Chicken Run: Operation Nugget (2023)

WENN HÜHNER EIN HÜHNCHEN RUPFEN

7/10


chickenrun_nugget© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2023

REGIE: SAM FELL

DREHBUCH: KAREY KIRKPATRICK, JOHN O’FARRELL & RACHEL TUNNARD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): THANDIEW NEWTON, BELLA RAMSEY, MIRANDA RICHARDSON, ZACHARY LEVI, IMELDA STAUNTON, JANE HORROCKS, LYNN FERGUSON, DAVID BRADLEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Da sind sie wieder, die wilden Hühner mit den ausladenden Schenkeln und den schlanken Hälsen, die neunmalklug vor mehr als zwei Jahrzehnten den Ausbruch probten und nun auf einer einsamen kleinen Insel, versteckt vor den gierigen Augen unverbesserlicher Karnivoren und geldgeiler Großgrundbesitzer, ein Garten-Eden-Dasein fristen, ohne wirkliche Freiheit zu genießen. Diese nämlich, ergattert nach dem erfolgreichen Showdown gegen die diabolische und hühnerhassende Mrs. Tweedy, mussten sie wohl oder übel gegen ein Leben im Verborgenen tauschen. Was einmal besiegt ist, erstarkt aber von neuem. Das wissen wir aus so vielen Filmen, das wissen wir gerade jetzt im globalen Niedergang der Demokratie. Im Entertainment-Sektor ist dieses scheinbar unkaputtbare Böse aber nur Mittel zum Zweck, um an einen Erfolg anzuknüpfen, den die kreativen Köpfe des Aardman-Studios sehr zu meiner Freude auch einfahren konnten. Es gibt schließlich nichts Schöneres, als Leuten dabei zuzusehen, wie sie erfinden und ersinnen, wie sie akribisch all die Miniatur-Sets errichten, um in mühsamer, aber deutlich sichtbar liebevoller Stop-Motion-Manier und im Sekundentakt kultige Charaktere wie Ginger und Rocky durch eine abstrakt-naive Welt staksen lassen. Handmade Art der Superlative, besser als jedes CGI-Zeugs, und zeitlos in seinem Charme, der als eine Mixtur aus leidenschaftlicher Aufopferung für das wunderschöne Sinnlose, weil es eben geht, und virtuoser Akribie immer eine Klasse für sich bleiben wird.

So ist diese Chicken-Welt auch im Sequel des mittlerweile 23 Jahre alten Geflügel-Actioners ein Tummelplatz für Querverweise auf die übrige Filmwelt und ein liebevolles Statement gegen den Fleischverzehr, denn jedes Tierchen hat eine Seele, denkt vielleicht nicht in Bahnen wie wir es tun, kann aber Freud und Leid genauso empfinden. Schön, wenn sich die Bedürfnisse von Hühnern als Tierfabel so herrlich comichaft plakatieren lassen – sie werden zu Individuen, die sich nach Zufriedenheit und Glück sehnen, nach einer Normalität ohne Gruppenzwang und schwerwiegenden Veränderungen. Da reicht das Trauma um Mrs. Tweeds Geflügelfarm allemal für ein ganzes Hühnerleben, und jetzt kommt auch noch dazu, dass Rocky und Ginger behütende Eltern geworden sind – Eltern einer viel zu neugierigen, weil schon pubertierenden Junghenne namens Molly, die es, wie kann es anders sein, nach der Welt jenseits der Insel der Seligen giert. Dorthin, wo Mrs. Tweeds längst umgesattelt hat auf Chicken Nuggets. An einem schaurig schönen Hightech-Ort, an dem sich alsbald die gefiederten Heldinnen und Helden des Abenteuers einfinden werden, um abermals ihrer Nemesis das Handwerk zu legen – und Molly zu retten, die ihrerseits wieder einen Escape Plan für gehirngewaschene Insassen ersinnt.

Während in Chicken Run, einer Anspielung auf Gesprengte Ketten, die improvisierte Lust am Ausbruch aus Gefangenschaft, Unterdrückung und Angst zelebriert wird, dreht der Nachzügler unter der Regie von Sam Fell, der mit Paranorman wohl einen der besten Trickfilme der letzten Jahrzehnte geliefert hat, den Spieß um, und lässt seine Hühner mit Köpfchen den Feind entern. Das hätte langweilig und austauschbar werden können, denn Filme dieser Art gibt es viele und es wäre vielleicht schwer gewesen, diese Genre-Tropen auf Knet-Niveau erfrischend herunterzubrechen. Zum Glück ist diese Mission Impossible äußerst possible geworden. Auch der zweite Teil macht vor allem in seinen bezaubernd-komischen Details sehr viel Spaß, gesteht den Charakteren aus dem Vorgänger gar eine Weiterentwicklung ihrer Rollen zu (manche Live-Act-Filme können sich sowas nur wünschen) und hütet sich tunlichst davor, auf bereits Bewährtes zurückzugreifen. Chicken Run: Operation Nugget variiert das Gut-gegen-Böse-Abenteuer mit Augenzwinkern und lässt, obwohl der Ausgang des Streifens klar scheint, diesen gar an der einen oder anderen Stelle zum Thriller werden – eine Eigenschaft, die im Animationsfilmsektor selten gut gelingt. Fells Film wird so zum vergnüglichen, futuristischen Spannungsevent, das sein Geflügel sicher nicht zum letzten Mal ins Rennen schickt.

