Bugonia (2025)

DIE BIENEN HABEN ES SCHON IMMER GEWUSST

7/10


© 2025 Atsushi Nishijima / Focus Features


LAND / JAHR: USA, SÜDKOREA, IRLAND 2025

REGIE: YORGOS LANTHIMOS

DREHBUCH: WILL TRACY, NACH DEM FILM VON JANG JOON-HWAN

KAMERA: ROBBIE RYAN

CAST: EMMA STONE, JESSE PLEMONS, AIDAN DELBIS, ALICIA SILVERSTONE, STAVROS HALKIAS U. A.

LÄNGE: 2 STD


Überall diese Muster

Wie schön es nicht ist, völlig belegfrei im Geflecht von Aktion und Reaktion, von Ursache und Wirkung auf diesem unseren Planeten Muster zu erkennen, wo keine sind. Besten Dank an dieser Stelle ans Gehirn! Einige unserer Mitmenschen sind wirklich gut darin und machen ihre Hausaufgaben, denn wenn man versuchen würde, manch gordischen Gehirnknoten zu lösen, dabei verzweifelt darum fleht, mit diesem Unfug aufzuhören, da Belegbares anscheinend nicht reicht – es würde nicht gelingen. Genauso wenig, wie sich die Existenz eines Gottes weder widerlegen noch beweisen lässt, lässt sich auch bei manch anderen Behauptungen nur schwer über den Tellerrand blicken. In diesem Vakuum aus Belegungsnotstand treibt die üppige Botanik gemeinsam mit unkurierter Paranoia herrliche Blüten, vom Ursprung der menschlichen Rasse, angetrieben durch die Intervention einer uns haushoch überlegenen außerirdischen Spezies über die Deep State-Bestrebungen, den Freimaurern, dem eigentlichen Zweck der Pyramiden (Danke, Roland Emmerich), der Qanon-Blutsaugern, natürlich den Chemtrails, der gefakten Mondlandung, der Biowaffe namens Covid bis zur aktuellen Streitfrage, ob Brigitte Macron nicht doch ein Mann ist – oder, viel schlimmer: vielleicht, wie Michael Jackson, ein Alien.

In Wahrheit ist Elch Emil auch nur ein als Elch getarntes biopositronisches russisches Vehikel, materialisiert in Polen, welches den Osten Österreichs ausgekundschaftet hat, Putin hat schließlich überall seine Augen, Ohren, Geweihe. Man kann bis zum Abwinken dahinschwurbeln, eine Systematik hinter immer wieder auftretenden Zahlen erkennen (die 23!) oder Beweise in der Schublade liegen haben, wonach die Erde in Wahrheit nämlich flach ist – wenn es dann tatsächlich Beweise geben sollte und die Schwurbler lägen richtig, wäre ihr Aufmerksamkeitsdefizit dann plötzlich nicht mehr so pflegebedürftig.

Wir sind nicht allein

In so einem irren Dunst der Wahnvorstellungen – und weil die Bienen es ohnehin schon immer gewusst haben und deswegen stiften gehen – reitet einer wie Jesse Plemons die aalglatte, toughe Geschäftsfrau Emma Stone in eine unangenehme Situation hinein: Schließlich soll sie wie Michael Jackson ein Alien sein, es gibt allerhand Indizien dafür, Wangenknochen, Vorbiss, et cetera. Die weite Reise vom Andromeda-Nebel auf sich genommen, soll sie mit einigen anderen ihrer Spezies die Menschheit längst infiltriert haben. Teddy, Plemons Figur, und der geistig etwas langsame Don haben alles von langer Hand geplant und bringen Michelle, so Emmas Figur, in ihre Gewalt. Eine Audienz beim Imperator will Teddy schließlich erzwingen, um sich der Schattenherrschaft der Aliens zu entledigen. Natürlich hat Michelle keine Ahnung, doch wie belegt man bei einem Verschwörungstheoretiker wie diesen denn die Fakten, ohne dass die Sache nach hinten losgeht? Richtig, nämlich gar nicht. Wie im Laufe dieser unglaublichen Entführung der verrückten Mrs. Stone ebenjene versucht, sich aus den Gehirnwindungen des Teddy herauszumogeln, beschert uns Zuseherinnen und Zusehern den wohl bekömmlichsten, weil geradlinigsten und gefälligsten Film des Exzentrikers Yorgos Lanthimos. Von seinen Anfangswerken wie Dogtooth oder The Lobster – exzentrische, verkopfte, strenge Werke – hat der Grieche Abstand genommen. Das könnte, so vermute ich – und das ist keine Verschwörungstheorie – mitunter daran liegen, dass das Skript gar nicht von Lanthimos stammt, basiert dieses doch auf einem bereits existierenden südkoreanischen Science-Fiction-Film mit dem Titel Save the Green Planet!.

