herunterzufahren. Die Wandernde Erde hat natürlich auch ihre unfreiwilligen Helden. Doch die spüren sich scheinbar selber nicht. Dasselbe Problem hatte auch der jüngst auf Netflix erschienene Streifen Space Sweepers.

Visuell top, dramaturgisch Flop: chinesische Blockbuster wie dieser wirken manchmal zu fahrig und übertönt, trotzdem aber erreichen diese Filme Längen bis über zwei Stunden. Das erzeugt eine anstrengende Aufgekratztheit auch bei den Zusehern. Hinzu kommt die Erschwernis aufgrund der rasant wechselnden Untertitel. Nichts gegen OmU, ich begrüße das meistens wirklich, besonders bei nicht englischsprachigen Produktionen. Chinesische Science-Fiction aber ist oft schnell wie hitziges Ping Pong, oftmals konfus erzählt und austauschbar besetzt. Emmerich ist Europäer, er kennt das europäische Erzählkino, er weiß, wie viel dramaturgische Unterfütterung so ein Film benötigt. China weiß das nicht oder will es gar nicht wissen. Westliche Blockbuster werden mit Vorsicht genossen. Wer sich daran orientiert, erntet tadelnde Blicke. Kunstkino aus dem Reich der Mitte, finanziell nicht ganz so abhängig, tickt da ganz anders. Doch wo mehr Budget im Spiel ist, dort sollen die Schauwerte alles geben. Ein Kompromiss, mit dem ich kaum warm werden kann – und das liegt nicht an der abnormalen Kälte, die da am Globus herrscht.

Die wandernde Erde