Der Pfad (2022)

DIE ZUVERSICHT JUNGER UNBEUGSAMER

6/10


derpfad© 2022 Warner Bros. Deutschland


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, SPANIEN 2022

REGIE: TOBIAS WIEMANN

BUCH: RÜDIGER BERTRAM, JYETTE-MERLE BÖHRNSEN

CAST: JULIUS WECKAUF, NONNA CARDONER, VOLKER BRUCH, JYETTE-MERLE BÖHRNSEN, LUCAS PRISOR, BRUNA CUSÍ, ANNA MARIA MÜHE U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Älteren Kindern und Jugendlichen die verheerende Zeit des Nazi-Regimes näherzubringen, ist eine noble und auch äußerst wichtige Sache, welche das Kino der Gegenwart als seine Pflicht ansieht, hier ab und an auch den belehrenden und erkenntnisfördernden Part zu übernehmen. Vor vier Jahren flimmerte die Verfilmung des Buches Als Hitler das rosa Kaninchen stahl ebenfalls schon über die Leinwand – und ja, solide inszeniert und in gewissem Maße schonend für jugendliche Gemüter hat Caroline Link hier das Drama von Flucht, permanenter Angst und Heimatverlust auf ein vernünftiges Maß an Intensität heruntergebrochen. Verständlich, nachvollziehbar, für Kinder das Abenteuer eines Ausnahmezustandes, der Stress verursacht.

Der Pfad von Tobias Wiemann (u. a. Amelie rennt) ist ebenfalls so ein Film, gemacht für Jugendliche, gefällig in seinem Drama und auffallend gnadenlos hinsichtlich einer omnipräsenten Bedrohung, die den beiden Kindern gefühlt aus allen Richtungen auf die Pelle rückt. Sehr bald auf sich allein gestellt, müssen sie einen Zustand meistern, den man normalerweise nur aus Fantasyromanen kennt, und dort ist es das Abenteuer des Guten gegen das Böse, mit offensichtlichem Erfolg für ersteres, denn wir leben in einer Welt der Moral in Märchen und Fiktion. Die Realität, die Geschichte Europas, sieht natürlich anders aus. Und so mag das Abenteuer stellvertretend für Gräuel stehen, die nicht mal noch Halbwüchsigen nicht nur die Familie, sondern auch das Leben entreißen will. Dagegen stemmt sich Rolf (Julius Weckauf, großer Durchbruch mit Der Junge muss an die frische Luft – und zwar zu Recht) mit seinem Vater Ludwig (Volker Bruch, Kommissar Gideon Rath aus Babylon Berlin), der als kritischer Journalist Anfang der Vierzigerjahre auf die Abschussliste gerät. Bis nach Paris und dann nach Marseille haben sich beide durchgeschlagen, jetzt heißt es noch über die Pyrenäen und dann an die Küste, wo ein Flüchtlingsschiff wartet und beide in die USA bringen soll, wo bereits die Mutter wartet. Im Rucksack hat Rolf stets ein Buch Erich Kästners: Der 35. Mai. Eine Geschichte, in der alles möglich und auf den Kopf gestellt scheint – in Zeiten wie diesen ein trostspendender, mentaler Support. Mithilfe von Nuria, einer ortsansässigen Bergführerin und selbst noch nicht mal ein Teenager, gelangen sie ins Gebirge – wo das Schicksal sich wenden wird. Und Rolf von seinem Vater Abschied nehmen muss.

Ähnlich wie Wie zwischen Himmel und Erde, Maria Blumencrons selbst verfilmte Erlebnisse einer Flucht aus dem kommunistischen China über den Himalaya will Der Pfad sich ganz sicher nicht nur auf den Survival-Trip zweier Kinder konzentrieren, sondern auch den politischen Aspekt betrachten. Von Menschenschmugglern und Fluchtrouten ist die Rede, von Deals und Bestechung zur Befreiung von Rebellen, die für die gute Sache kämpfen. Und von der Akzeptanz des Unmöglichen, die einhergeht mit dem zwangsläufig viel zu früh geführten Schritt aus der Welt der Kindheit in eine ernüchternd-brutale Realität. Wie Julius Weckauf „erwachsen“ werden muss, weil ihm sonst nichts anderes übrigbleibt, weil auch die Obhut der Eltern fehlt, zeigt sich als stark gespieltes Jugendkino mit dem Herzen am rechten Fleck und einer wunderbaren Chemie zwischen den beiden Jungstars, die zwischen lakonischem Humor und Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit stets die Contenance der Unbeugsamen wahren.

