Chicken Run: Operation Nugget (2023)

WENN HÜHNER EIN HÜHNCHEN RUPFEN

7/10


chickenrun_nugget© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2023

REGIE: SAM FELL

DREHBUCH: KAREY KIRKPATRICK, JOHN O’FARRELL & RACHEL TUNNARD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): THANDIEW NEWTON, BELLA RAMSEY, MIRANDA RICHARDSON, ZACHARY LEVI, IMELDA STAUNTON, JANE HORROCKS, LYNN FERGUSON, DAVID BRADLEY U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Da sind sie wieder, die wilden Hühner mit den ausladenden Schenkeln und den schlanken Hälsen, die neunmalklug vor mehr als zwei Jahrzehnten den Ausbruch probten und nun auf einer einsamen kleinen Insel, versteckt vor den gierigen Augen unverbesserlicher Karnivoren und geldgeiler Großgrundbesitzer, ein Garten-Eden-Dasein fristen, ohne wirkliche Freiheit zu genießen. Diese nämlich, ergattert nach dem erfolgreichen Showdown gegen die diabolische und hühnerhassende Mrs. Tweedy, mussten sie wohl oder übel gegen ein Leben im Verborgenen tauschen. Was einmal besiegt ist, erstarkt aber von neuem. Das wissen wir aus so vielen Filmen, das wissen wir gerade jetzt im globalen Niedergang der Demokratie. Im Entertainment-Sektor ist dieses scheinbar unkaputtbare Böse aber nur Mittel zum Zweck, um an einen Erfolg anzuknüpfen, den die kreativen Köpfe des Aardman-Studios sehr zu meiner Freude auch einfahren konnten. Es gibt schließlich nichts Schöneres, als Leuten dabei zuzusehen, wie sie erfinden und ersinnen, wie sie akribisch all die Miniatur-Sets errichten, um in mühsamer, aber deutlich sichtbar liebevoller Stop-Motion-Manier und im Sekundentakt kultige Charaktere wie Ginger und Rocky durch eine abstrakt-naive Welt staksen lassen. Handmade Art der Superlative, besser als jedes CGI-Zeugs, und zeitlos in seinem Charme, der als eine Mixtur aus leidenschaftlicher Aufopferung für das wunderschöne Sinnlose, weil es eben geht, und virtuoser Akribie immer eine Klasse für sich bleiben wird.

So ist diese Chicken-Welt auch im Sequel des mittlerweile 23 Jahre alten Geflügel-Actioners ein Tummelplatz für Querverweise auf die übrige Filmwelt und ein liebevolles Statement gegen den Fleischverzehr, denn jedes Tierchen hat eine Seele, denkt vielleicht nicht in Bahnen wie wir es tun, kann aber Freud und Leid genauso empfinden. Schön, wenn sich die Bedürfnisse von Hühnern als Tierfabel so herrlich comichaft plakatieren lassen – sie werden zu Individuen, die sich nach Zufriedenheit und Glück sehnen, nach einer Normalität ohne Gruppenzwang und schwerwiegenden Veränderungen. Da reicht das Trauma um Mrs. Tweeds Geflügelfarm allemal für ein ganzes Hühnerleben, und jetzt kommt auch noch dazu, dass Rocky und Ginger behütende Eltern geworden sind – Eltern einer viel zu neugierigen, weil schon pubertierenden Junghenne namens Molly, die es, wie kann es anders sein, nach der Welt jenseits der Insel der Seligen giert. Dorthin, wo Mrs. Tweeds längst umgesattelt hat auf Chicken Nuggets. An einem schaurig schönen Hightech-Ort, an dem sich alsbald die gefiederten Heldinnen und Helden des Abenteuers einfinden werden, um abermals ihrer Nemesis das Handwerk zu legen – und Molly zu retten, die ihrerseits wieder einen Escape Plan für gehirngewaschene Insassen ersinnt.

