Geliebte Köchin (2023)

DIE KÜCHE ALS ELYSIUM

8/10


Geliebte_Koechin© 2023 Curiosa Films – Gaumont – France 2 Cinema / Carole Bethuel


ORIGINAL: LA PASSION DE DODIN BOUFFANT

LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

REGIE / DREHBUCH: TRÂN ANH HÙNG

CAST: JULIETTE BINOCHE, BENOÎT MAGIMEL, EMMANUEL SALINGER, PATRICK D’ASSUMÇAO, GALATEA BELLUGI, BONNIE CHAGNEAU-RAVOIRE, JAN HAMMENECKER, FRÉDÉRIC FISBACH, SARAH ADLER, YANNIK LANDREIN U. A.

LÄNGE: 2 STD 25 MIN


Man muss schon autoaggressiv sein, um sich einen Film wie diesen zur frühen Mittagszeit anzutun, bevor das Essen auf dem Tischt steht. Da reicht nicht mal das bereits vergessene leichte Frühstück, und auch wenn dieses als Brunch zur Schadensbegrenzung hätte herhalten sollen: Es nützt alles nichts. Geliebte Köchin entfacht so dermaßen den Appetit, dass die Grenze zwischen Realität und Fiktion irgendwann verschwimmt und die Möglichkeit, in den Film einzusteigen und all die Köstlichkeiten selbst abzuschmecken, als wahrscheinlich gilt. Zugegeben, letztes Jahr hat man sich mit À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen der Lust am Verkosten wenig alltäglicher Speisen ebenfalls hingeben müssen, so erlesen wurde die Kochkunst im Zeitalter der Revolution zelebriert. Auch The Menu gefiel mit seinen absonderlichen Kreationen, nur um ganze Zeitalter moderner, ausgefallener, intellektueller. Doch keiner dieser Werke lässt das Erlebnis kreativer Kochkunst, die man wohl sein Leben lang nicht auf den Tisch bekommt, so sehr den Zustand einer Apotheose erfahren wie Trần Anh Hùng. Dabei ist der deutsche Titel Geliebte Köchin direkt zu profan, um dem Bildersturm, der darauf folgt, gerecht zu werden. La Passion de Dodin Bouffant als Originaltitel mag einem erfolgreichen Marketing vielleicht ein bisschen im Wege stehen, vielleicht auch der englische Titel Pot au Feu, von dem wohl keiner, der sich nicht mit der französischen Küche zumindest ansatzweise beschäftigt hat oder des Französischen mächtig ist, wirklich weiß, was das ist. Dabei handelt es sich um ein simples Gericht, einen nordfranzösischen Eintopf aus gekochtem Rindfleisch und Gemüse, wofür es allerdings dennoch das notwendige Fingerspitzengefühl braucht, um alles in richtigem Ausmaß gar werden zu lassen.

Im Wettbewerb um die Goldene Palme und letztlich doch mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet, schlägt Geliebte Köchin in seiner malerischen Opulenz jede noch so ausgeschmückte, bisher dagewesene filmische Beobachtung der Küchenkreation. Selbst Peter Greenaways Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber, der barocke Gemälde hernahm, um üppige Stillleben zwischen Fasan und gedünstetem Kohl und sonstigen Feinschmecker-Arrangements zum Leben zu erwecken, scheint im Gegensatz zu diesem Film hier das ganze Licht des Tages und der Jahreszeiten abhanden gekommen zu sein. Hier sind Fenster und Türen einer Großraumküche im Anwesen des Gastronomen Dodin Bouffant stets geöffnet. Zum Abend hin erstrahlt das rustikale Interieur in goldenem Glanz, währen draussen der Specht klopft und der Kuckuck ruft. Und nicht nur das: Auch all die Zutaten aus dem hauseigenen Garten, vom Markt oder vom befreundeten Wildschütz, die da formschön trapiert auf den hölzernen, schon viele Male bearbeiteten Tischen liegen, werden zu wertvollen Artefakten, die Kochkünstlerinnen wie Eugénie benötigen, um den Genuss des stilvollen Verzehrs auf eine neue Dimension zu heben. Das dies gelingt, dessen ist man gewiss. Allein schon die ersten fünfzehn bis zwanzig Minuten sind der reinste Augenschmaus. Fast wortlos geschieht hier vieles gleichzeitig. Von der Fischsuppe über geschmorte Rippchen bis zum flambierten Eiskuchen ist alles da, was der Feinschmecker begehrt. Gerne möge man mich des Esszimmers verweisen, denn mit Sicherheit nennen sich all diese Gerichte wohl ganz anders, als ich sie hier mit meinem kümmerlichen Gourmet-Verständnis beschrieben habe.

