Jung_E: Gedächtnis des Krieges (2023)

IMMER WIEDER AN DIE FRONT

6/10


JungE© 2023 Netflix


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2023

BUCH / REGIE: SANG-HO YEON

CAST: HYUN-JOO KIM, SOO-YEON KANG, KYUNG-SOO RYU, SO-YI PARK U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Natürlich ist es naiv, zu glauben, wenn in der Entwicklung künstlicher Intelligenzen die Kurve so steil nach oben geht wie in den letzten Monaten, wir einen Krieg mit entfesselten Robotern vom Zaun brechen. Natürlich nicht. Kein Skynet, kein I, Robot, kein Blade Runner. Diese Szenarien sind noch kaum absehbar. Beklemmend ist allerdings die Tatsache, dass KI dazu führt, uns Menschen alles abzunehmen, was wir delegieren möchten. Und es ist schon irgendwie ironisch, wenn die wohl realistischste Darstellung der menschlichen Zukunft zwar nicht im Weltraum, aber auf der Erde ungefähr so aussehen würde wie in Pixars ironischer Dystopie Wall-E. Vielleicht werden wir nicht ganz so ballonartig durch unsere Hallen rollen (denn Sport kann durch nichts ersetzt werden). Vielleicht manifestiert sich die Trägheit des Körpers wohl eher als Trägheit des Geistes, wenn Kreativität nur noch ausgelagert wird.

Doch im Kino werden Szenarien, die das Ende der Menschheit einläuten könnten, gerne übertrieben. Auch in diesem koreanischen Science-Fiction-Film ist Homo sapiens dessen Vorschussvertrauen für High Tech, Robotik und KI auf die Füße gefallen. In Jung_E: Gedächtnis des Krieges befindet sich eine längst dem Klimawandel zum Opfer gefallene und überflutete Erde im Krieg mit einer autark gewordenen, manischen Technologie, die separatistische Züge trägt und tut, was es, frei von Empathie und anderer Gefühle, für richtig hält. Im Orbit tobt also ein Krieg jener, die sich rechtzeitig auf Raumstationen haben retten können – und jenen, denen das Wasser auf der Erde bis zum Hals steht. Die Technik dort oben hat sich aber längst der Herrschaft des menschlichen Geistes entledigt und macht ihr eigenes Ding. Dagegen kämpfen seit Jahren perfekt ausgebildete Soldatinnen wie Jung-yi, die aber auch nur ein Mensch ist und über kurz oder lang von den Maschinen niedergestreckt wird. Mit dem Ende ihres Heldentums neigt sich auch Anthropozän einer Götterdämmerung entgegen. Jung-yi liegt im Koma, wird aber dank kniffligen High-Techs – und weil ihr Geist wohl der Prototyp eines erfolgreichen Soldaten darstellt – zu Übungszwecken in den Körper eines Androiden eingespeist, um die perfekte Armee zu erschaffen. Gerade deren Tochter Yun Seo-hyun, die längst ihre Mutter zu einer Halbgöttin verklärt hat, betreut das Projekt. Bis es, wie kann es anders sein, zwangsläufig aus dem Ruder läuft. Und der Geist Jung-yis die Befreiung plant.

Nein, Jung_E: Gedächtnis des Krieges ist kein trashiger Kawumm-Streifen voll ermüdender, dystopischer Action zwischen finsteren urbanen Ruinen. Es stimmt, das Ganze macht den Eindruck, als wäre es das – doch nur die große Eröffnungsszene liefert martialische Schauwerte, wie wir sie auch aus Edge of Tomorrow kennen. Science-Fiction-Afficionados mit eher bescheidener Vorliebe fürs Krawallkino bleibt an dieser Stelle zu empfehlen, dranzubeiben. Denn Jung_E steigt vom großen Bombast auf ein konzentriertes Machwerk um, das nur eine kleine Episode aus einer gigantischen Chronik erzählt, von welcher wir nie etwas erfahren werden. Verantwortlich für diesen, auf Netflix veröffentlichten Film ist der Macher des modernen Klassikers Train to Busan: Sang-Ho Yeon. Mit seinem „Zombie on the Train“-Thriller hat er dem Subgenre des Horrorfilms erfrischende Kicks verliehen. Der Nachfolger Peninsula sackte dann deutlich ab. Mit Jung_E: Gedächtnis des Krieges hat er sich aus seiner Schräglage geholt. Sang Ho-Yeon, der auch für den Busan-Klassiker das Drehbuch schrieb, schuf für dieses geradlinige und moralisch orientierte Thrillerdrama das trittsichere Grundkonstrukt einer sowohl dysfunktionalen als auch idealisierten Mutter-Tochter-Beziehung. Soo-Yeon Kang, die nach den Dreharbeiten mit nur 55 Jahren an einer Hirnblutung verstarb, gibt dem Film nicht nur dank ihres ungewöhnlichen Aussehens eine gewisse, vorab nicht zu erwartende Tiefe. Zum Glück reißt der Film nicht zu viele Themen an, bleibt Nebenstories fern und gewinnt durch seine dramaturgische Schlichtheit. Weniger ist mehr, auch wenn das top ausgestattete Drumherum aus Wissenschafts-Futurismus und absurd überhöhter Technik-Perfektion protzen möchte. Am Ende gewinnt das feine Drama und die variierte Idee von einem Ghost in the Shell.