Während in Chicken Run, einer Anspielung auf Gesprengte Ketten, die improvisierte Lust am Ausbruch aus Gefangenschaft, Unterdrückung und Angst zelebriert wird, dreht der Nachzügler unter der Regie von Sam Fell, der mit Paranorman wohl einen der besten Trickfilme der letzten Jahrzehnte geliefert hat, den Spieß um, und lässt seine Hühner mit Köpfchen den Feind entern. Das hätte langweilig und austauschbar werden können, denn Filme dieser Art gibt es viele und es wäre vielleicht schwer gewesen, diese Genre-Tropen auf Knet-Niveau erfrischend herunterzubrechen. Zum Glück ist diese Mission Impossible äußerst possible geworden. Auch der zweite Teil macht vor allem in seinen bezaubernd-komischen Details sehr viel Spaß, gesteht den Charakteren aus dem Vorgänger gar eine Weiterentwicklung ihrer Rollen zu (manche Live-Act-Filme können sich sowas nur wünschen) und hütet sich tunlichst davor, auf bereits Bewährtes zurückzugreifen. Chicken Run: Operation Nugget variiert das Gut-gegen-Böse-Abenteuer mit Augenzwinkern und lässt, obwohl der Ausgang des Streifens klar scheint, diesen gar an der einen oder anderen Stelle zum Thriller werden – eine Eigenschaft, die im Animationsfilmsektor selten gut gelingt. Fells Film wird so zum vergnüglichen, futuristischen Spannungsevent, das sein Geflügel sicher nicht zum letzten Mal ins Rennen schickt.

Chicken Run: Operation Nugget (2023)

Trolljäger: Das Erwachen der Titanen (2021)

KEIN MITTEL GEGEN TROLLWUT

6/10


Trollhunters: Rise Of The Titans© 2021 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: ANDREW L. SCHMIDT, JOHANE MATTE & FRANCISCO RUIZ VELASCO

DREHBUCH: MARC GUGGENHEIM, KEVIN HAGEMAN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): EMILE HIRSCH, LEXI MEDRANO, KELSEY GRAMMER, CHARLIE SAXTON, TATIANA MASLANY, DIEGO LUNA, NICK FROST, ALFRED MOLINA, STEVEN YEUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Ich behaupte jetzt einfach: Zu den besten Animationsserien für die ganze Familie zählt Trolljäger, das über mehrere Staffeln immer weiter ausgebaute Abenteuer rund um das Städtchen Arcadia und allem, was darunter und darüber existiert. Ähnlich wie in Joss Whedons Sunnydale aus Buffy – The Vampire Slayer, unter welchem das Tor zur Hölle immer mal wieder aufgerissen wurde und alle möglichen Kreaturen, vor allem Vampire, fröhliche Urständ feierten, gibt’s unter dieser beschaulichen Kleinstadt hier das Reich der Trolle. Klingt vielversprechend – und ist es auch. Da gibt es die Guten und die Bösen, Möchtegern-Alleinherrscher und jene, die sich die uns bekannte Erde unter den Nagel reißen wollen. Um das zu vereiteln, dafür gibt’s den Auserwählten, eben wie bei Buffy. Diese(r) Auserwählte, er (oder sie) nennt sich Trolljäger. Und erfunden hat das Ganze niemand geringerer als Monster-Mastermind Guillermo del Toro, der sein detailreiches Universum bereits in Jugendbüchern erzählt und hier als Produzent seiner eigenen Adaption fungiert hat.

Dass der Mexikaner da mitmischt, das erkennt man alleine schon am Design der Kreaturen, die alle irgendwie an seine Gestalten aus Hellboy oder Pans Labyrinth erinnern, nur noch verspielter, experimentierfreudiger, natürlich auch dem deutlich jüngeren Publikum angepasst, welches da vor dem Homescreen nägelkauend so manch spannender, mitunter mit der Jugendfreigabe von 12 Jahren versehener Episode dem Schicksal des jungen Jim und seinen Freunden Claire, Toby und Blinky folgt und sich gar zum Binge-Watching hinreißen lässt, denn immer wieder gibt es Cliffhanger, die man einfach nicht so im Raum stehen lassen kann.

Ergänzt wurde die von Dreamworks kreierte Trolljäger-Serie durch Spin-Offs wie 3 von Oben oder Die Zauberer, doch spätestens da bin ich selbst schon ausgestiegen, war die ganze Story dann doch zu ausufernd und vielleicht auch zu zerfahren, mitunter sowieso noch viel turbulenter als die eigentliche, durchaus aber als meisterhaft zu bezeichnenden Serie, die ihren ganz eigenen Look gefunden hat und sowieso alles bietet, was Del Toro-Fans so lieben. Selbst Ron Perlman, der sowieso beste Hellboy ever, darf einen gehörnten Fiesling synchronisieren. Nach drei Staffeln und einem weitgehend offenen Ende war dann Schluss. Was drei Jahre nach Abschluss der primären Storyline dann folgte, war 2021 Trolljäger: Das Erwachen der Titanen.