Der Pfad (2022)

Catweazle

DAS WUNDER DER ELEKTRIK

5/10


catweazle© 2021 Tobis Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: SVEN UNTERWALDT

CAST: OTTO WAALKES, JULIUS WECKAUF, KATJA RIEMANN, HENNING BAUM, GLORIA TERZIC, MILAN PESCHEL, URS RECHN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


Was der Mensch nicht erklären kann, ist entweder ein Wunder, Betrug oder Magie. In seiner gnadenlosen Selbstüberschätzung fällt Homo sapiens wohl niemals ein, vielleicht das eine oder andere noch existierende Naturgesetz nicht zu kennen. Alchemisten, die Wissenschaftler der dunklen Jahrhunderte, waren da mit den Kausalitäten in der Natur vielleicht ansatzweise im Klaren. Für Uneingeweihte waren diese „Magier“ womöglich eine Bedrohung. Wie man die Nacht in einen Tag verwandelt, blieb aber selbst ihnen ein Rätsel. Und eben auch dem recht zerlumpten Kesselvirtuosen Catweazle. Auf der Flucht vor denen, die ihm anno 1020 an den Kragen wollen, schafft er es wohl mehr durch Zufall, beim Sturz von den Zinnen in ein Zeitloch zu fallen. Tausend Jahre später kommt der Zausel wieder zu sich. Der Stab allerdings ist fort. Komplett verwirrt und neben der Spur, versucht die seltsam unbeholfene Gestalt, mithilfe eines Jungen das Artefakt wieder an sich zu bringen. Katja Riemann als Schnäppchenjägerin für alles Antike stellt sich dabei jedoch quer.

Die wohl größten Magier der Menschheitsgeschichte müssen wohl jene gewesen sein, die den elektrischen Strom nutzbar machten. Edison, Tesla, Westinghouse – scheinbar alles große Magier. Für Catweazle reicht es schon, den simplen Ein/Aus-Schalter zu betätigen, um den Unterstufler Julius Weckauf (Der Junge muss an die frische Luft) als mit den Mächten im Bunde zu deklarieren. Als der ihm eine Taschenlampe überreicht, kann er sein Glück kaum fassen. Zuzusehen, wie sich Hampelmann Otto sprichwörtlich einen Haxen ausfreut, wenn sich die kleine, in einem Glasbehältnis eingefangene Sonne je nach Belieben entfachen lässt – das ist das sehenswerte Herzstück eines familienfreundlichen und sehr harmlosen Fantasyabenteuers, welches wiederum auf einer hierzulande recht unbekannten britischen Fernsehserie von Richard Carpenter aus den frühen Siebzigern beruht. Auch dort war die Underdog-Version von Gandalf und Merlin mit Kröte Kühlwalda unterwegs, und auch dort boten die Tücken einer technologisierten Gesellschaft, fast wie bei Jaques Tati in Mein Onkel, reichlich Spielfläche für situationskomische Fettnäpfchen und verblüffende Sichtwechsel auf einen für uns längst selbstverständlichen Alltag.

Mit Otto Waalkes hat Sven Unterwaldt den Magier natürlich treffend besetzt. Es wäre, so denke ich, enttäuschend, Otto mal nicht ohne seine Manierismen zu sehen. Genau deswegen entscheidet man sich ja schließlich für einen Film wie diesen, würde der Kultkomiker nicht seine scheelen Blicke loslassen, Worte umintonieren und durch die Gegend hoppeln. Das Drumherum in Catweazle jedoch ist altbackenes Volkstheater, nicht wirklich erfrischend inszeniert und durchgetaktet bis zum Schluss. Keine Frage, ich liebe den deutschen Film, der in vielen Genres seine Stärken hat. In jenem des komödiantischen Fantasyfilms für die ganze Familie hapert es (ganz so wie bei Dennis Gansels Jim Knopf-Verfilmungen) sowohl an einer gewissen Unbefangenheit als auch an erfrischender Spontanität. Catweazle hat, obwohl wie dafür gemacht, beides nicht. Abhängig von sehr vielen Gedlgebern und deren Auflagen, müssen sich Filme wie diese nach der Decke strecken, haben nicht alle Zeit der Welt, denn die frisst wieder das Budget. Insofern mutet Catweazle nach auswendig gelerntem, pragmatischem Bühnenspiel an, aus welchem man zumindest Ottos selbst verfassten Elektrik-Trick-Song als kleinen Ohrwurm mit nach Hause nimmt.

Catweazle

Der Junge muss an die frische Luft

HUMOR IST, WENN MAN TROTZDEM LACHT

6,5/10

 

frischeluft© 2018 Warner Bros. Deutschland

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: CAROLINE LINK

CAST: JULIUS WECKAUF, LUISE HEYER, SÖNKE MÖHRING, HEDI KRIEGESKOTTE, JOACHIM KROL, URSULA WERNER U. A. 

 

