Sophia, der Tod und ich (2023)

WER SPÄTER STIRBT IST TROTZDEM TOT

4,5/10


Sophia, der Tod und ich© 2023 DCM / Stephan Rabold 


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE: CHARLY HÜBNER

DREHBUCH: LENA MAY GRAF, NACH DEM ROMAN VON THEES UHLMANN

CAST: DIMITRIJ SCHAAD, MARC HOSEMANN, ANNA MARIA MÜHE, JOHANNA GASTDORF, LINA BECKMANN, JOSEF OSTENDORF, CARLO LJUBEK, CHARLY HÜBNER, MATEO KANNGIESSER U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Kaum ist man geboren, hängt sich der Tod bereits an einen dran. Jederzeit kann’s passieren, und die so unergründliche Entität nimmt uns mit ins Jenseits. Dabei gibt’s aber durchaus findige Köpfe, die dem Gevatter ein Schnippchen schlagen können. Die vielleicht mit ihm Schach spielen wie bei Ingmar Bergman, die vielleicht auch auf die Idee kommen, ihm Hochprozentiges einzuflößen, bis er nicht mehr gerade gehen kann wie im Song der Austro-Band EAV. Der Tod ist manipulierbar, wenn man weiß, wie. Oder man nimmt ihn hin und hat dabei noch das Glück im Unglück, die Sache etwas aufzuschieben, um reinen Tisch zu schaffen und manch Angelegenheit zu klären, die zu Lebzeiten lange im Unklaren lag.

Der Musiker Thees Uhlmann, Sänger der Hamburger Band Tomte, hat übers Sterben einen skurril anmutenden, im Kern selbst aber ernüchternd resignierenden Roman geschrieben, der einen Taugenichts als Jedermann ins Bild rückt. Ihn muss einer der Handlanger des Todes über seine sterblichen Rechte aufklären, bevor er ihn mitnimmt. So steht er also vor der Wohnungstür eines vom Wein beseelten Reiner und gönnt ihm drei Minuten, um sein Leben abzuschließen. Natürlich funktioniert das nicht, Morten de Sarg – wie sich der blasse Gentleman nennt – verpasst seinen Einsatz, weil Reiners Ex namens Sophia die Party crasht. Ein wichtiger Termin steht schließlich an – die Mama feiert Geburtstag, und die beiden, mit dem Tod im Schlepptau, müssen in den Norden reisen. De Sarg bleibt nichts anderes übrig, als sich seinem Klienten an die Fersen zu heften, muss er doch den Auftrag von ganz oben erfüllen, sonst gerät die göttliche Ordnung ins Wanken. Und das will schließlich niemand erleben, wenn sowas passiert. Die Frage ist: Will man erleben, was passiert, wenn der ganz persönliche „Boandlkramer“ wie im Song besagter EAV irdische Genüsse plötzlich schätzen lernt? Im Grunde wäre das witzig – unter der Regie von Debütant Charly Hübner (u. a. Mittagsstunde) und den heiseren Auftritten von Marc Hosemann als blassen Störenfried allerdings tüncht ein unfreiwillig unkomischer Humor nur die schreckliche Gewissheit, dem Unausweichlichen entgegengehen zu müssen.

Die für uns so geheimnisvolle Welt der Himmelsscharen hätte aus der Feder Neil Gaimans oder gar Terry Pratchetts kommen können. Oder aber, Thees Ullmann gefällt die Idee, die monotheistische Hierarchie des (katholischen) Christentums sowie das Who is Who der literarischen Todesmythologie auf eine popkulturelle Wurstbuden-Gesellschaft herunterzubrechen. Bei Gaiman sind die Gestalten aus der Bibel immer noch in gewissem Maße geheimnisvoll und entrückt, aber dennoch bodenständig. Anders als die kettenrauchende Erzengelin Michaela, die am Flachdach eines Betonbaus anscheinend täglich der Exekutive des Sensenmannes deren Aufträge überreicht, in Form kleiner Notizbüchlein; manche bekommen mehr, manche weniger – und Morten de Sarg nur eines. Der ist ein blasser Mann in Schwarz, ein bisschen wie Mephisto, und doch erstaunlich ahnungslos. Über allem steht Gott als adipöser Lumpensammler, ebenfalls kettenrauchend, nicht wirklich eine sphärische Figur, sondern die Idee eines lebensüberdrüssigen Barbesuchers, der zur Sperrstunde nicht gehen will. Vielleicht ist das alles nur die Vision von Reiner (Dimitrij Schaad, u. a. Aus meiner Haut), und aus der Sicht eines anderen sieht das ganze wieder ganz anders aus.

