Neuigkeiten aus Lappland (2024)

FINNISCHE DISHARMONIEN IN MOLL

5,5/10


neuigkeitenlappland© 2024 Polyfilm


ORIGINALTITEL: OHJUS

LAND / JAHR: FINNLAND, ESTLAND 2024

REGIE / DREHBUCH: MIIA TERVO

CAST: OONA AIROLA, PYRY KÄHKÖNEN, HANNU-PEKKA BJÖRKMAN, TOMMI KORPELA, JARKKO NIEMI, EMMA KILPIMAA, TOMMI ERONEN, ONA KAMU, SAKARI KUOSMANEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Bei Aki Kaurismäki mag die Tragik der Hoffnungslosigkeit immer noch jene Aufmüpfigkeit erhalten haben, die den finnischen Humor in jeder noch so erdenklichen verdrießlichen Lebenslage etabliert. Eine Besonderheit, die sich seit Ariel – Abgebrannt in Helsinki durch alle seine Filme zieht. Und oft wird diese Melancholie, wenn man sie mal so nennen will, mit einem Lichtschimmer am schneebedeckten, verregneten oder nachtschwarzen Horizont belohnt. Irgendwie geht es bei Kaurismäki immer weiter, aber immer mit einem Fuß dort, wo sich die Resignation als Alternative aufdrängt. Andere Filmemacher wiederum, wie Andy Wirkola, übertünchen die feine humoristische Klinge mit den derben Szenarien actionhaltiger Trashfilme. Auch das hat eine eigene Note. Dabei hat die Filmwelt Finnlands längt noch anderes zu bieten. Miia Tervo zum Beispiel, die bereits 2019 mit Aurora ihr Langfilmdebüt hingelegt hat und ihr Publikum in vor allem schneearmen Verhältnissen mit Neuigkeiten aus Lappland beglückt, wo die weiße Pracht bei stattlichen Minusgraden weiße Weihnachten garantiert und darüber hinaus bis in den späten Frühling womöglich liegenbleibt. In Lappland, da scheint man vom Klimawandel noch nicht so viel mitzubekommen. Zumindest war Mitte der Achtziger ein Begriff wie dieser noch reine Dystopie. Mitte der Achtziger, da war dem Kalten Krieg wohl die greifbare Bedrohung eines nuklearen Krieges inhärent, während die alleinerziehende Niina (Oona Airola) ein ganz anderes Damoklesschwert von sich fernhalten muss. Nämlich jenes des aus dem Gefängnis entlassenen, gewalttätigen Ehemannes Tapio, der andauernd verspricht, sich zu bessern. Dem aber, bis auf Niina, niemand so recht glauben will. Die Mutter zweier Kinder wird in ihrer Sorge um ihre Zukunft insofern von höheren Mächten abgelenkt, da der selbst gefällte Weihnachtsbaum in die Fensterscheibe der lokalen Zeitung kracht. Um den Schaden wiedergutzumachen, fängt sie dort als Schreibkraft an, die das Blatt mit völlig belanglosen Alltagschroniken füllen muss. Ein im Schnee steckengebliebener Traktor ist da wohl noch das Highlight einer ganzen Woche. Doch dann passiert das: Ein großer Knall am Himmel, ein unbekanntes Flugobjekt stürzt im Nirgendwo ab. Bald erhärtet sich das Gerücht, es handle sich hierbei um einen fehlgeleiteten russischen Marschflugkörper, einem Blindgänger, der vielleicht, Gott behüte, einen Atomsprengkopf besitzen könnte, der gar den dritten Weltkrieg hätte einläuten können. Oder Finnland eine nukleare Katastrophe beschert. Bedrohungen also überall, sind sie nun familiär oder politisch. Niina will der kleinen und der großen Gesellschaft zeigen, wozu sie fähig ist. Allein der Mut, zu ihrer Frau zu stehen, scheint in weiter Ferne.