Kennt man die Geschichten aus Arcadia, aber nicht die beiden Spin-Offs, ist das weiter kein Problem. Kennt man die Spin-Offs, aber die Kernstory nicht, kann das schon mal für Verwirrung sorgen. Kennt man nichts von alledem und hat’s nicht so mit Animationsserien, braucht man dieses Grande Finale gar nicht auf dem Schirm zu haben. Eine Grundkenntnis dieser Welt ist also Voraussetzung. Und hat man die, geht die Post ab. Mit wuchtigen Giganten, die wie in Del Toros Pacific Rim mit donnernden Schritten die Erdkruste dünner machen, sind Schauwerte, wie es sich für ein Finale gehört. Es kämpfen Ungeheuer und Menschen Seite an Seite gegen magische Antagonistinnen in Gestalt personifizierter natürlicher Elemente. In all den bereits gesichteten Episoden haben sie irgendwo ihren Ursprung. Bezwungen müssen sie werden, im Rahmen eines augenzwinkernden Trickfilmgewitters, in denen altbekannte Charaktere ihre Hämmer und Schwerter schwingen; alles in schmuckem Design und einem Farbspektrum Marke Regenbogen. Das kann auf die Dauer recht ermüdend werden, wenn in Stakkato eine Wendung die andere herumreißt. Gut ist es, wenn das ganze Projekt sein Ende findet, und tatsächlich ist das Ende vom Ende fast schon schwermütig – wenn da nicht diese pfiffige Wendung wäre, die diesem epischen Treiben noch eine gewisse Mindfuck-Note verleiht.

Trolljäger: Das Erwachen der Titanen (2021)

Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)

Das Seeungeheuer

FLOSSENSCHELLEN FÜR KÄPT’N AHAB

7,5/10


dasseeungeheuer© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: CHRIS WILLIAMS

BUCH: CHRIS WILLIAMS, NELL BENJAMIN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): ZARIS ANGEL-HATOR, KARL URBAN, JARED HARRIS, MARIANNE JEAN-BAPTISTE, KATHY BURKE, DAN STEVENS U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Was dich nicht umbringt, macht dich nur noch stärker. Ja, das wissen wir. Oder glauben es zumindest. Auf alle Lebenslagen lässt sich diese Binsenweisheit aber auch nicht anwenden. Manchmal schwächt, was einen nicht umbringt, oder öffnet dem Wahnsinn Tür und Tor. Ein Blick auf die Literaturgeschichte bestätigt: Herman Melvilles Walhatz lässt einen Kapitän wie Ahab erstmal einbeinig durch die Welt staksen, bevor der massige Säuger ihn zur Weißglut treibt und sein Leben fordert. Am Meer, da gilt die Binsenweisheit eben sowieso nicht. Da quält sich der Mensch übers Wasser, weil er glaubt, zu wissen, wie die Natur tickt. Und wie man ihr Verhalten berechnen kann. Man kann es nicht. Und so behält Moby Dick die Oberhand.

Im Kino des Fantastischen sind es diesem weißen Pottwal zwar nachempfundene, aber ganz andere Kreaturen, die die Meere bevölkern und den grimmigen Menschen einer alternativen Erde Projektionsfläche für Furcht, Aggression und Blutdurst bieten. Legenden von damals, die all die gigantischen Leviathans und Cthulhus längst als etwas Böses deklariert haben, das immer mal wieder die von Menschen bewohnten Küsten dem Erdboden gleichgemacht haben, schüren das Feuer. Und die Ausrottung einzelner Arten ist nur noch eine Frage der Zeit. Also macht Kapitän Crow auf seinem „Walfänger“ Jagd auf den Red Burbler – einer monströsen Kreatur, die größte von allen und am Ende der Nahrungskette. Das aufgeweckte Mädchen namens Maisie macht diesem ganzen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung, als sie, um das Schiff vor dem Untergang zu retten, das Harpunenseil kappt, an dem die Jagdbeute hängt. Mit dieser Aktion zieht sie sich den Unmut des Kapitäns zu – der will den Dreikäsehoch über die Planke schicken, doch daraus wird nichts. Ziehsohn und erster Offizier Jacob schnappt sich die Kleine und macht sich im Beiboot auf die Flucht. Nur, um dann erst recht in den Dunstkreis des Red Burbler zu gelangen, der, wie kann es anders sein, gar nicht mal so bösartig ist wie gedacht.

