Nebenan

EGO-FALLE STAMMBEISL

7,5/10


nebenan© 2021 Warner Bros. Entertainment GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: DANIEL BRÜHL

DREHBUCH: DANIEL KEHLMANN

CAST: DANIEL BRÜHL, PETER KURTH, RIKE ECKERMANN, AENNE SCHWARZ, GODE BENEDIX, MEX SCHLÜPFER, VICKY KRIEPS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Dem geschätzten Niki Lauda an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön: Durch Daniel Brühls Darstellung des österreichischen Kult-Rennfahrers in Ron Howards Rush ist dieser in den Olymp großer Eventfilme aufgestiegen, und zwar ins Marvel-Universum. Dabei ist Brühls Rolle in diesem dicht bevölkerten Kosmos an metaphysisch begabten Egozentrikern und Altruisten eine gar nicht mal so Unbedeutende: Baron Zemo, der Mann mit der violetten Cord-Maske und Schürer des Unbehagens auf Seiten Wakandas, hat dieser doch in The First Avenger: Civil War gleich Teile der Wiener UNO-City gesprengt. Unter den Opfern: T’Challas Altvorderer. In The Falcon and the Winter Soldier darf jener, der Lenin damals verabschiedet hat, auch nochmal – und diesmal wirklich mit Maske – Disney+ veredeln. Was für eine Karriere. Und Brühl geht souverän damit um. Keine Gossips, keine Allüren (wie es scheint) – einfach nur Professional Work auf allen Kirtagen.

An so einem Erfolgszenit bedarf es gerne mal eines Moments innerer Einkehr. Um mal nachzusehen, was für ein Mensch man dadurch eigentlich geworden ist. Brühl fällt dabei kein Zacken aus der Krone – er weiß, was er zu tun hat. Nämlich: sich selbst und das Umfeld an Leuten, mit und zwischen denen er arbeitet, mal auf Augenhöhe mit den Normalsterblichen von nebenan zu bringen. Brühls autobiographische Idee hatte dann einer wie Daniel Kehlmann umzusetzen, inszenieren kann Zemo dann wieder selbst. Ein Kammerspiel ist hierbei entstanden, oder besser gesagt: ein Kneipenspiel beim Bierwirt ums Eck. Eine Schrulle aus Eitelkeiten und obsessiven Observationen. Denn kaum ein Unbekannter, mit dem man als Filmstar ein Gespräch anfängt, ist, was er vorgibt zu sein. Aber – ist das umgekehrt nicht auch so?

Es muss also Filmstar Daniel (eigentlich als er selbst) ganz dringend und unbedingt nach London zu einem Casting für einen neuen Superheldenfilm. Vorher bleibt ihm noch Zeit, um bei einem Kaffee im Stammlokal nochmal den Text durchzugehen. Eine Seite Drehbuch, hinten und vorne keine Ahnung, worum es eigentlich geht, und die Anforderung, der Beste zu sein, scheint recht schwierig zu werden. Für Ablenkung sorgt ein Mann namens Bruno, der den jungen Künstler permanent anstarrt. Die beiden kommen bald in ein Gespräch – über Daniels Filme und wie unglaubhaft diese nicht sind. Bald gibt es Ego-Kränkungen und Beschwichtigungen, und bald gibt Bruno sich als Nachbar zu erkennen, der mehr über Daniel weiß, als diesem wohl lieb sein wird.

Daniel Brühls Regiedebüt ist eine kleine Entdeckung. Eine mitunter beklemmende, aber schwarzhumorige Besonderheit, die sich umgestülpten Motiven des Suspense-Kinos bedient. Kehlmann leiht dem zur Selbstironie und auch -kritik bestens aufgelegten Brühl und seinem Gegenüber Peter Kurth (Babylon Berlin) jede Menge scharfschneidiger Dialogzeilen, die sich bestens ergänzen und sich in einem geschmeidigen Gesprächsrhythmus verzahnen. Vor allem Kurth, der schon in Babylon Berlin oder In den Gängen beeindruckende Leistungen absolviert hat, darf auch hier so viel schmeichelhaft-höfliche Bedrohung ausstrahlen, dass man als Zuseher gerne versucht ist, diesen Brummbären zu unterschätzen, dabei aber Gefahr läuft, durch die Hintertür von ihm erledigt zu werden. Doppelbödige Wortduelle lassen die vom Bier- und Kaffeedunst patinierte Kiezkneipe am Prenzlauer Berg zu einer Arena der Befindlichkeiten mutieren, die dem jeweils anderen in seiner Ego-Verwirklichung im Wege stehen. Doch wer ist im Recht, und wer muss sein Dasein überdenken? Wir haben den Star, den alle lieben und der sich gnadenlos selbst überschätzt – und den Zaungast des Ruhms, der nichts davon hat, außer die unüberhörbaren Eitelkeiten der Elite. Da trifft Missgunst auf Arroganz, da denkt der Promi darüber nach, was das Wissen um seine Person wert ist. Und der Unbekannte, was dieses Wissen ihm wohl bringt.

Nebenan ist eine leidenschaftlich vorgetragene inszenatorische Fingerübung über das Bocken zweier Klassen und das Prosten mit Bier auf gleicher Höhe. Dazu noch die Sulz des Hauses, und der Tag kann bei weitem anders beginnen als geplant.