Eine alleinerziehende Mutter, die investigiert. Ein finnischer Geheimdienst. Ein lokales Nachrichtenblatt, dass in einer öden Kleinstadt öde Artikel veröffentlicht, von Leuten, die sträfliche Frisuren tragen, die in den Achtzigern der letzte Schrei waren. Und ja, darüber könnte man insofern einen Laut des Schreckens von sich geben, wenn die Rache des Vokuhila in blinder Wut um sich greift. Zusammengenommen mögen all diese narrativen Elemente genug Potenzial für eine schräge, lakonische, finnische Komödie ergeben. Doch diese Machart bleibt Kaurismäki vorbehalten. Neuigkeiten aus Lappland, im Original kurz Ohjus, was so viel heisst wie Rakete, mag die eine oder andere Skurrilität aufweisen, die aber wohl eher den Anomalien des Jahrzehnts geschuldet sein mag als der für uns so kuriosen finnischen Lebensweise. Vielleicht will Miia Tervo auch nicht schon wieder das abgedroschene Klischee eines Gemüts bedienen, womit Finnland von Außenstehenden längst identifiziert wird. Die Finnen können auch andere Filme machen, ernste Themen aufgreifen, ohne die Lösung für all die Probleme in der Groteske zu suchen.

Von daher ist Neuigkeiten aus Lappland ein handfestes Drama, mal lethargisch, mal nachdenklich, niemals so richtig komisch. Die Emanzipation einer unterdrückten Frau sucht ihre Challenge vor dem Hintergrund einer True Story, die am 28. Dezember 1984 tatsächlich stattgefunden hat. Der Absturz der Rakete ist also nichts Erfundenes, die Geschichte drumherum schon. Und Tervo weiß nie so recht, wohin mit ihrer Chronik schwermütiger Ereignisse, die weder zu ernst noch zu komisch sein will. Die sowohl den gesellschaftspolitischen Ausnahmezustand von damals als auch Niinas persönliches Abenteuer zur resoluten, selbstbestimmten Frau unter eine warme, isolierende Fellhaube bringen will. Beides gelingt ihr nur halb, ihr Film schlingert oftmals unbeholfen und unentschlossen zwischen den Tonalitäten hin und her und bleibt auffallend oft sowie viel zu lang an der russischen Raketen-Causa hängen, während Alltagsheldin Niina manchmal zu kurz kommt. Beides hängt natürlich zusammen, hängt aber immer wieder hilflos in der eiskalten, schneidenden Luft Finnlands. Ein gutes Gefühl hinterlässt der Film erst nur sehr spät.

Neuigkeiten aus Lappland (2024)

Fallende Blätter (2023)

DAS SCHÖNE ZWISCHEN DEN WIDRIGKEITEN

8/10


FallendeBlaetter© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FINNLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: AKI KAURISMÄKI

CAST: ALMA PÖYSTI, JUSSI VATANEN, JANNE HYYTIÄINEN, NUPPU KOIVU, ALINA TOMNIKOV, MARTTI SUOSALO, SAKARI KUOSMANEN, MATTI ONNISMAA U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Sowieso ist alles hoffnungslos? Gut, zumindest erweckt es den Anschein. Doch was Aki Kaurismäki niemals zulassen würde, ist, seine Figuren in den bodenlosen Abgrund zu werfen. Sie straucheln zwar, sie verlieren ihre Jobs, sie sind einsam und versoffen; sie haben kein Geld und keine Lobby. Doch resignieren, das tun sie nicht. Oder zumindest nicht mehr. Kaurismäki ist seit seinem Cabriolet-Klassiker Ariel hoffnungsvoller geworden. Seine Liebe zur Arbeiterklasse und all jenen, die im Grunde das System erhalten, jedoch nichts dafür bekommen, ist ungefähr so stark wie bei seinem britischen Fachkollegen Ken Loach. Doch wo dieser mit blankem Realismus soziale Defizite aufzeigt, erstellt Kaurismäki lakonische Alltagstableaus voller sprödem Charme. Bevölkert mit Gestalten, die sich das bisschen Glück aus einem sonst ereignislosen Leben picken, das aufgrund höherer Umstände nicht viel anders sein kann. Dieses Glück kann darin liegen, auf die Karaoke-Bühne zu gehen und blumige finnische Balladen zu schmettern, während dem Hochprozentigen zugetane Freitagabend-Melancholiker mit stoischer, aber dennoch verzückter Miene dem Möchtegern-Bariton lauschen.