Jung_E: Gedächtnis des Krieges (2023)

Kimi

DER GUTE GEIST DES HAUSES

5,5/10


kimi© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE / KAMERA / SCHNITT: STEVEN SODERBERGH

CAST: ZOË KRAVITZ, BYRON BOWERS, JAIME CAMIL, ERIKA CHRISTENSEN, DEREK DELGAUDIO, ROBIN GIVENS, RITA WILSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Allein zuhause und Zeugin oder Zeuge eines Verbrechens: eine seit Alfred Hitchcock gern arrangierte Ausgangssituation für Thriller aller Art, die dem Suspense des Altmeisters nacheifern wollen. Da kann man mit den Augen rollen, weil schon wieder Hitchcock, aber da bleibt nichts anderes übrig als den Tatsachen ins Auge zu sehen: bis dato ist selbiger in diesem Genre immer noch unerreicht. Das Fenster zum Hof ist und bleibt Vorbild für ganze Generationen, darunter auch Filmemachern, die gar nicht so genau wissen, wie man mit solchen Versatzstücken umgeht. Wie zum Beispiel Joe Wright, von dem wir besseres gewohnt sind als die konfuse Housesitter-Psychose The Woman in the Window – gebeugtes Beispiel einer vom Ehrgeiz geblendeten Fehleinschätzung für das richtige Gespür. Steven Soderbergh variiert das Grundthema da schon etwas mehr, allerdings scheint es bei diesem ehemals bemerkenswerten Eigenbrötler mittlerweile so, als würde jede noch so in den Sinn gekommene Idee gleich für einen ganzen Film reichen. Immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Soderbergh für starbesetzte Schnellschüsse stets sein Budget sichert. Allerdings scheint er in allen Genres daheim, von der Komödie über Politisches bis zum Horror, da gibt’s nichts, was nicht auch sein darf. Sogar Science-Fiction, siehe Solaris. Und jetzt eben auch Kimi. Ein kleines, gehetztes Thrillerfilmchen, welches das Glück hat, eine toughe Zoë Kravitz ins gefährliche Spiel zu setzen, die trotz massiver Neurosen zur Heldin des Tages wird.

Soderbergh scheint zu wissen, dass sein unausgegorener Rohentwurf einer in naher Zukunft angesiedelten High-Tech-Hasenjagd mit seinem Star steht und fällt. Viel Verantwortung für die zierliche Mittdreißigerin, die im komplementären Casual-Outfit, passend zu ihren blauen Haaren, aus einer gewissen Defensive heraus irgendwelchen Finsterlingen das Handwerk legt. Dabei ist in dieser Zukunft, in der Corona immer noch das Zepter schwingt und die KI Alexa nur noch in den technischen Almanachen zu finden ist, der neue Sprachassistent eben Kimi. Einer, der von Menschen vor dem Monitor tagtäglich um Begrifflichkeiten ergänzt wird. Ein Techno-Ding, das lernt. Für diesen agilen Benefit jobbt die agoraphobische Angela von zuhause aus, beobachtet Parteien vis a vis und hält Kontakt zu einer sexuellen Bekanntschaft, ebenfalls von gegenüber. Diese Routine würde so weitergehen, wäre da nicht ein spitzer Schrei auf einem der User-Tracks. Hier scheint ein Verbrechen im Gange gewesen zu sein, und Angela forscht nach, ungeachtet der Tatsache, sich dabei selbst in die Nessel zu setzen. Denn wie es scheint, führt der Fall bis in die oberen Kreise der Firma, die Kimi entwickelt hat.

Zoë Kravitz hat eben erst eine beeindruckend gute Performance als Catwoman hingelegt – das kurze Haar steht ihr ebenso gut wie der Bubikopf. Dabei ist sie hier die verschreckte, soziopathische Computermaus, die über sich hinauswachsen muss wie Feivel, der Mäusewanderer. Ganz anders in The Batman. Zwei Rollen also, die zeigen, wie wandelbar Kravitz sein kann. Soderbergh allerdings, der seine Ankündigungen, dieser oder jener sei sein letzter Film, in den Wind geblasen hat, belässt um Kravitz‘ Rolle herum vieles in skizzenhaftem Zustand. Der von David Koepp ersonnene Kriminalfall weitet sich zwar aus, verlässt aber den Weg der Suspense und wird zum beliebigen Schnellschuss, der das Besondere schnell verspielt. Jedenfalls legt Kravitz mehr Pepp in ihrer Rolle als Amy Adams, und die Erkenntnis, smarte Assistenten auch zum Selbstschutz einzusetzen, mögen Alexa und Co wohl neugierig machen.

Kimi

Catweazle

DAS WUNDER DER ELEKTRIK

5/10


catweazle© 2021 Tobis Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: SVEN UNTERWALDT

CAST: OTTO WAALKES, JULIUS WECKAUF, KATJA RIEMANN, HENNING BAUM, GLORIA TERZIC, MILAN PESCHEL, URS RECHN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Was der Mensch nicht erklären kann, ist entweder ein Wunder, Betrug oder Magie. In seiner gnadenlosen Selbstüberschätzung fällt Homo sapiens wohl niemals ein, vielleicht das eine oder andere noch existierende Naturgesetz nicht zu kennen. Alchemisten, die Wissenschaftler der dunklen Jahrhunderte, waren da mit den Kausalitäten in der Natur vielleicht ansatzweise im Klaren. Für Uneingeweihte waren diese „Magier“ womöglich eine Bedrohung. Wie man die Nacht in einen Tag verwandelt, blieb aber selbst ihnen ein Rätsel. Und eben auch dem recht zerlumpten Kesselvirtuosen Catweazle. Auf der Flucht vor denen, die ihm anno 1020 an den Kragen wollen, schafft er es wohl mehr durch Zufall, beim Sturz von den Zinnen in ein Zeitloch zu fallen. Tausend Jahre später kommt der Zausel wieder zu sich. Der Stab allerdings ist fort. Komplett verwirrt und neben der Spur, versucht die seltsam unbeholfene Gestalt, mithilfe eines Jungen das Artefakt wieder an sich zu bringen. Katja Riemann als Schnäppchenjägerin für alles Antike stellt sich dabei jedoch quer.

