River (2023)

ZEIT IM (ÜBER)FLUSS

8/10


river© 2023 Tollywood Studio Project


LAND / JAHR: JAPAN 2023

REGIE: YUNTA YAMAGUCHI

DREHBUCH: MAKOTO UEDA

CAST: RIKO FUJITANI, YUKI TORIGOE, MANAMI HONJÔ, GÔTA ISHIDA, YOSHIMASA KONDÔ, SAORI, SHIORI KUBO, MASAHIRO KUROKI, KOHEI MOROOKA, MUNENORI NAGANO, HARUKI NAKAGAWA U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Zwei Minuten vor, zwei Minuten zurück. Es sind immer zwei Minuten, mit denen Junta Yamaguchi machen kann, was er will. Unter Garantie sind diese Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft, da kommt noch mehr, viel mehr. Das wiederum werden wir erst in ein paar Jahren erfahren, diesmal aber hält sein herzallerliebster Mindfuck einige Zeit vor, denn was man aus River alles mitnehmen kann, ist erstens mal Feel-Good jede Menge, ein immer wiederkehrendes nachhaltiges Kichern auf den Lippen und obendrein die idyllische Romantik einer zarten Sympathie zwischen Mikoto und Taku, einem Koch, der unbedingt nach Frankreich auswandern will, weil die French Cuisine ihn ruft.

Die bezaubernde Riko Fujitani, bereits bekannt aus Yamaguchis Vorgängerfilm, gibt die in schickem Kimono gekleidete Hotelangestellte eingangs erwähnten Namens in einem Etablissement irgendwo in den Bergen Japans, an einem Fluss namens Kibune gelegen. Ein Ort der Ruhe und der Kraft – beschaulich, bescheiden, den Weltschmerz allüberall auf der Welt vergessen lassend. Mikoto ist aber dennoch nicht ganz zufrieden mit ihrem Leben – und erhofft sich vom Gott des Flusses (oder wer oder was hier auch immer den Laden schmeißt) zumindest einen Beistand, was die Zeit betrifft – möge der Moment so bleiben, wie er ist. Gebetet und erfüllt scheint der Wunsch. Mikoto findet sich nach zwei Minuten des Tuns plötzlich an derselben Stelle wieder, an der sie vorhin gestanden hat, direkt am gluckernden Bächlein. Was den Eindruck eines Déjà-vu vermittelt, ist letzten Endes mehr. Es betrifft alle – Mikoto, die Köche, die Gäste, das ganze Hotelpersonal. Alle zwei Minuten stellt sich die Welt auf Repeat, alle Charaktere „respawnen“ dort, wo sie vor zweimal 60 Sekunden gewesen sind. Was tun mit dieser Zeit? Und wie aus dieser hängengebliebenen Schallplatte des Lebens ausbrechen? Andererseits: Was lässt sich in diesen zwei Minuten alles bewerkstelligen, wie sehr könnte man in dieser Zeit seinen Status Quo überdenken? Und würde die Liebe Mikotos dann nicht ewig währen?

Seinem 2020 mit spielerischem Entdeckerdrang entworfenen Zeit- und Raumexperiment Beyond the Infinite Two Minutes ist der Platz in den Annalen des Science-fiction-Films sicher. Die Verknüpfung von humoristischer Neugier, Situationskomik und populärwissenschaftlicher Logik ist längst schon ein Subgenre, das man Yamaguchi nicht mehr nehmen kann. Mit dem Enthusiasmus von Zurück in die Zukunft und japanischer Boulevardkomödien wird der Blick in die zeit voraus allen Anwesenden fast zum Verhängnis. In River besteht in erster Linie nicht die Frage nach dem Warum, sondern erstmal viel mehr nach dem Was jetzt. Yamaguchi braucht in dieser warmherzigen und auf überwältigende Weise bezaubernden, weil so bescheidenen Komödie nichts weiter tun, als auf seinen zwei Minuten zu beharren. Was sein Ensemble daraus macht, ist voll von zum Niederknien komischen Momenten und leidenschaftlicher Situationskomik. Die beiden Geschäftspartner, die immer wieder ihre volle Reisschüssel vor sich haben. Der Produzent, der nicht aus seiner Dusche kommt. Dessen Schreiberling, ein Serienautor, der die zwei Minuten nützt, um alles Mögliche anzustellen, nur nicht seine Schreibblockade zu lösen.

Beschwingt und voller Ideen setzt Yamaguchi hier vermehrt auf das Zwischenmenschliche, auf die soziale Interaktion und das Herzliche. War in seinen Beyond the Infinite Two Minutes viel mehr die mathematisch-philosophische Schabernack im Mittelpunkt, ist der sogenannte Time Loop fast schon Nebensache, ganz so wie in Und täglich grüßt das Murmeltier, ein viel zitierter Genreklassiker als Mutter aller Zeitschleifenfilme. River aber variiert diese Prämisse so sehr, um sich längst nicht mehr den Vorwurf der Nachahmung anhören zu müssen. River lässt allesamt alles nochmal erleben, während Bill Murray der Einzige war, der immer wieder dieselben Stunden mit neuem Sinn füllen musste. Durch diese Änderung der Parameter ist River ein komplett eigenständiges, originäres kleines Kunstwerk der Mindfuck-Komödie, die man auch nur sehr schwer nachverfilmen kann. Zu sehr ist das Werk mit japanischem Lokalkolorit verbunden, zu sehr bilden seine Charaktere mit dem einmal verschneiten, einmal frühlingshaften Ort Kibune eine Einheit. Es ist ein Genuss, Minute für Minute diesen bestens aufgelegten Zeitschleifenbewältigern dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben trotz temporärer Einschränkung in den Griff bekommen wollen. Man könnte meinen – so kurz unsere Existenz auch sein mag: Der Spaß an der Sache lohnt sich selbst für zwei Minuten.