Ja, so ist das, mit dem Missverständnis tierischen Verhaltens. Gut und böse gibt’s da nicht. Diese Färbung interpretiert erst Kunst und Kultur in all die Lebewesen, sind sie nun fiktiv oder Teil unserer Realität. Das Seeungeheuer von Regisseur Chris Williams, der für den oscarprämierten SciFi-Knüller Baymax – Riesiges Robowabohu verantwortlich gezeichnet hat, vermittelt familiengerechte Botschaften rund um Fake News, Vorurteile und eingerostete Traditionen, die nicht mehr hinterfragt werden. Als Antwort lobt dieser das Bestreben, zur Koexistenz von Mensch und Natur einen Konsens zu finden, der allen etwas bringt. Das erinnert nicht von ungefähr an die mittlerweile modernen Klassiker aus dem Drachenzähmen-Universum. Und ja, Das Seeungeheuer hat aus diesen tricktechnisch wirklich beeindruckend schönen und epischen Werken so einiges gelernt. Dabei wirkt der auf Netflix erschienene Animationsfilm weniger wie ein High Fantasy-Epos, so, wie es die Drachenzähme-Filme tun, sondern wie Pixar es wohl umgesetzt hätte: Keck, mit Wortwitz und einem Hang zur Umschreibung niedlich-gewiefter Charaktere, wie eben die kleine Maisie einen solche darstellt. Und zum Glück hält sich die bei Disney längst durchgewaschene Laudatio über den Wert von Familie in Grenzen.

Was Das Seeungeheuer aber so richtig auszeichnet, ist neben seiner erfrischenden Kurzweiligkeit der formvollendete visuelle Output, das liebevolle Charakter-Design und die fulminant getricksten Actionszenen. Doch ist makellose Animation und Liebe zum Detail nicht ohnehin schon Standard? Sollte man bei Trickfilmen wie diesen nicht von diesem Punkt an wegwerten und das, was darüber hinausgeht, vergleichend ins Feld führen? Das muss man nicht. Es staunt immer wieder, was in der Kunst der Animation alles möglich ist. Wenn sich bereits anfangs ein türkisgrünes Fischwesen um den Walfänger windet, ist das großes, attraktives Abenteuerkino, das eine Verwertung auf der großen Leinwand genauso verdient hätte wie all die gezähmten Drachen.

Das Seeungeheuer

Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung

WENN DRACULA INS SCHWITZEN KOMMT

7/10


hoteltranssilvanien4© 2021 CTMG, Inc. All Rights Reserved. 


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DEREK DRYMON, JENNIFER KLUSKA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): BRIAN HULL, KATHRYN HAHN, ANDY SAMBERG, SELENA GOMEZ, STEVE BUSCEMI, DAVID SPADE, FRAN DRESCHER U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCH): RICK KAVANIAN, ANKE ENGELKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Wer das Hotel Transsilvanien schon mal besucht hat, weiß, dass die gemächliche Verschrobenheit einer Addams Family oder jener der Munsters in ganz anderen Welten zu finden ist. Hier, im knallbunten Monsterverse der Sony Pictures, exponieren sich Vampire, Mumien und Co wie auf einem Schaulaufen vor VIP-trächtigen Festivals. Das Umsichkreisen sämtlicher Kreaturen aus Horror, Grusel und Fantasy findet in diesen stattlichen Gemäuern seine knallbunte Erfüllung. Manch einer übertreibt dann etwas mit seiner Selbstmotivation, auf jedem Stelldichein seinen Senf dazugeben zu müssen – allen voran Hotelbesitzer Dracula, kurz Draco, der langsam darüber nachdenkt, in Rente zu gehen. Wie denn? Ein Vampir altert doch nicht. Oder doch? Hier scheint alles möglich, und in gewohnter Manier dehnt und verrenkt sich Draculas Cartoon-Körper in eckigem Stakkato zu allen möglichen Fettnäpfchen, in die er tritt. Schwiegersohn in spe, Bürschchen Johnny, ist da noch mehr auf Speed. Wer das aushält, kann darüber hinwegsehen, doch bei so vielen Energydrinks, die der Bursche da intus haben muss, hat man das Gefühl, langsam selbst einem Zuckerschock zu erliegen.

