Drive-Away Dolls (2024)

DAS PRACHTSTÜCK DES SENATORS

3/10


drive-away-dolls© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: ETHAN COEN

DREHBUCH: ETHAN COEN, TRICIA COOKE

CAST: MARGARET QUALLEY, GERALDINE VISWANATHAN, BEANIE FELDSTEIN, COLMAN DOMINGO, PEDRO PASCAL, BILL CAMP, MATT DAMON, JOEY SLOTNICK, C. J. WILSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 24 MIN


Seit den Achtzigerjahren verwöhnen diese Brüder ein liberal-intellektuelles Kinopublikum, das Freude am Autorenfilm hat, mit ungewöhnlichen Geschichten, bizarren Einfällen und schwarzhumorigem Endzeitfeeling zwischen Paranoia, Schicksal und Mordlust. Filme wie Barton Fink, Fargo, A Serious Man oder Inside Llewyn Davis prägen das späte amerikanische Kino, zu zweit sind die beiden meistens unschlagbar, von einigen wenigen halbgaren Zwischenspielen mal abgesehen. Schon vor drei Jahren war Joel Coen bereits allein unterwegs und setzte Denzel Washington als Macbeth in Szene. Gut gemeint, sprachlich hochwertig und in Schwarzweiß. Ethan Coen hat es ebenfalls erstmals ausprobiert, wie es ist, seinen Buddy nicht dabeizuhaben. Stattdessen engagierte er lieber Tricia Cooke für das Verfassen eines schrägen Roadmovie-Plots namens Drive-Away Dolls. Das klingt erstmal lustig und ungefähr so übergeschnappt wie der Brüder geistreicher Verwechslungsspaß Burn After Reading – ist es aber nicht.

Vielleicht wird’s beim nächsten Mal besser, denn Ethan Coens Solo-Einstand lässt in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig, jedoch weniger in Anbetracht seines queeren Engagements. Denn Margaret Qualley und Geraldine Viswanathan (u. a. Hala, Miracle Workers) sind selbstbewusste Lesben, mancherorts in anderen Reviews zu diesem Film bin ich über das mir bislang unbekannte Wort Dyke gestolpert – in Sachen Wortschatz lernt man niemals aus. Qualley und Viswanathan geben Jamie und Marian, zwei Freundinnen, denen allerdings nicht im Sinn steht, miteinander eine Liaison einzugehen, ist doch die Freundschaft viel wichtiger als entspannender Cunnilingus, der dann zur Beziehungskiste mutiert. Die beiden machen mit einem Leihwagen eine Spritztour nach Tallahassee in Florida, wo Marian mit Oma ornithologischen Exkursionen frönen will. Jamie schließt sich an, und was beide nicht wissen – im Kofferraum des Wagens weilen Dinge, von denen die beiden wohl lieber nichts in Erfahrung bringen sollten. Um diese brennheissen Güter nicht aus den Augen zu verlieren, rücken den Mädels zwei Gauner auf die Pelle, die sich allerdings so ungeschickt anstellen, als wären sie Laurel und Hardy. Weiters darf nicht unerwähnt bleiben, dass ein gewisser Senator (Matt Damon) keine unwichtige Rolle in diesem ganzen Rambazamba spielt, das sich allerdings ganz auf Qualley und Viswanathan verlässt, da sie die einzigen Figuren in diesem schalen Roadmovie sind, die auch nur irgendwie von Interesse sind.

Die Kunst bei Burn After Reading lag eigentlich darin, dass die zum Schenkelklopfen komische Groteske als astreiner Ensemblefilm durchgeht, da jede noch so kleine, namhaft besetzte Nebenrolle auch ihren bedeutenden Drang zum Individualismus und zur Unverwechselbarkeit nachgehen konnte und somit, wie alle anderen in diesem Film auch, gleich wichtig wurde. In Drive- Away Dolls sind all diese Nebenrollen, die ihre Aufgabe, situationskomisch sein zu wollen, viel zu ernst nehmen, alles andere als das. Das fängt vom Leihwagenvermieter (Bill Camp) an, zieht sich über konventionelle Kriminelle, denen noch die Rest-Aura vormals origineller Typen zumindest in Spuren anhaftet, bis zu Matt Damons undurchdachter Performance als kompromittierter Politiker, dessen Motivation irgendwo im Straßengraben der Frivolität liegengelassen wurde.

Denn frivol ist das Filmchen allemal. Allzu prüde darf man bei Betrachtung selbigen nicht sein und vorrangig Dildos als alltäglichen Gebrauchsgegenstand akzeptieren können. Latexpenisse und wie sie sich anfühlen wird zur großen Frage, Qualley und Viswanathan tun wirklich alles, um sie zu beantworten, verlieren dabei aber die ganze schwammige Geschichte und auch ihr Publikum aus den Augen. In notgeiler Lustwandelbarkeit überzeichnen die beiden ihre Rollen bis zur Befremdung, doch damit entsprechen sie nur einem unentschlossenen Plot, der „pride“ auf alles sein will. Das ist auch das gute Recht des Films und auch das von Ethan Coen, dem es zumindest wichtig ist, mit einer ungestüm-natürlichen Homosexualität den Ausfall zu machen. Drive-Away Dolls fällt aber mit der Tür ins Haus, neben Qualleys ausdrucksstarker Libido und Viswanathans langsam bröckelnder Verklemmtheit bietet die lieblos konzipierte Krimikomödie außer des Imitierens eigener Vorbilder nur das überdrehte Gebaren verhinderter KomödiantInnen.

