Fallende Blätter (2023)

DAS SCHÖNE ZWISCHEN DEN WIDRIGKEITEN

8/10


FallendeBlaetter© 2023 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FINNLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: AKI KAURISMÄKI

CAST: ALMA PÖYSTI, JUSSI VATANEN, JANNE HYYTIÄINEN, NUPPU KOIVU, ALINA TOMNIKOV, MARTTI SUOSALO, SAKARI KUOSMANEN, MATTI ONNISMAA U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Sowieso ist alles hoffnungslos? Gut, zumindest erweckt es den Anschein. Doch was Aki Kaurismäki niemals zulassen würde, ist, seine Figuren in den bodenlosen Abgrund zu werfen. Sie straucheln zwar, sie verlieren ihre Jobs, sie sind einsam und versoffen; sie haben kein Geld und keine Lobby. Doch resignieren, das tun sie nicht. Oder zumindest nicht mehr. Kaurismäki ist seit seinem Cabriolet-Klassiker Ariel hoffnungsvoller geworden. Seine Liebe zur Arbeiterklasse und all jenen, die im Grunde das System erhalten, jedoch nichts dafür bekommen, ist ungefähr so stark wie bei seinem britischen Fachkollegen Ken Loach. Doch wo dieser mit blankem Realismus soziale Defizite aufzeigt, erstellt Kaurismäki lakonische Alltagstableaus voller sprödem Charme. Bevölkert mit Gestalten, die sich das bisschen Glück aus einem sonst ereignislosen Leben picken, das aufgrund höherer Umstände nicht viel anders sein kann. Dieses Glück kann darin liegen, auf die Karaoke-Bühne zu gehen und blumige finnische Balladen zu schmettern, während dem Hochprozentigen zugetane Freitagabend-Melancholiker mit stoischer, aber dennoch verzückter Miene dem Möchtegern-Bariton lauschen.

Um jenen, der gerne jünger wäre, als er ist und darauf wartet, von einer Plattenfirma entdeckt zu werden – um den geht’s hier gar nicht primär. Sondern vielmehr um dessen Arbeitskollegen und Freund, dem Alkoholiker Holappa (Jussi Vatanen). Der bekommt so gut wie nichts auf die Reihe, weil er so viel säuft und dadurch andauernd seine Jobs verliert. Obendrein raucht er noch wie ein Schlot und ist deprimiert. Weil er eben so viel trinkt. Und weil er deprimiert ist, trinkt er. Ein Teufelskreis, dem man sich in Kaurismäkis urbanen Miniaturen mit stoischem Trotz gerne hingibt. Die ganze ernüchternde Monotonie könnte sich ändern, als dieser Holappa auf die hübsche Ansa (Alma Pöysti, zuletzt als Künstlerin Tove auf der Leinwand) trifft. Zuerst ist es nur Blickkontakt. Dann, später, ein erstes gemeinsames Kaffetrinken mit anschließendem Kinobesuch – dort läuft Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die, eine kleine Verbeugung des Finnen vor einem Bruder im Geiste, dessen Filme wohl manchmal in einen ähnlich lakonischen Erzählstil abgleiten wie die eigenen. Diese beiden einsamen, aber niemals verlorenen Seelen sollten sich bald wiedertreffen, würde Holappa nicht Ansas Telefonnummer verlieren. So sucht die eine den anderen und umgekehrt, so harren sie vor dem Kino, in welchem gestandene Klassiker am Programm stehen, von Die Maske des Dr. Fu Manchu bis hin zu Godards Die Verachtung. Vielleicht klappt es ja, und aus dem bisschen Zuneigung könnte mehr werden. Nur nicht mehr Alkohol, denn das mag Ansa gar nicht. Im Zuge dieses Wartens und Vorbeigehens an Gelegenheiten müssen beide ihre Lage überdenken, ihr Leben ändern, soweit es in ihrer Macht steht. Eigeninitiative ergreifen dort, wo sonst der Abgrund folgt. Und dafür sind sich Kaurismäkis Liebende dann doch zu stolz, weil sie dennoch, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, einen Sinn im Leben sehen. Der dann noch stärker wird und wichtiger in Anbetracht eines in Europa tobenden Krieges, der sich in nüchterner Berichterstattung rund um Tod und Zerstörung in einen dem Weltgeschehen scheinbar fernen Alltag mischt.

