King’s Land (2023)

ERNTEN, WAS MAN SÄT

8/10


kingsland© 2024 Henrik Osten, Zentropa


ORIGINALTITEL: BASTARDEN

LAND / JAHR: DÄNEMARK, SCHWEDEN, NORWEGEN, DEUTSCHLAND 2023

REGIE: NIKOLAJ ARCEL

DREHBUCH: NIKOLAJ ARCEL, ANDERS THOMAS JENSEN, NACH DEM ROMAN VON IDA JESSEN

CAST: MADS MIKKELSEN, SIMON BENNEBJERG, AMANDA COLLIN, GUSTAV LINDT, KRISTINE KUJATH THORP, MORTEN HEE ANDERSEN, MELINA HAGBERG, FELIX KRAMER, SØREN MALLING U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Mads Mikkelsen auf die Heide zu schicken ist ein weiser Entschluss. Der Däne verspricht stets großes Kino, seine Performances sind konstant professionell, in einigen Filmen durchbricht er gar das Level seiner Leistungen nach oben hin. Seine Gefühlsregungen sind dezent, feuchte Augen und eine gerade noch aufrecht erhaltene stoische Mimik sind alles, die darüber informieren, dass der Mann da vor der Kamera einem Orkan an Gefühlen ausgesetzt sein muss, so sehr reißt es ihn hin und her. Eine schauspielerische Differenziertheit wie diese passt perfekt ins europäische Arthouse-Kino. Als Leibarzt der Königin hat er schon mal bewiesen, wie sehr ihm Geschichte zu Gesicht steht. Auch da durfte ihn Nikolaj Arcel inszenieren, hineingeworfen in ein mit satten, dunklen Farben ausgestattetes Drama authentischen Ursprungs. Noch erdiger, noch intensiver und so richtig blutig wird in King’s Land Zwietracht gesät. Das neue dänische Meisterwerk ist ein Kriegsfilm auf begrenzter Fläche, eine wilde Tragödie um Grund und Boden, noch dazu um einen Boden, der nicht viel hergibt. Die Rede ist vom dänischen Heideland, einer nährstoffarmen Region, die sich Mitte des achtzehnten Jahrhunderts nicht und nicht kolonisieren lässt, so sehr viele auch versucht haben, dort etwas anzubauen, um Titel, Geld und Ansehen zu erlangen. Ludvig Kahlen, ein ehemaliger Hauptmann, kehrt aus Deutschland zurück in seine Heimatund will beweisen, dass es mit der notwendiger Hartnäckigkeit und zähem Willen und natürlich dem Know-How eines Gärtners durchaus möglich ist, den großen Jackpot zu knacken: Nämlich Land urbar zu machen, welches nichts wert scheint. Der König nickt dieses Vorhaben ab, und Kahlen, als Bastard eines Gutsherrn in die Welt gesetzt und um seine gesellschaftliche Anerkennung gebracht, macht sich auf in die Unwirtlichkeit, um ein Projekt auf die Beine zu stellen, welches bald den Argwohn des skrupellosen Gutsherrn De Schinkel weckt. Der ist schließlich der Meinung, dass die ganze heidekrautbewachsene Ödnis ihm gehört – und Kahlen somit als Pächter vorstellig werden muss. Der sieht das nicht so, sitzt aber ganz offensichtlich am kürzeren Ast, wenn es darum geht, politischen wie wirtschaftlichen Einfluss ins Spiel zu bringen, um den anderen zu vernichten.

Der feuchte Boden, der dichte Nebel, die Kargheit einer menschenfeindlichen Landschaft, darin zwei Feinde, die sich bis aufs Blut sekkieren: Das epische, schmutzige Dänenkino ist zurück, so düster wie ein schweres, herannahendes Unwetter, welches Hagel bringt und das Zeug hat, ganze Ernten zu vernichten. Die schwelende Anspannung legt sich wie Fieber über das Fehdedrama, in welches man gut und gerne paranormale Verwünschungen gut aufgehoben fände, so wie Robert Eggers diese in The Witch gepflanzt hat. Der Aberglaube, das harte Los der Pioniere und das freie Spiel der Kräfte drehen einen Strick um Mads Mikkelsens Kehle – und dennoch sind da emotionale Feinheiten in diesem Werk, welche zu Tränen rühren und die sich niemals so lange ihrem Selbstmitleid hingeben, um in sentimentalen Kitsch auszuufern. Stets weiß Arcel immer genau, wann Schluss sein muss mit den Gefühlen, wann die wettergegerbten Hände wieder in der Erde wühlen, Ziegen geschlachtet und angeheuerte Ungeheuer getötet werden müssen.

