Kraven the Hunter (2024)

OH, THOSE RUSSIANS!

6/10


Aaron Taylor Johnson (Finalized)© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: J. C. CHANDOR

DREHBUCH: RICHARD WENK, ART MARCUM, MATT HOLLOWAY

CAST: AARON TAYLOR-JOHNSON, FRED HECHINGER, RUSSEL CROWE, ARIANA DEBOSE, ALESSANDRO NIVOLA, CHRISTOPHER ABBOTT, LEVI MILLER U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Das US-amerikanische Publikum macht sich mittlerweile eine Hetz daraus, das Sony’s Spider-Man Universe oder kurz SSU insofern zu verhöhnen, da es ihm keine Aufmerksamkeit schenkt. Warum genau ist das so? Liegt das wirklich an den schlechten Drehbüchern dieser Filme? Liegt es daran, dass Spider-Man zu hundert Prozent dem Mauskonzern gehört und Sony zum Resteverwerter degradiert wurde, der mit mehr oder weniger unbekannten Nebenfiguren Vorlieb nehmen muss, die im Grunde allesamt Antagonisten des einzig wahren Helden sind, des freundlichen Burschen aus der Nachbarschaft? Was soll Sony nur tun, wenn genau jene übrigbleiben, die man auch nicht unbedingt beim Turnunterricht als erstes in die Mannschaft wählt?

Sony versucht, das Beste daraus zu machen, schließlich sind diese Lizenzen kostenintensiv und man will Potenzial nicht verschleudern, wenn es nicht unbedingt sein muss. Das Zugpferd beim Restlessen ist natürlich Venom – den Burschen kennt man, neben dem Green Goblin womöglich der markanteste Bösewicht in Marvels Parallelwelt, die sich längst schon damit geoutet hat, nicht zur Zeitlinie des MCU zu gehören. Portale gehen auf und zu, Spider-Man ist niemals in Sicht und wird auch (fast) nie erwähnt. In dieser Welt gibt es ihn nicht, da gibt es nur die Schurken, die aber keine Schurken mehr sind, denn wer will schließlich Filme sehen, die sich an den Werten der Gesellschaft abarbeiten? Aus Venom wird also ein Guter, aus Morbius irgendwas dazwischen, Madame Web – nun, die ist da eine Ausnahme, mit ihrer Clique aus Jugendlichen Damen, und letzten Endes und um up to date zu bleiben rückt Kraven the Hunter nach. Auch ein Erzschurke, eine Nemesis für Spider-Man, nur der Lizenz-Deal verbietet es. Kraven mausert sich ebenfalls zu einem nicht ganz so finsteren Finsterling, der noch finstere Gesellen auf der Liste hat, um diese abzuarbeiten und alle, die grundlos Böses tun, über den Jordan zu schicken.

Dass Kraven The Hunter niemanden hinter dem Ofen hervorlockt oder von der hauseigenen Wohnzimmercouch schmeißt, um das laxe Fernsehpublikum, das sowieso damit rechnet, den Film alsbald streamen zu können, ins Kino zu zitieren, war fast zu erwarten. Die Säle bleiben leer, niemanden interessiert ein vom wilden Löwen gebissener Russe und Spross eines neureichen Drogen-Oligarchen, der seinen chamäloiden Bruder vor anderen bösen Russen beschützt. Man könnte vermuten: Vielleicht liegt es an den Russen? An Hauptdarsteller Aaron Taylor-Johnson womöglich nicht, der wird schließlich in ferner Zukunft zum neuen James Bond. Man könnte sich also schon mal an dieses Gesicht gewöhnen. An Fred Hechinger liegt es wohl auch nicht, der Charakterdarsteller hat Charisma und eine ganz eigene Ausstrahlung, das haben wir zuletzt in Ridley Scotts Gladiator II gesehen, da gab er Diktator Caraccala auf verschmitzt diabolische Weise. Und Russel Crowe? Wenn er mal nicht Exorzismus betreibt, schiebt er sich als Nebenfigur in so manchen Möchtegern-Blockbuster.