Sophie, der Tod und ich will sich mit einem Tabu-Thema, das die Menschheit seit Ewigkeiten umtreibt, zwar einen Spaß erlauben, doch das Lachen bleibt unentwegt im Halse stecken, wenn denn manche Situationskomik überhaupt zum Lachen einlädt. Hübners Film ist kein bisschen Wim Wenders – eher ein Dead Man Walking. Es sind die letzten Tage eines angekündigten Toten, der in dieser Zeit keinerlei Freude mehr findet, schon gar keinen Sinn. Manch angedeutete biographische Ursache, die als Motivator für Reiners letzte Reise gelten hätte sollen, zerfällt zur Randnotiz. Das ist wahrlich trist, und da hilft der hampelmännische Ausdruckstanz zweier Jenseits-Beauftragter auch nichts mehr, denn das ist nur noch Fassade.

Nicht vergessen darf man in diesem die Laune vortäuschenden Roadmovie eine überaus reizende Anna Marie Mühe, die mit ihren Bemühungen letztlich scheitert, Klamauk und bittere Taschentuchtragik zusammenzuhalten. Es ist, als wüsste niemand der am Film beteiligten genau, ob die nächste Szene nun eine komische oder traurige sein soll. Erst kurz davor entscheidet man sich, und dann bleibt nur noch die Improvisation anhand eines Konzepts, das prinzipiell – und als metaphysisches Drama wohl besser geeignet – einige kluge Gedanken parat hält, diesen aber das schale Glück, dass manche in Nikotin und Alkohol finden können, vorzieht.

Wäre der Film doch so geworden wie seine Songs. Das Duo Stainer & Madlaina bereichert das Long Goodbye mit eingängigen, kurzen Stücken, die genau das zum Ausdruck bringen, was der Film die ganze Zeit wollte. Sie sind das, was man letztlich mitnimmt aus dem Kino. Um es später nachzuhören. Vielleicht immer wieder.

Sophia, der Tod und ich (2023)

Oh Boy

MEIN LEBEN IST MEIN KAFFEE

7/10

 

ohboy© 2012 Filmladen

 

LAND: DEUTSCHLAND 2012

REGIE: JAN-OLE GERSTER

CAST: TOM SCHILLING, MARC HOSEMANN, FRIEDERIKE KEMPTER, JUSTUS VON DOHNÁNY, MICHAEL GWISDEK, ULRICH NOETHEN, FREDERICK LAU U. A.

 

Ich bin süchtig. Und zwar nach Kaffee. Das gebe ich offen und ehrlich zu, und wenn ich frühmorgens keinen Kaffee bekomme, kann ich mich gleich wieder niederlegen. Das ist eine Gesetzmäßigkeit, der ich wohl  jeden Tag für den Rest meines Lebens folgen werde. Dass Leute morgens lieber Tee statt Kaffee trinken, das kann ich nicht verstehen. Muss ich auch nicht. Jeder hat so sein Ding, und auch der Endzwanziger Niko, mit dem wir in Jan-Ole Gersters Stimmungsfilm viel zu spät aus den Federn kommen. Da bleibt nicht mal mehr Zeit für die Freundin, die daneben im Bett liegt. Und Kaffee geht sich auch keiner mehr aus. Was für ein ungnädiger Anfang eines Tages, der noch allerhand Seltsamkeiten mit sich bringt. In einzelnen Episoden, die untereinander eigentlich nichts miteinander zu tun haben, und nur Taugenichts Tom Schilling gemächlich wirbelnden Strömungen  gleich als roten Faden dahintreiben lassen. Beginnend mit einem Termin beim Psychologen, der Nikos Zurechnungsfähigkeit attestieren und folglich den abgenommenen Führerschein wieder aushändigen soll, begegnet der junge Tagträumer sich selbst überschätzenden Freunden, unglücklichen Nachbarn, nahen Verwandten und Schulkolleginnen, die auf den ersten Blick viel zu fremd sind. Was aber das Unbequemste des ganzen lieben langen Tages aber darstellt, und sich wie ein Steinchen im Schuh je nach Lage unangenehm bemerkbar macht, ist die Unmöglichkeit, einen Kaffee zu bekommen. Dieses Genuss-Vakuum ist wie ein Fluch für den Orientierungslosen. Der sich selbst keine Ziele setzt, sich zu nichts entschließt und es niemanden wirklich recht machen kann.