In Geliebte Köchin wird die Zubereitung zu einer Art magischen Performance. Unglaubliches wird kreiert. Und dieses „Unglaublich“ lässt fast die eigentliche, kleine, nahezu bescheidene (und nicht nur simple) Geschichte einer Liebe vergessen machen, die zwischen Schauspielgöttin Juliette Binoche (wieder mal famos) und Benoît Magimel die ganze Zeit schon deren Leben versüßt. Binoches Eugénie mag zwar die Angestellte eines anderen Großmeisters sein – die wahre Auserwählte ist sie, und nur sie allein. Dodin weiß das, letztendlich will er sie ehelichen, und das nicht nur wegen ihrer Fertigkeiten. Beide passen zusammen, beide empfinden dieselbe Leidenschaft. Und da ist da noch dieses junge Mädchen, Pauline, die, wie es scheint, das Verständnis für die hohe Kunst der Zubereitung von Geburt an in sich trägt. Ein Naturtalent eben.

Warum die romantische, behutsam und vor allem respektvoll inszenierte Romanze weit über bereits Gesehenem steht? Weil Trầnh Anh Hùng so nuanciert und entschleunigt erzählt wie schon seinerzeit in seinem bittersüßen, überaus zarten Meisterwerk Der Duft der grünen Papaya. Weder ist die Kamera nur statisch oder nur bewegt, Kameramann Jonathan Ricquebourg fängt sowohl die entfesselte Hektik am Herd als etwas ein, das wie der Schaffensprozess Michelangelos daherkommt, als auch die in sich ruhenden, in sattem Licht formvollendeten Miniaturen aus Zutaten, brodelnden Töpfen und der Zubereitung alles Essbaren, das in den Synergien ersonnener Rezepte verblüffende chemische und geschmackliche Verbindungen eingeht. Dazwischen die distinguierte, fast schon in kühlen, entspannten Bildern getauchte Betrachtung einer Lebensgemeinschaft. So bringt Trầnh Anh Hùng, stilsicherer Ästhet mit dem Gespür zur Reduktion im richtigen Moment, das Abenteuer einer für uns Normalsterbliche schwer zu erreichenden kulinarischen Erfahrung mit auf den Weg, den überbordenden Naturalismus einer oft als Nahrungsaufnahme degradierten und unterschätzten Kunst.

Geliebte Köchin (2023)

Foxtrot

DIE WAAGSCHALEN DES KRIEGES

8,5/10

 

foxtrot© 2017 Polyfilm Verleih

 

LAND: ISRAEL, SCHWEIZ, DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2017

BUCH & REGIE: SAMUEL MAOZ

CAST: LIOR ASHKENAZI, SARAH ADLER, YONATON SHIRAY, SHIRA HAAS U. A.

 

Es gibt Filme, die so unerwartet passieren, dass sie sich anfühlen wie Nachwirkungen eines Unfalls. Wie der plötzliche Todesfall eines jungen Prominenten. Oder wie die Sichtung eines seltenen Tieres beim Hiken in den Wäldern. Das sind Dinge, einfach nicht berechenbar. Genauso wenig wie Foxtrot. Das mit dem Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig 2017 ausgezeichnete Werk zählt für mich zu den kuriosesten und kontroversesten Filmen der letzten Zeit. Foxtrot ist ein Kunststück, das man als Künstler erst wagen muss, mit diesem Wagnis aber letzten Endes das Medium des Kinos so dermaßen bereichert, dass es einfach gar nicht anders kommen kann, damit auch auf Widerstand zu stoßen. Und der war deutlich genug. Denn was der Israeli Samuel Maoz mit seinem irritierenden Film da von der Leine lässt, ist nicht unbedingt leicht zu verstehen, bleibt genauso schwer im Magen liegen wie es seltsam unterhält. Doch ist die Intensität von Foxtrot nicht wie bleiernes Betroffenheitskino ein ungelenkes Vehikel. Ganz im Gegenteil: Maoz hat womöglich schon im Vorfeld das Genre des Antikriegsfilmes studiert, er kennt womöglich die Werke von Sam Mendes (Jarhead), Innaritu oder Robert Altman (M.A.S.H.), er holt sich Inspiration, ganz sicher. Er hat auch womöglich selbst so Einiges beobachtet, in seinem eigenen Land. Und fügt all diese Notizen seiner Recherche mit seiner Sicht auf einen stagnierenden Krieg zusammen, wie Post-its auf einer Poetry-Wall, die Unterschiedliches erzählen. Betroffenmachendes, Humorvolles – oder völlig irren Symbolismus.