Um jenen, der gerne jünger wäre, als er ist und darauf wartet, von einer Plattenfirma entdeckt zu werden – um den geht’s hier gar nicht primär. Sondern vielmehr um dessen Arbeitskollegen und Freund, dem Alkoholiker Holappa (Jussi Vatanen). Der bekommt so gut wie nichts auf die Reihe, weil er so viel säuft und dadurch andauernd seine Jobs verliert. Obendrein raucht er noch wie ein Schlot und ist deprimiert. Weil er eben so viel trinkt. Und weil er deprimiert ist, trinkt er. Ein Teufelskreis, dem man sich in Kaurismäkis urbanen Miniaturen mit stoischem Trotz gerne hingibt. Die ganze ernüchternde Monotonie könnte sich ändern, als dieser Holappa auf die hübsche Ansa (Alma Pöysti, zuletzt als Künstlerin Tove auf der Leinwand) trifft. Zuerst ist es nur Blickkontakt. Dann, später, ein erstes gemeinsames Kaffetrinken mit anschließendem Kinobesuch – dort läuft Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die, eine kleine Verbeugung des Finnen vor einem Bruder im Geiste, dessen Filme wohl manchmal in einen ähnlich lakonischen Erzählstil abgleiten wie die eigenen. Diese beiden einsamen, aber niemals verlorenen Seelen sollten sich bald wiedertreffen, würde Holappa nicht Ansas Telefonnummer verlieren. So sucht die eine den anderen und umgekehrt, so harren sie vor dem Kino, in welchem gestandene Klassiker am Programm stehen, von Die Maske des Dr. Fu Manchu bis hin zu Godards Die Verachtung. Vielleicht klappt es ja, und aus dem bisschen Zuneigung könnte mehr werden. Nur nicht mehr Alkohol, denn das mag Ansa gar nicht. Im Zuge dieses Wartens und Vorbeigehens an Gelegenheiten müssen beide ihre Lage überdenken, ihr Leben ändern, soweit es in ihrer Macht steht. Eigeninitiative ergreifen dort, wo sonst der Abgrund folgt. Und dafür sind sich Kaurismäkis Liebende dann doch zu stolz, weil sie dennoch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, einen Sinn im Leben sehen. Der dann noch stärker wird und wichtiger in Anbetracht eines in Europa tobenden Krieges, der sich in nüchterner Berichterstattung rund um Tod und Zerstörung in einen dem Weltgeschehen scheinbar fernen Alltag mischt.

Kaurismäkis Bilder erreichen zwar nicht dieses akkurate Farbenspiel wie in seinem Meisterwerk Le Havre, aber dennoch ist das Komplementäre ein enorm wichtiges Element, das bereits vorab visualisiert, was zusammengehört und was nicht. Bescheidenes Interieur, enge Bars, längst nicht mehr neues, aber immer noch funktionstüchtiges Drumherum, in welchem pragmatische Lebensführung ihre Verwirklichung findet – so und nicht anders möbliert Kaurismäki sein Universum jenseits des Reichtums und der Gier. Sein Besinnen auf Werte, deren Streben danach im Angesicht noch viel schlimmerer Umstände – nämlich die des Krieges – von Szene zu Szene wichtiger werden, ist das, was der stilsichere Finne ausdrücken will. Die Arbeiterklasse der Gewerkschaften ist dabei immer noch ein Must-Have, Ansas Schuften in der Fabrik ein klassisches Zitat und eine Reminiszenz an seine früheren Werke. Den passenden Sound liefert dabei neben herrlich schwermütigen Chansons das reduktionistische und daher saucoole Musikduo Maustetytöt, das die ironische Melancholie dieser Tragikomödie auf den Punkt bringt.

Vielleicht hat Kaurismäki hier doch sein letztes Werk geschaffen, bevor er gedenkt, sich wieder zurückzuziehen. Und wenn es so wäre? Dann hätte er vielleicht alles gesagt. Alles zur Leidenschaft Kino und seiner Liebe dazu. Alles zum Weltschmerz und der Relativierung des eigenen Status Quo. Immer mehr wird Fallende Blätter zu seiner eigenen Flucht aus der Realität, zu einer Romanze, die Ansa und Holappa wohl im Kino gesehen hätten, könnte der Traum auf der Leinwand nicht doch noch Wirklichkeit werden.

Fallende Blätter (2023)