Also woran liegt es noch? Wohl kaum am Handlungsaufbau. Kraven the Hunter erzählt eine klassische und von daher auch wenig überraschende Origin-Story eines Antihelden mit kleinen logischen Fehlern, die sich dank der Drehbuchautoren von The Equalizer auch ungefähr so anfühlt – stets darauf ausgerichtet, kurzen Prozess mit denen zu machen, die die Schwachen drangsalieren. Es kommt noch afrikanisches Freiwild hinzu, und mit Hochgenuss lyncht Taylor-Johnson niederträchtige Trophäenjäger auf eine Art, die Genugtuung verschafft. Regisseur C. J. Chandor lässt sich viel Zeit für Zwischenmenschliches, fühlt sich kaum gestresst oder gedrängt dabei, seine Figuren auf eine Art ins Geschehen einzuführen, als hätte er alle Zeit der Welt – als hätte ihm das Studio einen weiteren Teil bereits zugesichert. Nur leider hat es das nicht, und leider darf trotz des relativ offenen Endes wohl kaum mit einer Fortsetzung gerechnet werden. Kravens Spuren verlaufen also im Sand – bis dahin aber verdient Kraven the Hunter deutlich mehr Respekt als unisono ausgebuht zu werden.

Das liegt schon allein an mehr als nur solide durchchoreographierten Actionsequenzen, die an Mission Impossible oder in Bond-Manier durchaus unterhält. Dafür beweist Chandor ein wahres Händchen. Und auch wenn Kreaturen wie The Rhino (den ersten eher lumpen Auftritt hatte Paul Giamatti in Spider-Man: Rise of Electro) oder Psychoschurken wie The Foreigner nur als Wegzehrung für einen dauerhungrigen Jäger herhalten müssen: Die Gründe für den Megaflop muss man woanders suchen. Bei unglücklicher Medienberichterstattung oder Vorschussmisstrauen; Mütterchen Russland oder gar beim frappanten Unbekanntheitsgrad einer Randfigur, die längst nicht so viel Teamgeist besitzt wie die Guardians of the Galaxy. Die waren damals wohl auch eher unbekannt. Dafür aber deutlich bunter.

Kraven the Hunter (2024)

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

HIERARCHIEN IM SPINNENNEST

6,5/10


spider-man_acrossthespiderverse© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOAQUIM DOS SANTOS, KEMP POWERS, JUSTIN K. THOMPSON

DREHBUCH: PHIL LORD, CHRISTOPHER MILLER, DAVID CALLAHAM

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL):  SHAMEIK MOORE, HAILEE STEINFELD, JAKE JOHNSON, OSCAR ISAAC, ISSA RAE, DANIEL KALUUYA, KARAN SONI, GRETA LEE, JASON SCHWARTZMAN, BRIAN TYREE HENRY, SHEA WIGHAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Ob Marvel oder DC – die weltgrößten Comic-Franchises mussten sich einfach irgendwann mit dem Clou der Multiversum-Theorie auseinandersetzen, um genügend frischen Wind in die Denk- und Zeichenstudios wehen zu lassen; um genügend Stoff zu lukrieren, damit die guten alten Helden niemals sterben müssen. Das Multiversum bietet vieles – ungeahnte Möglichkeiten, zahlreiche Welten, viele viele Alternativen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Ja, sie haben es sich gerichtet – Marvel und DC.

Von einem Multiversum ins nächste zu hirschen besagt aber nicht, auch mit der Zeit herumzuspielen. Zumindest nicht zwingend. Der gute Loki, nordischer Gott des Schabernacks, hielt sich in gleichnamiger Serie nicht nur in diversen Nachbardimensionen auf, er beehrte auch längst vergangene Zeiten, um sich hinter lokalen Apokalypsen wie dem Unglück von Pompeij vor der TVA zu verstecken. Spider-Man Miles Morales tut das nicht, auch nicht Peter Parker in den Live Act Filmen, obwohl er vorgehabt hat, mithilfe von Dr. Strange genau das zu tun: Die Welt vergessen zu lassen, welche Identität hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steht (siehe Spider-Man: No Way Home). In beiden Fällen überlappen sich allerdings die Dimensionen, und wir, gemeinsam mit den Spider-Mens, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie viele Alternativen es von der eigenen Realität nur geben kann.