Tom Schilling hat in dem perspektivlosen Jüngling seine Paraderolle gefunden. Und Jan-Ole Gerster im frühen Jim Jarmusch womöglich sein Vorbild. Nicht von ungefähr ist Oh Boy in teils grobkörnigem, teils dem Stil urbaner Reportagefotografie nachempfundenen Schwarzweiß gehalten, ganz so wie Jarmuschs Werke Down by Law oder auch Coffee & Cigarettes. In letzterem treffen sich unter anderem Bill Murray und Steve Buscemi zum Schwatzen, während literweise das schwarze Gold fließt und geraucht wird, als gäbe es kein Morgen mehr. Und eigentlich sonst auch kaum mehr Handlung. Oh, Boy verlässt sich aber nicht nur auf seine Stimmung. Die Figur des Niko ist wie ein Freeze Frame der Generation What, eine Momentaufnahme, ein Verharren vor der freien Wahl der Möglichkeiten, ein Zögern vor der Gefahr, das Falsche aus dem Leben zu machen. Seit es in unserer westlichen Welt alles gibt, und wir machen können was wir wollen, ist die Vielfalt der Selbstverwirklichung der eigentliche Hemmschuh für manche, die sich zu nichts entschließen können. Und die vor einer Vielzahl offener Türen innehalten, um noch schnell mal am Glimmstängel zu ziehen, unverfängliche Gelegenheiten am Schopf packen oder sich vom Freundeskreis einfach mittragen lassen. Wenn das Geld dann auch noch durch die Finger rinnt, so wie die Zeit und der Tag, dann hilft nur noch Improvisation, oder die Reduktion des Willens auf das Einfachste – auf Kaffee, Zwiesprache mit sich selbst, und Gedanken, die genauso zollfrei und schrankenlos sind wie das Streben nach Erfolg in einem erfolgsbestimmten gesellschaftlichen Kontext, der gar nichts mehr anderes duldet. Schilling setzt sich diesem Selbstbeweisen noch nicht aus – oder vielleicht sogar niemals. Wie es wird, weiß weder er noch all die anderen. Dabei blickt der Junge nur um sich und sieht, was die anderen bewegt. Er selbst aber bleibt wie das Zentrum eines Karussells an Ort und Stelle – und wundert sich, wer alles seinen Weg kreuzt. Dabei hat er selbst keinen bestimmten.

Diese Leichtigkeit, dieser Flow ins Unbestimmte, ist, wie bei Jim Jarmusch, der Reiz dieses Großstadtmosaiks, dieser Liebeserklärung an Berlin, voller Melancholie und manchmal auch Mitleid. Voller Lässigkeit und irgendwie über den Dingen hängend, wie Wim Wenders´ Engel Damiel. Dabei sind die einzelnen Begegnungen in ihrem Dialog und ihrer Wechselwirkung verdichtet genug und entbehren nicht einer gewissen Faszination für das scheinbar Improvisierte und Unmittelbare. Vielleicht ist diese Unmöglichkeit des Steuerns durch den Tag genau das, was auch Niko fasziniert. Mich erfüllt das mit Sympathie und Verständnis für einen Loser, der eigentlich noch gar nichts verloren hat. Und sich womöglich nur Zeit nimmt. Zeit für einen Kaffee. Irgendwann, am Ende des Tages.

Oh Boy