Die wohl größten Magier der Menschheitsgeschichte müssen wohl jene gewesen sein, die den elektrischen Strom nutzbar machten. Edison, Tesla, Westinghouse – scheinbar alles große Magier. Für Catweazle reicht es schon, den simplen Ein/Aus-Schalter zu betätigen, um den Unterstufler Julius Weckauf (Der Junge muss an die frische Luft) als mit den Mächten im Bunde zu deklarieren. Als der ihm eine Taschenlampe überreicht, kann er sein Glück kaum fassen. Zuzusehen, wie sich Hampelmann Otto sprichwörtlich einen Haxen ausfreut, wenn sich die kleine, in einem Glasbehältnis eingefangene Sonne je nach Belieben entfachen lässt – das ist das sehenswerte Herzstück eines familienfreundlichen und sehr harmlosen Fantasyabenteuers, welches wiederum auf einer hierzulande recht unbekannten britischen Fernsehserie von Richard Carpenter aus den frühen Siebzigern beruht. Auch dort war die Underdog-Version von Gandalf und Merlin mit Kröte Kühlwalda unterwegs, und auch dort boten die Tücken einer technologisierten Gesellschaft, fast wie bei Jaques Tati in Mein Onkel, reichlich Spielfläche für situationskomische Fettnäpfchen und verblüffende Sichtwechsel auf einen für uns längst selbstverständlichen Alltag.

Mit Otto Waalkes hat Sven Unterwaldt den Magier natürlich treffend besetzt. Es wäre, so denke ich, enttäuschend, Otto mal nicht ohne seine Manierismen zu sehen. Genau deswegen entscheidet man sich ja schließlich für einen Film wie diesen, würde der Kultkomiker nicht seine scheelen Blicke loslassen, Worte umintonieren und durch die Gegend hoppeln. Das Drumherum in Catweazle jedoch ist altbackenes Volkstheater, nicht wirklich erfrischend inszeniert und durchgetaktet bis zum Schluss. Keine Frage, ich liebe den deutschen Film, der in vielen Genres seine Stärken hat. In jenem des komödiantischen Fantasyfilms für die ganze Familie hapert es (ganz so wie bei Dennis Gansels Jim Knopf-Verfilmungen) sowohl an einer gewissen Unbefangenheit als auch an erfrischender Spontanität. Catweazle hat, obwohl wie dafür gemacht, beides nicht. Abhängig von sehr vielen Gedlgebern und deren Auflagen, müssen sich Filme wie diese nach der Decke strecken, haben nicht alle Zeit der Welt, denn die frisst wieder das Budget. Insofern mutet Catweazle nach auswendig gelerntem, pragmatischem Bühnenspiel an, aus welchem man zumindest Ottos selbst verfassten Elektrik-Trick-Song als kleinen Ohrwurm mit nach Hause nimmt.

Catweazle

Space Sweepers

GROSSREINEMACHEN IM ORBIT

4/10


SpaceSweepers© 2021 Netflix


LAND / JAHR: SÜDKOREA 2021

REGIE: SUNG-HE JOO

CAST: JOONG-KI SONG, TAE-RI KIM, SEON-KYU JIN, HAE-JIN YOO, RICHARD ARMITAGE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 16 MIN


In Ermangelung richtig fetziger Kino-Events hat nun unser allseits stark frequentierter Streamingriese Netflix in Fernost angeklopft. Südkorea, um genau zu sein, hat da sogleich mit einem Film reagiert, der es, wie es scheint, locker mit amerikanischen Vorbildern aufnehmen könnte. Space Sweepers heißt die Weltraumoper, ist laut Trailer knallbunt und actionreich – doch ist man erst mit dem sicherlich sündteuren Abenteuer durch, stellen sich so manche Schlussfolgerungen ein, bevor der Film in der Mindmap eines Filmnerds ad acta gelegt werden kann. Resümee ist: die Koreaner können in Sachen Film wirklich vieles, in manchen Genres oder Genremixes gibt’s kaum jemand, der ihnen das Wasser reichen kann. Sobald aber Korea beginnt (und nicht nur Korea), sich das Blockbuster-Knowhow Hollywoods anzueignen, wird’s problematisch. Dieses Problem hat auch Space Sweepers. Kurz gesagt: das Abenteuer ist zu lang, zu konfus und der Plot selbst eine zu bequeme Adaption einer Reihe von Werken wie Das fünfte Element. Was so viel heißt wie: Space Sweepers ist so vorhersehbar wie die Zyklen unseres Trabanten. Und wagt auch keinen Mix mit anderen Genres – was Korea nämlich gut kann. Und sich auch sonst nicht davor scheut, Erwartungshaltungen zu unterwandern.

Warum bleibt gerade Space Sweepers so enttäuschend konventionell? Es ist ja bei diesem Film nicht so, dass der futuristische Status Quo der Menschheit nicht mit visuellem Schmackes in Szene gesetzt wurde. Vor allem das Interieur sämtlicher Raumschiffe ist voller Details und Krimskrams, was wiederum an die Detailverliebtheit von Star Wars erinnert. Sonst verwöhnt es das Auge mit CGI, das in seiner sterilen Geschmeidigkeit den Bildern aus der Serie The Expanse oder Enders Game gleichkommt. In Terras Orbit also tummelt sich alles mögliche – Raumstationen und Mülltrabanten und jede Menge umherfliegender Schrott, der eben eingefangen gehört, bevor er mehr beschädigt als den Menschen lieb sein kann. Dazu gibt’s Schrottpiraten – kann man so sagen – die zwar legal hantieren, untereinander aber in Konkurrenz stehen. Auf einem der geangelten Brocken allerdings entdeckt die Crew des Frachters Victory ein junges Mädchen, das, schenkt man den orbitalen Nachrichten Glauben, wider ihres süßen Aussehens im Grunde eine Bombe verkörpert, die jederzeit hochgehen kann. Was tun damit? Da das Kind überall gesucht wird, versprechen sich die 3 Menschen und ein Roboter den Deal ihres Lebens, wenn sie die Rückgabe des Dreikäsehochs in Rechnung stellen.