Das Konzept dahinter ist ja schön und gut. Und bietet eine gigantische Bühne für skurrile bis groteske Erscheinungsformen, absurden Konstellationen und unbegrenzten Möglichkeiten. Wie lange aber lässt sich diese reizvolle Idee noch interpretieren, damit das Publikum immer noch staunen kann? Wie lange lässt sich damit noch herumspielen, ohne dass sich so mancher Twist wiederholt oder die gesetzten Pointen auf der Stelle treten? DC fängt mit seinem Multiversum rund um Flash, basierend auf dem Comic Flashpoint, gerade erst an. Marvel hat da schon einige Kilometer hinter sich. Und hängt mit dem Sequel zu Spider Man: A New Universe noch ganz viel Spider-Versen hintendran. Es eröffnen sich in diesem mit über zwei Stunden Spielzeit auffallend und deutlich zu langen Animationsabenteuer Welten über Welten, in denen Spinnenmänner, -frauen und sonstige Kreaturen die Rollen von Morales oder Parker einnehmen. Ist schließlich vielfältig und kurios und auch sehr unterhaltsam, das alles zu sehen. Dabei ist es gut, im Kinosaal entsprechend weit hinten zu sitzen, um die Farb- und Stilkaskaden eines ausufernden Comic-Tornados auch wirklich in seinem Variantenreichtum aufnehmen zu können. Das Auge ermüdet dabei schnell, kalmierende Sequenzen rund um innerfamiliäre Probleme der Superheldinnen und -helden sorgen für die Eindämmung gnadenloser Reizüberflutung und bringen den Ausgleich. Obwohl weder das eine noch das andere niemals etwas ist, was neue Impulse bringt.

Überraschend wenig lassen sich Phil Lord, Christopher Miller und David Callahan zum Thema Multiversum einfallen. Außer dass es viele Versionen vom gleichen gibt. Die Stärken von Spider-Man: Across the Spider-Verse liegen also keinesfalls im diesmaligen Plot, der den quantentechnisch ziemlich zerlegten Wissenschaftler Jonathan Ohnn als Antagonisten ins Zentrum stellt, der als Spot zum im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Verbrecher mutiert, der Löcher schafft, wo keine sind. Die Stärke liegt zweifelsohne in der Charakterisierung von Miles Morales, der im Laufe seiner unglaublichen Reise zu einem ernstzunehmenden jungen Erwachsenen heranreift, der den Weltenwahnsinn zu verstehen versucht.

Schon wieder Coming of Age? Im Grunde haben wir das alles schon durch: Eltern, die keinen Schimmer davon haben, was ihre Kids anstellen, und diese wiederum aufgrund ihrer Geheimnistuerei den Draht zu ihnen verlieren, Wen wundert’s – und wen überrascht auch noch das innerfamiliäre Pathos, das die USA so sehr so oft und immer wieder ähnlich aufs Neue aufwärmt. Im Marvel-Kosmos ist hinsichtlich dessen schon alles gesagt, und dennoch verstehen es die Macher nur zu gut, das Ganze nochmal so aufzubereiten, dass man gerne hinhört und mit Spannung darauf wartet, ob Morales nun die Karten auf den Tisch legt oder nicht.

Mit weniger Spannung verwöhnt uns der schnell und schwungvoll geschnittene Streifen mit Sprung-, Flug- und akrobatischer Sequenzen, die je nach Dimension in einen anderen Animationsstil eintauchen. Der Mix daraus ist unvermeidlich, die Übersicht dabei zu behalten eine Challenge. Mir als Grafiker gefällt natürlich, was ich da sehe – all die lebendig gewordenen Panels, hinterlegt mit den Dots charakteristischer Siebdruckraster. Versetzte Farbkanäle im Hintergrund erzeugen Unschärfe und folglich Tiefe; nichts bleibt hier flach. Und je mehr all die multiuniversalen Spinnen hin und her huschen und sich selbst überholen, je eher nähert sich das Ende eines halben Abenteuers. Der Cliffhanger ist enorm, doch keine Sorge: Im März nächsten Jahres startet Spider-Man: Beyond the Spider-Verse. Bis dahin werde ich vermutlich alle Details wieder vergessen haben. Manches wird in Erinnerung bleiben. Wie im ersten Teil das Schwein. Hier im zweiten Teil ist es vielleicht der Dino.

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

Morbius

GEBT BATMAN DIESE SKILLS!