Die beiden ungleichen Helden dieses schreiend komischen Sequels führen dann auch ungeniert das knuffige Abenteuer an, welches sie quer durch den südamerikanischen Regenwald führt. Doch wie kommt’s dazu? Ganz einfach. Wie schon erwähnt – Papa Draco will den Hotelschlüssel an Töchterchen Mavis übergeben, allerdings nicht ihrem Freund, diesem Knallkopp. Um dem Dilemma zu entgehen, erfindet der Graf die Lüge, dass nur Monster Monster beerben können. Der Rotschopf ist verzweifelt und wendet sich an den Steampunk-Opa Van Helsing, den Daniel Düsentrieb des Hauses, der natürlich ein Instrument auf Lager hat, welches Monstern zu Menschen macht. Klar geht das auch umgekehrt. Jonathan ist plötzlich ein Drache, und Dracula ein Biedermann mittleren Alters mit schütterem Haar. Alles rückgängig zu machen geht auch nicht, denn das Artefakt geht kaputt, und so müssen die beiden einen Ersatz finden. Und der liegt im Dschungel.

Und genau da bündelt der launige Animationsstreifen auch all seine Stärken: Wie der temporäre Ex-Vampir unter dem Menschsein leidet, wie er sich durch die Tropen quält und dabei der Endlichkeit des Lebens auf den Zahn fühlt. Wie er in rumänischem Akzent zetert und jammert, begraben unter einem Berg von Rucksack – das ist Situationskomik vom Feinsten. Für mich zumindest zum Brüllen. Egal, wie gut, originell oder dicht der Plot auch sein mag. Egal, wie vorhersehbar – was zählt, ist in Filmen wie diesen der Humor des Moments. Komödie ist kein leicht zu meisterndes Genre. Lacher zu entlocken noch weniger einfach. Umso erstaunlicher, dass Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung seinen zwerchfellkitzelnden Charakterschmäh aus einem angenehm unverkrampften Witzepool lukriert.

Hotel Transsilvanien 4 – Eine Monster Verwandlung

Die Croods – Alles auf Anfang

STEINZEIT AUF LSD

8/10


thecroods2© 2020 Universal Pictures International Germany


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: JOEL CRAWFORD

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): NICHOLAS CAGE, RYAN REYNOLDS, EMMA STONE, CATHERINE KEENER, CLORIS LEACHMAN, CLARK DUKE, LESLIE MANN, PETER DINKLAGE U. A.

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Kennt man ihn nicht schon aus der eigenen Kindheit, so kennt man ihn aus der Vorlesestunde mit dem Nachwuchs. Kaum eine solche gestaltet sich dabei schöner als mit den bebilderten Werken des Österreichers Erwin Moser, seines Zeichens Autor und Zeichner mit Hang zu einem ganz eigenen, phantastischen Realismus, der sich gerade für Kinder enorm zugänglich gibt, und das nicht nur aufgrund seiner entschleunigten, entspannten Erzählweise, sondern auch und vor allem aufgrund seiner obskuren Tierwelt, die auf den ersten Blick als Teil einer uns bekannten Fauna scheint, auf den zweiten Blick aber einer surrealen Physis frönt. Es ist, als hätten sich die Macher von Die Croods an genau diesem Herrn orientiert. Für wahrscheinlich halte ich das zwar nicht, aber egal – die Assoziation ist da. Und umso mehr kann ich mit dem irren Bestiarium in der Welt der Croods was anfangen. Das war schon beim Erstling der Fall, wo Landwale, bunte Säbelzahntiger und kreischende Vogelbäume eine Steinzeit bevölkern, die fast so scheint, als sähe sie jemand, der reichlich komisches Zeug intus hat.