Nebenan

In den Gängen

DIE SEHNSUCHT DES GABELSTAPLERS

6,5/10

 

indengaengen© 2018 Zorro Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: THOMAS STUBER

CAST: FRANZ ROGOWSKI, SANDRA HÜLLER, PETER KURTH, ANDREAS LEUPOLD, MICHAEL SPECHT U. A.

 

Stanley Kubrick hat in seinem Meisterwerk 2001- Odyssee im Weltraum den Tanz der Raumschiffe mit den Klängen des Donauwalzers hinterlegt: eine, wenn nicht DIE Sternstunde des Kinos schlechthin. Regisseur Thomas Stuber, dem Kubrick´s Film wohl auch gefallen haben muss, hat den Menschen in seinem Fortschrittseifer vom Himmel geholt und den ganzen technisch-utopischen Reigen auf eine alltägliche Morgendämmerung im Supermarkt zurechtgestutzt. Was aber, wider Erwarten, eine poetische Eleganz entwickelt, die man so völlig unattraktiven Großhallen mit all ihren Regalen und sterilen Gängen nicht zugetraut hätte. Zuerst das Angehen der Lichter, fotografische Blicke in die Regalfluchten. Und dann kommen sie angerollt – die Putzmaschinen und Gabelstapler. Und vollführen ein Ritual, das wohl jedem Supermarktbediensteten die Tränen der Rührung und Begeisterung in die Augen treibt. Denn die wohl eher stets monotone, nüchterne Arbeit im Supermarkt wird durch das Intro von Stuber´s Normalverbraucher-Drama zu etwas ganz Besonderem, direkt Sakralem – zu einer verklärenden Liturgie eines sonst konformen Jobprofils. Fast erwartet man, dass Regalräumer und Lagerarbeiter auf Rollschuhen in geprobten Figuren durch die Gänge gleiten. Doch bevor das Schöne am Praktischen von anerkennender Aufmerksamkeit zur Parodie kippt, endet auch der Zauber des beginnenden Alltags, kurz bevor die Pforten öffnen – und der einkaufende Bürger als austauschbare Variable seine eigenen vier Wände mit Lebensmitteln versorgt.

Dieses Intro, das ist der größte inszenatorische Wurf in diesem zaghaften Kaleidoskop aus blauen Arbeitsmänteln, Getränkekisten, Automatenkaffee und Südseetapeten, die im Pausenraum den unerreichbaren Plan B für Mindestlohnbezieher symbolisieren. In den Gängen könnte furchtbar trist sein – ist es aber nur zum Teil. Die Schönheit des Ereignislosen, der Zauber des Raureifs auf den Äckern und das unbeschriebene Blatt des morgendlichen Himmels bekommt eine Aura des Unentdeckten, Spannenden. Als hätte Dokufilmer Nikolaus Geyrhalter, der eine Vorliebe für das Majestätische des Schlichten hat, ein Drehbuch von Ulrich Seidl verfilmt, selbst ein Unerschütterlicher, wenn es darum geht, ins Innerste gesellschaftlicher Milieus zu blicken. Doch so abstoßend wie Hundstage oder Import/Export ist In den Gängen keineswegs. Stets mit einer Menge Sympathie und fast schon fürsorglicher Liebe zu seinen genügsamen Figuren setzt Stuber eine unprätentiöse Romanze in Gang, welche sehnsüchtige Zugeständnisse in den Details versteckt, die im Überangebot einer Konsumgesellschaft verschwinden. Sie zu suchen, macht sich der Plot von In den Gängen zur Aufgabe. Und dennoch – wirklich glücklich macht das Drama über resignativ-disziplinierte Alltagsexistenzen eben trotzdem nicht.

Franz Rogowski als Ex-Häftling, der in seiner Arbeit als Staplerfahrer vorübergehend Erfüllung und neuen Halt im Leben findet, bleibt – verloren in den unendlich scheinenden Weiten des Großhandelsortiments – eine unnahbare, extrem introvertierte Gestalt, fast schon kafkaesk. Und wenn der gewissenhafte Helfer dann zu Wort kommt, ist er ob seines Sprachfehlers kaum zu verstehen. Sandra Hüller, dem Publikum gut bekannt als Tochter Peter Simonischek´s in Toni Erdmann, ist das sensible Aschenputtel in all den repetitiven Handgriffen, die das tägliche Werk von Angebot und Verkauf am Laufen halten. Und der, von dem man glaubt, die Dinge am Besten im Griff zu haben – nämlich Peter Kurth (Babylon Berlin) als Bruno – wird alle Anwesenden eines Besseren belehren. Drei Schicksale also, die jeweils als Kapitel den Film dritteln. Mal mehr, mal weniger lebensmutig. Und während man zusieht, wie mühsam sich das Leben dieser Angestellten weiterbewegt, wünscht man ihnen auch privat so etwas wie einen Gabelstapler, der das eigene kiloschwere „Pinkerl“ aus Frust, Flucht und schwankender Zuversicht leichter tragen und ertragen lässt. Doch dieses Gerät, das fährt nur in den Gängen hin und her, hebt und senkt sich. Und klingt dabei manchmal so wie das Rauschen des Meeres, das so unendlich fern ist. Dieses Abfinden der Umstände, dieses Strecken nach der Decke, mag ernüchternd kampflos sein, wenn es um Träume geht. Doch den Umständen einen Lebenswert abzugewinnen, ist die Kunst der kleinen Leute, die mit dieser Liebeserklärung zutiefst respektiert werden.

In den Gängen