4,5/10


morbius© 2022 Sony Pictures Entertainment


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DANIÉL ESPINOSA

CAST: JARED LETO, MATT SMITH, ADRIA ARJONA, JARED HARRIS, TYRESE GIBSON, AL MADRIGAL, MICHAEL KEATON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN



Spielt es in den Kinos der DC-Metropole Gotham eigentlich Marvel-Filme? Nehmen wir mal an, dem ist so. Und eines schönen Tages, während Joker & Co auf Urlaub sind und Bruce Wayne sonst nichts anderes zu tun hat, möchte dieser mal ins Kino gehen, daher blättert er in der von Butler Alfred überbrachten Tageszeitung und stößt dabei auf einen Film namens Morbius. Interessant, wird er denken, das ist ein Wissenschaftler, der zur Fledermaus wird. Ich bin zwar kein Wissenschaftler, denkt er weiter, dafür aber steinreich. Die Kinokarten werde ich mir noch leisten können, also sehe ich mir diesen Morbius mal an. Und dann sitzt er im dunklen Saal und es frisst ihn der Neid angesichts dieser atemberaubend nützlichen Skills, die ein jesusgleicher Jared Leto so an den Tag legt. Da weiß man gar nicht, welche dieser Fähigkeiten man lieber hätte. Batman würde sie alle wollen, und es verzehrt ihn danach. Nur leider: das ist das Marvel-Universum. Echo-Ortung, sensibles Gehör und das Gleiten auf Luftströmungen kann sich der Millionenerbe maximal als technischen Schnickschnack um die Hüften binden.

Morbius hat diesen ganzen Bauchladen an pfiffigen Extras gleich in seiner Biologie. Aber natürlich auch nicht von Geburt an, wir haben es schließlich mit einem Menschen zu tun, der von Kindertagen an eine nicht näher erläuterte Blutkrankheit auf Krücken mit sich herumschleppen muss. Im Internat von damals lernt das technische Genie einen Kommilitonen namens Loxias (oder Milo) kennen, der unter derselben Krankheit leidet. Beide verbindet von da an eine intensive Freundschaft. 25 Jahre später ist Morbius dem Blut der mittelamerikanischen Vampirfledermaus auf der Spur – warum auch immer. Morbius nimmt an, dies könnte seine Krankheit heilen. Von mir aus, soll er‘s versuchen. Und er tut es. Ganz klar, was dann passiert. Der kränkliche Doktor mutiert zur blutsaugenden Bestie, also quasi zum Vampir mit einer ganzen Latte spitzer Zähne und einer schaurigen Gesichtsphysiognomie, die zu Tage treten, wenn der Mutant Hunger hat. Sein Freund Loxias will das auch, bekommt’s aber nicht, weil man menschliches Blut nicht einfach so im Supermarkt kaufen kann. Zum Glück gibt’s Kunstblut, aber wer will das schon? Loxias ist aber nicht von gestern, macht einen auf Langfinger und kommt an das Serum heran. Und zack: haben wir zwei Vampire, die sich einen Film lang in den Haaren liegen, bestaunt vom FBI, dass zur Staffage verkommt.

Da es sich um eine (Anti)helden-Genese handelt, ist natürlich auch sofort klar, wie das Gekloppe enden wird. Angestrengt haben sich die vier(!) Skriptautoren wahrlich nicht. Was für ein müdes Drehbuch, was für eine schale Story. Anscheinend ist man von Venom: Let There Be Carnage als Grundlage ausgegangen und hat nur einige wenige Parameter verändert. Marvels Stiefbruder Sony, der ja unbedingt sein eigenes Superhelden-Dings durchziehen will, anstatt dass er seine Handvoll Figuren in die Hände von Kevin Feige legt, würde das vielleicht gerne, fühlt sich dann aber in seinem Stolz verletzt. Also macht Sony eben Filme, die vom Reißbrett sind, und die den Besitz sämtlicher Figuren aus dem Spider-Man Universe legitimieren sollen. Mit Herzblut dabei zu sein, ist etwas ganz anderes. Und da sowieso alle wissen, dass Morbius jetzt nicht wirklich der Brüller unter den Comicverfilmungen ist, sucht man den Ausgleich in der Postproduktion, will heißen: CGI wird’s schon richten. Glücklicherweise tut’s das auch, sonst wäre Morbius ein Totalausfall. Das Morphing der Gesichter von Jared Leto und Matt Smith ist State of the Art, die Fights zwischen Gut und Böse emanzipieren sich mit ihren spärlich gesäten, geschmackvollen Bullet Times vom generischen, oft in abstrakten Schlieren aufgelösten, mitunter langweiligen Getöse, in dem nichts mehr zu erkennen ist. Unter demselben Problem musste auch der letzte Venom leiden. Wird Zeit, dass endlich Spider-Man (in welcher Version auch immer) von der Wand springt und die Gelegenheits-Antagonisten aus der zweiten Reihe auf ein reizvolles Level hebt.

Morbius