Selten passiert es, dass ein Sequel die selben Qualitäten entwickelt, sich dabei aber auch nicht selbst kopiert. Ab und an kommt das vor. Wie eben in Die Croods – Alles auf Anfang. Und es ist vielleicht ganz gut, hierbei auch den Vorgänger zu kennen, da Teil 2 unmittelbar nach den Geschehnissen aus 2013 anschließt. Papa Grug ist also mit seiner fünfköpfigen Sippschaft und dem nonkonformen Neuzugang, Jungspund Guy, durchs Land unterwegs, um ein neues und vor allem sicheres Zuhause zu finden. Töchterchen Eep schmiedet allerdings mit Herzblatt Guy ganz andere Pläne, nämlich, die Sippe zu verlassen, um irgendwo neu anzufangen. Bevor es aber so weit kommt, stoßen unsere prähistorischen Helden auf eine paradiesische, mit Palisaden geschützte Enklave, in der eine ganz andere Familie wohnt – nämlich jene der Bessermanns. Ich möchte fast sagen: neureiche, trendige Bobos mit reichlich Essbarem im Vorgarten und einem Baumhaus, dass inklusive Lift und Fernseh-Fenster alle Stückchen spielt. Da bleibt den Croods der Mund offen stehen. Umso mehr, da Guy plötzlich als einer der ihren erkannt wird. Doch sei’s drum, die Croods machen sich in ihrer neuen Welt mehr ungefragt als gefragt breit, was den Bessermanns gar nicht gefällt. Es lässt sich erahnen, dass es da bald zum Nachbarschaftsstreit kommt, und das ganz ohne Volksanwalt.

Was sich die Drehbuchautoren Dan und Kevin Hageman (u.a. Trolljäger, Scary Stories to Tell in the Dark) für diese knallbunte Fortsetzung an Details alles haben einfallen lassen, geht auf keine gegerbte Mammuthaut. Sich sowas auszudenken, muss Riesenspaß gemacht haben. Und Riesenspaß, auch all das zu entwerfen und am Computer umzusetzen. Jedes noch so verrückte Tierchen scheint mit Lust und Laune geformt worden zu sein, von den geflochtenen Flipflops bis zum Angora-Mammut ist The Croods – Alles auf Anfang ein einziges Kuriosum. Hätte ja sein können, dass Regisseur Joel Crawford von all seinem Farbzirkus zu sehr abgelenkt worden wäre, doch die Familienkomödie, die ja fast schon den Kult um die Flintstones an Ideenreichtum in den Schatten stellt, hat sehr wohl was zu erzählen, hat sehr wohl auch seine Figuren in ihrer charakterlichen Weiterentwicklung zu betreuen und natürlich auch sehr viele Pointen unterzubringen. Alles zusammen passt wie der Funke zum Feuerstein. Darüber hinaus ist der Film ein einziger Schenkelklopfer, der mit einer komischen Situation nach der anderen zum lauten Lachen reizt. Absolutes Highlight: die versteckten Qualitäten von Oma Crood.

Betrachtet man die Konkurrenz mit Pixar, gibt es sehr wohl etwas, das DreamWorks neben seinem deutlich schrillerem Grundtonus dann doch noch besser gelingt: der oftmals treffsichere, nicht unbedingt geistreiche, aber reuelos plakative Witz, über den man sich gut und gerne amüsiert und der es auch nach dem Abenteuer wie auch immer gearteten Spaßbremsern schwer macht, die Laune zu verderben.

Die Croods – Alles auf Anfang

Raya und der letzte Drache

DRACHENSTEIGEN LEICHT GEMACHT

5,5/10


rayaletztedrache© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DON HALL, CARLOS LOPEZ ESTRADA, PAUL BRIGGS, JOHN RIPA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): KELLY MARIE TRAN, AWKWAFINA, GEMMA CHAN, DANIEL DAE KIM, SANDRA OH, BENEDICT WONG U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Prinzessinnen, wie wir und die ganze Familie sie kennen, sind out. Disney bringt den Paradigmenwechsel, nachdem sich der Gigamegakonzern dazu entschlossen hat, politisch unkorrekte Inhalte wie Peter Pan oder Dumbo endgültig zu streichen. Dumbo lässt sich jetzt vermutlich nur noch in der Tim Burton-Live-Act-Version genießen, es sei denn, man hat eine DVD des alten Klassikers daheim. Disney will hier – und muss schlussendlich – neue Statements setzen. Am besten gleich auf seinem Streamingkanal Disney+. Das eisfarbene Outfit der Eiskönigin darf Elsa nämlich ganz allein in ihrem geschnitzten Schränkchen hängen lassen. Denn jetzt, jetzt kommt Raya, ein wehrhaftes Mädel im Grunge-Look, mit wildem Haar und drauf und dran, in die Fußstapfen ihres Vater-Vorbildes zu treten, der etwas ganz Bestimmtes beschützt: den Drachenstein. Wie es dazu kommt?