River (2023)

Catweazle

DAS WUNDER DER ELEKTRIK

5/10


catweazle© 2021 Tobis Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: SVEN UNTERWALDT

CAST: OTTO WAALKES, JULIUS WECKAUF, KATJA RIEMANN, HENNING BAUM, GLORIA TERZIC, MILAN PESCHEL, URS RECHN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Was der Mensch nicht erklären kann, ist entweder ein Wunder, Betrug oder Magie. In seiner gnadenlosen Selbstüberschätzung fällt Homo sapiens wohl niemals ein, vielleicht das eine oder andere noch existierende Naturgesetz nicht zu kennen. Alchemisten, die Wissenschaftler der dunklen Jahrhunderte, waren da mit den Kausalitäten in der Natur vielleicht ansatzweise im Klaren. Für Uneingeweihte waren diese „Magier“ womöglich eine Bedrohung. Wie man die Nacht in einen Tag verwandelt, blieb aber selbst ihnen ein Rätsel. Und eben auch dem recht zerlumpten Kesselvirtuosen Catweazle. Auf der Flucht vor denen, die ihm anno 1020 an den Kragen wollen, schafft er es wohl mehr durch Zufall, beim Sturz von den Zinnen in ein Zeitloch zu fallen. Tausend Jahre später kommt der Zausel wieder zu sich. Der Stab allerdings ist fort. Komplett verwirrt und neben der Spur, versucht die seltsam unbeholfene Gestalt, mithilfe eines Jungen das Artefakt wieder an sich zu bringen. Katja Riemann als Schnäppchenjägerin für alles Antike stellt sich dabei jedoch quer.

Die wohl größten Magier der Menschheitsgeschichte müssen wohl jene gewesen sein, die den elektrischen Strom nutzbar machten. Edison, Tesla, Westinghouse – scheinbar alles große Magier. Für Catweazle reicht es schon, den simplen Ein/Aus-Schalter zu betätigen, um den Unterstufler Julius Weckauf (Der Junge muss an die frische Luft) als mit den Mächten im Bunde zu deklarieren. Als der ihm eine Taschenlampe überreicht, kann er sein Glück kaum fassen. Zuzusehen, wie sich Hampelmann Otto sprichwörtlich einen Haxen ausfreut, wenn sich die kleine, in einem Glasbehältnis eingefangene Sonne je nach Belieben entfachen lässt – das ist das sehenswerte Herzstück eines familienfreundlichen und sehr harmlosen Fantasyabenteuers, welches wiederum auf einer hierzulande recht unbekannten britischen Fernsehserie von Richard Carpenter aus den frühen Siebzigern beruht. Auch dort war die Underdog-Version von Gandalf und Merlin mit Kröte Kühlwalda unterwegs, und auch dort boten die Tücken einer technologisierten Gesellschaft, fast wie bei Jaques Tati in Mein Onkel, reichlich Spielfläche für situationskomische Fettnäpfchen und verblüffende Sichtwechsel auf einen für uns längst selbstverständlichen Alltag.

Mit Otto Waalkes hat Sven Unterwaldt den Magier natürlich treffend besetzt. Es wäre, so denke ich, enttäuschend, Otto mal nicht ohne seine Manierismen zu sehen. Genau deswegen entscheidet man sich ja schließlich für einen Film wie diesen, würde der Kultkomiker nicht seine scheelen Blicke loslassen, Worte umintonieren und durch die Gegend hoppeln. Das Drumherum in Catweazle jedoch ist altbackenes Volkstheater, nicht wirklich erfrischend inszeniert und durchgetaktet bis zum Schluss. Keine Frage, ich liebe den deutschen Film, der in vielen Genres seine Stärken hat. In jenem des komödiantischen Fantasyfilms für die ganze Familie hapert es (ganz so wie bei Dennis Gansels Jim Knopf-Verfilmungen) sowohl an einer gewissen Unbefangenheit als auch an erfrischender Spontanität. Catweazle hat, obwohl wie dafür gemacht, beides nicht. Abhängig von sehr vielen Gedlgebern und deren Auflagen, müssen sich Filme wie diese nach der Decke strecken, haben nicht alle Zeit der Welt, denn die frisst wieder das Budget. Insofern mutet Catweazle nach auswendig gelerntem, pragmatischem Bühnenspiel an, aus welchem man zumindest Ottos selbst verfassten Elektrik-Trick-Song als kleinen Ohrwurm mit nach Hause nimmt.

Catweazle