Drive-Away Dolls (2024)

Wir beide

GELIEBTE NACHBARIN

7,5/10


wirbeide© 2020 Paprika Films


LAND / JAHR: FRANKREICH, LUXEMBURG, BELGIEN 2019

REGIE: FILIPPO MENEGHETTI

CAST: BARBARA SUKOWA, MARTINE CHEVALLIER, LÉA DUCKER, MURIEL BÉNAZÉRAF, JÉRÔME VARANFRAIn U. A. 

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Auch dieser Film steht auf der Shortlist zu den Oscars für den besten fremdsprachigen Film 2021. Und das völlig zu Recht. Allerdings nicht in erster Linie, weil das Liebesdrama Wir beide gleich zwei Tabuthemen auf einmal thematisiert. Sondern weil ein Stoff wie dieser so selten ohne übertriebene Sentimentalitäten auskommt – hier aber Regiedebütant Filippo Meneghetti eine Möglichkeit gefunden hat, auf geradezu erfrischende Weise von einer Liebe zu erzählen, die an gesellschaftlichem Normdenken gerade bei der jüngeren Generation beinahe gescheitert wäre.

Dabei haben die beiden reiferen Damen – die eine gleichzeitig Oma und Witwe, die andere nonkonforme Lebenskünstlerin – alles was sie brauchen würden, nämlich sich und rosige Aussichten für die Zukunft, da der Traum, gemeinsam nach Rom zu ziehen, kurz davor steht, verwirklicht zu werden. Ein einziges Problem gibt es jedoch noch, das noch aus dem Weg zu räumen wäre: Oma Madeleine muss endlich den Mut aufbringen, ihre Sippschaft zu verklickern, dass sie in einer glücklichen Beziehung mit Nina weilt. Alleine der Umstand, auf ihre alten Tage zu ihrer sexuellen Identität zu stehen, scheint schon unmöglich zu sein, wenn Madeleine nur daran denkt. Der Sohn ist ein zynischer Grantler, und die Tochter glaubt immer noch, dass Mama und Papa damals aus Liebe geheiratet hätten. Bei all den Troubles passiert etwas, dass alles über den Haufen wirft. Madeleine erleidet einen Schlaganfall. Und niemand weiß, dass Nina im Grunde ihre Partnerin ist und eigentlich das Recht hätte, sich um ihren Lebensmenschen zu kümmern.

Das Script zu diesem auf den ersten Blick vielleicht eher konventionell scheinenden Drama überrascht und ist umso cleverer konstruiert, da man erstmal nicht ahnt, welche Schwierigkeiten entstehen können, wenn das Outing zu spät kommt. Klar, in Liebesdingen geht niemanden Dritten auch nur irgendwie an, was Sache ist. Zählen die Beteiligten allerdings nicht mehr zum jungen Eisen, könnte der Nachwuchs mehr mitzureden haben, als den Beteiligten lieb wäre. All diesen aufreibenden Hürden, die plötzlich aufpoppen, nachdem Madeleine ihre Selbstständigkeit verloren hat und plötzlich auf Hilfe von außen angewiesen ist, begegnet eine großartig aufspielende Barbara Sukowa in einer ihrer besten Rollen mit Argwohn und kämpferischer Jugendlichkeit. Martine Chevallier hingegen spielt die zu Beschützende fein nuanciert und mit einem Repertoire an sehnsüchtigen Blicken. Wie die beiden Frauen füreinander kämpfen, wie sehr sie sich brauchen und was sie überwinden, um zusammen zu sein, sind fast schon Shakespear´sche Liebeswirren für eine entsexualisierte Generation, die aber genauso queer sein kann wie jene, die bei den Regenbogenparaden auf die Straße geht.

Wir beide ist jedenfalls eine der besten Liebesfilme der letzten Zeit – authentisch, poetisch und mit augenzwinkerndem Humor.

Wir beide

Der verlorene Sohn

SEELENGEISSELN MIT DEM BIBELGÜRTEL

6,5/1

 

BOY ERASED© 2018 Kyle Kaplan / Focus Features

 

ORIGINALTITEL: BOY ERASED

LAND: USA 2018

REGIE: JOEL EDGERTON

CAST: LUCAS HEDGES, NICOLE KIDMAN, RUSSEL CROWE, JOEL EDGERTON U. A.