Es ist ein hartes, erbarmungsloses Leben auf diesem Land des Königs – Arcels Film, der sich im Original Bastarden nennt, spielt trotz seines mit Bürden angereicherten Kraftakts die klassische Klaviatur eines nach vertrauten Parametern angeordneten Historienepos und nähert sich seinem Publikum dadurch an, indem er Bilder auf die Leinwand wirft, die wie eine Sonderausstellung dänischer Landschaftsmaler aus absolutistischen Zeiten anmuten. Witterungsreich, den Blick in die Weite, schwer arbeitendes Volk. Herzzerreissender Lichtblick in diesem Opfergang ist die kleine Melina Hagberg als elternlose Sintezza, die das Wertebewusstsein des beharrlich nach Erfolg strebenden Mads Mikkelsen hinterfragt. Seine Figur muss erst lernen, worauf es im Leben ankommt – ob er je zur Einsicht gelangt, mag man – nein, sollte man in diesem mitreißenden Filmerlebnis unbedingt ergründen.

King’s Land (2023)

Die Königin des Nordens

GAME OF THRONES IN ECHT

8,5/10

 

koenigindesnordens© 2021 Zuzana Panská / SF Studios

 

LAND / JAHR: NORWEGEN, SCHWEDEN, DÄNEMARK, ISLAND, TSCHECHIEN 2021

REGIE: CHARLOTTE SIELING

CAST: TRINE DYRHOLM, MORTEN HEE ANDERSEN, SØREN MALLING, JAKOB OFTEBRO, BJORN FLOBERG, THOMAS W. GABRIELSSON, AGNES WESTERLUND RASE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Nein, bei dieser Königin des Nordens handelt es sich nicht um Sansa Stark – Kenner und Freunde der High-Fantasy-Reihe von George R. R. Martin wissen, wen ich damit meine. Doch man braucht längst keine entrückten Welten mehr, will man ähnliche Charaktere in der europäischen Geschichte finden. Natürlich sind historische Persönlichkeiten, noch dazu aus dem dunklen Mittelalters, nur fragmentarisch umschrieben. Also werden die Lücken gefüllt – wie bei der Restauration eines altertümlichen Artefakts, mit der Billigung künstlerischer Freiheit.

Statt Sansa Stark behauptet sich also Margarethe I. über große Teile Skandinaviens – es ist dies die Kalmarer Union, bestehend aus Dänemark, Schweden und Norwegen. Jemals was von Margarethe I. gehört? Ich jedenfalls nicht, und umso dringender schien es mir, mein Allgemeinwissen in Sachen europäischer und dezentraler Geschichte aufzufüllen. Es ist zwar ungefähr klar, was zu dieser Zeit rund um Deutschland und Österreich alles passiert ist – der Norden hingegen stand zumindest bei vielen Gelegenheiten nicht am Programm. Die charismatische Erscheinung der Königin – einnehmend, differenziert und in ihrem Verhalten vollkommen nachvollziehbar dargestellt von Trine Dyrholm – hinterlässt also beim nordischen Adel einen gehörigen Eindruck. Und selbst die Briten denken darüber nach, einer Heirat mit Thronfolgerin Philippa und Margarethes Adoptivsohn Erik zuzustimmen. Als das Bündnis zwischen Briten und der Kalmarer Union kurz davor steht, besiegelt zu werden, taucht plötzlich ein Mann auf, der steif und fest behauptet, Margarethes tatsächlicher Sohn Olav zu sein. Dieses scheinbar inszenierte Schicksal wird die gesamte nordische Politik durcheinanderbringen, während der deutsche Orden bereits die Zähne fletscht.

Ridley Scott hat mit seinem ungewöhnlichen Mittelalterdrama The Last Duel schon alles richtig gemacht. Die Dänin Charlotte Sieling kann das sogar noch besser: Ihr historischer Politthriller könnte bereits jetzt schon eines der filmischen Highlights dieses Jahres sein und sich einen Platz in meinen Bestenlisten gesichert haben. In seiner Düsternis, seiner Intensität und in der Entwicklung der Charaktere, für die es normalerweise ganze Serienstaffeln braucht, Sieling dies aber innerhalb von zwei Stunden lückenlos hinbekommt, ist Die Königin des Nordens eines der besten historischen Dramen der letzten Jahre. Warum? Es gibt zuerst mal einen dicken, roten Faden – das ist die Charakterstudie der Margarethe, die zwischen Familiensinn und dem Wohl der Union so sehr zerrissen scheint, dass sie gar im stürmischen Regen gegen die tosenden Wellen anbrüllen muss. Es ist der etwas dünnere, aber sich ebenfalls durchziehende zweite rote Faden über König Erik – auch er kein Böser und kein Guter, eine gekränkte, aber ehrliche Persönlichkeit. Morten Hee Anderson bietet ganze Breitseiten an inneren und äußeren Konflikten. Um die beiden herum das Geflecht aus Intrigen und Feindseligkeiten, das Zerreißen politischer Lager und unvorstellbarste Konsequenzen, die eine Mutter nur ziehen kann. Unterlegt mit einem wohldosierten dramatischen Score gerät der Norden Europas zu einem unwirtlichen zweiten Westeros, zu einer shakespear’schen Bühne, auf deren Boden Opfer gebracht werden müssen, ohne die Politik anscheinend niemals funktionieren kann.

Die Königin des Nordens