Kaurismäkis Bilder erreichen zwar nicht dieses akkurate Farbenspiel wie in seinem Meisterwerk Le Havre, aber dennoch ist das Komplementäre ein enorm wichtiges Element, das bereits vorab visualisiert, was zusammengehört und was nicht. Bescheidenes Interieur, enge Bars, längst nicht mehr neues, aber immer noch funktionstüchtiges Drumherum, in welchem pragmatische Lebensführung ihre Verwirklichung findet – so und nicht anders möbliert Kaurismäki sein Universum jenseits des Reichtums und der Gier. Sein Besinnen auf Werte, deren Streben danach im Angesicht noch viel schlimmerer Umstände – nämlich die des Krieges – von Szene zu Szene wichtiger werden, ist das, was der stilsichere Finne ausdrücken will. Die Arbeiterklasse der Gewerkschaften ist dabei immer noch ein Must-Have, Ansas Schuften in der Fabrik ein klassisches Zitat und eine Reminiszenz an seine früheren Werke. Den passenden Sound liefert dabei neben herrlich schwermütigen Chansons das reduktionistische und daher saucoole Musikduo Maustetytöt, das die ironische Melancholie dieser Tragikomödie auf den Punkt bringt.

Vielleicht hat Kaurismäki hier doch sein letztes Werk geschaffen, bevor er gedenkt, sich wieder zurückzuziehen. Und wenn es so wäre? Dann hätte er vielleicht alles gesagt. Alles zur Leidenschaft Kino und seiner Liebe dazu. Alles zum Weltschmerz und der Relativierung des eigenen Status Quo. Immer mehr wird Fallende Blätter zu seiner eigenen Flucht aus der Realität, zu einer Romanze, die Ansa und Holappa wohl im Kino gesehen hätten, könnte der Traum auf der Leinwand nicht doch noch Wirklichkeit werden.

Fallende Blätter (2023)

Edison – Ein Leben voller Licht

HELL IN DER BIRNE

5/10

 

DSC03764.ARW© 2020 Filmladen Filmverleih

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN, RUSSLAND 2017

REGIE: ALFONSO GOMEZ-REJON

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, MICHAEL SHANNON, TOM HOLLAND, NICHOLAS HOULT, KATHERINE WATERSTON, OLIVER POWELL, NANCY CRANE U. A.

 

Koryphäen der Wissenschaft – so könnte man den Trend rund um Geistesriesen des Industriezeitalters bezeichnen, welchen das Kino derzeit mit etwas mehr Nachdruck als sonst verfolgt. Marie Curie – Elemente des Lebens läuft derzeit auch in unseren Lichtspielhäusern, später dann soll noch Tesla mit Ethan Hawke folgen. Und das waren sicher nicht die letzten. Thomas Alva Edison war auch so ein Anstupser des menschlichen Fortschritts, einer mit ordentlich Grips in der Birne und mit ganz viel Licht in selbiger, allerdings auf dem Prinzip des Gleichstroms. Man braucht nicht glauben, dass zur damaligen Zeit nur Edison alleine der Heilsbringer für den technologischen Boom des Menschen war, da gab’s auch noch andere. Der eben erwähnte Futurist Nikola Tesla zum Beispiel, der allerlei Visionen hatte, und der Industrielle George Westinghouse, der das Prinzip der Glühbirne weiterführte, allerdings mit Wechselstrom hantierte und somit auch größere Gebiete der vereinigten Staaten mit Licht von der Leitung versorgen konnte. Edison sieht sich natürlich seiner Ideen beraubt und zieht gegen seinen Konkurrenten zu Felde – allerdings wird ihm das nicht viel bringen. Womit Edison im Eigentlichen zu Weltruhm gelangte, das sei seinem ausgeprägten Sinn für Marketing zu verdanken, und einem Hang zur Volksnähe, den all die anderen nie wirklich entwickeln konnten, am Allerwenigsten Tesla, ein blitzgescheiter, aber nerdiger schräger Kauz, der fast schon als Vorbild für Sheldon Cooper aus der Big Bang Theory gelten kann, zumindest was die Interpretation Nicholas Hoults in Alfonso Gomez-Rejons Film betrifft. Ihm gegenüber: Benedict Cumberbatch als derjenige, der bei Assoziativfragen zur Elektrizität womöglich als erster fällt: Thomas Alva Edison. Strenger Denker, ruheloser Erfinder, Superhirn, Geschäftsmann. Im privaten Schlepptau: zwei Kinder, eine Frau. Um Edison selbst handelt der Spielfilm, der bereits 2017 abgedreht wurde und aufgrund von Studiofusionierungen längere Zeit in der Schublade verschwand, nur peripher. Es ist die Geschichte eines Triumvirats von Amerikas technisch-utopischer Elite, die weder miteinander noch ohneeinander konnte.