 

Der liebe Gott will das alles gar nicht. Nicht diese Qual, nicht diese Verzweiflung. Menschen, die im mehrere Bundesstaaten umfassenden Biblebelt ihre Homosexualität entdecken, können sich glücklich schätzen, wenn es keiner merkt. Denn gleichgeschlechtliche Liebe, die ist im Südosten der USA etwas, das für all die anderen frommen Gläubigen nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Da muss die mittelalterliche Ahnung einer manipulativen Finsternis herhalten, die sich im Hexenwahn Europas und in der Manifestation des Teufels in den Dingen des Alltags schon Jahrhunderte zuvor austoben konnte, zum Leidwesen tausender unschuldiger Opfer. Erschreckend, dass sich diese Auslegung der heiligen Schrift im Pietismus der evangelikalen Kirche in zwar gesitteter, aber nicht weniger grausamen Form erhalten hat. Denn Homosexualität ist nichts, was den lieben Gott sauer aufstößt. Sondern Teil einer komplexen Biologie, die weder umgepolt, noch verdrängt, noch weggebetet werden kann.

Diese Erkenntnis hat der 19jährige Jared nach seinem Austreibungsseminar allerdings auch erlangt. Und noch etwas ist ihm klar geworden: Das die Reparativtherapie des bigotten (ebenfalls homosexuellen) Seminarleiters Victor Sykes nichts anderes als sektiererische Gehirnwäsche sein kann, in der Schwule und Lesben Sünden bekennen müssen, die sie bei Gott nicht getan haben. Schon wieder Gott, obwohl Vater unser in Joel Edgertons Film nur lediglich namentlich erwähnt wird – und sich ganz weit entfernt hat von Menschen, die die Weisheit mit dem letzten Abendmahl gegessen und keine Ahnung davon haben, wie das Wesen Mensch überhaupt funktioniert. Das sind auch die, die womöglich daran glauben, dass unsere Welt erst 6000 Jahre alt ist. So einem Schwachsinn sind junge Menschen wie Jared ausgeliefert. In Person des eigenen Vaters (schwerfällig: Russel Crowe), Victor Sykes und der Gesellschaft eines ahnungslos intoleranten Glaubens. Denn Glauben heißt doch nichts wissen. Und weiß man einmal mehr, ist man verdächtig. Jared, der fügt sich erstmal, macht gute Miene zum beschämenden Spiel. Und findet sich im Laufe des therapeutischen Programms in einem zermürbenden Umfeld aus Erniedrigung und den Abnötigungen absurder Geständnisse wieder. Und irgendwie, so erscheint es mir, gibt es Szenen in diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Drama, die mich an Stanley Kubricks Antikriegsfilm Full Metal Jacket erinnern. Auch in dieser seelenbrechenden Vorhölle haben Bestimmer jungen Menschen deren Identität geraubt – zwar nicht ihre sexuelle, aber sonst den ganzen Rest. Die Ideale, die nach diesem Flächenbrand zurückbleiben, sind jene, die zur erfolgreichen Vernichtung des anderen führen, und die bereits im Drill der Kadetten ihren Anfang nimmt. Da wie dort gibt es manche, die der psychischen Geißelung nicht standhalten können. Und bevor es zu spät ist, zieht Jared die Reißleine.

Joel Edgerton, der neben der Regie auch die Rolle des jovial-durchtriebenen Reparativtherapeuten übernommen hat, ist natürlich nicht ganz so gnadenlos perfide wie „Sergeant Hartmann“ R. Lee Ermey, aber jemand, dessen bekehrender Eifer Angst macht. Klar führt diese fragwürdige Indoktrinierung in einer Institution, die es nur gut für sich selbst meint, Erfolg maximal zur Leugnung von einem selbst. Das mitanzusehen, ist keine erquickende Bibelrunde zur Festigung der Gemeinde, und auch keine zwei Stunden entspannende Kinounterhaltung. Mit Der verlorene Sohn oder Boy Erased, wie der Film im Original heißt, arbeitet Edgerton Fakten auf, die Empörung fordern. Sein Film ist der erhellende Bildbericht eines Skandales, eine Reportage über verzweifelten Selbstverrat, über die Zensur der Freiheit, festgehalten in herbstlichen, fast ausgedörrten Bildern. Lucas Hedges, der mit Manchester by the Sea erstmals auf sich aufmerksam machte, bietet mit einer wieder mal famosen Nicole Kidman als hin und hergerissene, aber allen voran liebende Mutter überzeugende Schauspielkunst. In Rollen, die sicherlich nicht leicht zu interpretieren oder auszubalancieren sind. Die durchaus belasten können, wenn man beim Verstehen der filmischen Identität keine halben Sachen machen will.

Der verlorene Sohn bespricht ein Thema, das natürlich bereits vorhandenes, notwendiges Interesse voraussetzt. Das ungeschönte, allerdings aber auch hoch emotionale Drama ist ein sehr spezieller Film, der vor allem jenen, die sich ebenfalls die eigene sexuelle Orientierung verbieten, und zwar aus religiösen Gründen, etwas mitgeben können auf den Weg zu mehr Eigenakzeptanz und einem festeren Boden unter den Füßen.

Der verlorene Sohn