Was wurde eigentlich aus Hape Kerkeling? 2014 hat er sich doch anlässlich seines 50ers weitestgehend aus dem Showgeschäft zurückgezogen. Untätig ist er aber dennoch nicht geblieben. Nach dem so vergnüglichen wie besinnlichen Bestseller Ich bin dann mal weg, der 2006 erschien und Hape´s Erfahrungen und Betrachtungen auf dem Jakobsweg zum Thema hatte, könnte die Verarbeitung der eigenen Kindheit in autobiografischer Buchform womöglich auch eine gewisse Bandbreite an Lesern erreichen, bekannt genug ist der Komödiant nicht nur als Horst Schlämmer, und da er seit gut 4 Jahren ohnehin nur noch als Synchronstimme präsent gewesen war (u. a. Die Eiskönigin und Kung Fu Panda), nimmt die interessierte Fangemeinde, was sie kriegen kann. Wenn das noch die eigenen Erinnerungen aus einem Westdeutschland Anfang der Siebziger Jahre sind, und wo es ganz viel um Familie und Schicksal geht, ist ein zweiter Bestseller garantiert. Doch eines sollte man vorweg wissen: das Werk mit dem so treffenden wie augenzwinkernden Titel Der Junge muss an die frische Luft ist weder eine Art Greg´s Tagebuch auf recklinghauserisch, noch ein Michel von Lönneberga – sondern etwas ganz zerbrechlich Zartes, eine wehmütige Erzählung aus einem schicksalhaften Damals, in der eigentlich nichts so lustig war, wie es später in Kerkelings Oeuvre gang und gäbe sein wird. Caroline Link, die mit Nirgendwo in Afrika 2003 den Oscar gewinnen konnte, hat den großen deutschen Entertainer dazu eingeladen, in enger Zusammenarbeit und im steten Dialog das berührende Buch über eine Kindheit voller Lachen und Weinen behutsam zu verfilmen.

Daraus geworden ist zwar nicht etwas ganz anderes, als ich erwartet hätte, aber zumindest ein unerwartet schwermütiger Film, der weitab einer unbekümmerten Kindheit längst nicht so erbaulich ist, wie der Trailer vorab vermuten ließ, obwohl man auch da schon mitbekommt, dass sich das Erzählte um das Schicksal von Hape´s Mutter drehen wird. Der ganze große Film allerdings verspricht, noch tiefer in die Finsternis ohnmächtiger Kindersorgen vorzudringen, wobei szenenweise Erinnerungen an Adrian Goiginger´s eigener autobiografischer Aufarbeitung Die Beste aller Welten wach werden. Auch dort geht es um ein Kind, das versucht, die Unpässlichkeiten der Eltern auszugleichen und sich anzupassen. Drogen und sozialer Missstand sind dort das Thema, während bei Der Junge muss an die frische Luft Mutter Kerkeling aufgrund einer Nebenhöhlenoperation Geruchs- und Geschmackssinn verliert. Damit einhergehend stürzt die junge Frau in eine tiefe Depression. So ein psychisches Leiden ist, wie ich finde, für ein Kind ohnehin noch schwerer nachzuvollziehen als für einen Erwachsenen. Doch der kleine Hans Peter, gesegnet mit einer ordentlichen Portion Sinn für Humor und einem publikumswirksamen Hang zur Parodie diverser Charaktere aus dem eigenen Alltag, weiß seine Mama stets zum Lachen zu bringen. Der spontane Witz in Momenten, die alles andere als eine launige Präsentationsfläche für skurrile Scherze bieten, scheint die Schwermütigkeit des geliebten Menschen zumindest für Minuten zu vertreiben. Humor als die Möglichkeit, der Widrigkeit des Lebens zu trotzen – bis gar nichts mehr geht. Und auch der kleine Hans Peter das größte seiner Talente zu verlieren scheint.

Mit Julius Weckauf hat Caroline Link treffsicheres Gespür bewiesen – so wie mit all dem übrigen Ensemble auch. Der elfjährige Junge ist so wie Jeremy Miliker aus Goiginger´s erwähntem Film ein Naturtalent, wenn es darum geht, die unterschiedlichsten Situationen emotional aufzugreifen. Kann gut sein, dass Kerkeling selber bei Betrachtung von Weckauf´s Schauspiel tatsächlich sich selbst sehen konnte. Umso schmerzlicher womöglich, die schwere Zeit von damals noch dazu in bewegten Bildern zu betrachten, die womöglich sehr genau der eigenen Wahrnehmung von damals entsprechen. Und ja, der Humor macht sogar für das Publikum einiges leichter, denn ohne ihn wäre das teils herzzerreißende Drama schwer zu ertragen. Die Szene, in welcher der trauernde Junge um den leeren Küchenstuhl seiner Mutter tanzt, im Pyjama mitten in der Nacht, und mit dem Licht der Wärmelampe, mit der sich Mama stets zu therapieren versucht hat, ist von bittersüßer Wehmut und spiegelt den Seelenzustand Kerkelings als Gänsehautmoment wieder.

Wenngleich Der Junge muss an die frische Luft es nicht wagt, aus der konventionellen Chronik einer Biographie auszubrechen, und die Szenen einer Kindheit Stück für Stück aneinandergereiht sind, ohne ineinander zu fließen, ist das mit 70er Schlagern unterlegte, tragikomische Drama einer Kindheit voll aufrichtiger Wehmut und blickt mit erhobenem Blick nach vorne. Traurig ist der Film dennoch, aber niemals rührselig. Das Durchatmen mag am Ende des Filmes immer schwerer werden, der Kloß im Hals garantiert, spätestens dann, wenn Hape Kerkeling selbst aus dem Off abschließende Worte sagt. Kurzum: Humor ist also, wenn man trotzdem lacht. Und dabei nicht vergisst, wer man ist. Das hat Deutschlands großer Spaßmacher schon damals verstanden.

Der Junge muss an die frische Luft