Die frei nach geschichtlichen Eckpunkten zusammengetragene Dreifach-Biopic (obwohl Tesla entschieden zu kurz kommt, Westinghouse aber die meiste Spielzeit hat) will prinzipiell mal gar keine Studie über Edison himself sein – im Original trägt der Film den Titel The Current War. Kurz: der Stromkrieg – wofür Gomes-Rejon denn knallroten Teppich für die Creme de la Creme des Ausstattungskino ausrollt. Edison – Ein Leben voller Licht besticht weniger durch die reichlich trockene Angelegenheit von Industriegeschichte, sondern viel mehr durch einen üppigen Bilderreigen an Interieur und Kostümen. Mit krassen Weitwinkel-Takes, die an Terrence Malick oder Stanley Kubrick erinnern, fängt der Geschichtsfilm Popup-Bilder ein, die feines Schauvergnügen versprechen. Ein Who is Who namhafter Stars findet sich ebenfalls ein, um dem Stromkrieg ordentlich Volt zu verpassen. Die Energie allerdings macht sich aber maximal erst auf der quartalsmäßigen Stromrechnung bemerkbar. Das Schlammcatchen dreier Fachgenies fällt erstens viel handzahmer aus als gedacht, da kann man noch so viel dramaturgischen Füllstoff dazu erfinden, und zweitens sind die vielen Treffen fein gekleideter Herren in Fabriken, Salons und tapezierten Waggons irgendwann ermüdend. Cumberbatch variiert seinen Charakter nur selten, auch Michael Shannon bleibt ein geschmackvolles Gemälde inmitten der noblen Atmosphäre eines technischen Museums mit allerlei Dingen, die man zuhause nicht hat und für die man gerne in den öffentlichen Schauraum geht. Die interessanteste und auch relevanteste Anekdote ist wohl die über die Entstehung des elektrischen Stuhls als „humane“ Tötungsmethode. Sonst aber freut man sich im Nachhinein, seine Volkshochschulkenntnisse über Elektrotechnik nochmal aufgefrischt zu haben – viel mehr bleibt allerdings nicht.

Edison – Ein Leben voller Licht

Der junge Karl Marx

EIN GESPENST GEHT UM …

6/10

 

Autosave-File vom d-lab2/3 der AgfaPhoto GmbH© 2016 Filmladen / Foto: Kris Dewitte

 

LAND: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, BELGIEN 2016

REGIE: RAOUL PECK

MIT AUGUST DIEHL, STEFAN KONARSKE, VICKY KRIEPS U. A.

 

in Europa. Das Gespenst des Kommunismus!  – Das sind die ersten Worte des kommunistischen Manifests, erwogen, überlegt und ausgearbeitet von Karl Marx und Friedrich Engels. Mitte des 19 Jahrhunderts ertönte der Gongschlag zur Geburtsstunde einer politischen Vision, welche die Geschichte ganzer Länder dominiert, diese verändert und bewährte wie längst obsolete Strukturen schließlich zerstört hat. Über das Konzept des Kommunismus möchte ich hier allerdings nicht allzu viele Worte verlieren – das können andere besser, vor allem jene, die sich zeitintensiv mit Politikwissenschaften auseinandergesetzt haben. Literatur hierzu gibt es auch jenseits der Werke von Marx und Engels mehr als genug. Der haitianische Regisseur Raoul Peck will in seinem episodenhaften Polit-Melodram gar nicht erst den Kommunismus selbst erklären oder die Regeln der politischen Bewegung auseinanderdividieren. Sein Film ist ein ruhender, gänzlich unparteiischer Blick zurück auf die Anfänge einer Revolution der sozialen Gerechtigkeit und konzentriert sich eigentlich sogar mehr noch auf den gesellschaftlichen Nährboden eines alten, rezessiven, unbeweglichen Europa des Industriezeitalters. Industrie – das war und ist Profit. Das war und ist die Macht und die Habgier weniger über die Masse. Das war und ist – global gesehen – hauptsächlich noch moderne Sklaverei, um dessen Verbot man mit Groschenlöhnen herumkommt. Die Abhängigkeit der arbeitenden Klasse von denen, die das Geld haben. Und wer Geld hat, schafft an. Da der Mensch in seiner Natur zum Machtmensch neigt, diese Macht ungern teilt und den Schwächeren gemäß der Darwin’schen Regel Survival of the Fittest allerdings gerne ausbeutet und unterdrückt, solange es für sein existenzielles Seelenheil zuträglich ist, kann dieser gesellschaftliche Erdrutsch nicht ohne Getöse alles Umfeld ins Verderben stürzen. Das Getöse, das sind die, die überleben wollen. Und zwar nicht einzeln, sondern zu mehrt. Fast das ganze Volk. Denn wenn keiner mehr arbeitet, werden auch die Reichen arm. Menschenrechte im neunzehnten Jahrhundert, vor allem Arbeitsrechte, waren praktisch nicht vorhanden. Der Arbeit entsprechende Bezahlung unter Berücksichtigung des Härtegrades der Währung kein Thema. Um es allerdings zum Thema zu machen – dazu bedarf es einiger weniger Intellektueller und Philosophen, die den Missstand erkannt haben – wie zum Beispiel eben der Deutsche Karl Marx.  