Samuel Maoz hat dafür sehr viel Kritik einstecken müssen. Ein Nestbeschmutzer, einer, der Lügen verbreitet über die israelische Armee, ein Feind im eigenen Land. So wie seinerzeit Thomas Bernhardt über die politische Grundgesinnung Österreichs. Dass Foxtrot zum Teil auch im übertragenen Sinne zu verstehen ist, dass diese in drei Segmente geteilte Komposition viel mehr will als den absurden Alltag eines Krieges und deren Folgen zu beweinen, muss denen, die sich händeringend echauffiert haben, wohl entgangen sein. Kann auch gut sein, kann ich sogar auch nachvollziehen. Foxtrot lädt nicht zu einem Stelldichein vertrauter Normen. Er sprengt sie, verwirrt und rückt so nah an das Geschehen eines Verlustes, dass es schmerzt. Den Tod seines Sohnes Jonathan an der Front muss Vater Michael erst mal realisieren, während die Mutter nach einem Ohnmachtsanfall sädiert im Bett liegt. Die Kamera kreist dabei virtuos um einen in Schockstarre befindlichen Ist-Zustand, um eine ausgelöschte Norm des Alltags. Close Ups wechselm mit Totalen von oben, sie zeigen einen völlig orientierungslosen Mann, der sich selbst quält, um den Schmerz zu lindern. Zugegeben, das zu ertragen ist für den Zuseher nicht gerade ein Honiglecken. Irgendwann kommt die Verwandtschaft, auch sie am Boden zerstört. Das Begräbnis wird geplant, ein Schicksalsschlag, einfach entsetzlich. Bevor man allerdings kurz davor ist, sich zu entschließen, dieses Drama nicht mehr weiter zu verfolgen, erlaubt sich der Film eine radikale Wendung. Und wir finden uns in der Wüste wieder, am Checkpoint Foxtrot.

Was dann passiert, muss man gesehen haben. Und jedes weitere Wort würde diesen wilden Ritt nur zähmen. Erstaunlich, welch unterschiedliche Färbung Maoz seinen Puzzleteilen verpasst, welchen unterschiedlichen Rhythmus und welche Zugkraft. Und wie das ganze miteinander verflochten ist. Die große Frage von Schuld ist dabei eine, die das Zerrbild eines dem Alltag inhärenten Säbelrasselns durchzieht, und sie manifestiert sich in vielerlei Gestalt. Sowohl als Blutzoll, schlechtes Gewissen oder dem Delegieren von Verantwortung. Die Ernte davon: ausgleichende Gerechtigkeit oder kompromissloser Wille zu einem die ganze Existenz durchdringenden Gleichgewicht, dem keiner entkommen kann. Wie die Waagschalen in einem Krieg, der seine Beteiligten nur noch in abgestumpfter Wachsamkeit vorfindet und erst wieder mit getriggerten Provokationen für tauglich erklärt. Jenseits des Krieges aber warten ganz andere Schicksale, die noch schwerer zu fassen sind als das Menschengemachte. Foxtrot leuchtet dieses verschachtelte Gefüge aus, wie der Suchscheinwerfer all jene, die den Checkpoint Foxtrot passieren wollen. Ganz normale Menschen, die nichts anders wollen als nach Hause kommen. Und manchmal auch ein Kamel, wie die entrückte Vision einer trottenden Gleichmut, die von der Zukunft weiß.

Foxtrot