Auserwählte Individuen, die die Menschheit retten (oder eben vernichten) und um die es ein mordsdrum Gerangel gibt – gab’s schon x-fach. Nur selten auf so anstrengende Weise. Wie für südostasiatisches Actionkino mit Komödien-Attitüde üblich, wird hier in Sachen Hektik nicht gekleckert. Dieses viele Hin und Her, diese hudeligen Actionszenen und sehr viel schnelles Gerede sind nicht die Indikatoren eines ausgewogenen Filmerlebnisses, viel mehr eines seltsam aufreibenden Astro-Abenteuers nach Schema F, das mit einer differenzierten Dramaturgie wohl länger in Erinnerung hätte bleiben können.

Space Sweepers

Archive

ICH BAU‘ MIR MEINE FRAU ZURÜCK

4/10


archive© 2020 capelight pictures


LAND: GROSSBRITANNIEN, UNGARN, USA 2020

REGIE: GAVIN ROTHERY

CAST: THEO JAMES, STACY MARTIN, RHONA MITRA, TOBY JONES, PETER FERDINANDO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Okay, der Titel zu diesem Artikel klingt ja fast so, als hätten wir es hier mit einer Variation des Mythos von Doktor Frankenstein zu tun. Jein, dem ist nicht ganz so. Hier werden keine Leichen exhumiert und Körperteile aus der Anatomie entwendet. Hier baut sich ein Wissenschaftler tatsächlich seine Frau zurück. Wie das geht?

Wir schreiben das Jahr 2038. Der Tod ist für den Menschen nicht mehr das Ende aller Dinge. Es ist nun also möglich, sein Gedächtnis für eine geraume Zeit archivieren zu lassen – daher auch der Titel des Films. Irgendwann aber schließt sich auch dieses Zeitfenster und das Jenseits ruft. Bis dahin aber kann man als Verstorbener noch Dinge regeln, für die zu Lebzeiten keine Zeit mehr war. Abschiede fallen vielleicht leichter, der Übergang ins Ungewisse ist wie das Verklingen eines Orchesters. Robotiker George Almore (Theo James) hat allerdings das gewisse Know-How – zumindest denkt er das – um das noch vorhandene Bewusstsein seiner verstorbenen Frau in einen Androiden zu speisen. Und für die Ewigkeit zu konservieren.

Die Story vom High-Tech-Pygmalion erinnert ein bisschen an den Science-Fictioner Transcendence mit Johnny Depp, der, ebenfalls bereits Anfang des Films verblichen, seinen Geist in eine Maschine speist. Die Idee ist ganz originell variiert. Auch das Set-Design des Films von Gavin Rothery besticht durch klassische, bunkerähnliche Gangschluchten wie jene filmbekannter Raumschiffe und eine formschöne Setzkasten-Roboterfrau. Das Makeup kann sich sehen lassen. Die anderen Blechkameraden, die hier durch die Anlage watscheln, sind in Sachen Mimik etwas eingeschränkter, aber auch sie haben Gefühle. In diese tragische Liebesgeschichte zwischen Kabeln und Transformator fingern allerdings relativ zusammenhanglose halbgare Storylines aus dem dystopischen Umfeld mit hinein, die hochtrabend sein wollen, aber die mit onhaltlicher Relevanz eher geizen als den Plot voranzutreiben. Und dann – ja, dann weiß Rotherys Script nicht weiter. Was macht er? Er lässt sich von Filmemachern inspirieren, die das Geheimniss rund um punktgenau gesetzte Storytwists wirklich beherrschen – und knallt auch hier, bei seiner melancholischen Robotermär, die das Zeug hätte zum philosophischen Diskurs über Persönlichkeit und Künstlichkeit, eine zu sehr gewollte Kehrtwende ans Ende, die den ganzen vorangegangenen, betulich errichteten Storykomplex zum Einsturz bringt. Ein Film also nicht zur Gänze für den Elektroschrott, denn auch hier ließen sich noch einige Elemente recyceln. Es ließe sich vielleicht auch nochmal darüber nachdenken, wie die ganze Geschichte denn noch hätte enden können. Denn so wenig plausibel, wie sich Archive schließlich präsentiert, muss Science-Fiction mit Köpfchen wirklich nicht sein.

Archive

Upgrade

EIN KREUZ MIT DER TECHNIK

7/10

 

upgrade© 2018 Universal Pictures Germany

 

LAND: AUSTRALIEN 2018

REGIE: LEIGH WHANNELL

CAST: LOGAN MARSHALL-GREEN, MELANIE VALLEJO, HARRISON GILBERTSON, CHRISTOPHER KIRBY, BENEDICT HARIE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN

 

Meine Bewunderung an alle Experten der IT – mit einer mir nicht aufbringbaren Engelsgeduld leiern diese Unglaubliches aus den digitalen Synapsen eines künstlichen Speichermediums. In Zeiten drängender Entwicklungen ein Know-How mit Jobgarantie. Mir als End-User geht aber bereits schon das Geimpfte auf, wenn sich auf meinem Apple die kunterbunte Semmel des Todes dreht, als würde mich der Rechner persönlich beleidigen. Weil ich diese gefühlte Launenhaftigkeit einfach nicht verstehen kann. Aus diesem Mysterium heraus lässt sich wutentbrannt in die Zukunft fabulieren und philosophieren: Zu welchen Schandtaten Computertechnik denn noch fähig wäre. Kombiniert mit Biomechanik: zu sehr vielen. Allerdings auch für den Zweck einer physischen Assistenz, wie wir seit Paul Verhoevens Robocop wissen. 