Nun, vor 500 Jahren war in diesem Land namens Kamandra, das ein Fluss durchzieht, der aussieht wie ein chinesischer Folkloredrache, eine dunkle Macht namens die Druum über alles und jeden hergefallen. Amorphe Sphären, die nur so vor sich hin wabern, um dem Bösen nicht die Chance zu geben, auch nur in irgendeiner Form personalisiert zu werden, und um der Gefahr zu entgehen, bei den jüngeren Zusehern nicht irgendwelche Sympathien zu wecken. Punkt eins der taktischen Correctness. Jedenfalls hinterlassen diese Sphären sogar bei den Drachen, die bis dato für das Gleichgewicht in dieser Welt unabdingbar waren, nichts als steinerne Statuen. Ihre Restenergie ruht in besagtem Drachenstein, den nun, da Kamandra in einzelne Königreiche aufgesplittert ist, jeder für sich beanspruchen will. Beim Handgemenge kommt es zum Unvermeidlichen: der Stein zerbricht, jedes Land hat seinen Splitter, und Raya? Die muss, nach der Rückkehr der Druum, den letzten noch lebenden Drachen suchen – und finden – und mit ihm überhaupt die Welt retten.

Disney überlässt nichts mehr dem Zufall und sieht sich auch ob seiner Bedeutung am Filmmarkt in der Verantwortung, zeitgemäße Wertbilder zu vermitteln. Diese Bemühung lässt sich bei Raya und der letzte Drache nur schwer bis gar nicht verbergen. Das Fantasyabenteuer, welches in einem fiktiven Südostasien spielt, bedient sich, so wie schon zuvor in Vaiana, der bereits erprobten Vater-Tochter-Konstellation. Die Vaterfigur ist der Erziehende, die Mutter ist irgendwo oder war für Raya nie relevant. Das Mädchen selbst entspricht nicht mehr den Stereotypen weiblicher Teenies oder Idealbildern einer jungen Frau. Raya ist kämpferisch und hat ganz einfach die Hosen an. Ihre Antagonistin schlägt sich ebenfalls auf die gesellschaftspolitisch korrekte neue Seite: burschikos und mit Undercut, die weibliche Physiognomie wird fast zur Gänze verborgen. Selbst der Drache ist weiblich – und in seiner Menschengestalt ganz deutlich der Schauspielerin Awkwafina nachempfunden, die diesen auch im Original synchronisiert. Männliche Figuren treten lediglich in einer Form auf, die in keinerlei Konkurrenz stehen. Als Kind, als simpel gestrickter Haudrauf mit weichem Kern. Kraft ist noch männlich, Geschick eindeutig weiblich. Doch in der Art, wie das Weibliche interpretiert wird, wird Raya und der letzte Drache längst nicht nur mehr Resonanz bei den Mädchen finden.

Dieses bis ins Kleinste berechnete und durchgestaltete Konzept – taktische Correctness die Zweite – verleiht dem Film eine ermüdende Berechenbarkeit. Disney bleibt, anders als Pixar (ist ja auch schon Disney, bleibt aber weitgehend autonom) seinen Versatzstücken treu, was das Ausarbeiten griffiger Plots anbelangt. Im Abspann wird klar, wie viele Köche hier versucht haben, den Brei trotz allem nicht zu verderben. Diese Geschichte ist gefühlt hunderte Male um- und aufgebessert worden, bis alles seine akkurate Unproblematik hat. Das ist leider sehr spürbar, auch die finale logische Konsequenz des Filmes entbehrt einer gewissen Nachvollziehbarkeit. Das joviale Gerede des Drachen mit seinem Kumpel-Slang ist ebenfalls wieder ein sogenanntes Musst-Have zum Amusement innerhalb einer Story über Einheit, Brüderlichkeit und Vertrauen.

Animationstechnisch allerdings ist Raya und der letzte Drache erste Sahne. Eine erstaunliche, wunderschöne Bildsprache in satten Farben und frappantem Fotorealismus. Da kann man sich wirklich nur sehr schwer sattsehen, obwohl die Gesichter manchmal ein bisschen wächsern wirken. Dennoch State of the Art, würde ich sagen. Zur Art, wie Disney seine Messages verklickert, wären ein bisschen mehr künstlerische Freiheiten und weniger Verbissenheit in Sachen Message Control durchaus empfehlenswert. Aber auch das sollte nicht wieder zur heiligen Pflicht werden.

Raya und der letzte Drache