Es wäre wegen den Bienen

Übertragen auf US-amerikanische Bedürfnisse und Ängste, versteht sich Bugonia als geradlinige, direkte und kaum doppelbödige Thrillersatire, die ein lustvolles Ensemble einfach machen lässt. Selbst ich hätte dabei meinen Spaß an der Freude, wenn ich jene Ohrfeige austeilen könnte, die am Ende des wenig zimperlichen Werks mit Schmackes ins Gesicht jedes Verschwörungsschwurblers knallt, der von sich behauptet, als einziger die Wahrheit zu kennen. Ein Fun Fact zum Titel gefällig? Bugonia – bitte nicht verwechseln mit der Begonie – kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Ochensgeburt, was wiederum auf ein antikes Ritual zurückzuführen ist, in dem aus dem Kadaver einer toten Kuh (!) Bienen zu neuem Leben erwachen (nochmal !).

Opfer bringen für eine Zeitenwende, zur Tat schreiten auf kruden Wegen, die sonst niemand beschreitet: Ja, es mag Blut fließen und ganze Tiegel an antihistaminischer Körpercreme verschmiert werden – irgendwann sieht Emma Stone, und das schon relativ früh, tatsächlich aus wie nicht von dieser Welt: wie eine Version von Werner Herzogs Nosferatu wird sie selbst für uns zur zweifelhaften Geheimnisträgerin, die vielleicht doch nicht das ist, was sie vorgibt.

Selbsterfüllende Prophezeiungen

Bugonia macht Spaß, treibt den Teufel kruder Weltbilder durchs Dorf, bevor der Film diese Geißel an die Wand malt, um ihn dann vielleicht zu bannen. Der Stich in die Blase der Verschwörungen ist dann nur ein leises Plopp – wie Lanthimos diese Metapher in seine humorvolle Groteske im wahrsten Sinne des Wortes hineinstrickt, ist elegant, die Optik wie immer so akkurat wie sonderbar, und auch die Schmerzgrenze für quasselnde Alltagsweisen mag nach diesem Film etwas höher liegen – vielleicht deswegen, weil man sich dann wünscht, dass sie allesamt, von den Scheibenweltlern bis zu den Deep State-Enthusiasten – endlich bekommen sollen, was sie verlangen. Dann aber möchten sie alle selbst nicht mehr glauben, was sie denken.

Bugonia (2025)

The Favourite

A SHAME OF THRONES

7/10

 

favourite© 2018 20th Century Fox GmbH

 

LAND: GROSSBRITANNIEN, IRLAND, USA 2018

REGIE: GIORGOS LANTHIMOS

CAST: OLIVIA COLMAN, RACHEL WEISZ, EMMA STONE, NICHOLAS HOULT, JOE ALWYN, MARK GATISS U. A.

 

Endlich, mein erster Film von Giorgos Lanthimos, dem exzentrischen Griechen, der mit seinen eigenwilligen Gesellschaftstableaus die Grenzen zum Surrealen sprengt. Dessen Filme man als Cineast eigentlich gesehen haben muss, oder nicht? Wenn, dann spätestens nach dem medialen Wind um das Historiendrama The Favourite, auch selbiger bei den Oscars 2019. Und Sprungbrett für die Britin Olivia Colman in den Olymp der Goldjungen, wo sie nun Platz nimmt neben Rami Malek, der bald James Bond-Bösewicht sein wird. Und Colman? Vielleicht die neue M? Wer weiß.