In diesem bereits auf Streamingplattformen zum Kultfilm avancierten Science-Fiction-Thriller ist das stählerne Outfit einem Implantat gewichen, das als Zweithirn an der Wirbelsäule sitzt. Medizinisch betrachtet ein Quantensprung: Querschnittgelähmte könnten so wieder all ihre Extremitäten bewegen, da das kleine, insektenartige Teil als Access-Point zwischen Hirn und Bewegungsapparat fungiert. Der mit Analogem sympathisierende Automechaniker Grey (ein Typ wie Tom Hardy: Logan Marshall-Green) bekommt nach einem sabotierten Autounfall mit anschließendem Mordanschlag auf dessen Gattin von einem recht abgehobenen High-Tech-Priester namens Eron Keen die Chance, durch dieses noch unbekannte Implantat wieder ein neues Leben zu beginnen. Der nimmt an, geht´s Grey doch nur darum, den Mord an seiner Frau zu rächen. Bald aber ist unser Held nicht mehr allein – denn der kleine Computer am Kreuz, der scheinbar alles kann, beginnt zu sprechen. Erinnert ein bisschen an Venom? Ja das tut es, vor allem weil Logan Marshall-Green auch so aussieht wie Tom Hardy. Nur statt Venom ist das subkutane Wunderteil kaum sichtbar – und auch nur dann, wenn es die Kontrolle über den menschlichen Körper übernimmt. Bald ist Grey hinter einer ausgemachten Verschwörung her, hinter Grey die Polizei und natürlich der High-Tech-Priester, der gar nicht will, das sein Baby für Rachegelüste zweckentfremdet wird.

Leigh Wannell, der vor Corona die Neuinterpretation vom Unsichtbaren in die Kinos und dann ins Heimkino brachte, hat 2018 einen brachialen Cyberpunk-Reißer inszeniert, der wortwörtlich ans Eingemachte geht. War Robocop schon ein knochenhartes Stück Actionkino, ist Upgrade tatsächlich ein Upgrade dessen, da sieht Peter Weller in der wehrhaften Karosserie eines plumpen Transformers direkt alt aus. Whannells Film macht wenig Gefangene, und wenn, dann ist ihr Dasein befristet. Das Kuriose an der Sache: wenn Grey mit seinem altklugen Zweithirn kommuniziert, bekommt der Film eine ironische Note. Und wenn Grey seinen Technical Support beim Schlagabtausch mit den ganz fiesen Jungs freie Bahn lässt, gehören diese Haudrauf-Szenen zum Bizarrsten, was handgreifliche Action bislang zu bieten hatte. Andererseits aber ist die Technik letzten Endes für Whannell, der auch das Drehbuch schrieb, einfach nur ein Hund: seit Skynet ist klar, dass künstliche Intelligenzen irgendwann zur Macht greifen wollen. Und der Mensch wird zur hilflosen, völlig unzulänglichen Kreatur ohne Aussicht auf nur die geringste Chance. Mit schmerzhaftem, dystopischem Nihilismus lässt Upgrade die Kehrseite der Medaille den strahlenden Benefit sklavischer Technik in Dunkelheit tauchen. Die Unterjochung bricht sich Bahn. So radikal und letzten Endes verstörend war selten ein Film aus diesem Genre.

Upgrade

Den Sternen so nah

RETTET GARDNER ELLIOTT!

7/10

 

THE SPACE BETWEEN US© 2017 Tobis Film GmbH

 

ORIGINAL: THE SPACE BETWEEN US

LAND: USA 2017

REGIE: PETER CHELSOM

CAST: ASA BUTTERFIED, BRITT ROBERTSON, GARY OLDMAN, CARLA GUGINO U. A.

 

Ridley Scotts großangekündigter Marsbesuch ist auch schon wieder eine Weile her. Vier Jahre sind schon ins Land gezogen, da wäre ein bemanntes Raumschiff nach unserem Stand der Technik auch schon einmal hin und retour geflogen. Mark Watney haben wir also schon gerettet, der ist wieder sicher auf Erden gelandet, nachdem man ihn eigentlich mehr oder weniger nach guter alter Kevin-Manier allein zuhause gelassen hat, auf einem Planeten ohne atembarem Luftgemisch und auf dem es saukalt ist. Schön anzusehen ist er ja, der Mars. Und eine Kolonie dort mit Sicherheit zumindest die erste Zeit abenteuerlich genug, um es dort auszuhalten. Natürlich ist das nichts für Kinder. Oder doch? Das Tempelhüpfen würde etwas epischer ausfallen, ungefähr Marke Stabhochsprung, nur ohne Stab. Fußbälle würden weiter gekickt werden als sonst wo und die Sandkiste wäre so groß so weit das Auge in dieser rötlichbraunen Welt reicht. Allerdings – die Zahl an Spielgefährten wäre endenwollend. Das ist ernüchternder als die ewige Warterei unseres Astronauten-Kevin Mark Watney. Doch so ist es mit Gardner Elliott passiert. Der Junge: ein blinder Passagier, heimlich ausgetragen von einer Astronautin, die um alles in der Welt am roten Planeten Pionierarbeit leisten wollte. Schwanger ins Weltall geht natürlich gar nicht, bei all diesen riskanten Variablen, aber irgendwie hat es doch funktioniert. Und jetzt retten wir nicht mehr Mark Watney, sondern Gardner Elliott, der aber Probleme hat, auf der Erde im wahrsten Sinne des Wortes Fuß zu fassen, ist doch seine Physiognomie eher auf die Schwerkraft des Mars ausgerichtet als auf die des blauen Planeten. Was das für physische Komplikationen nach sich ziehen kann, und wie sehr ein Teenager unbedingt altersadäquates soziales Umfeld braucht, davon erzählt Peter Chelsoms leichtfüßiges Abenteuer rund um ein Planetenhopping im Solsystem und um die erste Liebe.

