Stiller (2025)

WIE MAN JEMAND NICHT IST

4/10


© 2025 Constantin Film


LAND / JAHR: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2025

REGIE: STEFAN HAUPT

DREHBUCH: STEFAN HAUPT, ALEXANDER BURESCH, NACH DEM ROMAN VON MAX FRISCH

KAMERA: MICHAEL HAMMON

CAST: ALBRECHT SCHUCH, PAULA BEER, MARIE LEUENBERGER, SVEN SCHELKER, MAX SIMONISCHEK, STEFAN KURT, SABATA SAFET, MARTIN VISCHER, GABRIEL RAAB, MARIUS AHRENDT, INGO OSPELT U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN



„Ich bin nicht Stiller!“, versucht sich mehr schlecht als recht der diesem Stiller so frappant ähnlich sehende mittelalte Mann aus der Affäre zu ziehen. Das Problem dabei: Man glaubt ihm nicht. Wie, so Albrecht Schuch in zwar nicht verzweifeltem Tonfall, aber schulbühnenartiger Inbrunst, könne man denn beweisen, dass man jemand nicht ist? Heutzutage alles kein Problem, liegen die notwendigen Papiere griffbereit. Im Zeitalter des Internets und einer sozialen Lebensweise, wo dich zumindest immer eine Handvoll Leute kennt, sind Identitäten meistens bewiesen. Auch der hauseigene Zahnarzt kann da weiterhelfen, liegt man mal irgendwann als verkohlter Überrest unter den abgebrannten Trümmern einer Wohnung. Bei diesem hier aber, bei Max Frischs völlig unidentifizierbarer Figur, scheinen die Parameter eines gesellschaftlichen Wesens, wie der Mensch nun mal eines ist, nicht zu ziehen.

Identifikation ist nicht alles

Jene, die Stiller vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen haben, denen könnte der Lauf der Zeit durchaus auch einen Streich spielen, das Erinnerungsvermögen ein bisschen hinterherhinken. Wie sehr kann sich eine Person in so vielen Jahren schon verändern, es sei denn, er hat sich unters Messer legen lassen? Der Unbekannte und doch Bekannte hat das scheinbar nicht – in den 50er Jahren, in denen Stiller spielt, sind Methoden wie diese zur Unkenntlichmachung des eigenen Ichs wohl noch nicht so in Mode. Also macht der gute Mann wohl keinen auf Udo Proksch, sondern lässt sich während einer Zugfahrt durch die Schweiz erwischen. Man fragt sich, weswegen? Womöglich war Stiller in einem politischen Attentat verwickelt, das nur nebenbei angerissen wird, und da ihn ein mitfahrender Gast als jenen Mann, der er angeblich nicht ist, identifiziert hat, wird dieser in polizeiliches Gewahrsam genommen. Zur Identifizierung muss Tänzerin Julika aus Paris antanzen, sie muss es ja schließlich wissen, war sie doch mit Anatol Stiller verheiratet. Natürlich weigert sich dieser, seine Ehefrau zu erkennen, und während das Gänseblümchen gerupft wird – ist er es, ist er es nicht – erfahren wir, wie es denn überhaupt dazu kommen hatte können, dass man James Larkin White  verhaftet hat.