Lanthimos, der ist, zumindest seiner jüngsten Arbeit nach zu schließen, auch nicht exzentrischer als der gute alte Theaterbrite Peter Greenaway. Und ja, The Favourite erinnert stark an die Opulenz der Filme wie Das Wunder von Macon oder Der Kontrakt des Zeichners. Greenaway liebäugelte ja stets mit dem orgiastisch Dekorativen des Barock. Das macht Lanthimos auch. Und noch etwas macht Lanthimos, was aber Greenaway nie getan hat – er lässt die Kamera nicht dem Publikum gleich auf eine Bühne blicken, die maximal ausladende horizontale Schwenks erlaubt. In The Favourite orientiert sich Kamerafrau Robbie Ryan erstens an der zeitgeistigen Spielerei von Google Maps – nämlich am 380° Rundumblick, um mittendrin statt nur dabei zu sein. Und zweitens an der altniederländischen wie manieristischen Malkunst. Dieser Bildstil beschreibt nun ein sehr breites Spektrum – von der Gotik bis an die Schwelle des Barock. Dabei meine ich hier nicht den Stil an sich – vielmehr das Experiment mit dem erweiterten Blickwinkel – der Integration konvexer kleiner Spiegel. Der Flame Jan van Eyck hat sich hier erstmals, in manchen Details seiner Bilder, der Brennweite eines – wie wir heute sagen würden – „Fisheye“ bedient. Später dann, im besagten Manierismus, hat der Italiener Parmagianino mit seinem berühmten Selbstportrait in gewölbter Reflexion Kunstgeschichte geschrieben. Diese Wahl der Mittel, um in die Tiefe eines Bildes einzutauchen, die wählt auch Lanthimos. Und schafft damit eine aufgeblasene, kathedralenhohe, isolierte Sphäre elitärer Gesellschaften, die zwar wissen, dass Erbfolgekrieg herrscht, sich selbst aber davon ausnehmen.

Dieses ausschweifende, schwindelerregende Bilderkarussell mutiert durch seine unnatürlichen Raumkrümmungen und verzerrten Figuren, die allesamt als grotesk gepuderte Marionetten durch den Königshof staksen, zu einer Blickerevue durch Schlüssellöcher und ist für jene, die sich optisch gerne verwöhnen lassen, eine üppige Augenweide, ein brokatgetragenes, mitunter eiliges Scharwenzeln durch Flure, Gänge und Zimmer. Zwischendurch wird es finster, flackert maximal ein gegen die Dunkelheit des Intrigenspuks ankämpfendes Kerzenlicht, dass hinter den edelholzgetäfelten Wänden eine dunkle Dimension vermutet, fast wie bei David Lynch. Nur ins Metaphysische gleitet The Favourite niemals ab, das täuscht das Werk alleine durch seine Verfremdung gemäldeartigen Bilder vor, die das Buhlen zweier Damen zum Thema haben, die wie zwei Furchengängerinnen vor der Obrigkeit um den Thron buckeln, um einer scheinbar debilen und schwer an der Gicht leidenden Monarchin ihre eigenen Machtgelüste aufzuoktroyieren. Queen Anne selbst – die ist schwer traumatisiert, hat 17 Kinder verloren und statt ihrer genauso viele Kaninchen, die alle so heissen wie ihre verstorbenen Sprösslinge und tiertherapeutisch zumindest oberflächlich das Verlustgefühl etwas mildern. Dieser Kaninchenbau ist wie ein Sinnbild der Ränke, die hier geschmiedet werden, nur gerammelt wird nicht so viel, obwohl sexuelle Machtspiele hier trotzdem ihre Relevanz haben. Rachel Weisz als weiblicher Thomas Cromwell macht ihre Sache ausgesprochen gut, überhaupt war sie selten so perfide wie hier. Allerdings kann Emma Stone ihr da auf Auflagenhöhe den Gifttrunk reichen. Dadurch, dass sich beide scheinbar auf gleichem Level patt setzen, ist schwer absehbar, wie die königlichen Schandtaten rund um der Kaiserin gichtiger Waden ihr Ende finden – und macht das ganze Drama gleichsam spannend wie faszinierend, wenn auch das barocke Zeitalter etwas ist, das man nicht gerne erleben wollen würde, ob der ganzen ekelhaften Dekadenz, die irgendwann später wieder zum Absolutismus führen wird.

The Favourite ist ein Intrigenspiel, wenn auch kein allzu fein gewobenes. Viel zu früh wird mit offenen Karten gespielt, und viel zu sehr werden jene unterschätzt, die im wahrsten Sinne des Wortes das Zepter in der Hand halten – und diese Hand hat einen langen Arm, an dem jene baumeln, die glauben, all diese aufgerüschten Affen durch eigenes Zutun unter spartanischen Zupfgeräuschen oder pompösen Orgelklängenn zum Tanzen gebracht zu haben. Das ist schön seziert, wenn auch nicht so raffiniert wie gedacht. Dafür scheint die Optik mit uns selber als Mittelpunkt die Tauben abzuschießen. Die bis zum Platzen gedehnte Seifenblase mit endlosem Rundumblick, in der sich das an epischen Räumlichkeiten satte Anwesen der Königin befindet, schwebt über europäischer Geschichte dahin in eine wüste Zukunft. Das ist das wirklich Beeindruckende, diese fehlende Bodenhaftung von Film, die von einer nach Schwerelosigkeit gierenden, erschöpfenden Entwürdigung einer Königin erzählt.

The Favourite