Liebe gab es bei Ridley Scotts astrotechnischem Thriller keine, aber Peter Chelsom ist immer schon ein Romantiker gewesen, Gefühle haben da auch jenseits des terrestrischen Orbits ihren Platz. Also verliebt sich Gardner Elliott erstmal in seine Chat-Freundin, der er natürlich verheimlicht hat, dass er nicht gleich um die Ecke wohnt. Das Science-Fiction-Abenteuer für die jüngere Generation, im Original viel trefflicher mit The Space between us tituliert, zeigt auf sympathisch formulierte Art, wie der erste extraterrestrische Erdling gleichzeitig zum ersten Homo marsianus wird. Darwin würde sich im Rahmen seiner Idee zur adaptiven Radiaton mehr als bestätigt fühlen, es würde ihm gefallen zu sehen, wie schnell Anpassungen an extrem unterschiedliche Lebensräume vonstatten gehen können. Doch Daheim ist Daheim, und der Mars trotz aller lebensfeindlichen Abzüge die Heimat von Asa Butterfield, der schon in Enders Game der Auserwählte war – und hier jetzt nochmals. An seiner Seite aber statt Harrison Ford Oscar-Preisträger Gary Oldman als vergrämter Wissenschafter mit langer Mähne. Gut gespielt, aber routiniert. Brit Roberston (u. a. A World Beyond) hingegen als Gardner Elliotts Schwarm weiß da schon etwas mehr die Sehnsucht eines einsamen Teenies zu vermitteln, und die Chemie zwischen den Jungdarstellern stimmt. Das hat schon weitaus mehr greifbare Romantik als all diese Twilight-Originale und -Ableger, weil hier angenehmerweise keine Antagonisten den Frieden stören, sondern nur  der Brückenschlag zwischen zwei Welten zur unüberwindbaren Challenge wird. Es ist, als träfen die Geschichten eines John Green auf den bereits schon zitierten Marsianer – Den Sternen so nah erzählt von Einzelgängern und der Einsamkeit von Pionieren, von junger Liebe und einer Zukunft, in der Mann und Frau sich irgendwann nicht nur entscheiden müssen, welchen Nachnamen sie tragen, sondern auch, zu welchem Planeten sie gehören wollen.

Den Sternen so nah

See You Yesterday

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

6/10

 

SYY-7-26-18-231.RAF© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: STEFON BRISTOL

CAST: EDEN DUNCAN-SMITH, DANTE CRICHLOW, MARSHA STEPHANIE BLAKE, ASTRO, MICHAEL J. FOX U. A.

 

Nerds gibt’s nicht nur als Sitcom. Die gibt’s eigentlich schon seit den 80ern von Amiga, Commodore und Hero Quest, nur nannte man sie damals noch nicht so. Nerds gibt’s jetzt auch wieder im Film, und zwar im Netflix-Streifen See You Yesterday, in welchem die beiden afroamerikanische College-Schüler Claudette und Sebastian die Außenseiter markieren, dafür aber blitzgescheit daherkommen und technische Spielereien entwickeln, die ans Übernatürliche grenzen. Eines dieser Projekte ist – erraten! – eine Zeitmaschine, quasi ein Rucksack mit Schläuchen und seltsamen Utensilien, einer großen Uhr am Buckel, die sich, keiner weiß wie und in welche Richtung auch immer, dreht und letztendlich einem Armband für Smartphones, auf welchen Ort und Zeit angegeben sind. Ihr Equipment sieht aus, als hätten die Kerle aus Michael Gondrys Be Kind Rewind wieder mal einen Blockbuster „geschwedet“, beim schnellen Hinsehen vielleicht Ghostbusters, denn die haben auch alle so ein Equipment auf den Schultern. Die beiden Nerds aber, die wollen einen Quantentunnel damit erzeugen, um in Beam Me Up-Manier statt die Seiten die Zeiten zu wechseln. Nach mehreren Anläufen gelingt ihnen das tatsächlich. Doch seit Marty McFly wissen wir, dass das Spielen mit Vergangenheit und Zukunft etwas ist, dessen Gesamtheit sich nicht erfassen lässt, dessen Auswirkung im kleinsten veränderten Detail stecken und was eigentlich – das wissen wir auch seit Butterfly Effect – einfach nicht mehr korrigiert werden kann.

Doch würden wir nicht auch, könnten wir in die Zeit zurückreisen, so ein Tool  liebend gerne benutzen? Man stelle sich nur vor, wie schnell sowas zu sagenhaftem Gewinn führen kann, vor allem Mittwochs oder Sonntags vor der Lottoziehung. Es müssen gar keine Epochen sein, die da zurückgelegt werden müssen. Umso mehr Zeit dazwischen, umso nachhaltiger sind all die Veränderungen. Und es kommt, wie es kommen muss – die beiden fingern allzu enthusiastisch in den temporären Schleifen herum, und das Schicksal ist dabei nicht gnädig. Claudettes Bruder stirbt bei einer polizeilichen Amtshandlung, fahrlässige Tötung, motiviert aus rassistischem Vorurteilsdenken. Wie lässt sich dieser Fehler wieder gut machen? Ganz einfach, noch einmal zurück in die Vergangenheit. Klingt ganz einfach, ist es aber nicht.

See You Yesterday ist erfrischend buntes Black Cinema, unter der Obhut von Althasen Spike Lee entstanden und von dessen Schützling Stefon Bristol inszeniert. Dabei sind neben einem so erfreulichen wie liebevollen Cameo eines ganz bekannten Zeitreisenden die beiden jungen Hauptdarsteller die größte Entdeckung dieses aufgeweckten, straighten Science-Fiction-Abenteuers, die so aussehen, als wären sie aus den 90er-Fernsehserien Der Prinz von Bel Air oder Alle unter einem Dach entsprungen. Die beiden verleihen dem Film ihren eigene unverhohlene Neugier, dem sozialen Kolorit der Bronx angepasst, cool wie ein improvisierter Rap und das amerikanische Grätzel-Klientel selbstironisch beobachtend. Die Sache mit der Zeit, die folgt den Parametern von Zurück in die Zukunft, enthält also eine ganz andere Logik wie zuletzt in Avengers: Endgame, wo die Reise zurück in die Zeit dem Prinzip des Multiversums folgt. In See You Yesterday gibt es nur eine Zeitlinie, auf der man vor- und zurückreisen kann, und die, laut Doc Brown, bei Begegnungen derselben identität zu einem verheerenden Paradoxon führen kann. Das ist witzig und höchst unterhaltsam, der Logik nochmal zu folgen, obwohl wir das seit den 80ern fast schon durch sind. Nur anders als bei Zemeckis´ Dreiteiler ist hier das Beheben von Zeitreiseproblemen durch Zeitreisen weniger von Erfolg gekrönt. So sehr es auch aussieht, Tragisches ändern zu können, bleibt das Schicksal festgeschrieben, deterministisch also. Somit tritt See You Yesterday irgendwann nur noch auf der Stelle. Und nimmt dem gesellschaftskritischen Märchen die Dynamik, die es zu Beginn hatte. Bristol hatte hier eine Idee nicht zu Ende gesponnen, was schade ist, denn nur zu gern hätte ich den beiden noch 20 Minuten länger die Daumen gehalten, damit sie alles wieder ins Lot bekommen. Man könnte ja zurückspulen – das würde aber auch nichts ändern. Ganz so wie im Film.