Ein Buch sperrt sich der Verfilmung

Max Frisch ist stets eine gute Bank für vielschichtige Dramen, moralische Metaphern und gesellschaftskritische Gedankenspiele. Die Sache mit der Notlage eines jeden, unentwegt Rollen spielen zu müssen, die man von anderen zugeteilt bekommt, ohne sich selbst oder jemand anderes sein zu können, kumuliert in Frischs Roman Stiller zu einer Identitätskrise bar excellence, zu einem sachlich-klaren, reduktionistischem Psychospiel über den Versuch eines Neuanfangs, der letztlich scheitert, weil die Fesseln der Vergangenheit nicht abgeschüttelt werden können. Als prachtvoller Plot in literarischer Form mag Stiller den Status als moderner Klassiker verdienen, als filmische Interpretation wird wohl nichts davon in die Filmgeschichte eingehen. Der Schweizer Stefan Haupt, der unter anderem dem Reformator Zwingli eine Biografie geschenkt hat, verlässt sich zu sehr auf die Wirkung eines Titels, der jeder auch nur halbwegs versierten Leseratte geläufig sein muss. Dahinter erkämpft sich ein relativ starrer Albrecht Schuch sein Recht auf freie Identitätswahl, während eine noch eindimensionalere Paula Beer, die nicht nur in Filmen von Christian Petzold mitspielt, ihrem Charakter keinerlei Profil verleiht. Stiller hin, Stiller her – im Schatten einer möglichen Verleugnung ist auch die Hintergrundgeschichte selbst, Stillers künstlerisches Schaffen und seine Beziehungen, mitunter auch eine Liaison mit Marie Leuenberger (Mother’s Baby), die wenig empfundene fiktive Biografie eines verschlossenen Mannes, den man nicht unbedingt kennen muss und dessen Versäumnis, ihn kennenzulernen, auch nicht bedauert.

Der Mann mit den zwei Gesichtern

Dem Psychodrama fehlt es an Psychologie, dem Justizdrama an packenden Indizien, die Literaturverfilmung hingegen leidet dabei an zu viel Routine. Einzig wirklich interessant, irgendwie verblüffend und auch richtig geglückt ist die subversive Idee, Stillers Figur zu Beginn des Rückblicks mit zwei Schauspielern zu besetzen. Will heißen: Nicht nur Schuch spielt Stiller, sondern auch der ihm ähnlich sehende Sven Schelker, und so weiß man nie genau, ob man sich nur einbildet, Stiller mit anderem Gesicht zu sehen oder auch nicht. Irgendwann, in einem unmerklichen Moment, wo man längst auf anderes konzentriert ist, übernimmt Schuch dann vollends. Dieses Spiel mit der Wahrnehmung ist Haupts bester Moment, während die übrige Umsetzung in seinem Pragmatismus reichlich schal wirkt.

Stiller (2025)

Zwingli – Der Reformator

MIT DER KIRCHE ÜBER KREUZ

5/10

 

zwingli© 2019 W-film / C-Films

 

LAND: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: STEFAN HAUPT

CAST: MAX SIMONISCHEK, SARAH SOPHIA MEYER, ANATOLE TAUBMAN, STEFAN KURT, UELI JÄGGI U. A.

 

Die Schweiz ist nicht gerade berühmt für ihr immenses Filmschaffen, ganz im Gegenteil. Spontan gefragt fällt mir bis auf Wolfgang Panzers Mönchsfilm Broken Silence oder Beresina oder die letzten Tage der Schweiz sonst weiter nichts mehr ein. Das ändert sich aber jetzt, und zwar aktuell mit einem Film, der den Begründer des protestantischen Glaubens in der kleinen, neutralen Bergnation zum Thema hat: Ulrich Zwingli. Der Geistliche und Humanist war ein Zeitgenosse Martin Luthers, und nach dessen Thesenanschlag war auch dieser motiviert genug, Reformen an der katholischen Kirche durchzuführen, die mit Ablassbriefen, Pomp und Protz dem so einfachen wie leichtgläubigen Volk in grenzenlos überheblicher Arroganz auf der Nase herumtanzen konnte. Natürlich will die Kirche das nicht ändern, und natürlich wird Zwingli zu einem Feind des Vatikan, was er letzten Endes auch mit dem Leben bezahlt. Doch wer war Zwingli wirklich – und wie kam es zu diesen bahnbrechenden Veränderungen, die das größte Schisma der Menschheit auf den Weg brachte?