Wir kennen sein Konterfei – der wild wuchernde Bart, die zerzauste weiße Frisur. Der Weihnachtsmann für Gewerkschafter und Arbeiterbünde. Der Gott des Kommunismus – oder eher das Gespenst dessen. Jedes Mal, wenn ich im 19. Wiener Gemeindebezirk am Karl Marx-Hof vorbeigehe, einer trutzigen Wohnburg erstaunlichen Ausmaßes, ein Palast des Sozialbaus schlechthin, fällt mir das provokant und funkelnd blickende Gesicht von Karl Marx ein. Dass der auch einmal jung war, das zeigt uns August Diehl. Auch mit wirrem Haar, auch mit Bart, aber weniger opernhaft. Diehl, ohnehin ein eher exzentrischer Schauspieler, der seinen Figuren stets etwas Manisches verleiht, lässt seine Interpretation des großen Denkers sehr abgehoben wirken. Ungreifbar, andauernd in Bewegung, ruhelos und obsessiv. Fast schon aufmüpfig. Womöglich dürfte Karl Marx so gewesen sein, genau weiß man das nicht. Um sich selbst so dermaßen in den Geschichtsbüchern zu verankern – dafür muss man schon für eine Sache mehr schlecht als recht sterben können. Aus Deutschland vertrieben, war fortan Paris und dann später Belgien das Zentrum seiner revolutionären Gedanken. Friedrich Engels, deutscher Industriellensohn, nicht weniger auflehnend und radikal, wurde fortan zu seinem Partner. Der Deutsche Stefan Konarske legt Engels ähnlich aufreibend an wie Diehl seinen Marx. Zwei Figuren, die durch die Jahrzehnte der neueren Geschichte irren, flirren und anecken, Er- und Bekenntnisse verfassen und das Volk für sich gewinnen. Die Reichen werden nicht erfreut sein, wie es auch heute noch in den Medien so schön heißt. 

Der junge Karl Marx ist ein Film wie aus dem Lehrbuch. Geschichtlich wie faktisch interessant, in notwendiger Authentizität ausgestattet und chronologisch erzählt. Angereichert mit einer Menge Namen und Persönlichkeiten, die man der Vollständigkeit halber kennen müsste, relativ schnell aber wieder vergisst, hat man nicht vor, sich länger damit zu beschäftigen. Die Anforderungen für einen pädagogisch wertvollen Unterrichtsfilm wären mit Sicherheit alle erfüllt. Und es ist Geschichte, die so als Spielfilm bereits so aufbereitet wurde, dass sie nebst Aufklärung sogar auch unterhält. Keine altbackene Doku aus inventurbefreiten Schularchiven. Da kann sich der Oberstufen-Nachwuchs glücklich schätzen. Und nicht nur der – nach Raoul Peck´s Film habe ich jetzt beim Vorbeischlendern am Karl Marx-Hof nicht nur mehr den wild wuchernden Weißbärtigen im Sinn, sondern auch den Lockenkopf von August Diehl – und seinen langen Weg zur Grundsteinlegung der kommunistischen Partei. Wieder etwas spielend dazugelernt – und das Kino erfüllt seinen Bildungsauftrag. Den es fraglos hat und auch haben soll.

Der junge Karl Marx