See You Yesterday

KIN

EINEN AN DER WAFFE

7/10

 

KIN© 2918 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: JONATHAN & JOSH BAKER

CAST: MYLES TRUITT, JACK REYNOR, JAMES FRANCO, DENNIS QUAID, ZOË KRAVITZ, MICHAEL B. JORDAN U. A.

 

In den Foyers meiner Lieblingskinos waren sie noch hinter schwer übersehbare Leuchtrahmen gespannt: die Filmposter zum Science-Fiction-Thriller KIN, ansprechend beworben und vielleicht auch gar nicht uninteressant. Ein bisschen verwandt mit Ready Player One vielleicht, aber das hätte auch nur eine Täuschung sein können. Dass der Streifen dann letztendlich doch gar nicht bei uns in den Kinos lief, das wusste ich bis heute nicht. Zur Entschuldigung: andere Filme hatten höhere Priorität, und KIN verabschiedete sich in die hintere Peripherie meiner kinematographischen To-Do-Liste. Aber dann war KIN wieder da, zeitgerecht zum eigenen Retail-Start, und die Neugier daran, wie gut ein Film über eine High-Tech-Wumme eigentlich sein kann, wieder geweckt. Allerdings könnte das Herunterbrechen des filmischen Plots auf extraterrestrische Waffengeilheit am eigentlichen Sinn des Filmes vorbeigehen. Rezensierende Onliner aus diversen Filmredaktionen könnten hier falsche Hoffnungen wecken, oder vorprogrammierte Enttäuschungen. Propaganda für die Rüstungsindustrie könnte im Endeffekt auch ganz anders aussehen. Und tut es auch.

KIN gleicht auf den ersten Blick generischer High Quality einheitsbreiiger Netflix-Dystopien. Die technische Rafinesse erfüllt da immer weit mehr als seine Pflicht, hat stets Hand und Fuß. Ausgebremst werden diese Filme dann eher auf der drehbuchtechnischen Seite. Oder dort, wo sich erstarkendes vielversprechendes Schauspiel einem straffen Dreh-Zeitplan geschlagen geben muss. Zum Glück aber ist das nur der erste Blick. Bei längerer Betrachtung könnte die Langfassung des Kurzfilms The Bag Man, geschrieben und inszeniert von den Neulingen Jonathan und Josh Baker, aus dem Teststudio Oats von Neil Blomkamp stammen. Blomkamp, das wissen wir, ist Spezialist für technologische Science-Fiction, für das Mergen organischer mit extraterrestrischen oder künstlichen Organismen, für das Ausloten technisierter Gesellschaftsformen, die herrschen oder beherrscht werden. Dazwischen herrscht das Gesetzlose. In KIN ist die wie ein überdimensionales Zippo-Feuerzeug aussehende Gerätschaft rätselhaftes Objekt allerdings nicht der Begierde, sondern einer Gelegenheit, die Diebe macht. Gestohlen hat die dubiose X-Box mit Leuchtemblem ein Adoptivjunge namens Eli, der in verlassenen Fabrikgebäuden herumstreunt und nach Rohmaterialien sucht, um diese am Schrottplatz zu verscherbeln.

Dieses formschöne Teil mit Joka-Bett-Aufklappmechanismus entpuppt sich relativ schnell als Kriegsspielzeug, als Waffe gegen wen auch immer, allerdings scheint sie nicht von dieser Welt, und all die gesichtslosen Toten, die da an einem Tag noch zwischen versprengten Trümmern herumkugeln und nächsten Tag verschwunden sind, schüren natürlich den Glauben ans Paranormale. Und hätte der Junge nicht andere Probleme, nämlich jene mit seinem älteren Bruder, hätte er sich auch vermutlich länger darüber den Kopf zerbrochen. Dieser Bruder Jimmy, der ist ein Ex-Knacki, und schuldet einem tätowierten, finster dreinblickenden und diabolisch grinsenden James Franco jede Menge Schutzgeld noch aus Zeiten im Knast. Woher nehmen, wenn nicht auch stehlen, und zwar aus der Portokassa von Papa Dennis Quaids Baufirma. Das Hazardspiel endet natürlich mit dem Sensenmann, und Eli ist bald samt Knarre gemeinsam mit dem windigen Bruder unterwegs auf der Flucht. Dass die Waffe im Laufe des spannenden Katz- und Mausspiels ab und an im Spiel der freien Mächte den Ton angeben wird, war zu erwarten. Wobei die Not am Mann erst zu selbiger greifen lässt. Waffennarren sind hier alle keine am Zug, zum gefälligen Amoklauf im Geiste wird diese Vision auch nicht verleiten, zu nüchtern und reuig gibt sich Newcomer Myles Truitt, der als stoischer Teenie-Freak aus seinen Fehlern lernen möchte. So eine Waffe ist da nicht sehr hilfreich, allerdings ist sie wie ein Spielzeug, dass seine Letalität durch das bunte Verpuffen von Materie, ganz so wie beim Niesen eines Regenbogennashorns, gefährlich verharmlost.