In Stefan Haupts Historienfilm zieht eines winterliche Tages Schauspielersohn Max Simonischek durch die Gegend rund um Zürich, um letzten Endes dort sein Quartier aufzuschlagen. Der neue Prediger fällt, ehe man es sich versieht, sogleich mit der Sakristei ins Haus, indem er anfängt, Bibelexegese in deutscher Sprache zu betreiben, und das vor versammelter Menge. Latein hat ja bislang sowieso keiner verstanden, mit Ausnahme sämtlicher Würdenträger, die somit ihre Privilegien beschnitten sehen. Stoff genug also für eine faktenbasierte Disputation im Kinoformat, für eine Zielgruppe, die überschaubar bleibt, und für ein Genre, das bestenfalls sein Nischendasein als Kirchenfilm fristet. Wer Luther mit Joseph Fiennes mochte, das vor 16 Jahren im Kino lief, sollte an Zwingli – Der Reformator nicht vorbeigehen, denn mit diesem biographischen Fragment über dessen Wirken haben wir die Reformation des frühen 16. Jahrhunderts quasi in Dolby Surround – von Luthers Norden bis zu Zwinglis Süden. Historiker wissen: Zwingli und Luther hatten zwar regen Briefkontakt, ein Disput über die Bedeutung der Kommunion hat sie dann aber letztendlich entzweit. Was nicht heißt, dass Jahrzehnte später beide Reformationsbewegungen doch noch zueinanderfinden konnten. Details, die der Film Zwingli – Der Reformator leider ausspart oder halbherzig in einem Nebensatz erwähnt.

Die Hoffnung, jenem legendären Streitgespräch zwischen den beiden Querdenkern filmisch folgen zu können, stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. Stefan Haupt wagt sich während seiner über zweistündigen Laufzeit, die teilweise gehörige Längen hat, kaum hinter den mittelalterlichen Mauern des historischen Zürichs hervor. Schön anzusehen ist die rekonstruierte Stadt schon – aber das ist das einzig Epische an einem sonst zur Epik neigenden Stoff, der im Korsett einer Guckkastenbühne leider nur sein dialoglastiges Dasein fristen muss. Es hat den Anschein, als blieben aufgrund des knappen Budgets große inszenatorische Sprünge leider nur Wunschdenken. Nichts gegen all die Details der Ausstattung – die Lagerhallen des Zürcher Kostümfundus hätten wieder mal durchgefegt werden können, so zahlreich haben sich sowohl Statisten als auch der Haupt-Cast in die spätmittelalterliche Kluft gezwängt – vom Bettler bis zum Bischof. Darüber hinaus aber meist die gleichen Settings, immer widerkehrend, wie bei einem Theaterstück, als würde man einem Drama von Fritz Hochwälder oder Jean Anouilh beiwohnen, die ja bekanntlich historische Stoffe dialogfertig für die Bühne adaptiert hatten.

Im Kino ist der Verwöhnfaktor ein ganz ein anderer. Erst unlängst konnte David Michöds The King so richtig wuchtige Bilder zumindest auf den Netflix-Bildschirm schmettern – in Zwingli – Der Reformator bleibt das alles außen vor, selbst die finale Schlacht zwischen Altchristen und den wütenden Reformern war Haupt nicht mal einen Rundumblick wert. Zum Glück für ein Publikum, dass kein Blut sehen kann, und Pech für Liebhaber historischen Kräftemessens. Dafür wäre Zwingli – Der Reformator aber ideal gewesen, denn was der Film erzählt, ist kraftvoll genug, um auch kraftvolleres Kino zu produzieren. So aber bleibe ich zwar mit geschlossenen Bildungslücken in Sachen Kirchengeschichte zurück, wundere mich aber dennoch, wie hölzern so mancher Auftritt absolviert und wie eng geschnürt der filmische Blickwinkel bleibt. Da kann auch Simonischeks angenehme Stimmlage (ja, ganz der Papa!) nur bedingt etwas ändern, wobei dessen rustikaler Haarschnitt sowieso allem die Show stiehlt.

Zwingli – Der Reformator