Chicken Run: Operation Nugget (2023)

Smallfoot

ZEIGT HER EURE FÜSSE

7/10

 

smallfoot© 2000-2018 Warner Bros.

 

LAND: USA 2018

REGIE: KAREY KIRKPATRICK, JASON REISIG

MIT DEN STIMMEN VON: CHANNING TATUM (KOSTJA ULLMANN), GINA RODRIGUEZ, ZENDAYA, JAMES CORDEN U. A.

 

Reinhold Messner hat als Vortragender und High Society-Abenteurer wohl genug um die Ohren, um ins Kino zu gehen, aber diesen Film sollte er sich wirklich nicht entgehen lassen. Wie wir wissen, hat der Südtiroler Extrembergsteiger vor langer Zeit ja tatsächlich Stein und Bein geschworen, einem gigantischen weißen Fellknäuel, der im Volksmund Yeti genannt wird, begegnet zu sein – bis er irgendwann diese marktschreierische Lüge leider dementieren musste. Nach der Sichtung von Smallfoot könnte man ja dazu geneigt sein, Messner´s Dementi auch in einem anderen Licht zu betrachten. Und all diejenigen, die ein Faible für komödiantische Animationsfilme haben, können den vollbärtigen Brixener ruhig begleiten. Denn Smallfoot ist eine enorm liebevolle Bergtour bis jenseits der Wolken geworden. Und was Smallfoot vor allem anderen auszeichnet: die phantastische, aufwändig entworfene Schneeballschlacht von Drehbuchspezialist Karey Kirkpatrick und Jason Reisig ist zum Brüllen komisch.

Man kann den Spieß auch umdrehen und daran zweifeln, dass es den Smallfoot – in diesem Fall die Spezies Homo sapiens – in Wirklichkeit überhaupt gibt. Das lässt sich leicht machen, sofern man selbst ein Yeti ist, und als Yeti irgendwo am Berg in völliger Isolation seiner eigenen eiskalten, aber alles andere als unterkühlten Kultur frönt. Wer weiß, was Reinhold Messer alles gesehen hat – vielleicht so viel wie dieser unglückliche Bruchpilot, der vor den Toren der klirrend kalten Festung der Yetis niedergeht. Migo, der so blaulippige wie nasenlose wandelnde Bettvorleger, ist zur rechten Zeit am rechten Ort, um eines dieser mythischen Menschenwesen mit eigenen Augen zu sehen. Warum ihm danach keiner glaubt, und warum Migo verbannt wird und wieso das Oberhaupt des kleinen Reiches ein zentnerschweres Steingewand mit sich herumträgt, darüber verliere ich jetzt nicht allzu viele Worte, denn der Reiz des vorwiegend in geschmackvollen Blau-, Türkis und Lilatönen kolorierten, geistreichen Komödie liegt in den originellen inhaltlichen Details, die den Alltag der Schneemonster umreißen. Spätestens dann, wenn sich die fleischgewordenen kryptozoologischen Unikume talwärts bewegen, gibt es humoristisch gesehen kein Halten mehr.

Normalerweise sind die Drehbücher für Animationskomödien eine Aneinanderreihung schriller Slapstickszenen, die den eigentlichen Plot untergeordnet wissen. Bei Pixar ist es meist umgekehrt. Dass die Warner Animation Group Ähnliches zuwege bringen kann, erstaunt mich dann doch. Die großartigsten Momente sind nicht unbedingt die immer wiederkehrenden Gesangseinlagen, die an Frozen erinnern, die aber junges, weibliches Publikum nachhaltig an sich binden, sondern der Sichtwechsel zwischen Mensch und Yeti. Für letztere sprechen Menschen piepsendes Kauderwelsch, und für unsereins können Yetis nichts anderes als grölen und brüllen. Diese leidenschaftlich zelebrierte Differenz birgt eine Situationskomik, die ungefähr so unterhaltsam ist wie die Sicht der kalaharischen N´Xau auf die Zivilisation in Die Götter müssen verrückt sein. Das ist so charmanter wie augenzwinkernder Humor, und umrahmt sogar pädagogisch wertvolle Botschaften wie Respekt, Völkerverständigung, Toleranz und die Neugier, doch einfach mal hinter den Horizont zu blicken – wo vielleicht ein paar Antworten warten. Auf Fragen, die lange schon gestellt sind.

Ob es den Yeti gibt, ist rückblickend ganz einerlei. Es ist schon erfüllend genug, dass das augenscheinlich gutmütige Wesen in unserer Vorstellung Gestalt annimmt – und in so atemberaubend animierten Filmen wie Smallfoot seinen barfüßigen Auftritt erhält.

Smallfoot