Weniger verharmlost sind die stereotypen Finsterlinge, die sich der üblichen Muster bedienen. Wäre die metaphysische Komponente nicht, die wie ein Cyberpunk-Damoklesschwert über dem routinierten, allerdings straffen Thriller hängt, hätte KIN auch keinerlei Besonderheiten zu bieten. Die rätselhaften Daft Punk-Ritter, die auf spielberg´sche Suspense-Art dem Jungen auf der Spur sind, durchbrechen dann aber doch noch die Dimension des prominent besetzten Eindimensionalen und steuern den Streifen auf ein finster-verspieltes High-Tech- & Crime-Drama zu, voller Action und elegant platzierter Effekte zwischen Tron und einem alternativen Prolog für Enders Game.

KIN

100 Dinge

FKK FÜR EGO-MESSIES

4/10

 

100dinge© 2018 Warner Bros. Deutschland

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: FLORIAN DAVID FITZ

CAST: MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, FLORIAN DAVID FITZ, MIRIAM STEIN, MARIA FURTWÄNGLER, HANNELORE ELSNER, KATHARINA THALBACH U. A.

 

Die Filme von Matthias Schweighöfer, die kennen wir. Das heißt: kennen wir einen, keinen wir eigentlich alle. Sie sind gefällig, farbentsättigt wie bei Til, den Geist junger Bobo-Erfolgsmänner bis in jede Pore einmassiert. Die Riege talentierter Jungschauspielerinnen umkreisen den Egomanen in teils angestrengt distanziertem, aber stets anhimmelndem Spiel. Denn in Wahrheit ist Schweighöfer ja unwiderstehlich, auch wenn er sich zwischenmenschliche Eskapaden leistet, die mit einer konventionell schrägen Entschuldigung wieder sofort vergessen sind. Denn ja, Frau liebt ihn. Florian David Fitz, der Vincent, der Meer wollte und als Kehlmann´scher Gauß in der Verfilmung Die Vermessung der Welt beeindruckend spröde großes Schauspieltalent bewies, will diesmal aber auch so sein wie der blonde, sommersprossige Athlet, der stets sich selbst spielt und selbst in der als Thriller angedachten Amazon-Serie You Are Wanted einfach nicht aus seinem Yuppie-Hedonismus hinauskann. Fitz wiederum will da hinein, also einfach mal selbst so einen Film inszenieren, genauso wie sein Buddy. In welchem die beiden Männer ihren nackten Po in die Kamera halten dürfen und eigentlich von allen, vor allem vom weiblichen Geschlecht, geliebt werden dürfen. Ob das in deren echten Leben auch so ist? Keine Ahnung, deutsche Schauspieler halten ihr Privatleben natürlich auch zurecht bedeckt. Nicht bedeckt bleiben wie gesagt die ansehnlichen Körper der beiden. Warum? Weil sie dem Konsumzwang eins auswischen wollen.

Kurz gesagt: es geht um eine Wette. Beide Freunde müssen ihren ganzen Besitz in einen Lagerraum sperren, und für hundert Tage dürfen sie sich täglich ein Ding aus dem ganzen Fundus wieder herausnehmen. Das gilt selbst fürs Untergewand. Im Adamskostüm beginnt also die Challenge für die konsumgeilen Schnösel, die sich dadurch eigentlich auf griffigere Werte besinnen sollen, was aber nicht vorrangig der Fall ist, denn Grund der Wette ist der Aus- und Verkauf ihrer Softwarefirma, die eine App entwickelt hat, die alle haben wollen. Vor allem einer, der so aussieht wie Mark Zuckerberg. Bei diesem Vorhaben der beiden Erfolgsmänner, die gefühlt sowieso immer das Glück auf ihrer Seite haben, kann einer wie Mel Brooks nur lachen. Wieso Mel Brooks? Weil der Ähnliches erlebt hat. Zum Beispiel als reicher, asozialer Millionär, der den Altruismus mit Füßen tritt, in einer Satire, die Das Leben stinkt heißt. Ebenfalls ist eine Wette der Kern des Plots, nur dass Geizkragen Brooks für rund einen Monat auf der Straße leben muss. Der Reiz dieser Satire liegt darin, dass der alte Industrielle tatsächlich auf sich alleine gestellt ist, dass letzten Endes der Verrat der anderen zu einer gewissen Erkenntnis führt, und er sich eigenhändig aus dem Schlamassel ziehen muss. Ein bisschen wie bei Scrooge, ein bisschen wie beim Fischer und seiner Frau, die letztendlich Papst sein wollte. Fitz und Schweighöfer, die sind sowohl vor als auch hinter der Kamera einfach immer Stars und haben auf dem Weg zu ihrer kolportierten Selbsterkenntnis kaum Berührungspunkte mit anderen sozialen Schichten. Eloquente, toughe, charmante Frauenversteher, auf die keiner böse sein kann, die einfach zu gelackt sind, um sich selbst wirklich zu hinterfragen. In 100 Dinge stehen sie zwar kurze Zeit vor dem Nichts, doch in Wahrheit haben sie alles, und zwar zu jederzeit. Die Frage nach der Kunst des Weglassens, des Verzichts und dem „Weniger ist Mehr“-Prinzip ist gar nicht richtig gestellt, das wollen die Firmenchefs längst nicht so genau wissen. So, wie sich die beiden darauf besinnen und die eigenen Schattenseiten des Kapitalismus aufdröseln, bleibt das Ganze ein Lippenbekenntnis ohne tieferen Sinn.

100 Dinge handelt von einer Freundschaft, von beruflicher Partnerschaft und Beziehungen. Wie so viele Filme Schweigers und Schweighöfers. Und jetzt auch von Fitz. Es ist eine gehetzte, viel zu schnelle Komödie zweier elitärer Helden um die Vierzig, die alles können, aber nicht alles können müssen. Die alles haben, aber nicht alles haben müssen. Das macht den Film so schlaksig, als würde man beim Fangenspielen mit einem Bein andauernd im Leo stehen. Das geht so nicht, nicht wirklich. Das kaufe ich den beiden nicht ab. Und wenn doch, dann will ich es geschenkt. Blöd nur, dass sie nichts davon hergeben werden.

100 Dinge